Mark Zuckerberg (25) hat nicht aufgeräumt. Auf seinem Pult, zwischen Dell-Monitoren, liegen ein Autoschlüssel, ein iPhone, eine Gabel, eine Papierserviette, ein Telefonbuch, ein Plastik-Seifenspender, zwei zugeklappte Macs, ein Teller, ein Porzellannapf mit chinesischem Kantinengemüse, eine schwarze Einkaufstasche mit Facebook-Logo. Ein kleiner Bambus versucht, nette Stimmung zu verbreiten.

Zuckerberg ist gerade mit Besuchern beschäftigt. Ungerührt wächst seine Firma weiter. Im vergangenen Jahr liess er die auf zehn Gebäude in Palo Alto, 50 Kilometer südlich von San Francisco, verteilte Belegschaft in einem neuen Hauptquartier versammeln: in einem zweistöckigen Zweckbau aus den sechziger Jahren, der sich im Research Park der Stanford University befindet und über eine Fläche von 14  000 Quadratmetern verfügt. Die Gestalter haben sich darum bemüht, der Lokalität den Anschein einer Werkstatt zu verleihen: überall Rohre, Stahlträger, Leitungen, Schläuche und Zylinder. Wahrscheinlich zu Ehren des Handfesten in einer Welt der elektrischen Impulse. Einzelbüros mag es geben, sind aber nirgendwo zu entdecken.

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Höhenflug im Krisenjahr. Bevölkert wird die Anlage von 1200 Menschen, die alle 28 Jahre jung zu sein scheinen, Jeans, T-Shirt und Turnschuhe tragen. Sie verströmen den kriegerischen Hochmut der Marke Erfolgsmensch, die fest daran glaubt, an etwas Grossartigem mitzuwirken. Weitere 500 will Zuckerberg noch einstellen – falls 500 reichen. Denn im vergangenen (Krisen-)Jahr steigerte sich der Umsatz in einer Weise, welche die Manager des Konkurrenten MySpace entsetzt hochfahren liess: Ein Zuwachs von über 65 Prozent auf geschätzte 500 Millionen Dollar wurde präsentiert.

Zuckerberg ist in einem dreieckigen Besprechungszimmer, dessen eine Wand aus einer Glasscheibe besteht: Er legt zwei der Kleidung nach Auswärtigen seine Pläne dar, vollführt die weiten, unbestimmten Gebärden des Vordenkers und grinst dabei wie ein Erstsemesterstudent, der Kommilitonen eine Bierzapfanlage erläutert. Eifrig und verständig nicken seine Gäste.

Meeting mit Sheryl Sandberg (40), Zuckerbergs Wondergirl. Wie eine Erscheinung tritt sie hinter dem Bildschirm auf ihrem Arbeitstisch hervor, der vis-à-vis demjenigen von Zuckerberg steht. Sie trägt eine schwarze Hose, einen beigefarbenen Pullover, und ihre Frisur wirkt, als wehte von irgendwoher eine Brise Wind.

CEO Sandberg gehörte zu jener Truppe, die Google zum Alleinherrscher des Netz-Werbemarktes machte: Vier von zehn Werbedollars, die im Internet ausgegeben werden, landen in der Kasse von Google, und Sandberg eilt der Ruhm voraus, dass sie es gewesen sei, die das Werbegeschäft dort vervollkommnet habe. Jetzt ist sie bei Facebook, und Familienglück (sie ist verheiratet, hat zwei Kinder – vier- und zweijährig) sowie Berufserfolg haben sie wohlwollend gemacht. Selbst wenn sie Rivalen attackiert, geschieht dies auf freundliche Art und Weise.

Im Frühjahr 2008 wechselte sie von Google in Mountain View hierher, ins neuneinhalb Kilometer entfernte Palo Alto. Niemand wusste, warum, und Google-Kommandant Eric Schmidt soll ihr, um sie zum Bleiben zu bewegen, sogar den Posten der Finanzchefin angetragen haben. Man höhnte über das komische Paar bei Facebook: den damals 23-jährigen, etwas linkischen Ex-Studenten Zuckerberg, der als hochnäsig und unberechenbar gilt und dem sein Baby Facebook über den Kopf zu wachsen begann, und die 15 Jahre ältere Mrs. Sandberg, die nach ihrem Harvard-Abschluss für Bill Clinton als Abteilungsleiterin im Finanzdepartement gearbeitet hatte und bei Google zu einem Star des Silicon Valley geworden war. Heute reisst keiner mehr Witze. Das ehemalige Studentennetzwerk machte seither eine raketenhafte Entwicklung durch: Binnen zwölf Monaten stieg der Mitgliederbestand von 150 Millionen auf über 400 Millionen. Ein Drittel der weltweit 1,2 Milliarden Internetnutzer verfügt also über ein Facebook-Konto. Nur Google hat einen noch grösseren Anhang, Microsoft und Yahoo wurden abgehängt.
Facebook ist zum Internet im Internet geworden. So machtvoll und ausgedehnt präsentiert sich der Betrieb, dass sich Fachleute fragen: Ist Facebook die nächste oder sogar die grössere Google?

Über 14 Milliarden Informationen tauschen die Mitglieder jeden Monat aus: Einladungen, Geburtstagsgrüsse, Bulletins über ihren Seelen- und ihren Gesundheitszustand, Klagen über ihre Arbeit, Jubel oder Beschwerden über ihre Partner. Über 80 Millionen Fotos und knapp 500  000 Videos werden am Tag hochgeladen. Das Netzwerk ist in 70 Sprachen verfügbar, und «es gibt keinen Grund», meint Sandberg lächelnd, «warum wir nicht in jeder Sprache erscheinen sollten, die auf diesem Planeten gesprochen wird». Ende 2010 werden wohl 500 Millionen Menschen ein Facebook-Konto haben.

Das vom Harvard-Studienabbrecher Zuckerberg gegründete Unternehmen hat eine Grössenordnung erreicht, die es zum sozialen Betriebssystem des Internets macht und eine Herausforderung darstellt für Google, ja mehr noch: eine Bedrohung. Die Manager des Klassenprimus beäugen den Emporkömmling argwöhnisch. Denn es geht um die Frage, wie das Internet künftig organisiert und genutzt, welche Gestalt die Netzwelt annehmen wird und wie man sich in ihr fortbewegt.

Facebook und Google sind Teile derselben Bewegung, aber sie repräsentieren die Flügel zweier Denkweisen. Hier Google, die mit zügelloser Sammelwut an einer Weltformel arbeitet, mit der sich das Internet, ja das Wissen der Welt, ja die Welt erfassen lässt. Dort Facebook als Vertreter jenes Verständnisses, wonach sich das Internet, wie Sandberg sagt, «von einem Informations- zu einem sozialen Netz» wandle. Sie glaubt nicht an eine Weltformel, sondern an das, was sie die «Weisheit der Freunde» nennt.

Mit Kamerawagen, welche die Strassen abfahren, sei die Welt zwar darstellbar, aber nicht zu verstehen. Google, höhnt Zuckerberg, liefere «nur Zeug», das sowieso öffentlich verfügbar sei. Die Facebook-Leute begreifen sich demgegenüber als Rebellen, die sich gegen das WWW-Establishment auflehnen, speziell gegen Google und den Kult, der um den Publikumsliebling inszeniert wird. Bald nach der Facebook-Gründung 2004 begann sich eine verbissene Gegnerschaft herauszubilden. Inzwischen kommt jeder zehnte Facebook-Mitarbeiter von Google. Alle wollen es dem Ex-Arbeitgeber zeigen.

Eine Milliarde ist zu wenig. Obwohl Einnahmequellen lange Zeit fast gänzlich fehlten, hatte Zuckerberg nie Schwierigkeiten, Geldgeber zu finden. Google selbst soll 2007 erwogen haben, einen Teil an dem aufstrebenden Studententreff zu erwerben. In der Tat sind die Firmen so gegensätzlich, dass sie sich ideal ergänzen könnten. Zuckerberg und seine Leute fühlten sich durch das Interesse allerdings nicht geschmeichelt: Was Google kann, könne man ohnehin besser. Die nächtelangen «Hackathons», wenn Facebook-Ingenieure bei Rock, Pizza und Red Bull im Hacker-Marathon neue Programme hervorbringen, sind legendär.

Nein, Zuckerberg schmolz nicht dahin, als man ihm die Aufwartung machte. Bereits ein Angebot von Yahoo über eine Milliarde Dollar hatte er zuvor abschlägig beantwortet. Er düpierte die Google-Kavaliere, indem er sich mit Microsoft einliess, Googles erklärtem Gegenspieler Nummer eins: Im Herbst 2007 erstand das Softwareungetüm 1,6 Prozent der Anteile für 240 Millionen Dollar, was einem Firmenwert von 15 Milliarden Dollar entsprach (siehe unter 'Weitere Artikel').

Schon bald nachdem Sandberg die Zügel in die Hände genommen hatte, wurde offensichtlich, dass ein frischer Geist den Betrieb belebte. Es lag in der Natur der Sache, dass dies nicht allen Alteingesessenen behagte, vor allem jenen nicht, denen die studentisch geprägte Firmenkultur ans Herz gewachsen war und denen die Aussicht wenig erstrebenswert erschien, unter weiblicher Obhut, noch dazu einer früheren Google-Managerin, zu stehen.

Mitgründer Dustin Moskovitz (25) und Cheftechniker Adam D’Angelo (26) verliessen das Unternehmen, ebenso Zuckerberg-Kumpel Matt Cohler (32). Im Frühjahr 2009 stellte auch der erst im Juli 2007 von der Google-Tochterfirma YouTube gekommene Finanzchef Gideon Yu (38) seinen Posten zur Verfügung. Es sei nun mal nicht immer ganz einfach, mit Zuckerberg, ächzt ein Manager.

Der Hauptaktionär, im Dienste der völkerverbindenden Digitaltechnik unentwegt tüftelnd, waltet seines Amtes als CEO, überlässt die Überwachung des Fortgangs aber der Tatkraft Sandbergs. «Mark ist toll», findet diese, «er ist lustig, nett, liebenswürdig und unglaublich klug. Er hat eine klare Vision von dem, was dieses Unternehmen tun soll.» Es soll alles tun – in diesem Anspruch ist Facebook so masslos wie Google.

Sandberg liess Facebook nicht nur in immer mehr Sprachen verbreiten, sondern ersann auch laufend neue Vermarktungstechniken. Sie liess zur Erleichterung des Datenverkehrs eine Facebook-light-Version entwickeln, die deutlich flotter arbeitet als die unter dem Andrang der Mitglieder häufig stotternde Hauptseite, und Zweigstellen eröffnen: «Wir können nun weltweit Werbung verkaufen.»

Der Umsatz speist sich zu einem Teil aus dem Vertrieb von Anwendungen, mit denen man sich gegen Gebühr virtuelle Blumen oder Kätzchen zuschicken kann, primär aber aus Anzeigen. 2009 stiegen die Werbeeinnahmen um 70 Prozent, ein weiterer Zuschlag von etwa 40 Prozent auf rund 700 Millionen Dollar wird im laufenden Jahr erwartet.

Damit würde Facebook rund ein Drittel jener 2,2 Milliarden Dollar einstreichen, welche die Werbewirtschaft weltweit in soziale Netzwerke investiert. Seit nunmehr acht Quartalen arbeitet das Unternehmen nach eigenen Angaben profitabel – doch nur ein hagerer Gewinn wird sich in der Bilanz abzeichnen. So rastlos Facebook wirkt, die Geschäftszahlen sind, gemessen an der weltumspannenden Reichweite, nur bedingt zufriedenstellend. Denn das pfeilschnelle Wachstum kostet viel Geld: Jedes Neumitglied beansprucht frischen Speicherplatz, ständig müssen neue Server angelegt, Rechnerleistungen zugekauft, Leitungen verstärkt werden.

Der Cashflow ist positiv, und Investitionen können aus eigener Kasse bezahlt werden. Von Überfluss ist man jedoch weit entfernt. Die Vermarktung von Digitalgemeinschaften gilt in Fachkreisen zwar nicht als unmöglich, aber doch beinahe: Alle Betreiber stehen vor dem Dilemma, dass mit dem Erfolg der Widerstand der Mitglieder gegen Werbung wächst. Gemäss Marktforscher IDC ist der Anteil der Nutzer, die nie eine Anzeige anklicken, in sozialen Netzwerken doppelt so hoch wie im Schnitt, und nur halb so viele kaufen nach dem Anklicken einer Seite auch ein Produkt. Mitgliedsbeiträge aber wagen nur die wenigsten Anbieter zu erheben.

Die Welt verbinden. Widerstand gibt es von Datenschützern, nachdem etliche Nutzerdaten zu «öffentlich zugänglichen Informationen» erklärt worden sind. Sie befürchten Schindluder mit persönlichen Datensätzen, die man zur Vermarktung missbrauchen könnte. Mit wenigen Klicks lassen sich heute Informationen zwar dem öffentlichen, nicht aber gänzlich dem gewerblichen Zugriff entziehen. Facebook lotet den Spielraum zwischen Datenschutz und Vermarktung ständig neu aus.

Von Widerständen lässt sich Sandbergs Expansionslust nicht dämpfen: «Wir wollen die Welt verbinden. Das ist unsere Mission», lächelt sie. Und mit Kommandokraft: «Unser Umsatz ist so grenzenlos wie das Wachstum der Nutzer.»

Mit den Reklameprogrammen, die sie ihrer Kundschaft andient, lassen sich Zielgruppen nach Geschlecht, Wohnort, Alter, Bildung, Beruf, Lebensstil und anderen Merkmalen filtern. Allerdings empfinden es viele Mitglieder als gespenstisch, wenn sie ihren Facebook-Freunden Vertraulichkeiten vom Trip nach Helsinki mitteilen und darauf Angebote von Finnair erhalten. Von «Cyber Stalking» ist die Rede.

Was den aus unermesslichen Höhen herabgrüssenden Google-Strategen – allein ihr Gewinn ist rund zehnmal so hoch wie die Gesamteinnahmen von Facebook – vor allem zu schaffen macht, ist nicht die Tatsache, dass 400 Millionen Menschen bei Facebook eingeschrieben sind, sondern dass sie dort auch sehr viel Zeit verbringen: durchschnittlich 55 Minuten am Tag. Nicht genug damit, dass diese 55 Minuten für die Nutzung von Google fehlen – der stetig anschwellende Datenverkehr, der durch die über 40  000 Facebook-Server tickt und sich zu einem undurchdringlichen Netz im Netz verwoben hat, ist für Googles Suchscheinwerfer auch unsichtbar. Nur auf Facebook Pages, die gelben Seiten des Sozialnetzwerks, wo um Kunden und Wähler geworben wird, haben Googles Webcrawler Zugriff. Kommt hinzu, dass Sandberg und Zuckerberg in einem schmerzhaften Akt der Google-Verhöhnung die für die Öffentlichkeit ausdrücklich nicht gesperrten Status-Aktualisierungen ihrer Mitglieder jetzt Bing, der Suchmaschine ihres Mitgesellschafters Microsoft, verfügbar gemacht haben.

Die Marktforschungsfirma Hitwise rechnet vor, dass Facebook schon heute phasenweise mehr Verkehr zu Promi-Blogs, Video- und Klatschseiten wie Tagged.com, Perez Hilton oder Dlisted lenkt als Google. Und es erweist sich, dass die Google-Zentrale zwar vieles über ihre 890 Millionen Nutzer zusammengetragen hat, aber nie so viel weiss, wie Schwarzseher unter den Beobachtern glauben machen wollen: Dem Surfverhalten lässt sich zwar nachspüren, und die Suchbegriffe erlauben Rückschlüsse. Aber was sind diese Kenntnisse, die Google besitzt, im Vergleich zu jenen Geheimnissen und Intimitäten, die Facebook-Nutzer einander und den Facebook-Servern anvertrauen?

Das Verheissungsvolle, das der Facebook-Strategie innewohnt, und dazu der ständige Hunger nach frischem Kapital machen das Unternehmen aus Palo Alto zu einem der attraktivsten (und teuersten) Übernahmeziele.