BILANZ: Herr Schmidt, Sie haben zur allgemeinen Über¬raschung Ihren Rücktritt auf Anfang April bekanntgegeben. Es heisst, Ihr Verhältnis zu Google-Gründer Larry Page sei im letzten Jahr schwieriger geworden.

Eric Schmidt: Das ist völlig falsch. Larry und ich sind die besten Freunde. Wir sind uns in fast allem einig.

Aber haben wir zwischen den Zeilen Ihres Communiqués richtig gelesen, dass sich Page und Mitgründer Sergey Brin schon länger ins Tagesgeschäft eingemischt haben?
Lassen Sie es mich so erklären: Wir drei haben zehn Jahre lang die Firma zusammen geleitet, die beiden waren in jede wichtige Entscheidung involviert. Es wäre also falsch zu sagen, Larry ¬sei nicht auf seine neue Aufgabe vorbereitet. Er ist inzwischen ein sehr ¬erfahrener Führer. Wir werden die Firma auch weiterhin zusammen leiten, aber wir klären jetzt unsere Rollen.

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Das heisst?
Ich mache alles Externe – Kunden, Partner, Politiker, Verträge, Kommunikation, Events wie das WEF in Davos. Larry und Sergey leiten die Firma, während ich hier mit Ihnen spreche. Sergey wird neue Geschäftsfelder entwickeln, während Larry eine sehr ¬detailversessene Person ist. Deshalb wird jeder Geschäftsbereich viel genauer geführt werden. Denn er wird sich hinsetzen und sich stundenlang auf jeden einzelnen konzentrieren.

Was wird sich bei Google nun ändern?
Ich glaube nicht, dass sich irgendetwas ändert. Wir sind uns in ¬allen Bereichen einig.

Als neuer Chairman sollen Sie den CEO beaufsichtigen, der zufälligerweise auch noch der grösste Aktionär ist. Wie soll das funktionieren?
Wie gesagt, man muss Google so verstehen, dass die Firma von drei Leuten geführt wird. Wir reden viel miteinander, und am Ende des Tages einigen wir uns. Alles andere spielt keine Rolle.

Sie bekommen eine Abfindung von 100 Millionen Dollar. Finden Sie das angemessen?
Das wurde oft falsch interpretiert. Das ist keine Abfindung, sondern ein Aktienpaket, das auf vier Jahre gesperrt ist. Ich muss ¬also mindestens vier weitere Jahre bei Google angestellt bleiben, um es zu bekommen.

Werden Sie das?
Das ist mein Plan, ja.

Als Sie vor zehn Jahren den Chefposten von Google übernahmen, war die Firma wenig mehr als ein Start-up mit 200 Angestellten. Konnten Sie sich damals schon vorstellen, dass eines Tages daraus der Konzern von heute würde?
Nein, das war völlig überraschend.

Was war die grösste Herausforderung in dieser langen Wachstumsphase?
Die Geschwindigkeit. Alles passiert so schnell. Ich habe den Vorteil, dass ich Wachstum schon bei anderen Firmen erlebt habe. Aber nie so schnell. Jedes Problem, das wir hatten, konnte man vorhersehen – wie man das Management richtig aufstellt, wie man die globale Expansion betreibt, wie man Abgänge von Schlüsselpersonen ersetzt. Diese Probleme hat jede Firma – wir hatten sie einfach schneller. Die meisten Firmen können mit so schnellen Veränderungen nicht mithalten. Google konnte es. Und ich denke übrigens, dass die nächsten erfolgreichen Firmen sogar noch schneller wachsen werden. Das liegt in der Natur dieser Netzwerk-Märkte – alles wird schneller: immer schnellerer Erfolg, immer schnelleres Scheitern. Groupon ist ein gutes Beispiel. Schauen Sie sich an, wie schnell die wachsen! Phänomenal!

Stichwort Groupon. Ist dieses Coupon-Geschäft nachhaltig oder nur eine Mode¬erscheinung, die wieder verschwindet?
Wir glauben, es wird bleiben. Natürlich wird es sich im Lauf der Zeit verändern, aber die Leute mögen Rabatte. Und Coupons sind nichts anderes. Wenn man das noch mit ¬Anzeigen verbindet, ist das eine sehr starke Kombination. Genau das machen wir mit Groupon zusammen.

Mit Google Offers werden Sie selber in diesem Markt aktiv. Was meinen Sie besser zu können als die Dutzende anderen Player auf diesem Markt?
Nun, unser Angebot ist ein bisschen anders. Und das Feld ist so weit, da werden Sie ganz verschiedene Ansätze sehen. Stellen Sie sich Google Offers wie folgt vor: Sie gehen in ein Geschäft mit Ihrem Android-Handy, sehen dort ein Angebot und, zack, haben auf dem Handy dafür einen Rabattgutschein, der nur für Sie ist!

Wo sehen Sie andere Wachstumsgebiete?
Die Informatik kann bei vielen Problemen helfen. Terrorismus ist ein Informationsproblem, die Erderwärmung ist ein Informationsproblem, die Regulierung der Finanzmärkte ist ein Informationsproblem. Die richtigen Informationen können uns helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Google entwickelt sich weg von der traditionellen Textsuche. In Zukunft wird Google Ihnen die Antworten genau dann liefern, wenn Sie diese benötigen. Ein Beispiel: Wenn Sie im Museum vor einem Gemälde stehen, könnten Sie ins Handy sprechen: Erzähle mir etwas über dieses Bild. Das müssen Sie nicht tippen, das Handy wird erkennen, wo es ist. Informationen werden uns helfen, Probleme zu lösen: Wie soll ich den Tag verbringen? Woran soll ich arbeiten? Wie kann ich erkennen, ob mich jemand anlügt?

Sie wollen einen Lügendetektor in Ihre Software einbauen?
Unsere Software kann zumindest erkennen, «dass die meisten Leute anderer Meinung sind». Dann können Sie selbst entscheiden. Wir kennen die Wahrheit nicht wirklich, aber wenn 99 Prozent der Menschen anderer Meinung sind als Sie, dann möchten Sie das vermutlich gerne wissen.

Sie versuchen sich schon lange an der Diversifikation. Aber Ihre Umsätze hängen noch immer fast ausschliesslich von Suchanzeigen ab. Was läuft falsch?
Nichts. Das nächste grosse Anzeigengeschäft ist jenes mit Displaywerbung. Das könnte irgendwann ein Zehn-Milliarden-¬Geschäft für uns werden. Wir lieben Werbung: Sie ist global, hängt nicht von einem bestimmten Kunden ab, nicht von einem Land oder einer Währung. Ich mache mir keine Sorgen um ¬unsere Diversifizierung. Wir sind auch ziemlich gut durch die Rezession gekommen. Das zeigt die Vorteile unseres Ansatzes.

Trotzdem ist Google bürokratisch und langsam geworden. Wie wollen Sie die Firma wieder flink und innovativ machen?
Larry würde Ihre Frage so beantworten: Wir wollen, dass Google eine grosse Firma ist mit dem Speed und der Innovationsrate ¬einer kleinen Firma.

Das will jeder.
Das ist sein Ziel. Und wir wollen es erreichen, indem wir die Entscheidungsgewalt nach ¬unten geben, zu den Schlüsselfiguren, denen wir vertrauen. Beispielsweise Android-Chef Andy Rubin. Er stellt die Leute an, die er will, er macht die Deals, die er will – er ist sehr talentiert. Bisher haben wir selber entschieden, nun geben wir die Kompetenzen nach unten.

Ihr Handybetriebssystem Android ist ein grosser Erfolg, aber Sie verschenken es. Wie wollen Sie damit Geld verdienen?
Android-Benutzer suchen mehr. Android hat sich deshalb allein durch die Extra-Einnahmen aus den zusätzlichen Suchanfragen bezahlt gemacht. Es ist ein gewaltiger finanzieller Erfolg, auch wenn wir es verschenken.

Sie haben Android für Handys entwickelt, jetzt taucht es auch in Tablet-Rechnern auf, in Fernsehern, selbst in ¬Mikrowellengeräten. Wird es eines Tages das Standard¬betriebssystem unseres digitalen Lebens sein?
Das könnte durchaus sein. Weil es «open source» ist, also von ¬jedem weiterentwickelt werden kann, und weil es bereits ein komplettes System darstellt, ist es die schnellste Art, ein leistungsfähiges Gerät zu entwickeln. Viele Firmen benutzen es ¬etwa, um Drucker zu kontrollieren. Für einen Kühlschrank ist es aber vielleicht ein Overkill (lacht).

Warum sind Sie mit dem Nexus S wieder in das Hardware¬geschäft mit Handys eingestiegen?
Um allen zu zeigen, was machbar ist, als Referenz. Wir wollen so etwas alle sechs bis zwölf Monate machen – ein Gerät, welches das beste auf dem Markt ist. Eine Benchmark. Wir ¬machen das nicht wegen des Geldes, sondern um die Führungsposition zu untermauern.

Welche Rolle wird TV-Werbung in Zukunft für Google spielen?
Heute ist sie nur ein Zusatzgeschäft. Wir müssen sehen, wie sich das entwickelt. Diese Industrie verändert sich nur langsam.

Bislang war Google TV aber kein Erfolg. Wie wollen Sie es in die Gänge kriegen?
Wir haben es ja gerade erst gestartet. Wir werden es verbessern. Es braucht sicher ein Jahr. Wir müssen allerlei zusätzliche ¬Features integrieren, Partnerschaften aufbauen.

Das ist Ihr Hauptproblem: Es gibt zu wenig Inhaltsanbieter.
Ja, aber daran arbeiten wir.

Wie gestaltet sich dabei Ihre Zusammenarbeit mit Logitech?
Logitech baut das Gerät, mit dem Sie Ihren bestehenden Fern¬seher für Google TV tauglich machen können. Die Firma ist ein guter Partner, wir mögen Logitech sehr. Und sie dürfte verkaufsmässig mit am stärksten von Google TV profitieren. Denn eine Settop-Box zu kaufen, ist günstiger als ein neuer Fernseher.

In vielen Gebieten konkurrieren Sie mit Apple. Steve Jobs verficht ein geschlossenes Modell rund um iTunes. Sie ¬propagieren ein offenes Modell, wo jeder mitmachen kann. Warum glauben Sie, dass Ihr Ansatz besser ist?
Weil ein offenes Modell am Schluss erfolgreicher ist. Es arbeiten mehr Leute daran, es entwickelt sich schneller, es skaliert schneller. Parallelismus ist einfach besser. Das Problem eines offenen Modells ist, dass es nicht organisiert ist. Es ist ein Chaos. Dieses Chaos versuchen wir in den Griff zu bekommen über Regeln, an die sich die Entwickler halten müssen.

Aber Apple kann in ihrem eigenen System eine hohe Qualität garantieren. Google nicht.
Ja. Und: Apples Produkte sind teurer, und es gibt weniger Auswahl. Es ist eine Abwägung. Am Schluss entscheidet der Kunde.

Facebook dürfte die Firma sein, die Ihnen am meisten Sorgen macht – sie wächst extrem schnell in ihrem Kerngeschäft, der Anzeigenvermarktung.
Was Sie sagen, ist nicht korrekt. Unser Konkurrent Nummer eins ist Microsoft, und das schon seit langem. Was Facebook ¬angeht: Google hat mehr Nutzer. Und es gibt keine Hinweise, dass Werbung auf Facebook Werbung auf Google verdrängt. Ich kenne keine Deals, die Facebook gewonnen und wir verloren hätten. Eventuell gibt es einen strategischen Wettbewerb, aber keinen im Tagesgeschäft.

Zumal die Leute eher den Empfehlungen von Freunden vertrauen als den Empfehlungen eines Algorithmus.
Nun, ich glaube, das können wir mit der Zeit ändern. Wir arbeiten mehr und mehr soziale Elemente in unsere Suchergebnisse ein. Die werden also immer besser. Und solange wir besser werden, werden die Leute mit uns zufrieden sein.

Ihre eigenen sozialen Netzwerke Orkut und Buzz sind ¬gefloppt. Warum?
Das stellen Sie falsch dar. Orkut ist in zwei Ländern erfolgreich, in Indien und Brasilien.

Das ist nicht wirklich beeindruckend.
Bei Orkut waren wir sehr früh am Start. Buzz hat Erfolg bei den Benutzern unseres E-Mail-Dienstes Gmail. Das war auch die ¬Intention. Den Start haben wir zwar vermasselt …

… als Sie automatisch offenlegten, mit welchen Kontakten sich gewisse Buzz-User am meisten austauschten.
Aber dann haben wir das ziemlich schnell korrigiert. Aber eigentlich fragen Sie das ja gar nicht.

Ach ja?
Sie stellen eigentlich die Facebook-Frage. Warum wir nicht so etwas machen wie die – was sie gut machen. Aber wir wollen nicht dasselbe tun wie Facebook. Es gibt Platz für meh¬rere Anbieter.

Liegt das Problem darin, dass sich bei Google alles um ¬Algorithmen dreht, was so ziemlich das Gegenteil von sozialen Kontakten ist?
Ich will mich hier nicht darüber auslassen, warum Facebook erfolgreich ist oder nicht. Google ist der Triumph des Algorithmus. ¬Damit kann man erstaunliche Sachen ¬machen. Und das machen wir gut.

Über 400 Ihrer Angestellten sind ¬inzwischen zu Facebook übergelaufen.
Das ist nicht korrekt. Es sind weniger als 200, 10 Prozent der Facebook-Belegschaft. Das heisst, 90 Prozent sind nicht von Google.

Google ist trotzdem nicht mehr die attraktivste Firma im ¬Silicon Valley.
Das ist nicht wahr. Wir stellen 200 Leute ein – jede Woche!

Facebook baut ein Netz im Netz, auf das Ihre Suchroboter keinen Zugriff haben. Ein immer grösserer Teil des Internets wird damit von Google nicht mehr abgedeckt. Wie gehen Sie damit um?
Wir ermutigen alle, ihre Netzwerke zu öffnen. Wir glauben an offene Systeme.

Google leidet unter dem Ruf des Datenkraken. Wie wollen Sie das Image in dieser Hinsicht verbessern?
Darüber haben wir natürlich viel nachgedacht. Die einfachste Antwort ist folgende: Sie als Benutzer wollen wissen, welche ¬Informationen Google über Sie hat. Und Sie wollen diese ¬löschen können. Wir haben einige Tools dazu, die auch in Zürich entwickelt wurden, wie etwa Google Dashboard, und wir fügen weitere hinzu. Damit gehen wir auf die Nutzerbedenken ein.

Geben Sie zu, die Bedeutung des Themas zu lange ¬unterschätzt zu haben?
Bei Buzz haben wir sicher einen Fehler gemacht. Im Fall von Street View war es uns bewusst. Das haben wir nicht unterschätzt.

Facebook beginnt das gleiche Problem zu haben.
Dazu kann ich nichts sagen, ich arbeite nicht bei Facebook. ¬Fragen Sie mich über Google, da bin ich angestellt.

Facebook wird mit 50 Milliarden Dollar bewertet, der ¬Spielehersteller Zynga mit 5,5, das Management von Groupon will 15 Milliarden beim Börsengang lösen. Sind wir in einer neuen Internetblase?
Ja, es gibt klare Hinweise auf eine Blase. Und spätestens wenn die Zeitungen schreiben, es sei eine Blase, dann ist das sowieso der Fall. Aber die Bewertungen sind, wie sie sind. Die Leute glauben, dass dort in Zukunft gewaltige Umsätze erzielt werden.

Werden diese Bewertungen Bestand haben?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich kenne die Antwort nicht. Alles hängt davon ab, wie gut diese Firmen ihr Geschäftsmodell schliesslich umsetzen. Was Groupon angeht: Da kann ich es beurteilen, die sind Partner von uns, und die machen das sehr gut.

Welche Rolle wird Zürich für Google in Zukunft spielen?
Zürich ist unser drittgrösstes Entwicklungszentrum weltweit mit mehr als 600 Angestellten. Wir haben den Standort vor ein paar Jahren ausgewählt aufgrund der hohen Lebensqualität. Viele Leute wollen aus dem Ausland hierherziehen, selbst aus den USA. Die Verkehrsinfrastruktur ist ein grosser Vorteil, die Zentralität, das Bildungssystem, die ETH. Die Schweizer Ingenieure sind sehr smart, tough und pünktlich. Und die Schweizer Präzision ist sehr hilfreich. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit unseren Zürcher Angestellten gemacht.

Soll der Standort vergrössert werden?
Ja, hier wollen wir investieren. Dieses Gebäude platzt aus allen Nähten. Wir erarbeiten zurzeit die konkreten Pläne für einen Ausbau. In ganz Europa stellen wir dieses Jahr über 1000 Leute ein, viele davon auch in Zürich. Wir werden hier ziemlich schnell wachsen. Es ist übrigens amüsant, wie farbenfroh es hier im ¬Inneren ist. Das ist das genaue Gegenteil vom Stereotyp des grauen Zürcher Bankers mit seinem Dreiteiler. Hier haben wir die ganze Kreativität der Schweizer Kultur.

Wenn alles immer schneller wird, wie Sie vorher sagten: Gibt es Google in zehn Jahren noch?
Absolut. Und Google wird grösser sein als heute.


Der Milliardenmann
Eric Schmidt
(55) baute in den letzten zehn Jahren Google vom Start-up zum 29-Milliarden-Dollar-Konzern auf. Für Anfang April hat er überraschend seinen Rücktritt als CEO angekündigt; dann wird er sich auf das Amt des Chairman zurückziehen und das Tagesgeschäft wieder den Gründern Larry Page und Sergey Brin überlassen. Vor seiner Zeit bei Google arbeitete Schmidt bei Sun Microsystems und als CEO des Softwareherstellers Novell. 2006 bis 2009 sass der Kunstsammler im Apple-Board. Sein Anteil an Google ist rund sechs Milliarden Dollar wert.