Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will, man kann Archive bemühen oder nach Belieben in Bibliotheken stöbern. Am Ende ist eines sonnenklar: Einen Herrn namens Rolex findet man im Zusammenhang mit der wohl bekanntesten aller Luxus-Uhrenmarken nicht. Auch Westschweizer Telefonbücher helfen nicht.

Eine Bier- statt eine Uhrenregion

Allerdings: Bei differenziertem Studium der Chroniken trifft man ihn gleichwohl, jenen «Herrn Rolex», auf den die Geburt und der beispiellose Siegeszug der faszinierenden Schweizer Uhrenmanufaktur zurückgehen. Die erste Begegnung findet an einem Ort statt, der mit Uhren und Zeitmessung überhaupt nichts zu tun hat. Das nordbayerische Kulmbach, von dem hier die Rede ist, schätzen Kenner wegen seiner vorzüglichen Bierspezialitäten – nicht aber wegen der Haute horlogerie.

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In besagter Kleinstadt hatte am 22. März 1881 ein Junge das Licht der Welt erblickt, dem die Eltern Anna und Ferdinand Wilsdorf den Vornamen Hans Wilhelm gaben.Die Jugendzeit des zweiten von drei Kindern stand unter keinem glücklichen Stern. Bereits mit zwölf wurde Hans Vollwaise. Dank finanzieller Rücklagen – die Mutter entstammte einer bekannten Brauer-Dynastie – und des Verkaufs eines florierenden, bereits vom Grossvater Carl Wilsdorf gegründeten Eisen- und Haushaltswarengeschäfts am Kulmbacher Marktplatz kamen die schulische und berufliche Bildung gleichwohl nicht zu kurz.

80 Franken erster Monatslohn

Nach Abitur und Abschluss einer kaufmännischen Lehre im nahe gelegenen Bayreuth zog es den 19-Jährigen in die Schweiz. In Genf, seinem späteren Lebensmittelpunkt, volontierte Hans Wilsdorf kurzzeitig bei einem Perlenhändler.

Dann zog es ihn in den Jura, der landschaftlich Ähnlichkeiten mit seiner fränkischen Heimat aufweist. Im industriellen Zentrum der Region, in La Chaux-de-Fonds, fand Wilsdorf einen Job bei einem erfolgreichen Uhrenexporteur. Der zahlte dem sprachenkundigen Berufseinsteiger monatlich 80 Fr. für die Erledigung von Korrespondenz in Englisch und die Besorgung allgemeiner Büroarbeiten.

Zudem hatte Wilsdorf täglich mehrere 100 Uhren aufzuziehen und deren Gang zu kontrollieren. Mit solchen Produkten löste Cuno Korten – damals schon – jährlich mehr als 1 Mio Fr. Dieser Umsatz mit keineswegs selbst produzierten Uhren faszinierte Wilsdorf ungemein. Die Lieferanten der Handelsware sassen in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz.

Irgendwann fühlte sich der ehrgeizige Jung-Kaufmann zum freien Uhr-Unternehmertum berufen. Und er handelte durch die Bestellung und den gewinnbringenden Verkauf dreier Gold-Taschenuhren in Chronometerqualität. Die offiziellen Gangzeugnisse hatte das Neuenburger Observatorium ausgefertigt.

Die Vorgesetzten zeigten sich über diese Eigenmächtigkeit keineswegs verärgert. Im Gegenteil: Sie übertrugen ihrem geschäftstüchtigen Angestellten neue, verantwortungsvollere Aufgabengebiete. Doch der wollte nach einem eher unfreiwilligen Militärdienst-Intermezzo in Deutschland mehr, weitaus mehr.

Sein unternehmerisches Talent konnte Hans Wilsdorf 1905 erneut beweisen. Während einer Schiffsreise waren ihm 33000 deutsche Goldmark gestohlen worden. Nach dem Verlust des Erbteils musste er zur Gründung seines eigenen Unternehmens deshalb auf eine finanzielle Anleihe seiner beiden Geschwister zurückgreifen und dazu auch noch den deutlich älteren Partner Alfred James Davis mit ins Boot nehmen. Letzterer sollte sich später noch als handfester Filou entpuppen.

In London, Hatton Gardens 83, legte der ambitionierte Oberfranke den Grundstein für ein echtes Uhr-Imperium. Sinn und Zweck der Wilsdorf & Davis Ltd. bestand im Uhrenverkauf en gros. Wegen einer Vielzahl konkurrierender Unternehmen musste sich Wilsdorf innovative Marketing- und Vertriebskonzepte ausdenken und attraktive, nicht alltägliche Produkte offerieren. Da kamen die neuen Armbanduhren gerade recht.

Nach dem Umzug an den Holborn Viaduct 44 aktivierte Wilsdorf seine Kontakte zur Schweizer Uhrenindustrie. Insbesondere die 1878 gegründete Aegler SA war ihm in bester Erinnerung geblieben. «Die Firma Aegler», schrieb er in seinen Erinnerungen, «war die erste Uhrenfabrik, welche die Herstellung einer Uhr mit 11’’’-Ankerwerk aufgezogen hat. Seit dem Gelingen dieser Neuheit, welche sich in der Folge von grösster Tragweite für die gesamte Uhrenindustrie erweisen sollte, konnte die Zukunft der Armbanduhr als gesichert betrachtet werden.»

In Biel dann fündig geworden

Also reiste Hans Wilsdorf noch 1905 nach Biel. Dort fiel sein Angebot, Armbanduhren aus Aeglers Produktion in Grossbritannien zu vertreiben, auf fruchtbaren Boden. Die Kurzvisite mündete in einen ersten Grossauftrag. Dieser umfasste ein Liefervolumen von mehreren 100000 Fr., was dem fünffachen Betriebskapital von Wilsdorf & Davis entsprach.

Der Mut machte sich schnell bezahlt, denn die importierten Armbanduhren verkauften sich wie die sprichwörtlichen «warmen Weggli». Weitere Bestellungen, neue Produktideen und Verbesserungsvorschläge folgten auf dem Fuss. So leistete Wilsdorf, der sich in England fest etablierte und die britische Staatsbürgerschaft annahm, einen nicht unerheblichen Beitrag zum Siegeszug der Armbanduhr.

So kam die Marke zu ihrem Namen

Wilsdorfs Freude am Erfolg trübte allenfalls die Tatsache, dass bedeutende Fachgeschäfte wie The Goldsmiths Company oder Asprey auf den Zifferblättern ausschliesslich ihren eigenen Namen lesen wollten. Der Lieferant hatte weder dort noch auf Uhrwerk und Gehäuse etwas verloren.

Mit dieser Tradition wollte Wilsdorf unter allen Umständen brechen. Doch das konnte nur durch einzigartige Produkte mit hoher Begehrlichkeit gelingen. Eine markante Signatur brauchte es ebenfalls. Letztere liess Wilsdorf im Jahre 1908, also vor exakt 100 Jahren, schützen.

Um die Hintergründe des Namens Rolex ranken sich viele Geschichten. Unstrittig ist auf jeden Fall, dass er sich in allen Sprachen gleichermassen leicht verwenden lässt. Verballhornungen gelingen selbst Amerikanern nicht. Ausserdem beanspruchte der zweisilbige Begriff auf dem Zifferblatt so wenig Platz, dass die Schriftzüge der potenziellen Kunden problemlos dazu gedruckt werden konnten. Schliesslich waren prägnante, aus fünf Buchstaben bestehende Wörter sehr beliebt. Das beweist etwa Kodak, eine andere Namenslegende jener Epoche.

Rolex, behaupten manche, sei von Horlogerie exquise, also «herausragender Uhrmacherkunst», abgeleitet. Hans Wilsdorfs Witwe schilderte bei einem Besuch eine andere Version. Derzufolge verbirgt sich hinter Rolex nichts anderes als ein Kürzel aus Rolling Export. Damit ist jener ungemein erfolgreiche und daher beinahe ununterbrochene Uhrenstrom von Aegler zu Wilsdorf & Davis gemeint.

Wie dem auch sei: Die Kreation war und ist an Genialität nicht zu übertreffen. Heute gehört Rolex zu den bekanntesten und wertvollsten, aber auch, was Geschäftszahlen betrifft, verschwiegensten Marken überhaupt. Der Bekanntheitsgrad bewegt sich in Dimensionen, von denen andere Uhrenhersteller nur träumen können.

Firma gehört heute einer Stiftung

Dank Wilsdorfs mutiger Aufbauleistung und der konsequenten Weiterentwicklung des reichhaltigen Erbes ab 1964 durch André Heiniger und ab 1992 durch dessen Sohn Patrick wurde Rolex zu einem hochkarätigen Diamanten in der an Marken reichen Uhrenwelt. Hinter dem mehrfachen Umsatz-Milliardär steht eine Stiftung, die der kinderlose Hans Wilsdorf 1945, also auf der Höhe seiner Schaffenskraft, ins Leben gerufen hatte.