Automessen gelten in Zeiten von Social Media eigentlich als ein aussterbendes Genre. Das scheint sich aber nicht bis zu den Autojournalisten herumgesprochen zu haben, die sich am Montag schon kurz nach acht Uhr zu Hunderten vor dem BMW-Stand in der Halle A auf der IAA Mobility in München drängen. Selbst Hildegard Müller, die Präsidentin des mächtigen deutschen Autoverbandes VDA, kann sich nur mit grosser Mühe den Weg zu ihrem Sitzplatz in der ersten Reihe bahnen.

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Willkommen auf der IAA, die am Dienstag ihre Pforten für das Publikum geöffnet hat. Am Montag war die Messe für Journalisten reserviert. Und der Rummel am BMW-Stand hatte seinen Grund: BMW-Chef Oliver Zipse stellte in München mit dem iX3 nicht nur ein neues E-Auto vor, sondern einen Hoffnungsträger.

Der Wagen steht symbolhaft für die deutsche Autoindustrie, die darauf setzt, mit der nächsten Generation von E-Autos endlich die Kundengunst zu gewinnen. Mercedes lässt deshalb auf der Messe den elektrischen GLC erstmals auffahren. Und Volkswagen zeigt die neue «Electric urban car family», mit welcher der Konzern seinem Namen endlich wieder Ehre machen will – sprich: bezahlbare und vor allem funktionale E-Autos für alle.

epa12360819 Visitors gather at the Mercedes pavilion during the world premiere of the GLC in Munich, Germany, 07 September 2025. The International Motor Show Germany IAA Mobility 2025 takes place in Munich from 09 to 14 September 2025, featuring numerous world premieres, and a special focus on electric mobility and digitization. EPA/ANNA SZILAGYI

Pavillon von Mercedes an der diesjährigen IAA Mobility in München.

Quelle: Keystone

Die Politik will etwas anderes als die Kunden

Das Problem der Branche umschrieb der neue Renault-Chef François Provost: Die Politik drängt die Hersteller zu CO₂-freien Autos, doch viele Kunden wollen lieber weiterhin einen Verbrenner. Wenn der Markt und die politischen Vorgaben in zwei unterschiedliche Richtungen drängen, wird es für die Hersteller schwierig. Daher setzt Renault gerade im preissensiblen Kompaktwagensegment weiter auf Verbrenner und Hybride. Renaults Messehighlight ist der neue Clio mit Hybridantrieb.

Auch BMW hat stets den Kunden die Wahl gelassen, ob sie einen Verbrenner oder ein E-Fahrzeug wollen. Und ist gut damit gefahren. Der neue, rein elektrische iX3 ist nun wohl die grösste Wette des BMW-Konzerns: Laut Branchenkreisen hat das Unternehmen über 10 Milliarden Euro in die Entwicklung des Autos investiert, dessen Plattform mit dem Label «Neue Klasse» versehen wurde.

Die historische Referenz ist nicht zufällig, denn mit der «Neuen Klasse», die 1961 mit dem ersten BMW 1500 ihre Premiere hatte, begründete BMW seine starke Stellung bei sportlichen Autos. Die Verkaufserfolge in diesem Segment waren entscheidend dafür, dass BMW die Krise der späten 1950er-Jahre überwinden konnte, sogar eine mögliche Übernahme durch Rivale Mercedes hatte damals im Raum gestanden. Nun will BMW mit der elektrischen «Neuen Klasse» den Erfolg von damals wiederholen und zur neuen Referenz bei sportlichen E-Autos werden. 

In 10 Minuten Strom für 350 Kilometer 

«Wir führen BMW in eine neue Ära», erklärte Konzernchef Zipse auf der IAA. Die Neue Klasse stelle einen «massiven Sprung nach vorn» dar und sei der Massstab bei zahlreichen Technologien. So verspricht BMW beim neuen E-SUV eine Reichweite von bis zu 800 Kilometern. Dank der superschnellen 800-Volt-Technologie soll der Wagen eine Reichweite von 350 Kilometern in nur 10 Minuten nachladen können.

Zudem beherrscht das Auto das sogenannte bidirektionale Laden: Es kann als Batterie für die heimische Solaranlage genutzt werden und gespeicherten Strom wieder ins Netz einspeisen. Im nächsten Jahr soll dann der neue i3 kommen, das elektrische Gegenstück zur 3er-Serie von BMW, einem der Kernprodukte der Münchner Marke.

<p>Mercedes stellt auf der IAA den neuen elektrischen SUV GLC vor.</p>

Mercedes stellt auf der IAA den neuen elektrischen SUV GLC vor.

Quelle: Keystone

Mercedes will BMW nicht davonfahren lassen und zeigt in München erstmals den neuen Elektro-SUV GLC – ebenfalls mit schneller 800-Volt-Technologie –, der 735 Kilometer weit kommen soll. Der Wagen basiert auf der neuen E-Plattform MB.EA.

Der GLC als «Schicksalsauto»

Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» nannte den Wagen schon «Schicksalsauto», denn bisher hatte die Strategie von Mercedes-Chef Ola Källenius, vor allem auf luxuriöse E-Autos zu setzen, nicht den erhofften Erfolg. Das sehr stromlinienförmige Design der ersten E-Autos wie dem EQE und der Oberklassenlimousine EQS schreckte viele Kunden ab. Schon vor anderthalb Jahren musste Källenius deshalb das Ziel kassieren, ab 2030 möglichst nur noch elektrische Autos zu verkaufen. Der neue GLC hat nicht nur die beste Technologie an Bord, die Mercedes hat, sondern kehrt mit seinem kantigeren Äusseren auch zu einer eher gewohnten Formensprache zurück.

Auch VW hatte mit seiner bisherigen E-Strategie nicht den erwünschten Erfolg. Der frühere Konzernchef Herbert Diess hatte voll auf E-Autos gesetzt. Doch die erste Generation wie der ID.3 kam beim Publikum zunächst nicht an, auch nicht in der Schweiz: zu teuer, zu wenig Reichweite. Auch das sehr glatt geschliffene Design und die Bedienung, die weitgehend auf Knöpfe verzichtete, schreckten viele Kunden ab.

Mittlerweile gibt es Zeichen der Besserung: Laut eigenen Angaben ist VW mit einem Marktanteil von 28 Prozent in Europa die Nummer eins bei den E-Autos. In der Schweiz verkauft sich zum Beispiel der Škoda Enyaq gut und ist in diesem Jahr nach dem Tesla Y das am zweitmeisten verkaufte E-Auto.

<p>Volkswagen-Chef Oliver Blume präsentiert den neuen ID.Polo, mit dem E-Mobilität bezahlbar werden soll.</p>

Volkswagen-Chef Oliver Blume präsentiert den neuen ID.Polo, mit dem E-Mobilität bezahlbar werden soll.

Quelle: Keystone

Nun legt VW an der IAA nach: Die neue «Electric urban car family» soll den Kunden günstige E-Autos für den Alltag bieten. Dabei kehrt VW auch zu gewohnten Markennamen zurück: Der neue E-Kleinwagen von VW heisst daher nicht mehr ID.2, sondern ID.Polo. Die Schwestermarken Cupra und Škoda bekommen jeweils eigene Ableger mit dem Škoda Epiq und dem Cupra Raval. Die Autos sollen um die 25’000 Euro kosten und eine Reichweite von bis zu 450 Kilometern haben.

Die deutsche Autoindustrie steht an einem Scheideweg: Denn die frühere Gewinnquelle China ist weitgehend versiegt. Die chinesische Kundschaft lässt die deutschen Autos links liegen und greift selbst im Premiumsegment zunehmend zu heimischen Fabrikaten. Und in Europa haben reine E-Autos nach wie vor einen schweren Stand. Hinzu kommen die Probleme mit den USA und den Einfuhrzöllen, von denen die Hersteller unterschiedlich stark betroffen sind. BMW ist dank seiner US-Werke der grösste Autoexporteur der Vereinigten Staaten, doch die Zölle wirbeln auch den Münchnern die Lieferkette durcheinander.

Gewinne unter Druck

Und der oben genannte Problemmix hinterlässt Schleifspuren in den Bilanzen: BMW verzeichnete im ersten Halbjahr einen Gewinnrückgang von mehr als 26 Prozent, Mercedes gar einen Rückgang von fast 60 Prozent, bei VW waren es 39 Prozent. 

Zumindest im Heimatmarkt Europa gibt es etwas Hoffnung: Denn Teslas Absatzzahlen sind im freien Fall. Zudem hat der US-Konzern seinen technischen Vorsprung gegenüber der deutschen Konkurrenz weitgehend verloren. So sucht man die 800-Volt-Lade-Technologie bei Tesla vergebens. Neue Modelle? Fehlanzeige.

Das günstige Einstiegsauto – der Tesla 2 – wurde gestrichen, stattdessen setzt Konzernchef Elon Musk mit sturer Entschlossenheit auf das Thema «autonomes Fahren». Auf das wirklich selbstfahrende Auto mit Strassenzulassung wartet das Publikum aber mittlerweile seit einem Jahrzehnt.

Chinesische Hersteller mit harzigem Start

Und die chinesische Konkurrenz tut sich auf dem europäischen Markt schwer. Zwar ist dieses Jahr Marktführer BYD mit grossem Pomp in der Schweiz gestartet. Die Absatzzahlen sind jedoch überschaubar: Laut Auto Schweiz verkaufte BYD von Januar bis Ende August grad mal 329 Autos. Solche Verkaufszahlen schafft der französische Hersteller Renault mit einem einzigen Modell: dem Kleintransporter Kangoo.

Renault zeigt zudem, dass kompakte E-Autos keine Ladenhüter sein müssen. So ist der rein elektrische R5 ein Erfolg, auch in der Schweiz: Hierzulande verkauften die Franzosen in diesem Jahr bisher rund 1100 Exemplare des E-Autos im Retrodesign. Damit schlägt der R5 sogar den hauseigenen Verbrennerwettbewerber, den Clio. Doch der ist in die Jahre gekommen, daher stellt Renault in München nun den Nachfolger vor.

<p>Renaults Konzernchef François Provost (links), Markenchef Fabrice Cambolive (Mitte) und Chefdesigner Laurens Van Den Acker (rechts) posieren stolz vor der sechsten Auflage des Clio auf der IAA.</p>

Renaults Konzernchef François Provost (links), Markenchef Fabrice Cambolive (Mitte) und Chefdesigner Laurens van den Acker posieren stolz vor der sechsten Auflage des Clio an der IAA.

Quelle: Keystone

Der vorgestellte Clio ist mittlerweile die sechste Generation. Der kompakte Wagen ist für Renaults Erfolg von zentraler Bedeutung. Denn insgesamt hat der französische Hersteller bereits 17 Millionen Clios seit dem Marktstart 1990 verkauft. Fehler beim Bestseller kann sich Renault daher nicht erlauben – zumal der im Sommer zum Luxuskonzern Kering übergelaufene Konzernchef Luca de Meo das Unternehmen zuvor mit einem harten Sparkurs und einer Modelloffensive – dazu gehörte der Megane E-Tech – wieder auf Kurs gebracht hatte.

Der neue Clio ist schnittiger als der Vorgänger, gegenüber dem alten Clio wächst der Wagen mit 4,12 Meter Länge nur um einen Zentimeter. Strategisch ist das Auto ein Beispiel von Renaults Zwei-Säulen-Strategie, die der neue Konzernchef Provost fortsetzt: So wie es den R5 nur elektrisch gibt, gibt es den Clio nur als Verbrenner. In der Topversion arbeitet ein Hybridmotor mit 160 PS unter der Haube. Der soll nur 89 Gramm CO₂ pro 100 Kilometer ausstossen, was einem Verbrauch von 3,4 Litern entspricht. 

Für seine Doppelstrategie hatte Renault sich quasi aufgeteilt: In der Sparte Ampere ist die Entwicklung der E-Autos wie des R5 und des neuen R4 gebündelt. Die Sparte Horse fertigt Verbrennungsmotoren und Getriebe. Diese Verbrennersparte gehört Renault nur noch zu 45 Prozent, weitere 45 Prozent der Aktien hält der chinesische Autokonzern Geely, die restlichen 10 Prozent der saudische Ölkonzern Saudi Aramco. Die Idee: Die Verbrennertochter soll Skaleneffekte nutzen und dank ihrer Unabhängigkeit auch für andere Hersteller arbeiten können.

Auch wenn der Durchbruch der Chinesen auf dem europäischen Automarkt noch auf sich warten lässt, sagt Renault-Chef François Provost unmissverständlich: «Die Konkurrenten aus China sind derzeit die besten am Markt.» Vor allem ihre extrem schnelle Entwicklungszeit für neue Autos will Renault nacheifern.

Schneller neue Autos entwickeln

Für den neuen Clio hatte Renault noch drei Jahre Entwicklungszeit gebraucht. Den nächsten Twingo will der Konzern in nur 21 Monaten auf die Räder stellen. Unter anderem sollen dafür die Zulieferer früher eingebunden und mit weniger Extrawünschen behelligt werden. Dank so verschlankter Prozesse glaubt Provost, dass weitere substanzielle Kostensenkungen möglich seien. 

Angesprochen auf den Renditevergleich ist für den Renault-Chef klar: An den Verbrennern verdienen die Hersteller nach wie vor das meiste Geld. Daher will die Branche möglichst lange an ihnen festhalten.

Aber gerade die Hersteller von Kompaktwagen wären schon froh, wenn die EU sie nicht ständig mit neuen Regeln behelligen würde. Laut dem Renault-Management müssen die Autohersteller bis 2030 insgesamt 107 neue Regulierungen erfüllen, etwa zum Batterierecycling. Das würde gerade kleine Autos verteuern. Mehr Rücken- als Gegenwind von der Politik: Das wünschen sich wohl alle Automanager, die sich in diesen Tagen in München versammeln.