Er liest keine Romane und ist trotzdem Chef der grössten Buchhändlerin der Schweiz. Er ist ein halber Italiener und trotzdem kein Macho, bügelt er doch seine Hemden noch kurz vor Mitternacht selber. Er ist erst 35 Jahre alt, aber bereits ergraut. Er ist scheu und trotzdem kommunikativ. Die Liste der Widersprüche liesse sich beliebig verlängern. Aber der Reihe nach.

Fabio Amato stammt aus einer italienischen Schuhmacherdynastie und verkörpert das Musterbeispiel einer gelungenen Einbürgerung. Bereits 1960 verliess sein Vater die Basilicata, eine Provinz in Süditalien, und heuerte als Fabrikarbeiter bei Landis & Gyr in Zug an. Seine Mutter arbeitete als Putzfrau, um den kargen Lohn aufzubessern. Sie wollten, dass es ihre drei Knaben einmal besser hätten als sie und legten viel Wert auf eine gute Schulbildung.

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Schüler Fabio belohnte den Einsatz seiner Eltern mit guten Schulnoten. Er entschied sich für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Weg am Gymnasium, weil er technisch begabt war und mit handwerklichem Talent Uhren und Radiogeräte selber flickte. Sein Bubentraum war es, einmal bei der Weltraumfahrtbehörde Nasa zu arbeiten.

Daheim sprach Fabio Amato mit den Eltern italienisch und mit seinen Brüdern schweizerdeutsch. 1986 liess er sich einbürgern. Die Eltern blieben Italiener: «Ich fühle mich als Schweizer. Italien ist für mich ein Ferienland.» Das italienische Temperament bricht manchmal durch, gibt er zu. Dann wird er laut, flucht vor sich hin, zieht sich für ein paar Minuten zurück, um wieder die innere Ruhe zu finden. «Doch im Grunde bin ich ein sehr rationaler und sachlicher Typ.»

Der Quereinsteiger bringt neue Sichtweisen

Etwas Ruhe kann Orell Füssli durchaus gebrauchen. Seine Vorgängerin im Buchhandel, Ida Hardegger, ist letzten Dezember wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Führungsspitze ausgeschieden. Im April wurde Amato als Branchenfremder zum Geschäftsführer ernannt. Doch darin sieht er keinen Nachteil. «Ob Detailhandel oder Industriebetrieb, die Führungsfragen sind die gleichen.» Zudem würden ihm in der Geschäftsleitung zwei Buchhändler zur Seite stehen.

«Harmoniebedürftig» nennen Mitarbeiter ihren neuen Chef. Was ihn erstaunt. Er hätte eine gegenteilige Einschätzung erwartet, weil er letzte Woche zwei Mitarbeitern gekündigt hat. «Das ist mir nicht leicht gefallen, denn ich weiss, was eine Kündigung bedeutet.» Seinem Vater wurde nach 37 Arbeitsjahren im gleichen Betrieb gekündigt, und er war glücklich, später überhaupt wieder eine Anstellung zu finden.

Statt mit schriftlichen Anweisungen zu führen, diskutiert Amato lieber in einer kleinen Gruppe am Tisch. «Ich will aber nicht endlos parlieren, sondern bald einmal entscheiden. Und dann gilt es, den Entscheid umzusetzen.» Er möchte das Wachstum des Branchenleaders weiter vorantreiben, indem er neue Standorte eröffnet oder wie letzte Woche mit dem St. Galler Rösslitor bestehende Buchhandelsunternehmen aufkauft. Als nächstes Ziel hat er sich eine verbesserte Informatik mit einer schlankeren Warenwirtschaft vorgenommen.

Siegelring und Militärfreunde

Der schweizerisch-italienische Doppelbürger zählt vorwiegend Schweizer zu seinem engsten Freundeskreis. Freundschaft ist für ihn zentral. Der auffallende Ring am Finger verbindet ihn mit vier Kollegen aus dem Militär, die er regelmässig trifft. «Wir pflegen aber keine Blutsfreundschaft», betont er. «Wir geniessen zusammen ein Fünf-Gang-Menü, etwa in einem feinen italienischen Restaurant, und philosophieren über Gott und die Welt.» Auf dem Siegelring sind Kelch, Schwert und Turm abgebildet, die Insignien der heiligen Barbara. Sie ist die Schutzpatronin aller Berufe, die mit Feuer zu tun haben und passt zum katholischen Hauptmann der Schweizer Artillerie.

Nach der Militärausbildung begann Amato, an der ETH Zürich Ingenieur zu studieren. Er entschied sich für ein Studium in Maschinenbau, Betriebs- und Produktionswissenschaften und zog mit einem Freund in eine Wohngemeinschaft nach Zürich. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Hilfsassistent, die Eltern bezahlten die Ausbildungskosten, wobei der Vater zusätzlich noch als Zeitungsverträger arbeitete, um das nötige Geld aufzutreiben.

Sechs Jahre arbeitete Amato nach dem Studium bei der ABB und stieg dort die Karriereleiter empor bis zum Leiter Abwicklung gasisolierter Schaltsysteme. «Dann machte ich eine Standortbestimmung: Soll ich bei der ABB weitermachen und ein Drittel meiner Arbeitszeit auf Reisen verbringen?»

Der Italo-Secondo entschied sich für seine Familie: «Mit zwei kleinen Buben ist es wichtiger, dass ich viel daheim bin. In dieser Lebensphase ist Familie angesagt.» Seine Gattin, eine Entlebucherin, arbeitete früher als Reiseberaterin bei Kuoni und hat wegen der Kinder ihre Stelle aufgegeben.

Mit seiner Frau suchte Amato ein Grundstück, um ein Haus zu bauen. Die beiden klapperten den ganzen Kanton Zürich ab, bis sie endlich in Dachsen in der Nähe von Schaffhausen fündig wurden. Sie liessen sich dort ein Haus nach ihren Ideen bauen: Ein doppelstöckiges 61/2-Zimmer-Haus mit einer roten Garage. «Dieses Haus ist mein einziger Luxus. Sonst bin ich ein bescheidener Mensch und pflege keine teuren Hobbys.» Der CEO fährt kein protziges Auto, sondern einen Opel Zafira. In seinem Büro hängen Zeichnungen seines Sohnes und Poster von Wassily Kandinsky: «Die Rahmen sind teurer als die Bilder», lacht er.

Amato liest nur Sach- und Fachbücher, vor allem zu Marketing- und Führungsfragen. Die Freude an der Belletristik ist ihm im Gymnasium verdorben worden. «Wir wurden derart mit Lesen von Romanen übersättigt und überflutet, dass ich seither kaum mehr einen Roman in die Finger genommen habe.» Er lässt sich Bücher auf Hör-CD vorlesen. Begeistert ist er beispielsweise vom Hörbuch «Sakrileg» von Dan Brown.

Buchhandel? Ein Zufall

Früher hat er sich beim Squash ausgeschwitzt, ist als Inlineskater über den Asphalt gesaust und hat begonnen, Golf zu spielen. Doch mit den zwei Buben im Alter von 4 und 11/2 Jahren findet er keine Zeit mehr dafür. «Jetzt halten mich die Arbeiten als Handwerker oder Gärtner rund um das Haus fit.»

Amato war neugierig, andere Branchen als die Industrieproduktion kennen zu lernen. Da kam ihm das Angebot, als Assistent dem Delegierten der Orell Füssli Holding zur Hand zu gehen, sehr gelegen. «Das ist ein übersichtliches Unternehmen und hat seine Aktivitäten mehrheitlich in der Schweiz.» Diese Woche wird er zwar für drei Tage die Frankfurter Buchmesse besuchen, aber solche Reisetätigkeiten bilden eine Ausnahme. Die Stabfunktion war eigentlich nur als Übergangslösung gedacht. «Es war ein zeitlicher Zufall, dass ich im Buchhandel gelandet bin.» Er wäre auch offen gewesen für eine Führungsstelle im Industriegeschäft von Orell Füssli, bei Atlantic Zeiser.

Familie gegründet, Haus gebaut, und mit 35 Jahren schon an der Spitze eines traditionsreichen Schweizer Unternehmens: Hat Amato sein Lebensziel erreicht? Eine Frage, die er sich noch nicht gestellt hat: «Ich fühle mich beruflich und privat sehr wohl. Ich habe mir aber kein Lebensziel gesetzt. Ob es in fünf Jahren immer noch für mich so stimmt, weiss ich nicht.»

Einen Wunsch allerdings konnte er sich bis jetzt nicht erfüllen. Gerne würde er mehr schlafen. Sechs Stunden würden ihm genügen. Da er aber erst um 0.30 Uhr zu Bett geht und mit einem Arbeitsweg von 75 Minuten rechnen muss, bleiben ihm meist nur fünf Stunden Schlaf. Das ist der Preis für eine Bilderbuchkarriere im Expresstempo.



Profil

Name: Fabio Amato

Funktion: Geschäftsführer Orell Füssli Buchhandlungs AG

Alter: 35

Wohnort: Dachsen ZH

Familie: Verheiratet, 2 Knaben

Karriere:

1999 Leiter Projektleitergruppe gas-isolierter Schaltsysteme bei ABB

2000-2002 Leiter Abwicklung gas-isolierter Schaltsysteme bei ABB

2002-2004 Assistent des VR-Delegierten der Orell Füssli Holding

seit 2004 Chef der Orell Füssli Buchhandlungs AG

Firma: Orell Füssli Buchhandlung

Das Unternehmen ist eine Tochter der Orell Füssli Holding und die grösste Buchhändlerin der Schweiz. Letztes Jahr setzte das Unternehmen 94,9 Mio Fr. um und beschäftigte 370 Mitarbeitende, davon 270 Vollzeitbeschäftigte. Zum Unternehmen gehören sechs Buchhandlungen und drei Restseller. Letzte Woche kaufte das Buchhandlungsunternehmen die St. Galler Rösslitor Bücher AG, die mit drei Buchhandlungen in St. Gallen und einer in Schaffhausen einen Umsatz von 18 Mio Fr. erzielt und 70 Mitarbeitende (55 Vollzeitstellen) beschäftigt.