Politisch aktive Mitarbeiter, die sich regelmässig für Kommissionssitzungen oder die Session in Bern entschuldigen, werden von Arbeitgebern nicht mehr nur toleriert. Im Gegenteil, Konzerne wie Zurich und Credit Suisse hofieren diese Angestellten wegen akutem Fachkräftemangel geradezu. Laut Chris Dunkel, Leiter Human Resources von Zurich FS Schweiz, dürfen Mitarbeiter mit politischen Funktionen, sei es als Nationalrat oder Gemeindepräsident, bei Zurich bis zu 20% ihrer Arbeitszeit aufwenden, um ein politisches Mandat in legislativen oder exekutiven Ämtern auszuüben. «Die politische Farbe spielt keine Rolle», erklärt Dunkel. Bisher nutzen rund 50 Mitarbeiter das Angebot, das Zurich vor einem Jahr einführte – als eine der Massnahmen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.

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Auch Credit-Suisse-Angestellte erhalten bei Ausübung eines Mandats, das bis zu 20% der Arbeitszeit beansprucht, den vollen Lohn, wie CS-Sprecher Alex Biscaro sagt. Bei der Grossbank bekleiden 300 Angestellte ein solches Amt. Biscaro: «Die Credit Suisse unterstützt das politische Engagement ihrer Mitarbeitenden, weil es den Austausch und den Dialog zwischen Politik und Wirtschaft fördert und als wichtiges Element des schweizerischen Milizsystems einen Beitrag zum Funktionieren der Schweiz leistet.»

Interessenkonflikte sind tabu

Unter den Schweizer Konzernen mit klarer Regelung für Mitarbeiter mit politischen Mandaten zählen Zurich und Credit Suisse zu den grosszügigsten. Verbreitet ist das Entgegenkommen mit bis zu rund 10 bis 20 geschenkten Arbeitstagen für politische Tätigkeit, wie eine Umfrage der «Handelszeitung» zeigt.

Die Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter sei ihnen egal, heisst es bei den Unternehmen. Dennoch gibt es klare Grenzen. SBB-Sprecher Roland Binz: «Die Ausübung eines öffentlichen Amts darf in keinem Interessenkonflikt mit den Unternehmenszielen stehen.»

Neben den Firmen, in denen die politisch aktiven Mitarbeiter wissen, was sie erwartet, signalisieren andere Unternehmen wie UBS oder Bâloise nur eine grundsätzliche Unterstützung, ohne klare Regeln. Dass das funktionieren kann, beweist die Bâloise, welche als eine der wenigen Arbeitgeberinnen einen Ständerat beschäftigt. Ständerat Alex Kuprecht (SVP) ist Bâloise-Generalagent in Schwyz. Bâloise-Sprecher Dominik Marbet sagt: «Der zeitliche Aufwand muss im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Vorgesetzten abgesprochen werden, sollte aber die Arbeitstätigkeit nicht beeinträchtigen.»

Das dürfte aber gerade bei höheren politischen Ämtern schwierig sein, gilt doch ein Nationalratsmandat als 50-Prozent-Job.

Konträr zu allen anderen befragten Firmen glaubt man bei Coop nicht, dass sich Arbeit und politische Mandate unter einen Hut bringen lassen. «Die berufliche Belastung in einem Grossunternehmen ist heute so, dass eine politische Tätigkeit daneben in der Regel gar nicht machbar ist», sagt ein Coop-Sprecher.

Auch wenn massgeschneiderte Lösungen vorhanden sind, können es sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht leisten, die Angebote zu nutzen. Von 1100 Personen, die bei der Post politische Mandate gemeldet haben, beansprucht nur ein Dutzend unbezahlten Urlaub, sagt Post-Sprecher Oliver Flüeler.

Immerhin wissen bei der Zurich die Mitarbeiter, die die Unterstützung nutzen, diese zu honorieren. So ist Zurich-Mitarbeiterin und Präsidentin der FDP Kilchberg, Nicole Bertsch, froh, wenn sie einmal je Monat während ihrer Arbeitszeit die Sitzung der Sozial- und Vormundschaftskommission vorbereiten kann. «Für mein politisches Amt wende ich aber weit weniger auf als die 20%, die Zurich zur Verfügung stellt», sagt sie. «Man will es nicht ausnutzen.» Manchmal, wenn sehr viel Arbeit anfalle, hole sie diese trotzdem am Wochenende nach.

Teilzeit stützt Milizgedanke

Aus Sicht von Roche-Sprecher Baschi Dürr, Grossrat in Basel, Präsident der Finanzkommission und FDP-Kassier, bieten politische Mandate, die Einsätze während der Arbeitzeit erfordern, für Angestellte Konfliktpotenzial. «Da braucht es ein grosses Verständnis des Arbeitgebers und vor allem des Teams», sagt er.

Ein grosser Challenge ist es, ein Mandat auf Bundesebene mit einer Anstellung zu vereinbaren. Kein Wunder, sind die meisten Parlamentarier selbstständig. Nur eine Hand voll der Räte, vor allem junge Newcomer, müssen mit Arbeitgebern verhandeln.

Die neuen Nationalräte Tiana Moser (GP/ZH), Christoph Wasserfallen (FDP/BE), Anita Lachenmeier (Grüne/BE) und Natalie Rickli (SVP/ZH) reduzieren ihr Pensum deutlich oder stehen noch in Verhandlungen, wie sie auf Anfrage sagen. Wasserfallen, der auf 40% reduzierte, sagt: «Ein nationaler Politiker ist auf jeden Fall auf Teilzeitstellen angewiesen.» Es sei wichtig, dass Nationalräte ein Bein im Berufsleben haben, damit sie den Milizgedanken aufrechterhalten können und den Puls der Bevölkerung spüren.