Jennifer Lopez rollt an Backsteinfassaden und Basketballplätzen vorbei, passiert Friseurstuben und pittoreske Schaufenster, und als sie aussteigt, springen Kinder an ihr Auto: einen Fiat 500 Cabrio. Der Fernsehspot mit der Sängerin im New Yorker Schwarzenviertel Bronx, angeblich ihrer «Quelle der Inspiration», soll dem Cinquecento in den USA mehr Schub verpassen. In Europa ist der kleine Retroflitzer ein Verkaufsschlager, in Amerika konnte er im laufenden Jahr bislang nur 14 000 Kunden überzeugen.

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Seit Sommer 2007 hat Fiat den 500 im Angebot – und ist eigentlich reif für eine Auffrischung, den sogenannten Facelift. Aber der wird frühestens 2012 erwartet, wie auch ein geräumigerer Ableger namens Giardiniera. Dabei hat BMW mit ihrem Retro-Briten Mini das Erfolgsrezept vorgelebt: viele Karosserie- und noch mehr Motorvarianten. Dass Fiat mit dem 500 hinterherrollt, ist bedenklich. Umso mehr, als Fiat seither kein Erfolgsmodell mehr auf den Markt gebracht hat. Viereinhalb Jahre sind in der Autoindustrie eine lange Zeit.

Vereinigung zweier Kranker. Fiat-Chef Sergio Marchionne will mit seinem Konzern an der Weltspitze mitfahren. Aber dahin ist es noch ein weiter Weg, auch nach Marchionnes Massstäben. Er sieht Fiat, die seit Ende Juli die Mehrheit am US-Autobauer Chrysler hält und die Komplettübernahme anstrebt, als «einen der vier, fünf oder sechs Player, die im globalen Autogeschäft mitspielen werden». Sechs Millionen Autos will er dazu jährlich bauen; 2010 liefen bei Fiat und Chrysler noch 3,6 Millionen Autos von den Bändern. Italiener und Amis schlossen eine Vernunftehe: Fiat erhält Zugang zum US-Markt und Know-how beim Heckantrieb, Chrysler braucht kompakte Fahrzeuge und wird versuchen, im Windschatten von Fiat in Brasilien Fuss zu fassen. Für die Italiener ist das Schwellenland, nach der Heimat, der zweitwichtigste Markt.

Doch «die Vereinigung zweier Kranker ergibt selten einen Gesunden», sagt Franz-Rudolf Esch, Leiter des Automotive Institute for Management (AIM) an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. In einer noch unveröffentlichten Studie hat das AIM festgestellt, «dass von 15 grossen Automarken Fiat in der Markenstärke auf dem letzten Platz landet». Bei Servicequalität, Image oder Kundenbindung ist die Marke «regelmässig Schlusslicht», so Esch. Ein einzelnes Modell wie der Fiat 500 sei zu wenig, um «eine ganze Marke neu mit Emotionen aufzuladen».

Und Chrysler, mit ihrer lahmen Zweitmarke Dodge, ist der schwächste der «Detroit Three». Wie General Motors suchte Chrysler als Folge der Finanzkrise Gläubigerschutz. Aber während GM neu kapitalisiert bald wieder zum grössten Autobauer der Welt aufstieg und von enormen Skaleneffekten profitiert, siechte Chrysler weiter. Ford schaffte es aus eigener Kraft durch die Krise und hat ein ausgeklügeltes internes Gleichteilesystem entwickelt, das enorm Kosten spart; Ford arbeitet heute rentabler und schlanker als das Branchenvorbild Volkswagen.

Dass Fiat ausserhalb Italiens und Brasiliens Probleme hat, gehört in der Autobranche zwar zur Folklore. Doch dass Fiat keine begehrten Fahrzeuge baut (von den auf Armlänge geführten Töchtern Ferrari und Maserati abgesehen) und weiterhin Defizite bei Qualität und Image hat, ist nicht zuletzt ein hausgemachtes Problem.

2004 als Sanierer in Turin-Lingotto eingezogen, erfüllte Marchionne schnell die Erwartungen des halbwegs verzweifelten Gründerclans Agnelli/Elkann. Er rasierte Kostenstruktur und Modellpalette, kürzte Entwicklungszeiten, feuerte Kaderleute und implantierte eine neue Kultur: hemdsärmelig, charismatisch, vollständig auf seine Person zugeschnitten, mit 18-Stunden-Tagen und einer Armada von Mobiltelefonen. Rund 50 Kader berichteten formal an ihn. Ständigen Zugang hatte aber nur ein kleines Team junger Manager, die sogenannten «Marchionne-Boys», die er an Schlüsselstellen, etwa als Markenverantwortliche für Fiat, Lancia oder Alfa Romeo, platzierte. Als einzige Ausrede, für Marchionne nicht erreichbar zu sein, galt, «im Flugzeug zu sitzen», stöhnte einer. Frische Luft wehte durch die staubigen Fiat-Flure.

Hochfliegende Pläne. Marchionne, ein klassischer Mikromanager, macht gerne alles selber. Bereits kurz nach der Übernahme von Chrysler lästerte das Branchenblatt «Automotive News», Fiat und Chrysler würden nun von einem Team geführt, «und dieses Team heisst Marchionne». Den Werbespot mit Rapper Eminem zur Einführung des Chrysler 200 («Imported From Detroit»), der zur Fernsehübertragung des Super Bowl gezeigt wurde, soll sich Marchionne Hunderte Male höchstpersönlich angesehen haben, bevor er freigegeben wurde.

Dem Publikum verkündete er grosse Pläne, und die Show kam gut an. Im November 2006 flötete die «Süddeutsche Zeitung» unter der Überschrift «Ein Edelstein wird neu geschliffen», Lancia habe «eine ebenso ehrgeizige wie pragmatische Strategie entwickelt, die Mut und Machbarkeit auf einen gemeinsamen Nenner bringt». Von neuen Modellen war die Rede (Nuova Fulvia, Delta HPE), die Produktion sollte bis 2010 auf 300 000 Autos steigen, sich also fast verdreifachen. Stattdessen sank sie auf unter 100 000, neue Modelle liessen auf sich warten.

Ende 2006 legte Marchionne einen Dreijahresplan vor. Im April 2010 folgte ein Fünfjahresplan, Teilnehmer stöhnten über eine «Endlos-Pressekonferenz»: Die 16 Präsentationen umfassten ein Datenvolumen von 52 Megabyte. Wieder waren die Versprechungen hochfliegend. So sollte die Fiat-Autosparte von 2010 bis 2014 den Umsatz verdoppeln und die Ebit-Gewinnmarge auf rekordhohe 14 Prozent springen. Im Jahr 2011 sollten in den USA eigentlich 50 000 Cinquecento verkauft werden, und für die vereinigte Fiat/Chrysler ist ein «Pro forma»-Jahresumsatz von 76 Milliarden Euro angepeilt. Im zweiten Quartal hat die Gruppe aber lediglich Umsätze von 13,2 Milliarden gemeldet. Analysten gehen längst davon aus, dass Marchionne seine Ziele wird hinunterschrauben müssen. Im Sommer war Fiat gemäss einer Studie des Center for Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen Rabattkönig in Deutschland: Die Kleinwagen Panda und Punto mussten den Kunden mit Abschlägen von über 30 Prozent angedient werden.

Emotionslose Sparwut. Auch die Börse wandte sich von Fiat ab, dabei will Marchionne gerade den Aktionären dienen – nicht zuletzt im eigenen Interesse. Zu Jahresbeginn sollen seine Fiat-Optionen 150 Millionen Euro wert gewesen sein. Aber selbst die nibelungentreue italienische Grossbank UniCredit kappte kürzlich ihr Kursziel um 25 Prozent. Bei Fiat tritt das Dilemma des Sanierers (Alusuisse, Lonza, SGS) Marchionne zutage: Er kann virtuos in kriselnden Firmen die Fäden an sich reissen, Altes zerschlagen und Neues aufrichten. Aber Wachstum zu organisieren, Nachfrage durch gute Produkte zu stimulieren, das ist ein ganz anderer Job.

Ein Job, den Marchionne nicht viele zutrauen. CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer sagt offen: «Marchionne ist zu sehr zahlengetrieben – ihm fehlt ein Gefühl für die Produkte in der emotionalen Autobranche.» Will heissen: Marchionne spart eisern bei der Fahrzeugentwicklung, streicht die Zahl der Plattformen zusammen und will die Marke Lancia durch simples «Rebadging» wiederbeleben. US-Fahrzeuge seiner Marken Chrysler und Dodge bekommen in Kontinentaleuropa eine kleine Überarbeitung und dann eine Lancia-Plakette verpasst. Marchionne versuche, «Fiat ohne Geld in die Zukunft zu führen», kritisiert Dudenhöffer: «Das kann nicht gelingen.»

Als Folge seiner Sparwut soll Marchionne einen seiner wichtigsten Boys verloren haben: Luca de Meo. Dieser «erfand» die Positionierung des neuen Fiat 500 als Lifestyle-Auto, nicht als Billigheimer wie einst geplant. Als der Impulsgeber des Cinquecento-Erfolgs dann Alfa-Romeo-Chef wurde und von Marchionne stramme Vorgaben (Verkauf innert dreier Jahre verdoppeln) bekam, aber kein Geld für die Entwicklung neuer Autos, floh er zu VW. Bereits sein Vorgänger bei Alfa, Antonio Baravalle, hatte sich zum Grossverlag Mondadori verdrückt, und kürzlich verabschiedete sich Fiats Deutschland-Chef Manfred Kantner zur VW-Tochter Seat. «Ich hätte auch keine Lust, den Mangel zu verwalten», ätzt einer von Kantners Branchenkollegen. Zumal VW gut zahlt. Nur Olivier François, aktuell Markenchef bei Fiat, blieb Marchionne bislang treu.

Branchenleute vermuten, dass der Fiat-Boss «früher oder später» Ferrari an die Börse bringen muss, um Kapital einzusammeln. Zugleich wundern sich viele, dass ausgerechnet Abrissbirne Marchionne bei Fiat logische Schritte scheut: Lancia sterben zu lassen. Die Marke mit dem unscharfen Profil ist seit Jahren klinisch tot. Der beste Brand unter den drei Kernmarken, Alfa Romeo, könnte das frei werdende Geld gut gebrauchen.

Marchionne, sagt ein Insider, habe nie verstanden, dass in der Autoindustrie der Schlüssel zum Erfolg, auch an der Börse, bei den Produkten liege – umso mehr, als die Räume enger werden. «Insbesondere in China entstehen neue Konkurrenten für die europäischen Volumenhersteller, vor allem im Kleinwagensegment», sagt Gregor Matthies, Autoexperte bei der Strategieberatung Bain. Im Gegensatz zu den Wettbewerbern hat Fiat keinen engen Partner in China. Sobald die Autobauer dort, wie VW-Partner SAIC oder FAW, europäisches Qualitätsniveau erreicht haben, können sie über den Preis punkten, wie es der stark wachsende Koreaner Hyundai schon vormacht.

Notwendig wären zudem innovative Produkte. Dazu würde etwa gehören, «in alternative Antriebe wie Hybrid oder Elektro zu investieren», sagt Matthies. Hier hat Fiat praktisch nichts. All das lässt Ferdinand Dudenhöffer zu einem klaren Urteil kommen: Das Ziel, «mit sechs Millionen Fahrzeugen jährlich zu den grossen fünf Herstellern zu gehören, die übrig bleiben, wird Marchionne langfristig nicht erreichen», dazu fehle es «an Produktsubstanz».

Bei der Vorstellung des Fiat 500 prahlte Marchionne, er wolle Fiat zum Apple der Autoindustrie machen, «und der 500 ist unser iPod». Das Dumme ist nur: Ein iPad oder iPhone hat Fiat nie gebaut. Und der iPod ist praktisch schon wieder out.

Dirk Ruschmann
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