Ein übler Geruch breitete sich im Talkessel von Wolhusen aus. Der Volksmund redete daher von «Stinkhusen». Seit zwei Jahren stinkt es am Tor zum Entlebuch aber nicht mehr. Die Luftveränderung ist Ausdruck des Wandels bei der Firma Geistlich, die jahrzehntelang tierische Gewebe zu Leim, Fett und Dünger verarbeitete. Das Unternehmen wandelte sich in den 90er Jahren in einen Biotechnologie-Spezialisten. Und zwar so erfolgreich, dass Geistlich die früheren Aktivitäten, auch die «stinkenden», in Wolhusen eingestellt hat. Die Weichen für andere Produkte hatte die Firma schon nach dem Zweiten Weltkrieg gestellt, als die Tochter Geistlich Pharma klassische Arzneimittel herzustellen begann.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Ausgangsmaterial sind zwar bis heute Rinderknochen und Schweinegewebe geblieben. Doch jetzt wird mit mehr als einem Dutzend Reinigungsschritten aus ausgesuchten Rinderknochen das Knochenersatzprodukt Bio-Oss fabriziert. Die aufwendige Veredlung, hinter der nicht nur modernste Biotechnik, sondern auch ein gewaltiger Papierkram mit einigen hundert Unterschriften steckt, hat ihren Preis: 1 kg Bio-Oss kostet rund 200000 Fr. Das Material wird täglich bei rund 1000 zahnchirurgischen Eingriffen verwendet. Im Schnitt braucht es pro Operation ein Gramm dieses «biologischen Zements». Die Marktzulassung erhielt die Geistlich Pharma 1990 in den USA, und bis heute sind rund 1,3 Mio Patienten weltweit mit Bio-Oss behandelt worden.

Markenartikel Bio-Oss

Geistlich liefert nicht das eigentliche Implantat. Dafür gibt es Spezialisten wie Straumann oder Nobel mit ihren Titanium-Prothesen. Vielmehr hilft Bio-Oss, das bei einem zahnchirurgischen Eingriff beschädigte oder zerstörte Fundament aus Knochen, Knorpel und Weichgewebe wieder aufzubauen. Das erlaubt es, die Dentalimplantate im Kiefer zu befestigen.

Michael Peetz, Managing Director und Motor des Umwandlungsprozesses, definiert Geistlich Pharma heute als einen Spezialisten des «Tissue Engineerings». Jährlich würden für rund 150 Mio Fr. Gewebematerial im dentalchirurgischen Bereich benötigt, schätzt er. In diesem Nischenmarkt behauptet Geistlich Pharma inzwischen eine klare Führungsposition, mit einem Anteil von 44% in Europa und 25% in den USA. Mengenmässig braucht es dafür erstaunlich wenig Material: Es sind bloss etwas mehr als 100 kg Bio-Oss, die letztes Jahr das Werk in Wolhusen verlassen haben. Verglichen mit früher, als hier mit Tonnagen und Eisenbahnwagenladungen gerechnet wurde, könnte der Unterschied nicht grösser sein. Dafür wird mit viel weniger jetzt viel mehr verdient.

Sowieso funktioniert in einem Biotechnologie-Unternehmen vieles anders. Klinische Sauberkeit sticht ins Auge. Auf dem Werkgelände ist es heute so ruhig, dass der uneingeweihte Besucher vermuten könnte, da sei eine Fabrik stillgelegt worden. Doch in den verschiedenen Gebäuden sind mehr als 100 Beschäftigte an der Arbeit. Insgesamt stehen 150 Personen auf der Lohnliste der Geistlich Pharma, was personell beinahe einer Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren entspricht.

Auch die klassische Trennung von Produktion, Verkauf sowie Forschung und Entwicklung sucht man vergeblich. Einen Fünftel der Belegschaft bilden Leute mit Hochschulabschluss wie Biochemiker, Biologen und Mediziner. «Die Rohstoffproduktion ist in der Forschung angesiedelt, und in der eigentlichen Produktion stehen unter anderen auch promovierte Biochemiker», erklärt Peetz.

Kongresse mit Operationen für Dentalchirurgen

Ungewöhnlich ist auch, dass der Chef den Betrieb ohne normalen Aussendienst organisiert hat. Zwar sorgen drei Tochtergesellschaften in Deutschland, Grossbritannien und Italien und Partner in 60 Ländern für den erfolgreichen Vertrieb der zu 95% exportierten Knochenersatzprodukte. Doch ihre Endkunden, die Dentalchirurgen auf der ganzen Welt, erreicht Geistlich vornehmlich über Kongresse und Seminarien. Dabei werden die Produkte jeweils mittels Operationen direkt vorgestellt.

Um die Vermarktung und die Ausbildung der Dentalchirurgen kümmert sich eine für diesen Zweck gegründete Stiftung. Sie erwartet etwa für einen Anlass im Kunst- und Kongresshaus Luzern im nächsten Frühling mehr als 1000 Zahnchirurgen. Wichtig für den Erfolg ist auch der enge Kontakt mit über 90 Universitäten und Forschungsinstitutionen. Bisher liegen mehr als 300 wissenschaftliche Publikationen über die Implantatmaterialien aus Wolhusen vor. Die Entwicklungen sind auf US-Standard mit der Food & Drug Administration als kontrollierender Behörde ausgerichtet.

Inzwischen erzielt die Geistlich Pharma mit dem «Tissue Engineering» 90% ihres Umsatzes und wächst in diesem Bereich jährlich um 20%. Die Biotechnologie gilt innerhalb der Geistlich-Betriebe als Ertragsperle. Bio-Oss ist vom Knochenersatzprodukt zur bekannten Marke geworden. Die Versuche von grösseren Playern, das Material aus Wolhusen zu kopieren, sind bisher nicht sonderlich erfolgreich verlaufen. Das liegt weniger an den mehr als 30 Patenten, die Bio-Oss schützen sollen. Ausbezahlt hat sich vielmehr die Strategie, den ganzen Herstellungsprozess im Haus zu halten und keine wichtigen Schritte auszulagern.

Neue Bioprodukte fürdie Orthopäden

Peetz rechnet in Zukunft mit einem weiteren kräftigen Wachstum: Dazu soll nicht nur die steigende Nachfrage nach Bio-Oss beitragen. Nebst den Dentalchirurgen will Geistlich Pharma auch die Orthopäden ins Auge fassen. Die Herausforderung lautet, auf biologischer Basis Knorpel zu regenerieren. Geistlich hat aus Schweinegewebe als Ausgangsmaterial eine Matrix entwickelt, die beim Zellaufbau das Füllmaterial schützt und so die Regeneration etwa des Knorpels im Kniebereich entscheidend stützt. Vor allem Sportmediziner bekunden an dieser neuen Möglichkeit grosses Interesse. Im Bereich der Orthopädie dürfte für einen Spezialisten wie die Geistlich Pharma in Zukunft noch viel Fleisch am Knochen liegen.

Firmen-Profil

Firmenname: Geistlich Pharma AG

Managing Director: Michael Peetz

Beschäftigte: 150 (100 in Wolhusen und 50 bei Tochterfirmen in Deutschland, Grossbritannien und Italien)

Umsatz: 32 Mio Fr. Produkte: Biomaterialien und Arzneimittel

Eigentumsverhältnisse: Die Geistlich Pharma ist eine Tochter der Geistlich Holding mit Sitz in Schlieren ZH, die zu 100% im Familienbesitz ist. Zur Holding gehören auch die Alimenta in Wolhusen (Folien für die Wurstverpackung), die Agrasana und die Ligamenta in Schlieren (Futterfette und Klebstoffe) sowie die Immobilia AG.

Total aller Mitarbeiter: 300 Umsatz Holding: Rund 100 Mio Fr.