Gewinner und Verlierer: So steigen die Strompreise 2023

Wenn die Stromversorger Ende August ihre Tarife für 2023 publizieren, wird es für viele Konsumentinnen und Konsumenten schlechte Nachrichtgen geben. Bislang blieben sie verschont von den global steigenden Strompreisen. Doch nun wird diese Lücke zwischen Marktpreis und Tarif geschlossen, und bei einigen Versorgern ist diese Lücke riesig. Für viele Privathaushalte dürfte der Strom um mehrere hundert Franken pro Jahr aufschlagen. Doch die Unterschiede werden gross sein. Das zeigt die Recherche der «Handelszeitung», die sich zahlreiche Regionalversorger der Deutschschweiz genauer angeschaut hat. Viele Anbieter werden ihre Strompreise um zweistellige Prozentsätze erhöhen. Andere dagegen kaum oder gar nicht. Dafür verantwortlich ist die grösste aller strategischen Fragen, die ein Stromversorger haben kann: Strom aus eigenen Kraftwerken oder auf dem Markt einkaufen? Wir zeigen, wessen Kunden mit Preiserhöhungen rechnen müssen. Dass die Preise an den Strommärkten überhaupt steigen, hat verschiedene Gründe. Erst sorgte das Aufwachen aus dem Corona-Schlummern für mehr Nachfrage nach Strom. Das fiel zusammen mit – teilweise politisch gewollt – steigenden Kosten für CO2-Zertifikate, die es bei der Produktion von Kohle- oder Gasstrom braucht. Dann prallte das Ganze auf eine Logistik- und Versorgungskrise – und als dann im Winter auch noch immer mehr französische AKW stillstanden, gingen die Strompreise durch die Decke. Teilweise wurden für eine Kilowattstunde bis zu 50 Rappen bezahlt. Zum Vergleich: Privatkunden bezahlen für den reinen Energieteil derzeit etwa 8 bis 10 Rappen.So setzt sich der Strompreis zusammen Nur ein Teil dessen, was Kleinkundinnen und Kleinkunden für den Strom bezahlen, ist effektiv für die Energie. Hinzu kommen zahlreiche weitere Gebühren und Abgaben, die den Gesamtpreis auf das Mehrfache ansteigen lassen. In der Stadt Zürich (EWZ) kostet eine Kilowattstunde Strom im Haushaltstarif Tarif H4 derzeit 21,5 Rappen (Standardtarif, ohne Mehrwertsteuer). Der Preis setzt sich wie folgt zusammen: Energie: 7,28 Rappen (34 Prozent) sind für den eigentlichen Strom. Weil die gelieferte Energie physikalisch als Arbeit bezeichnet wird, spricht man auch vom Arbeitstarif. Der Energieteil wird stark durch die Beschaffungsstrategie geprägt und davon, wie nachhaltig der Strom produziert wurde. Das Standardprodukt ist nicht immer auch das billigste, sondern basiert oft auf erneuerbaren Energien wie Wasserstrom. Netz: 10,07 Rappen (47 Prozent) gehen an die Kosten des Stromnetzes. Darin enthalten sind auch Abgaben für das nationale Stromnetz der Swissgrid. Die Kosten des Netzes hängen unter anderem von der Topografie des Versorgungsgebiets und dem Alter der Netzinfrastruktur (Abschreibungen!) ab. Kommunale Abgaben: 1,85 Rappen (9 Prozent) gehen an Leistungen der Gemeinde Zürich wie beispielsweise die öffentliche Beleuchtung. KEV: 2,3 Rappen (11 Prozent) fliessen in den Fördertopf der Kostendeckenden Einspeisevergütung. Damit werden etwa Solaranlagen oder Biomasse-Kraftwerke subventioniert. Darüber hinaus können weitere Abgaben den Strompreis verteuern. In Basel etwa gibt es eine zusätzliche Abgabe von 5 Rappen pro Kilowattstunde, die als Lenkungsabgabe den Strom verteuern soll und – zumindest teilweise – wieder an die Bevölkerung ausbezahlt wird. Auch in Zürich enthalten die kommunalen Abgaben eine Komponente mit Lenkungsabgaben-Charakter. Dass diese Preiserhöhungen bisher nicht in der Grundversorgung ankamen, liegt an der Regulierung. Stromversorger können in der Schweiz nur weiterverrechnen, was sie effektiv für den Strom bezahlen – zuzüglich einer garantierten Marge. Als die Tarife 2022 im letzten Sommer eingereicht wurden, wusste noch niemand, dass sich der Strom derart verteuern würde. Und so werden nun nicht nur Preiserhöhungen nachgeholt, sondern auch noch Verluste aus dem laufenden Jahr ausgeglichen. Und damit zurück zu den Unterschieden (siehe auch Übersicht weiter unten). Fast oder gar keine Preiserhöhungen erwarten unter anderem die Stadtwerke in Basel und Zürich sowie die Bündner Repower und die BKW. Schon heute könne man sagen, dass die Komponente Energie 2023 stabil bleiben werde, sagt etwa Marie Oswald vom Zürcher EWZ. Wer nur eigene Kraftwerke hat, muss nicht aufschlagen Der Grund für die Entspanntheit: Diese Anbieter beziehen genug Strom aus eigenen Kraftwerken und müssen nicht oder kaum Strom am Markt zukaufen. Und weil sie diesen Strom zu Produktionskosten («Gestehungskosten») an die Kunden liefern müssen, gibt es kaum Gründe für Preiserhöhungen. Auch Silvan Kieber, Geschäftsführer des kleinen Lokalversorgers Arbon Energie, kann seine Kunden beruhigen: «Wir sind den Marktschwankungen nicht ausgesetzt.» Ganz anderes die Situation etwa in Winterthur. Das dortige Stadtwerk ist eines der grössten, die fast ausschliesslich Strom am Markt einkaufen. In den Jahren mit tiefen Preisen profitierten die Kundinnen und Kunden davon, dass die Stadt den Strom jeweils dort einkaufte, wo er gerade besonders billig war. Dafür drücken jetzt die Preissteigerungen voll durch. So geht es auch anderen Regionalversorgern, die einen grossen Teil des Stroms am Markt beziehen. Es gilt die Faustregel: je weniger Eigenversorgung, desto deutlicher die Preiserhöhung. Starke Aufschläge dürfte es auch bei der Baselbieter Primeo Energie, den Kunden des Zürcher EKZ oder den St. Gallisch-Appenzellischen SAK geben. Jeder Zweite schlägt insgesamt um mehr als 20 Prozent auf Der Branchenverband VSE hat vor kurzem seine Mitglieder befragt. Die Hälfte der Antwortenden kam zum Schluss, dass die Gesamtkosten – Netz, Energie und Abgaben – um mehr als 20 Prozent ansteigen werden. Allerdings dürften die Netzkosten landesweit nicht allzu stark ansteigen. Entsprechend gross sind die Steigerungen beim reinen Energieteil. Dem Strom. Der «Handelszeitung» liegen die detaillierten Ergebnisse vor. 4 Prozent der Anbieter rechnen mit keiner Preiserhöhung auf dem Energieteil. 36 Prozent jedoch werden die Preise um mehr als 50 Prozent anheben müssen. 50 Prozent sind etwa 5 Rappen pro Kilowattstunde. Das macht bei einem Durchschnittshaushalt mit 4500 kWh pro Jahr 225 Franken aus. Neben den aktuellen Preiserhöhungen hat zusätzlich Pech, wessen Lieferant am AKW Leibstadt beteiligt ist. Dieses musste seine eh schon lange Pause 2021 im Herbst ungeplant verlängern. Den fehlenden Strom mussten die Versorger kurzfristig und teuer am Markt einkaufen. Auch diese Kosten können sie nun – zumindest teilweise – ihren im Monopol regulierten Kunden überwälzen: zum Beispiel bei den Luzerner CKW oder dem kleinen Aargauischen Regionalversorger AEW. Die Preiserhöhung 2023 wird wohl erst den Anfang machen. Einerseits rechnet derzeit kaum jemand mit sinkenden Strompreisen. Anderseits kaufen die Versorger in der Regel gestaffelt über drei Jahre ein. Preisveränderungen zeichnen sich damit immer erst zeitlich versetzt in den Tarifen ab. Übersicht: Prognosen zu einzelnen Deutschschweizer Regionalwerken Die Angaben basieren teilweise auf Aussagen der Werke, teilweise auf öffentlich verfügbaren Angaben zur Stromproduktion der Werke. Eine rote Ampel bedeutet, dass eine starke Preiserhöhung erwartet wird, eine grüne lässt nur geringfügige Preiserhöhungen erwarten. Die Angaben beziehen sich auf den Preis für die Energie. Im Bereich Netzkosten sind bei allen Anbietern leichte Preiserhöhungen zu erwarten, unter anderem wegen einer bereits angekündigten Preiserhöhung der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Die konkreten Preisangaben beziehen sich auf einen typischen Privatkunden (Kategorie H4, Standardprodukt, ohne Steuern). Zürich ZH, EWZ: Stabile Strompreise Heutige Stromkosten H4: 21,5 Rappen, davon 7,28 Rappen für die Energie Bereits heute könne man sagen, dass die Preise für den Energieteil des Strompreises 2023 stabil bleiben werden, sagt EWZ-Sprecherin Marie Oswald. Das EWZ bezieht deutlich mehr Strom aus eigenen Kraftwerken, als die eigenen Kunden verbrauchen. Somit könne man voll auf die eigene Produktion zurückgreifen. Bern BE, EWB: Strompreise steigen geringfügig Heutige Stromkosten H4: 21,21 Rappen, davon 7,4 Rappen für die Energie EWB äussert sich derzeit noch gar nicht zu den zu erwartenden Preiserhöhungen. Allerdings dürfte das Berner Stadtwerk eher im unteren Bereich der Preiserhöhungen liegen. Etwa 80 Prozent des Stroms von EWB stammen aus eigenen Kraftwerken oder festen Lieferverträgen, die nicht den Marktpreisen unterliegen. Somit wirken sich die gestiegenen Strompreise nur zu einem kleinen Teil auf die Endpreise aus. Luzern LU, CKW: Es wird teurer Heutige Stromkosten H4: 20,65 Rappen, davon 9,16 Rappen für die Energie Eine Zahl will CKW-Sprecher Marcel Schmid noch nicht nennen, aber «es wird teurer». Zwar hat CKW viel Strom aus eigener Produktion. Aber weil sie auch ein grosses Handelsgeschäft betreibt, kommt viel am Markt beschaffter Strom dazu, der sich über die Mischkalkulation auch auf den Tarif der gebundenen Kunden auswirkt. Wie die Aargauer AEW ist die CKW zudem am Atomkraftwerk Leibstadt beteiligt, das mit einem verlängerten Stillstand ausserordentliche Kosten verursacht. Basel BS, Industrielle Werke Basel (IWB): Geringe Aufschläge Heutige Stromkosten H4: 28,4 Rappen*, davon 7,94 Rappen für die Energie In Basel dürften die Kosten für die Energie wenig oder gar nicht zunehmen. Die Stadtwerke IWB beziehen den Strom fast ausschliesslich aus eigenen Kraftwerken und geben diesen zu Gestehungskosten an die Kunden weiter. Eine konkrete Prognose möchte IWB-Sprecher Erik Rummer nicht machen. Man werde aber eher zu jenen gehören, wo die Aufschläge «nicht so happig» sein werden. *Teil des Preises ist eine kantonale Lenkungsabgabe von 5,1 Rappen, die teilweise an die Einwohnerinnen und Einwohner rückvergütet wird St. Gallen SG, SGSW: Preissteigerungen im oberen Mittelfeld Heutige Stromkosten H4: 21,35 Rappen, davon 9,38 Rappen für die Energie Die Stadtwerke St. Gallen setzen die Ampel auf Gelb, wie Peter Graf, Bereichsleiter Energie, sagt. Man bewege sich wohl im oberen Mittelfeld. St. Gallen bezieht etwa die Hälfte des Stroms zu Marktkonditionen, die andere Hälfte aus eigener Produktion. Preissteigernd wirkt, dass in der Rechnung der St. Galler noch Unterdeckungen schlummern, die dieses Jahr – teilweise – ausgeglichen werden müssen. Das verstärkt die Preiserhöhungen tendenziell. Winterthur ZH: Stadtwerk Winterthur: Strom wird deutlich teurer Heutige Stromkosten H4: 21,68 Rappen, davon 8,26 Rappen für die Energie Das Stadtwerk Winterthur ist eines der grössten Stadtwerke, das praktisch ohne eigene Kraftwerke auskommen muss. Somit wird der meiste Strom zu Marktkonditionen eingekauft, weshalb auf 2023 mit einem starken Preisanstieg zu rechnen ist. Aarau AG, Eniwa: überdurchschnittliche Preiserhöhungen Heutige Stromkosten H4: 21,69 Rappen, davon 8,59 Rappen für die Energie Eniwa beschafft rund 70 Prozent des Stroms zu Marktkonditionen und dürfte damit überdurchschnittlich stark den Preiserhöhungen ausgesetzt sein. Hinzu kommt, dass es sich bei den eigenen Kraftwerken um Flusskraftwerke handelt, die 2021 unterdurchschnittlich viel Strom lieferten. Der Ersatz dafür musste ebenfalls am Markt beschafft werden. Die so entstandene Unterdeckung werde über drei Jahre auf die Strompreise umgelegt, teilt Eniwa mit. Arbon TG, Arbon Energie: Weniger als 5 Prozent teurer Heutige Stromkosten H4: 23,12 Rappen, davon 7,72 Rappen für die Energie Man sei den Marktpreisen nicht ausgesetzt, sagt Silvan Kieber, Geschäftsführer des Lokalwerks Arbon Energie. Daher rechne er mit einer Preiserhöhung von weniger als 5 Prozent. Arbon Energie beziehe über seine Partnerwerke mehr Strom, als die eigenen Kunden verbrauchen. Dieser Strom werde zu Gestehungskosten geliefert. Dietikon ZH, EKZ: Starke Preiserhöhungen Heutige Stromkosten H4: 17,08 Rappen, davon 7,48 Rappen für die Energie Das Kantonswerk EKZ kauft mehr als 90 Prozent des Stroms am Markt ein und ist damit den hohen Marktpreisen stark ausgesetzt. Damit dürften die Preise an Orten wie Dietikon überdurchschnittlich stark steigen. Das Kantonswerk verweist darauf, dass man aufgrund der Marktbeschaffung in den vergangenen Jahren dafür tiefere Preise anbieten konnte. Frick AG, AEW: Strompreiserhöhungen im Mittelfeld Heutige Stromkosten H4: 20,21 Rappen, davon 7,81 Rappen für die Energie Der Aargauer Regionalversorger AEW bezieht etwa die Hälfte des Stroms aus eigenen Kraftwerken und die Hälfte über den Markt. Entsprechend dürfte er bezüglich Preiserhöhungen eher im Mittelfeld liegen. Selber spricht AEW-Mitarbeiter Marc Ritter von einem Plus von etwa 50 Prozent auf dem reinen Energieteil der Preise. Zusätzlich auf die Kosten schlägt, dass das Atomkraftwerk Leibstadt, an dem AEW direkt beteiligt ist, Ende 2021 vier Wochen länger als geplant stillstand. Der fehlende Strom musste bereits zu hohen Preisen eingekauft werden. Diese Mehrkosten werden den Kunden nun teilweise weiterverrechnet. Köniz BE, BKW: Stabile Preise Heutige Stromkosten H4: 25,6 Rappen, davon 10,09 Rappen für die Energie Das Berner Kantonswerk BKW beziehe praktisch den ganzen Strom aus eigenen Kraftwerken, sagt Sprecher René Lenzin. «Wir gehen daher davon aus, dass es auf dem Energieteil keine grossen Preiserhöhungen geben wird.» Landquart GR, Repower: Leichte Erhöhung der Strompreise Heutige Stromkosten H4: 24,96 Rappen, davon 7,4 Rappen für die Energie Die Bündner Repower geht von einer «leichten» Erhöhung der Energietarife aus, weil sich die Betriebskosten der Produktion in den letzten Jahren etwas erhöht haben, schreibt Sprecher Thomas Grond. Der Strom stamme grösstenteils aus eigener Produktion, weshalb die Marktpreise kaum einen Einfluss auf den Tarif haben. Münchenstein BL, Primeo Energie: Deutliche Steigerung der Strompreise Heutige Stromkosten H4: 21,46 Rappen, davon 8,27 Rappen für die Energie Die Baselbieter Primeo Energie (ehemals EBM) rechnet mit überdurchschnittlichen Preiserhöhungen. Den meisten Strom bezieht das Unternehmen, das über die Alpiq in grossem Umfang indirekt an Kraftwerken beteiligt ist, zu Marktkonditionen. Die einst festen Abnahmeverträge mit der Alpiq wurden in den letzten Jahren zunehmend aufgegeben, um von günstigen Marktkonditionen profitieren zu können – auch wenn es noch letzte Langfristverträge mit Alpiq gebe, wie ein Sprecher festhält. Sargans SG, SAK: Preiserhöhung um bis zu 60 Prozent Heutige Stromkosten H4: 20,88 Rappen, davon 8,3 Rappen für die Energie Das Regionalwerk mit Kunden in St. Gallen und den beiden Appenzell rechnet mit einer Preiserhöhung von 40 bis 60 Prozent auf dem Energieteil, wie Sprecher Sandro Gubser sagt. 15 Prozent des Stroms beziehe man aus eigenen Beteiligungen zu Gestehungskosten. Der Rest werde am Markt beschafft. Schaffhausen SH, SH Power: Preiserhöhung im Mittelfeld Heutige Stromkosten H4: 21,15 Rappen, davon 7,57 Rappen für die Energie Das Schaffhauser Stadtwerk SH Power produziert etwa einen Drittel des Stroms in eigenen Kraftwerken. Den Rest beziehe man zu Marktkonditionen, sagt Sprecher Marco Nart. Man rechne mit einer Preiserhöhung im Branchendurchschnitt.