Kaum ein Grosskonzern, der in den letzten Jahren nicht im grossen Stil Stellen abgebaut und Mitarbeiter entlassen hat. Aber auch in vielen Klein- und Mittelbetrieben gehören Kündigungen für viele Führungskräfte schon fast zum Alltag. Doch was das Management Umstrukturierung, Change-Projekt oder Downsizing nennt, bedeutet für den Mitarbeiter faktisch: Rausschmiss.
Deshalb, und weil unprofessionell durchgeführte Trennungen eine Menge Geld verschlingen, ist eine gelebte Trennungskultur dringend nötig. «Der häufigste Fehler ist die mangelhafte Vorbereitung und dass diese Prozesse nicht prospektiv reflektiert werden», sagt der deutsche Management- und Karriereberater Laurenz Andrzejewski aufgrund seiner langjährigen Erfahrung. Als Trennungsexperte begleitet er seit 15 Jahren zahlreiche Unternehmen und gekündigte Mitarbeiter und weiss, dass für viele von ihnen nicht die Trennung als solche, sondern die Art und Weise der Kommunikation das Verletzende war.
Die Auseinandersetzung mit der heiklen Thematik wird vom Management immer noch zu häufig verdrängt. Die Folgen sind sinkende Produktivität und ein schlechtes Betriebsklima. Andrzejewski: «Wenn die gekündigten Mitarbeiter verletzt sind und sich ungerecht behandelt fühlen, kommunizieren sie das natürlich in die Abteilung. So sinken bei den Verbleibenden die Motivation und die Produktivität des Betriebes genau in jener Phase, in der man es am wenigsten gebrauchen kann.» Deutschlands «Trennungspapst» («Die Welt») erinnert sich zum Beispiel an ein deutsches Augenoptik-Unternehmen, das 18 Monate Vorsprung auf den Markt hatte und diesen nach einem unprofessionellen Kündigungsmanagement innert Kürze verspielte, weil die verbliebenen Mitarbeiter nur noch Dienst nach Vorschrift machten.
Fünf Phasen im Trennungsprozess
Für ein faires Kündigungsmanagement empfiehlt Andrzejewski im Trennungsprozess fünf Phasen, die es minutiös vorzubereiten gilt:
- Vorbereitungsphase: Der Sozialplan wird erstellt, die zu kündigenden Mitarbeiter werden ausgewählt, der Trennungsgrund formuliert, die Vorgesetzten geschult und die Gespräche geplant.
- Gesprächsphase: Klärung, wer wann welches Gespräch führt und was den Mitarbeitern angeboten wird (Abfindung, Transferhilfen).
- Nachsorgephase: Die Gekündigten nicht alleine lassen (Newplacement-Beratung) und sich gleichzeitig auf mögliche Klagen vorbereiten.
- Neuausrichtungsphase: Sich um die verbleibenden Mitarbeiter kümmern und ihnen neue Perspektiven und Sinn bieten. Die Gekündigten weiterhin coachen und beraten.
«Das Trennungsgespräch wird immer noch häufig an die HR-Abteilungen delegiert», kritisiert Andrzejewski: «Es muss zwingend vom Linienvorgesetzten geführt werden, weil er den Mitarbeiter am besten kennt. Doch viele Manager haben vor diesem Moment schlicht Angst. Angst vor der unberechenbaren Reaktion der zu Kündigenden, Angst vor der Reaktion der Verbleibenden und Angst vor dem eigenen beschädigten Image. Dabei ist zentral, dass jemand konkret die Verantwortung übernimmt. Es muss allen im Betrieb klar sein, wer warum den Entschluss gefasst hat», betont der Berater.
Zwei Gespräche führen
Laurenz Andrzejewski empfiehlt, Trennungsgespräche «im Tandem» zu führen. Ein erstes, kurzes, in dem es um die Facts geht, und in diesem Gespräch die Fixierung eines zweiten Termins für die Abklärung von Detailfragen.
Doch schon im ersten Gespräch muss der Vorgesetzte auf Einzelheiten vorbereitet sein. Kriegt der Gekündigte keine Antwort auf Fragen wie Abfindungen oder Pensionskassenregelungen, führt das zu den ersten Verletzungen und zum Gefühl «Die haben sich ja gar nicht auf mich eingestellt».
Öfters hat Andrzejewski beobachtet, dass Kaderleute aus Selbstschutz und schlechtem Gewissen mit Agression in die Trennungsgespräche gingen. Das gilt es unbedingt zu vermeiden. Trennungskultur ist gemäss Andrzejewski dann manifest, wenn Trennungen und Veränderungen mit möglichst geringen Verletzungen der Persönlichkeit aller Beteiligten einhergehen.
In Bezug auf die ökonomischen Aspekte von Kündigungen warnt Andrzejewski davor, die verdeckten Kosten zu übersehen. Dazu gehören Fluktuationskosten, Entscheidverzögerungen, Sitzungszeiten, Imageverlust bei Kunden, Verschlechterung des Betriebsklimas, Loyalitäts- und Vertrauensverluste, Kosten zum Neuerwerb von Know-how etc.
Sie machen ein Vielfaches der wahrgenommenen Kosten aus. «Auch diese Aspekte werden verdrängt. Das ist ein gigantischer Lapsus, während sonst Controlling und Budgetierung überall gross geschrieben werden», so Andrzejewski.
Tipps: Wie ein faires Gespräch abläuft
Wer?
- Planen Sie Erst- und Zweitgespräche als logische Einheit.
Wo?
- Am «runden» Tisch, nicht konfrontativ.
- Mit Wasser und Papiertüchern (Wertschätzung).
Wann?
- Tagsüber, um Nachsorge zu gewährleisten.
- Nicht an einem Festtag des Mitarbeiters.
- So früh wie möglich nach dem Entscheid.
- Zügig hintereinander.
Wie?
- Überlegen Sie sich den Reaktionstyp des zu Kündigenden.
- Wenn die Sicherheitsaspekte (Mensch, Projekt, Daten) bedacht sind.
- Wenn die Informationspolitik abgestimmt ist.
- Trennungsbotschaft in der «Ich-Form» und in den ersten fünf Sätzen übermitteln.
- Dauer des Gespräches: Sieben bis 15 Minuten.
Literatur: Laurenz Andrzejewski: «Trennungs-Kultur Handbuch für ein professionelles, wirtschaftliches und faires Kündigungsmanagement», Luchterhand, 84 Fr. (hz)
Nachgefragt: «Die fehlende Feedbackkultur wird den Chefs zum Verhängnis»
Management- und Karriereberater Laurenz Andrzejewski über führungsschwache Chefs, die sinkende Motivation der im Betrieb Verbleibenden und den Vorteil von Freistellungen.
Was halten Sie davon, wenn Chefs Kündigungen auf dem Postweg kommunizieren? Das entspricht zwar den rechtlichen Anforderungen, aber sicher nicht der Wertschätzung und Würdigung eines Mitarbeiters. Im Gegenzug wird ja ein gigantischer Aufwand betrieben, um neue Leute zu rekrutieren. Wenn jemand während Jahren loyal für eine Firma gearbeitet hat, und man traut sich am Schluss nicht mal, dem Betroffenen in die Augen zu schauen, ist das ein Armutszeugnis. Die Folgen von Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust bekommen die Unternehmen irgendwann auch wirtschaftlich zu spüren.
Gemäss Ihren Studien erfolgten die meisten Entlassungen in den letzten Jahren aus wirtschaftlichen Gründen. Doch schon als zweithäufigster Grund werden zwischenmenschliche Probleme genannt. Welche Kündigungen sind einfacher auszusprechen? Man muss differenzieren. Wenn konkret 2 Mio Fr. in einer Firma einzusparen sind und der Vorgesetzte argumentieren kann, dass das die Ein-sparung von so und so vielen Planstellen bedeutet, macht es die betriebsbedingte Kündigung vordergründig verhältnismässig «einfach». Doch die Schwierigkeit besteht sogleich darin, dass jeder Betroffene fragt: «Warum gerade ich?» Bei einer leistungs- oder verhaltensbedingten Kündigung muss eine personenbezogene Begründung und Dokumentation her. Wenn jemand seit Jahren gute Beurteilungen und Boni erhielt, wird die Trennungsbegründung schwierig. Deswegen ist im Alltag eine wahrhaftige Feedbackkultur wichtig.
Wie offen soll ein Chef sein, wenn er einem Mitarbeiter aus persönlichen Gründen kündigt? Es ist zunächst ein Grundrecht eines Vorgesetzten, zu sagen, mit Mitarbeiter XY will ich nicht mehr arbeiten, auch wenn es vielleicht sogar das Problem des Chefs ist. Es soll aber bitte schön nicht geschehen, dass der Vorgesetzte in einem solchen Trennungsfall dem Mitarbeiter rotzfrech kommt, ihm an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe macht und lächerliche Fehlerchen vorhält, um das Chemieproblem zu kaschieren. Der Vorgesetzte muss den Mut haben, offen zu seiner Entscheidung zu stehen, und die Verantwortung dafür übernehmen.
Werden im Fall von Kündigungen nicht oft bestehende Führungsdefizite offensichtlich? Oh ja, und zwar eklatant. Vorgesetzte merken plötzlich, dass da Dinge auf sie zukommen, denen sie nicht gewachsen sind. Sie erkennen zum Beispiel, dass sie keine ehrliche Feedbackkultur gepflegt haben und ihnen das jetzt zum Verhängnis wird. Oftmals stellt das Topmanagement in solchen Situationen fest, dass seinem Middle-Management schlicht die Essentials der Führung und Kommunikation fehlen.
Sie unterscheiden bei den Gekündigten zwischen verschiedenen Reaktionstypen: Dem Selbstbeherrschten, dem Aufbrausenden, dem Geschockten und dem Verhandler. Welcher Typus ist für Chefs am schwierigsten? Das hängt stark von der eigenen Historie ab. Wenn ein Vorgesetzter im Trennungsgespräch einem Aufbrausenden begegnet und er sich an seinen cholerischen Vater erinnert, empfindet er diesen Typus als am schwierigsten. Ein anderer hat keine Erfahrung mit Schmerz und Leid und kann es fast nicht aushalten, wennjemand zu weinen beginnt.
Eine Frau weinen zu sehen, ist schlimm, doch einen Mann weinen zu sehen ist fast unerträglich, sagen mir viele Führungskräfte. Wenn jemand jedoch schlecht vorbereitet ins Kündigungsgespräch geht, ist für ihn der Typus des Verhandlers am herausforderndsten.
Wie hat man sich konkret nach Kündigungen gegenüber den Verbleibenden zu verhalten? Man darf nicht übersehen, dass sie vielleicht langjährige, gute Kollegen verloren haben. Nach der Unruhephase muss ihnen zwingend eine mittelfristige Vision präsentiert werden, um die Situation zu beruhigen. Überzeugend gilt es darzulegen, warum es sich weiterhin lohnt, sich für die Firma zu engagieren. Das soll in Gruppenmeetings, aber auch in Einzelgesprächen möglichst zeitnah zu den Trennungsgesprächen geschehen. In Einzelgesprächen öffnen sich die Leute mehr. Je nach Situation kann auch eine Kick-Off-Party angebracht sein, wenn die Gekündigten bereits weg sind.
Macht es Sinn, gekündigte Mitarbeiter bis Ablauf der Kündigungsfrist arbeiten zu lassen? Das Thema Freistellung wird immer wieder sehr kontrovers diskutiert. Die Argumentation lautet: «Wir brauchen sie noch, und wenn wir sie bezahlen, sollen sie auch noch etwas leisten dafür.» Ich sage dann jeweils: «Aber wenn ihr sie loswerden wollt, brauchen sie Zeit, um sich neu zu orientieren.» Heute ist Freistellung kein Makel mehr. Wenn immer möglich, plädiere ich dafür, die Leute freizustellen