Eine der wichtigen Voraussetzungen für gute Führungsarbeit ist die Erfahrung. «Erfahrene» Manager lassen sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen und zerschlagen bei der ersten Krise nicht gleich das Geschirr.

Erfahrungen werden vom Gehirn verarbeitet und abgelegt. Zwischenmenschliche Erlebnisse in biochemische oder bioelektrische Signale umzuwandeln, ist eine einzigartige Fähigkeit des menschlichen Gehirns. Dadurch beeinflusst das Gehirn nicht nur zahlreiche Körperfunktionen, es verändert unter dem Einfluss der von ihm selbst erzeugten Signale auch seine eigene Mikrostruktur.

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Mit anderen Worten: Alle bedeutsamen zwischenmenschlichen Erfahrungen werden von Nervenzell-Netzwerken gespeichert. Aktuelle Situationen werden in der Grosshirnrinde zu einem «inneren Bild» der äusseren Situation komponiert und durch einen fortlaufend stattfindenden Abgleich mit bewusst oder unbewusst gespeicherten früheren Erfahrungen aus ähnlichen Situationen bewertet.

Und wozu? Um potenzielle äussere Gefahrenlagen zu erkennen. Und als Gefahr stuft das Gehirn nun nicht nur unmittelbar lebensgefährdende Bedrohungen ein, sondern auch Gefährdungen zwischenmenschlicher Beziehungen, schwer wiegende Kränkungen, unlösbare Konflikte oder soziale Ansehensverluste. «Als Gefahrenlage bewertet das Gehirn jeden drohenden Verlust von Kontrolle und Sicherheit im zwischenmenschlichen Bereich», sagt Joachim Bauer, Professor für Psycho-Neuro-Immunologie am Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau und dort auch Oberarzt für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin.

Was ist Führungsqualität?

Gemäss Bauer ist für das Führungsgeschehen von Bedeutung, dass bereits eine «unoffene Kommunikation» als Wahrnehmung einer Gefahr registriert wird. Alles, was offen, klar und für beide Seiten berechenbar abläuft, löst keine Alarmsignale aus. Sich führungsmässig im neurobiologischen Sinne richtig zu verhalten, erlaubt es für Bauer deshalb durchaus, den Mitarbeitern offen und klar zu sagen, was die Ziele und wie die Erwartungen sind: «Es ist nicht nötig, Mitarbeiter in Watte zu packen, man sollte sie aber bei der Erreichung der vorgegebenen Ziele unterstützen und ihnen Freiräume bei der konkreten Realisierung lassen.»

Bewertet nun das Gehirn eine aktuelle Situation als zwischenmenschliche Bedrohungslage, werden innerhalb von Sekunden über Nervenbahnen zwei Alarmsysteme aktiviert, die sich in tiefer gelegenen Hirnregionen befinden. Alarmsystem eins ist der so genannte Hypothalamus. Bei bedrohlichen zwischenmenschlichen Situationen schaltet er in seinen Nervenzellen ein Stress-Gen mit dem Namen CRH (Corticotropin Releasing Hormon = Cortisol freisetzendes Hormon) an. Daraufhin produziert der Körper Stresshormone, unter anderem Cortisol.

Und dieses Cortisol wirkt einerseits als eine Art «Turbo» für den gesamten Stoffwechsel, hemmt aber andererseits das Immunsystem und bremst die Erholungsfähigkeit des Körpers. Gefährlich ist vor allem nicht überwindbarer Dauerstress.

«Mangelnde Führungsqualität stellt eindeutig Dauerstress dar, und der kann Erkrankungen wie innere Unruhe, erhöhte Empfindlichkeit des Magens, Schlafstörungen, auf lange Sicht Depressionen nach sich ziehen», sagt Bauer.

Alarmsystem zwei ist der im Hirnstamm (einer evolutionär sehr alten Hirnpartie im Nacken) gelegene so genannte Locus coeruleus. Bedrohliche äussere Situationen und zwischenmenschlicher Stress aktivieren auch hier verschiedene Gene und führen unter anderem zur Ausschüttung des Alarm-Botenstoffes Nor-Adrenalin. In einer anderen Region des Hirnstammes wird ausserdem der Neurotransmitter (Nervenbotenstoff) Acetylcholin ausgeschüttet.

Beide Botenstoffe können Bauer zufolge den Körper innerhalb von Sekunden in Erregung, Angst und Panik versetzen. Nor-Adrenalin und Adrenalin beschleunigen den Puls und die Atmung, erhöhen den Blutdruck, können Schwindelgefühle hervorrufen und steigern die ohnehin schon vorhandene seelische Angst und Erregung. Acetylcholin führt zu erhöhter innerer Unruhe, kann Funktionen des Magen-Darm-Traktes stören und insbesondere auch schwere Schlafstörungen verursachen, wodurch die Regenerationsfähigkeit des Körpers gravierend beeinträchtigt wird.

Diese Vorgänge laufen im Prinzip bei allen Menschen gleich ab. Ob allerdings eine bestimmte äussere Situation inneren Alarm auslöst oder nicht, ist von Person zu Person unterschiedlich. Massgeblich dafür ist die persönliche Erfahrungsgeschichte. Das Gehirn vergleicht die jeweilige aktuelle Situation mit gespeicherten früheren Erlebnissen. Dabei dienen dem Gehirn gespeicherte Beziehungserfahrungen als Bewertungsmassstab. Und diese in Nervenzell-Netzwerken des Gehirns gespeicherte Summe früherer Beziehungserfahrungen ist etwas von Mensch zu Mensch höchst Subjektives und damit Unterschiedliches.

Was ist daran nun so bedeutsam für das Führungsgeschehen? Wie die einschlägige Forschung zeigt, dreierlei: Zum einen, dass biografische Vorerfahrungen, die durch verlässliche zwischenmenschliche Beziehungen und durch Erfahrungen sozialer Unterstützung geprägt sind, im Gehirn ein Muster hinterlassen, das die Bewältigung aktueller Herausforderungen begünstigt.

Zum anderen, dass es bei Vorerfahrungen, die durch wenig zwischenmenschliche Unterstützung gekennzeichnet sind, bei äusseren Belastungen bereits dann zu einer massiven Aktivierung der aufgezeigten biologischen Alarmsysteme kommen kann, wenn Menschen mit einem anderen Erfahrungshintergrund noch keinerlei Bedrohung oder Gefahr empfinden.

Soziale Unterstützung stählt

Und drittens schliesslich: So bedeutsam die vom Gehirn gespeicherten früheren Erfahrungen für die Bewältigung einer aktuellen Belastungssituation sind, alleine sind sie dafür nicht verantwortlich, wie neuere Studien aus der Stressbiologie zeigen. Ihnen zufolge kommt eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle der gegenwärtigen sozialen Unterstützung zu, die jemand in einer aktuellen Situation erhält. Diese Unterstützung bewirkt in Belastungssituationen eine messbare Verminderung der Stresshormone.

Die klare neurobiologische Botschaft an die Adresse der Führungskräfte heisst für Bauer damit: Massnahmen, die Mitarbeitern die soziale Unterstützung entziehen, sind leistungsfeindlich. Neurobiologische Untersuchungen zeigten, dass erlebte soziale Unterstützung die Leistung gerade auch in Belastungssituationen, und daran fehlt es wohl kaum steigere. Daher seien Interventionen höchst kontraproduktiv, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander spalten oder gar einzelne einer Isolation aussetzen wie beispielsweise Mobbing.

Andererseits muss für Bauer «Führung» im Sinne von expliziten, klaren Vorgaben dessen, was erwartet wird, keinen Widerspruch zu dem darstellen, was aus neurobiologischer Sicht eine «gute, unterstützende Beziehung» ist. Im Gegenteil sei im betrieblichen Geschehen die regelmässige Kommunikation darüber, was als gute Leistung angesehen und erwartet werde, der erste Baustein einer guten Beziehungskultur.

Wichtig ist Bauer zufolge jedoch, dass die Vorgaben erstens verlässlich sind und nicht willkürlich oder nicht nachvollziehbaren Veränderungen unterliegen; das Leistungsvermögen zweitens nicht überfordern, wobei eine Überforderung bereits dadurch gegeben sein kann, dass die Mitarbeiter keine Möglichkeit mehr haben, in regelmässigen Abständen mit dem Vorgesetzten und miteinander zu kommunizieren. Drittens ist ein individueller Gestaltungsspielraum nötig.

Ausserdem sollten Anforderungen nicht knapp unterhalb der Überforderungsgrenze liegen, weil sie dann eine antizipierende Überforderungsangst und damit die leistungsblockierende Stressaktivierung auslösten, sondern klaren Abstand zur Überforderungsgrenze haben.



Literatur:

Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.Eichborn Verlag, Frankfurt, 8. Auflage 2003, 265 Seiten, 36 Fr.

Gerhard Roth: Aus der Sicht des Gehirns. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2003, 214 Seiten, 26.20 Fr.

Ian Robertson: Das Universum in uns Wie wir das ungenutzte Potenzial des Gehirns ausschöpfen können. Piper Verlag, München, Serie PiperBand 3732, 2. Auflage 2003, 19 Fr.

Norbert Herschkowitz: Das vernetzte Gehirn Seine lebenslange Entwicklung. Verlag Hans Huber, Bern, 2. Auflage 2002, 126 Seiten, 27.80 Fr.