Frau Brand, Sie sind seit Anfang Jahr Chief Sustainability Officer (CSO) von Syngenta, eine Position, die neu geschaffen wurde. Worum geht es?
Es geht ums Geschäft.

Das müssen Sie erklären.
Wir sind der festen Überzeugung, dass wir als Unternehmen auf lange Sicht nur bestehen können, wenn wir Faktoren wie Bodengesundheit und Biodiversität in unser Geschäft einbeziehen.

Wie soll das geschehen?
Indem wir nicht nur Verkaufsberatung für unsere Produkte machen, sondern indem wir mit dem Bauern auf den Acker gehen und uns anschauen: Wie bewässert er? Wie pflügt er? Wie geht er mit dem Boden um? Wie sehen seine Felder im Vergleich zum Umland aus? Wie steht es um die Biodiversität der Region?

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Damit haben Sie noch keine Produkte verkauft.
Das mag sein. Doch die Produktberatung darf erst in einem zweiten Schritt kommen. Natürlich müssen wir verkaufen. Das ist unser Geschäft. Aber wir dürfen unsere Arbeit nicht darauf reduzieren. Nur so kann es uns gelingen, die Bauern in einem stark umkämpften Markt auf lange Sicht ans Unternehmen zu binden und neue Bauern als Kunden zu gewinnen. Damit gewinnen wir Marktanteile: Das ist der Deal.

Was macht Sie so zuversichtlich, dass diese Wette aufgehen wird?
Ich kann das an einem Beispiel aus meinem bisherigen Verantwortungsbereich als Chefin der EMEA-Region zeigen: Ungarn. Ungarn hat eine stark industrialisierte Landwirtschaft. Die Bauernhöfe sind riesig, grösser als in Deutschland und der Schweiz. Zudem leidet die ungarische Landwirtschaft unter starken Niederschlagsschwankungen. Vor ein paar Jahren lagen wir bei 8 Prozent Marktanteil. Inzwischen sind wir bei 30 Prozent.

Was haben Sie gemacht?
Wir haben unsere Teams in die besonders exponierten Regionen geschickt, Zonen, die der Landwirtschaft verloren zu gehen drohten. Wir haben uns dort mit den Bauern zusammengesetzt und nach Wegen gesucht, um die Bewirtschaftung der Felder zu verbessern, haben ihnen gesagt, wo sie besser mit unserem Saatgut arbeiten, zum Beispiel bei den Sonnenblumen, und wo sie besser mit den Produkten der Konkurrenz arbeiten. Das ist wichtig: Man muss ehrlich sein zu den Bauern, sonst verliert man sie.

Es zahlt sich aus, wenn Sie den Bauern raten, bei der Konkurrenz einzukaufen?
Auf jeden Fall. Das zeigt nicht nur das Beispiel Ungarn; das sehen wir auch in Norditalien und in gewissen Landstrichen in Frankreich und Andalusien, wo wir ebenfalls Marktanteile dazugewonnen haben.

Schafft diese Nähe nicht Abhängigkeiten?
Landwirte sind sehr selbstbewusste Menschen, die sich nichts vormachen lassen und sehr wohl wissen, was sie brauchen. Glauben Sie mir: Wenn Sie einem Bauern etwas aufschwatzen wollen, das er nicht braucht, kommen Sie nicht weit. Das wäre eine Eintagsfliege. Ich weiss, wovon ich spreche. Es passiert auch bei Syngenta, dass wir Geschäfte verlieren.

Von wem kam die Initiative, einen Chief Sustainability Officer zu installieren? Von den neuen Eigentümern in Peking?
Nein. Das kam von Erik Fyrwald, unserem Konzernchef. Er hat nach seinem Amtsantritt vor anderthalb Jahren sehr schnell gesehen, dass unsere Ziele im kommerziellen Geschäft bestens zu den Zielen im Bereich Nachhaltigkeit passen.

Wirklich? Geschäft und Nachhaltigkeit – das ist doch ein Widerspruch.
Da bin ich entschieden anderer Meinung. Wir engagieren uns nicht für Nachhaltigkeit, weil wir Gutmenschen sein wollen. Nachhaltigkeit ist zu 100 Prozent geschäftsrelevant: Das bringt uns bessere Zahlen – und zwar nicht nur kommerziell, sondern auch bei den Erträgen, bei der Bodengesundheit, der Biodiversität und bei den sozialen Faktoren. Der Klimawandel ist real. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir die globalen Ernährungsprobleme nur lösen können, wenn wir mit weniger Ressourcen mehr produzieren können. Alles andere ist eine Illusion.

Wenn man mit Nichtregierungsorganisationen spricht, dann hört man vor allem eines: Nachhaltigkeit, das mag in der Basler Zentrale von Syngenta ein Thema sein, in den Märkten aber laufen wir auf. Wird sich das ändern?
Der Weg, den wir nun einschlagen, ist anspruchsvoll und anstrengend. Natürlich müssen wir unsere eigenen Mitarbeiter in den Märkten davon überzeugen, dass er sich lohnt. Deshalb ist die Position ja auch stark im operativen Geschäft verankert. Ich berichte direkt an Erik Fyrwald und er hat bewusst eine Person ausgewählt, die bereits einen grossen Geschäftsbereich geleitet hat. Ich bin an allen Geschäftsleitungssitzungen dabei, auch wenn ich selber kein Geschäftsleitungsmitglied bin. Was mir, ehrlich gesagt, viel Zeit spart. Zudem sind wir von der Nachhaltigkeit auf den drei obersten Entscheidungsebenen involviert.

Wie muss man sich das vorstellen?
Ich selbst sitze im Führungsteam Pestizide, einer meiner Kollegen ist im Führungsteam Saatgut. Zudem haben wir je eine Person in den drei regionalen Führungsteams.

Wo stehen Sie beim Good Growth Plan, dem bereits laufenden Nachhaltigkeitsprogramm von Syngenta?
Mit dem Plan für verantwortungsvolles Wachstum möchten wir innert sieben Jahren 20 Millionen Kleinbauern erreichen. Ende 2016, nach drei Jahren, hatten wir bereits 16,6 Millionen erreicht. Wir sind also sehr gut auf Kurs.

Gibt es bei der Nachhaltigkeit Fortschritte?
Die allerneusten Zahlen für 2017, die eben erst auditiert wurden, sind vielversprechend: In den vier Jahren seit der Lancierung des Plans konnte die Produktivität um 10,9 Prozent gesteigert werden, bei den Kleinbauern sogar um 21,6 Prozent – und es ist gelungen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln pro produzierte Einheit um 14,2 Prozent zu senken.

Mit dem Kleinbauernprojekt erreichen Sie aber nur einen Bruchteil des Geschäfts. Wird sich das in den nächsten Jahren ändern?
Der Good Growth Plan wird auf jeden Fall weitergeführt und wir werden weiterhin jedes Jahr detailliert über die Fortschritte Rechenschaft ablegen. Es ist meine Aufgabe als CSO, den Nachhaltigkeitsgedanken darüber hinaus in alle Geschäftsbereiche zu tragen. Eine wichtige Rolle werden dabei die Bäuerinnen spielen.

Warum?
Weil sie auf der ganzen Welt oft die tragende Säule des ländlichen Wirtschaftslebens sind: Zwei Drittel der Kleinbauern sind weiblich und die Bäuerinnen machen weltweit 60 Prozent aller Landwirte aus. Leider haben sie nur ungenügend Zugang zu landwirtschaftlichen Ressourcen und Informationen.

Wie wollen Sie das ändern?
Wir haben gelernt, dass wir Frauen noch besser ansprechen müssen. Wir haben dazu eigene Programme kreiert. In Bangladesch und Kenia beispielsweise haben wir aufgrund der besonderen kulturellen Umstände weibliche Mitarbeiterinnen, die gezielt Bäuerinnen ansprechen.

In Indien betreibt Syngenta im Rahmen des Good Growth Plan zurzeit 30 sogenannte Learning Centers für Kleinbauern. Das ist bescheiden für ein Land mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen.
Wir wollen in Indien in einem ersten Schritt 20 Millionen Menschen erreichen. Wir schauen uns derzeit Land für Land an, denn je nach Region, Klima und Bodengesundheit gibt es andere Probleme. Das ist eine langfristige Aufgabe.

Und wie werden Sie das finanzieren?
Wenn wir damit Marktanteile gewinnen, dann rechnet sich das schnell. Aber es ist natürlich schon so: Wir schieben hier ein gewaltiges Investitionsprogramm an. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigen die Erfolgszahlen des Plans für verantwortungsvolles Wachstum.  

Inwieweit fliesst die Einhaltung der Vorgaben des Good Growth Plan in die Entschädigung der Mitarbeiter ein?
Bei den Führungskräften macht er 20 Prozent der variablen, langfristigen Entschädigung aus.  

Reicht das?
Ich denke ja – wir machen die Nachhaltigkeit selber zum Geschäftsmodell.

Werden weitere Commitments dazukommen?
Zurzeit arbeiten wir daran, die Themen Klimawandel und Bodengesundheit in den Good Growth Plan einzubauen, neben unseren bisherigen Commitments wie der Steigerung der Erträge, der Wiedergewinnung kaputter Böden oder der Sicherheit der Bauern. Die Landwirtschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Klimapolitik, und zwar gleich in doppelter Hinsicht: Sie erzeugt sehr viele Treibhausgase und sie spielt eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Treibhausgasen.

Inwiefern?
Die Landwirtschaft kann sehr viel tun, um die Treibhausgase im Boden zu binden. Da geht es um Fragen wie: Wie pflüge ich und wie kann ich darauf ganz verzichten? Wie bewässere ich meine Felder? In den USA sind wir da schon sehr weit.

Können Sie mehr dazu sagen?
In Idaho haben wir zum Beispiel die digitale Plattform Agriedge aufgebaut, auf der sich die Bauern registrieren können. Der Bauer sagt uns, was er auf seinen Feldern tut, wo er welche Pestizide einsetzt, mit welchem Saatgut er arbeitet – solchem von Syngenta und anderen Anbietern. Wir berechnen dann für den Bauern, wie viel Wasser er verbraucht, wie viel Diesel und Pflanzenschutzmittel er im Vergleich zum Nachbarn verbraucht – und wir sagen ihm, wie er den Ressourcenverbrauch reduzieren kann.

Und bieten ihm dann die Produkte von Syngenta an?
Nein, das ist keine Verkaufsplattform.

Aber die Daten verwenden Sie?
Nein. Die Daten bleiben Eigentum des Bauern.

Wirklich?
Unbedingt. Wenn wir das Vertrauen der Bauern missbrauchen, dann sind wir schnell weg vom Fenster. Es ist ja nicht so, dass wir in diesem Geschäft allein unterwegs sind. Im Gegenteil: Unsere Mitbewerber sind ebenfalls ziemlich fit.

Und was hat der Farmer in Idaho davon?
Dass er den Bedürfnissen seiner Kunden besser gerecht werden kann. Die Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte interessieren sich vermehrt für nachhaltige Produktion. Grosse Firmen wollen im Detail wissen, ob der Weizen, den sie kaufen, ressourcenschonend produziert wurde. Gerade die Themen Wasserverwendung, Bodengesundheit und Treibhausgasemission interessieren sie. Wir aggregieren die Daten der Landwirte und stellen diese den Käufern zur Verfügung.

Mit welchen Resultaten?
Wir können bereits heute sagen, dass diejenigen Bauern, die auf der Plattform sind, ihren Treibhausgasausstoss um 10 Prozent reduzieren konnten. Wir arbeiten beispielsweise in Michigan in der Region der grossen Seen mit dem Nahrungsmittelhersteller Kellogg’s und mit der Umweltschutzorganisation The Nature Conservancy zusammen – und wurden für das Projekt drei Jahre nach dem Start ausgezeichnet.

Wird sich dieses Modell durchsetzen?
Die digitale Landwirtschaft erfordert grosse Investitionen und ist nicht für alle Regionen geeignet. Aber ich sehe hier eine grosse Zukunft vor uns.

Ist die neue, private Eigentümerschaft beim Thema Nachhaltigkeit ein Vorteil?
Ja, denn erstens haben die Chinesen einen sehr langfristigen Horizont, was sehr wichtig ist bei teuren Investitionen. Und zweitens war der Good Growth Plan sehr attraktiv für ChemChina und ein wichtiges Thema in den Übernahmeverhandlungen.

Warum?
Weil er sehr gut zum Green Growth Plan der chinesischen Regierung passt. Die chinesische Regierung hat klare Ziele zur Reduktion des Pestizid-Einsatzes in der Landwirtschaft und von Treibhausgasen. Ziel ist es, das Niveau der in der chinesischen Landwirtschaft eingesetzten Produktpalette deutlich anzuheben.

Wie werden Sie vorgehen?
Zum einen werden unsere Forscher mithelfen, spezifische Lösungen für die unterschiedlichen Landwirtschaftsgebiete Chinas zu entwickeln. In China gibt es aber auch viele Kleinstlandwirte, und dort wird die Syngenta-Stiftung eine wichtige Rolle spielen. Wir werden nach Partnern Ausschau halten, zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen und Umweltorganisationen, welche die gleichen Ziele haben wie wir. China möchte bis 2020 jedes Jahr zehn Millionen Menschen aus dem Hunger und der Armut führen. Allein schaffen wir das nicht.

Worum ging es der chinesischen Regierung bei der Übernahme?
Das ist jetzt meine sehr persönliche Meinung, aber ich denke, die chinesische Regierung hatte nicht nur die Interessen der chinesischen Landwirtschaft im Auge, als sie uns übernahm, sondern es ging auch um ein langfristiges Engagement für eine gut funktionierende Landwirtschaft auf der ganzen Welt.

Wirklich? Das wäre ja etwas ganz Neues.
China ist an funktionierenden Landwirtschaftsmärkten auch ausserhalb der eigenen Grenzen interessiert, sei es in Brasilien, den USA oder Europa, damit das globale Ernährungsproblem gelöst wird.

Warum?
China kauft sehr viel Soja auf den Weltmärkten ein. Die Regierung hat ein Interesse daran, dass die Versorgung mit Soja gesichert ist und dass es nicht zu Preissteigerungen kommt. Soja ist wichtig für die Produktion von Schweinefleisch – und billiges Schweinefleisch, das ist in China eine Frage des sozialen Friedens.

Welche Rolle spielt Technologie bei der Nachhaltigkeit?
Eine sehr grosse Rolle. Ohne Technologie gibt es keine Präzisionslandwirtschaft. Zurzeit arbeiten wir an Sensortechnologien für Drohnen. Diese können genau erkennen, wo ein Unkraut wächst, wo Schimmel entsteht oder Trockenheit droht – und der Bauer kann dann ganz gezielt bewässern oder spritzen. Ich bin überzeugt, dass diese Technologien den Mitteleinsatz nochmals gewaltig reduzieren können. Da wird die Reise hingehen – und das macht es auch spannend für die Bauern.

Werden Sie an den Neonikotinoiden festhalten?
Ja, wobei Innovation in unserer Branche besonders wichtig ist. Wir forschen weiter nach Insektiziden, weil es immer Insekten geben wird, welche Pflanzen attackieren und Ernten vernichten.

Das Produkt steht im Verdacht, für das Bienensterben verantwortlich zu sein. Wie verträgt sich das mit dem Ziel einer nachhaltigen Unternehmensführung?
Ich sehe grundsätzlich keinen Grund, von systemischen Insektiziden Abstand zu nehmen – also von Insektiziden, die nicht von aussen appliziert werden, sondern im pflanzlichen Organismus zirkulieren und ihn so schützen.

Also keine Einschränkungen bei Forschung und Entwicklung?
Auf keinen Fall. Wir sind für alle Technologien offen: biologische Pflanzenschutzmittel, systemische Lösungen, Lösungen in der Bodenbearbeitung und bessere Züchtungen. Die Innovation muss weitergehen wie in den vergangenen 40 Jahren. Wenn man sich die Historie der Pflanzenschutzmittel anschaut, dann sieht man, dass es immer wieder Produkte gab, die man zuerst für die Lösung aller Probleme hielt, und die dann wieder durch bessere Produkte vom Markt verdrängt wurden. Die Produktpalette muss ständig erneuert werden.

Gibt es eine Exitstrategie für Paraquat?
Nein, die gibt es nicht. Paraquat ist ein effizientes Herbizid, das sich hervorragend für den pfluglosen Anbau eignet – also Bauern die Möglichkeit bietet, Kosten zu sparen, weniger Treibstoff zu verbrauchen und die Freiwerdung von CO2, das im Boden gespeichert ist, zu vermindern. Aber wir suchen auch hier ständig nach Alternativen, die von den Bauern, der Gesellschaft und der Politik akzeptiert werden.

Das Produkt ist in Entwicklungsländern für den Tod von Tausenden von Kleinbauern verantwortlich. Die Bauern bringen sich um damit. Bereitet Ihnen als Nachhaltigkeitschefin das keine Bauchschmerzen?
Wir nehmen das Problem sehr ernst. Wir bedauern sehr, dass verschiedene Probleme dazu führen, dass sich verzweifelte Menschen das Leben nehmen. Ein Verbot von Paraquat würde aber nur dazu führen, dass diese Menschen auf andere Methoden ausweichen. Wir arbeiten mit den Regierungen und weiteren Kreisen daran, das Problem armer Bauern ganzheitlich anzugehen. Wir haben bereits viel getan, um die Sicherheit zu verbessern. Wir geben das Produkt teilweise in Koffern ab, mit zwei Schlüsseln, einem für die Bäuerin und einem für den Bauern, um Selbstmorde zu verhindern.

Nichtregierungsorganisationen werfen Ihnen vor, dass Sie die Händler zu wenig über die Anwendung des Produkts informiert haben.
Wir bemühen uns sehr stark für die sichere und korrekte Anwendung unserer Produkte und treiben viel Aufwand für Schulungen auf der ganzen Welt, etwa in den Learning Centers. 

Das Produkt ist nicht nur giftig, es nützt auch nichts. Das schreibt Swisscontact – eine Nichtregierungsorganisation, die eng mit der Industrie zusammenarbeitet – in einem soeben erschienenen Bericht zum indonesischen Kakaoanbau.
Zunächst: Das Produkt ist nur gefährlich, wenn es unsachgemäss eingesetzt wird. Der Bericht an sich ist interessant, da er keine Schwarz-Weiss-Malerei betreibt, und betont, dass es Alternativen braucht, wenn man den Verzicht fordert. Er geht aber in einem Punkt von einer falschen Grundannahme aus: Paraquat ist ein Unkrautvertilger und wird in den Tropen und Subtropen nicht zur Produktivitätssteigerung eingesetzt, sondern um den Zugang zu den Feldern zu vereinfachen und um die Felder von wucherndem Unkraut zu befreien. Dieses bietet Schutz für Schlangen, Spinnen oder auch Dengue-Mücken. Daher verwenden die Bauern das Produkt gerne. Wenn es nicht funktionieren würde, würde kein Landwirt Geld ausgeben.

Wie glücklich sind Sie als Nachhaltigkeitschefin über den Entscheid der EU-Kommission, den Ausstieg aus dem Glyphosat weiter hinauszuzögern?
Ich bin sehr unglücklich darüber, wie diese Debatte geführt wurde – und zwar nicht nur vonseiten der Politik und der Umweltverbände, sondern auch von der Industrie.

Warum?
Wir haben es verpasst, nach dem zu suchen, was uns verbindet.

Und das wäre?
Wir haben uns zu wenig gefragt: Wo liegt das Problem und – falls es ein Problem ist – wo sind die Alternativen? Wenn wir Glyphosat irgendwann aus wissenschaftlichen oder politischen Gründen vom Markt nehmen, dann müssen wir den Bauern Alternativen anbieten können. Darüber würde ich gerne einen faktenbasierten Dialog führen. Es geht darum, das Thema von der Zukunft her anzugehen.

Das heisst?
Ich glaube, dass wir noch nicht genügend wissen über die mit dem Einsatz von Glyphosat verbundenen Resistenzen. Daran werden wir arbeiten. Meine Hoffnung ist, dass wir in den fünf Jahren, die uns nun bleiben, hier einen Schritt weiterkommen.

Werden Sie das Produkt in absehbarer Zeit ganz vom Markt nehmen?
Für uns ist Glyphosat wirtschaftlich unbedeutend. Der Markt wird heute von Generika-Herstellern dominiert, ein Rückzug unserer Produkte würde daran nichts ändern. Wir selber verkaufen schon länger kein reines Glyphosat mehr. Wir legen einen verstärkten Fokus auf selektive Unkrautvertilger wie zum Beispiel Acuron, mit denen Landwirte Unkraut gezielter bekämpfen und Resistenzbildung vermeiden können. Aber für viele Bauern ist Glyphosat noch immer ein wichtiges Produkt in der modernen Landwirtschaft. Deshalb haben sich Bauern- und Industrieverbände immer wieder für eine Verlängerung der Zulassung ausgesprochen.

Wie steht es mit dem biologischen und integrierten Anbau? Wird es hier zu einer Annäherung kommen?
Wir sind grundsätzlich für Wahlfreiheit – für die Bauern und die Konsumenten. Das Segment organische Landwirtschaft ist noch immer sehr klein, weltweit wie in Europa. Aber es wächst stark und gewinnt deshalb auch für uns an Bedeutung. Denn auch organische Landwirtschaft muss ihre Kulturen mit Schädlingen schützen. Wir verkaufen heute schon biologisches Saatgut und biologische Pestizide und können uns da sicherlich noch verbessern.

Können Sie mehr dazu sagen?
Nur, dass wir dazu eine bedeutende Partnerschaft eingehen werden. Und dass wir verlangen, dass biologische Pflanzenschutzprodukte nicht anders behandelt werden als herkömmliche Mittel. Man muss sicherstellen, das die Produkte sicher sind.

Bio heisst nicht a priori unbedenklich?
Nein. Die Frage, wie die Produkte auf die Umwelt, die Kulturen und den Konsumenten der Produkte wirken, stellt sich bei biologischen Produkten genau gleich wie bei herkömmlichen. Wir können nicht sagen, wir wollen die Dinge wissenschaftlich und evidenzbasiert angehen und dann plötzlich sagen, bei Bio gelten diese Regeln nicht, nur weil das ein schnellerer Weg zum Geschäft ist.

Wie ist Ihre Vision der Landwirtschaft der Zukunft?
Ich glaube, dass es die eine Landwirtschaft nicht geben wird, sondern dass wir mit einer Vielzahl verschiedener landwirtschaftlicher Produktionsweisen nebeneinander leben werden – von der industriellen Landwirtschaft bis zu Bio. Wir nennen das die Parallelität der Systeme.

Warum?
Die Voraussetzungen sind in den verschiedenen Märkten einfach zu unterschiedlich. Wir haben in den letzten Jahren viel in Afrika gemacht, wo es darum geht, die Existenz von Kleinstbauern zu sichern, damit die Jungen nicht abwandern. Das ist etwas ganz anderes als die brasilianische Grosslandwirtschaft, die damit kämpft, dass ihre Böden nichts mehr hergeben. Es ist sehr anspruchsvoll, so unterschiedliche Kunden zu bedienen und ihnen allen den Nachhaltigkeitsgedanken zu vermitteln. Das ist eine spannende Herausforderung für mich.

Name: Alexandra Brand

Funktion: Chief Sustainability Officer

Bisherige Funktionen:

2015 bis 2017: Chefin EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika)

Vorher: BASF (Chefin der globalen Tierernährung, Pharmamarketing und Stabschefin des CEO)

Ausbildung: Chemiestudium an der TU Darmstadt mit Doktorat

Das Unternehmen
Syngenta ist einer der grössten Agrokonzerne weltweit (Umsatz 2016: 12,8 Mrd. Dollar, davon 9,6 Mrd. Pestizide und 3,8 Mrd. Saatgut). 2017 wurde das Unternehmen von Chemchina übernommen.