Auffallend grosse Ziffern, elegant gebogenes Gehäuse: Auch Laien erkennen eine Uhr von Franck Muller auf Anhieb wieder. Für Kenner ist die Genfer Luxusmarke gar ein Phänomen. Nur zehn Jahre nach ihrer Lancierung, so munkelt man in der Branche, werden von den einprägsamen Franck-Muller-Uhren mehr verkauft als von allen Luxusmarken der Swatch Group zusammen. Überprüfen lässt sich diese Vermutung nicht. Beide Unternehmen veröffentlichen keine Stückzahlen, und Frank Muller meint lakonisch: «Ich spreche nicht mehr über Umsätze!»

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Halten wir uns also an Tatsachen. In Genthod vor den Toren Genfs zeugt eine ungewöhnliche Produktionsstätte von den Erfolgen der jungen Marke. Nichts erinnert an ein herkömmliches Fabrikgelände. Auf einem terrassenförmigen, mehrere Fussballfelder grossen Anwesen thronen mit Blick auf Lac Léman und Mont Blanc zwei brandneue Bauten. Stilistisch orientieren sie sich am neugotischen Herrschaftshaus in ihrer Mitte, dem Verwaltungsgebäude. Die Franck Muller Watchland SA bietet ein Ambiente, das sich kaum eine andere Uhrenfirma leistet.

Hergestellt werden in Genthod lauter Renommieruhren, von denen keine weniger als 6000 Franken kostet. Gegen oben ist die Preisspanne offen, je nachdem, mit wie vielen Diamanten – eine Spezialität des Hauses – die Zeitmesser gespickt sind. Stücke im Wert von mehreren Hunderttausend Franken sind gang und gäbe. Wie viele Uhren Franck Muller offiziell verkauft, bleibt Firmengeheimnis. Im Jahr 2000, dem letzten Ergebnis, das der Gründer und Mehrheitsaktionär öffentlich kommentierte, waren es 26 000 Stück. Zum Wachstum von 30 Prozent bemerkte Muller damals: «Wir sind nicht in der Lage, die Nachfrage zu befriedigen.» BILANZ-Recherchen haben ergeben: Letztes Jahr waren es laut einer sehr gut informierten Quelle knapp 43 000 Stück, heuer werden 50 000 anvisiert. Damit macht Muller rund 500 Millionen Franken Umsatz!

Zu dieser Grösse hat es der heute 45-Jährige in erstaunlich kurzer Zeit gebracht. Der Einstieg in die Haute Horlogerie schaffte der Sohn eines Deutschschweizer Schuhhändlers und einer Italienerin als Restaurator von Sammlerstücken. Dann stellte er mit Blick auf den exklusiven Sammlergeschmack eigene, möglichst komplizierte Uhren her. 1992 schliesslich beschloss Muller, sich als Unternehmer zu versuchen und eine eigene Hochpreismarke zu lancieren. Dazu tat er sich mit dem armenischstämmigen Vartan Sirmakes zusammen, einem Spezialisten für das Setzen von Diamanten und die Herstellung von Uhrengehäusen.

Die beiden bilden bis heute ein Gespann: Muller, der kreative Kopf mit besten Beziehungen rund um die Welt, tritt gegen aussen auf; Sirmakes, der gewiefte Geschäftsmann, bleibt im Hintergrund. Gemeinsam tauchten die beiden im vergangenen Jahr auch in der BILANZ-Reichstenliste auf. Geschätztes Vermögen: je 300 bis 400 Millionen Franken.

Kein Wunder, gilt das Duo, das nach dem Aufkauf von zwei Zulieferbetrieben heute 400 Mitarbeiter beschäftigt, mittlerweile als Stütze der Genfer Wirtschaft. «Franck Muller ist der Leader einer neuen Generation, die in der grossen Tradition der Genfer Horlogerie steht», gibt der Genfer Volkswirtschaftsdirektor Carlo Lamprecht zu Protokoll. Und der kantonale Wirtschaftsförderer Pierre Jaquier doppelt nach: «Franck Muller ist ein leuchtendes Beispiel für die Branche. Er bringt frischen und willkommenen Wind in die Luxusuhrenindustrie.»
Freundliche Worte, die darüber hinwegtäuschen, dass das Verhältnis zwischen dem «bösen Buben der Haute Horlogerie» («L’Hebdo») und den Genfer Traditionshäusern lange unharmonisch war. Die alteingesessenen Firmen machten dem Konkurrenten das Leben schwer, wo sie nur konnten. Als Muller mit Frédéric Piguet, einem Hersteller von Luxuswerken, ins Geschäft kommen wollte, wies man ihm die Tür: «Wir sind Leute mit Herkunft und beliefern nicht jeden dahergelaufenen Restaurator.»

Mullers Auftritt sorgt im Gehege der Haute Horlogerie auch sonst für Aufregung. «Die Traditionshäuser begreifen nicht, wie es möglich ist, eine Stahluhr mit einem 100-fränkigen Werk für 7000 Franken zu verkaufen», sagt Jean-Pierre Jaquet, langjähriger Weggefährte und mit seinem Betrieb in La Chaux-de-Fonds wichtiger Zulieferer von Franck Muller. Mancher Konkurrent hofft da nur noch, dass der Erfolg so schnell wieder verschwindet, wie er zu Stande gekommen ist. «Die Marke kommt aus dem Nichts. Franck Muller muss erst noch beweisen, dass er seine Glaubwürdigkeit bewahren kann», sagt der CEO eines Nobelherstellers, der anonym bleiben möchte.

Der Newcomer seinerseits fährt gerne grobes Geschütz auf. So wettert er regelmässig gegen den «Ausverkauf der Schweizer Uhrenindustrie», weil immer mehr Luxusuhren mit Quarzwerken auf den Markt geworfen würden. Mit dieser Begründung zog er sich 1998 unter Protest vom Genfer Salon International de la Haute Horlogerie zurück und inszeniert seither im Watchland jeden Frühling seinen eigenen glamourösen Promotionsevent. In seiner typisch unbescheidenen Art taufte er ihn «World Presentation of Haute Horlogerie». Und ganz im Gegensatz zur Basler Uhrenmesse verzeichnete auch Mullers diesjähriger Anlass keinen Besucherrückgang.

Worin bloss liegt der Schlüssel zum Erfolg dieses Unternehmers, der einst als Plattenlegerlehrling ins Berufsleben eingestiegen ist? Muller versteckt sich hinter Floskeln. «Ich denke, da ist vor allem der kreativ-technische Aspekt.» Wer es etwas genauer wissen möchte, läuft ins Leere. «Ach, wissen Sie, ich spreche höchst ungern übers Geschäft.» Viel lieber schwadroniert Muller, welch neuen technischen Herausforderungen er sich doch jeweils stelle, um Jahr für Jahr eine noch komplexere «Weltneuheit» präsentieren zu können. Analysieren indes Aussenstehende Mullers Erfolg, rühmen sie vor allem seine Verdienste im Marketing. «Muller verkauft einen Look», sagt der Patron einer Kennermarke, der anonym bleiben möchte, «da spielt es auch keine Rolle, wenn er die Uhren mit Werken von der Stange versieht.» Noch deutlicher wird Ludwig Oechslin, der Kurator des Musée International de l’Horlogerie in La Chaux-de-Fonds: «Franck Muller ist ein ausgesprochener
Marketingmensch. Beim Uhrmacherischen aber geht es bei ihm knapp am Bluff vorbei – so viel Neues, wie er weismachen möchte, steckt nicht hinter seinen Konstruktionen.» Ein Urteil, das nicht etwa Mullers unternehmerische Leistung in Frage stelle. Doch, so Oechslin, müsse man sich einfach im Klaren sein, dass Uhren heute grossteils von Leuten mit wenig technischem Wissen gekauft würden. «Die Menschen glauben, was man ihnen erzählt.»
Bemerkungen, die Muller tief in seinem Selbstverständnis treffen müssen. Er selber nämlich sieht sich als Uhrmacher der Extraklasse, getrieben von einer einzigen Leidenschaft: «Ich will die Geschichte der Uhrmacherkunst weiterschreiben.» Kein Wunder, lässt er sich mit Vorliebe als «master of complications» bewerben – die verkaufsträchtige Bezeichnung soll von einem Sammler stammen.

Umso erstaunlicher, dass Muller durchaus dazu steht, dass das Herz seiner Uhren von den Fliessbändern der Swatch-Tochter ETA kommt. «Nach dem Boykott durch die Luxuswerkhersteller hatte Franck gar keine andere Wahl, als sich bei der Swatch-Tochter ETA mit Standardwerken einzudecken. Im Nachhinein hat sich dies als grosses Glück erwiesen», erinnert sich Jean-Pierre Jaquet. Nicht nur, dass für die Wartung der robusten ETA-Werke ein weltweiter Kundendienst existiert. Vor allem sind die Werke so günstig, dass Muller, dessen Preise bei vergleichbaren Produkten mindestens ein Drittel höher liegen als jene der Konkurrenz, fantastische Margen erzielt. Normalerweise, so die Faustregel in der Branche, beträgt der Endkundenpreis einer Luxusuhr das Fünffache des Fabrikpreises. Bei Muller dürfte es Faktor zehn sein.

Wie die meisten anderen Luxusuhrenhersteller auch bezieht Muller die Rohwerke in Einzelteilen, die er modifiziert und mit Zusatzfunktionen, so genannten Komplikationen, veredelt. Mit dieser profitablen Praxis könnte bald einmal Schluss sein, wenn Swatch-Präsident Nicolas G. Hayek seine viel diskutierte Drohung wahr macht und künftig nur noch fertig montierte Werke liefert. Muller gibt sich wie immer selbstbewusst: «Selbstverständlich könnte ich meine Werke ganz im Alleingang bauen, aber weshalb sollte ich meine Energie dazu verschwenden, bereits gut gemachte Dinge von neuem zu entwickeln?»

Unbestritten ist, dass Franck Muller, der alle Modelle nach wie vor selbst entwirft, mit seinem Design den Nerv der kaufkräftigen Kundschaft getroffen hat. Dem tut keinen Abbruch, dass die charakteristischen Zifferblätter bereits einmal ums Jahr 1930 en vogue waren. Mullers Uhren wirken im Vergleich zur angejahrten Konkurrenz frisch und modern. Vor allem aber bietet er eine Produktepalette von einer Vielfalt, welche die Haute Horlogerie bis anhin nicht kannte. Der Neueinsteiger, so rühmen seine Bewunderer, habe in zehn Jahren mehr Modelle auf den Markt gebracht als traditionelle Edelmarken in einem ganzen Jahrhundert. Tatsächlich hat Muller Hunderte von verschiedenen Uhren lanciert – immer in limitierter Auflage. Getreu dem mullerschen Credo: «Ich wende mich an Persönlichkeiten, nicht an die grosse Masse.»
Keine unbedeutende Rolle für den Durchbruch hat das Faible des Showbiz für Mullers auffällige Zeitmesser gespielt. Von David Beckham über Elton John bis Barbara Streisand lässt sich viel Prominenz mit seinen Kreationen blicken. Und: Muller verkehrt mit den Reichen und Schönen wie mit seinesgleichen. So jedenfalls lässt er durchblicken und vergisst dabei nicht zu erwähnen, dass den vollen Preis bezahlt, wer eine Franck Muller trägt – Celebrity hin oder her.

Ein letzter Schlüssel noch zum Verständnis dieser wohl meistdiskutierten Erfolgsgeschichte der helvetischen Uhrenindustrie in jüngerer Zeit: Franck Mullers Riecher. Im Watchland von Genthod sind Marktanalysen und Testverkäufe verpönt. Der Patron, erzählen enge Mitarbeiter, stelle ausschliesslich her, was ihm gefalle. Aus purem Vergnügen, beteuert Muller, habe er sich zum Beispiel an die Entwicklung seiner diesjährigen «Weltpremiere» gewagt. Ein Vorhaben, mit dem während zweier Jahre zwanzig Uhrmacher beschäftigt waren. Noch habe man sich über den möglichen Verkaufspreis dieser «Formel-1-Uhr» nicht einmal Gedanken gemacht. Ob die Tourbillon Révolution 2 tatsächlich ein uhrmacherischer Wurf ist, ist umstritten – Experten verweisen darauf, dass Mullers angebliche Erfindung eines Tourbillons, das sich um zwei statt um eine Achse dreht, bereits 1947 zum Patent angemeldet wurde.

Sicher ist, dass Franck Muller mit seiner neusten Kreation fleissig am Ruf des herausragenden Horlogers weiterstrickt, mit dem er einst ins Uhrenbusiness eingestiegen ist. Denn etwas von der Aura eines Sammlerstückes bleibt auch an den glitzernden Serienprodukten hängen, denen das Enfant terrible der Branche seinen Reichtum verdankt. Egal, ob es ein Meisterwerk ist oder ein Marketinggag.