Alle paar Jahre ruft der Schweizer Konzern Givaudan eine Handvoll Top-Köche an einem Ort in der Welt zum «Chefs Council» zusammen. Es ist etwa «das Parfum», wie Jordi Roca den blumigen Touch seiner Desserts nennt, das die Gastgeber aus Vernier bei Genf herausspüren wollen. Mitte Juni ist es erneut so weit. Für einige Tage kommen Givaudans Forscher und Köche mit der Haute-Cuisine-Garde in New York zusammen, beobachten, welche Zutaten diese wählen, wie sie neue Gaumenwunder formen, und diskutieren über die Geschmacksstoffe. Ideen, die später als Aroma ein Fertiggericht aufpeppen könnten. «Die Weltköche sind die absoluten Künstler. Sie schaffen etwas völlig Neues. Wir Wissenschaftler entschlüsseln das dahinterliegende Zusammenspiel», sagt Alex Häusler, Chef der Givaudan-Aromenentwicklung für Europa.

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Sterneköche und Aromen? Nichts scheint gegensätzlicher zu sein. Die Angst vor gesundheitsschädlichen Zutaten, der Wunsch nach natürlichen Produkten schüren Kritik gegenüber Zusatzstoffen im Essen. Derart im Verborgenen agieren Aromahersteller, dass sie leicht für Verschwörungstheorien herhalten müssen. Selbst Givaudan ist kaum bekannt, obwohl die Produkte des Weltmarktführers für Aromen und Duftstoffe fast überall in der Auswahl der Supermärkte stecken. Dabei hilft die Zurück-zur-Natur-Welle dem Schweizer Konzern sogar. Sie macht das Geschäft so komplex, dass kleine Rivalen schwer mithalten. Givaudan arbeitet daran, dass mehr Menschen ihre Lieblingsspeisen essen können, ohne der Natur zu schaden. Eine Art Demokratisierung des Geschmacks. Dafür müssen Givaudans Entwickler immer tiefer in die Trickkiste greifen, denn wichtige Rohstoffe werden knapper, neue lassen sich schwerer finden.

Verborgener Riesenmarkt

Wenn Givaudans Forscher den Sterneköchen in die Töpfe schauen, suchen sie spannende Gewürzkombinationen, ergründen Geschmackstrends von morgen und verwandeln sie in neue Speisearomen. «Diese Treffen sind wie Jam Sessions. Und wir schreiben hinterher die Partituren dazu», sagt Häusler.

Nahrungsmittelkonzernen wie Nestlé und Parfumhäusern ist ganz recht, dass kaum jemand ihre Aroma- und Duftlieferanten kennt, machen die Ideenschmieden doch ohne viel Aufsehen deren Marken attraktiver. Parfums wie Boss Orange, One Million von Paco Rabanne, James Bond 007 kreierte Givaudan. Ob ein Kunde ein Lebensmittel erneut kauft, entscheidet zu über 50 Prozent dessen Aroma, das aber nur 0,5 Prozent der Produktionskosten ausmacht. Ein Weltmarkt von 17 Milliarden Franken hat sich um Aromen und Duftstoffe aufgetan.

Das trifft den Geschmack von Bill Gates. Seit 2011 hält der Microsoft-Gründer 10,3 Prozent an Givaudan und hat über 50 Prozent Kursplus erzielt – nicht nur mit seinen normalen Investmentvehikeln. Einen Teil besitzt die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung: Der Ritterschlag für Givaudan, will die Stiftung doch die Lebensbedingungen weltweit verbessern und investiert nur in nachhaltige Firmen. Dabei helfen Givaudans Aromen.

Fehlende Rohstoffe

Die Nachfrage nach Gerichten mit Huhngeschmack liesse sich nur mit Millionen mehr getöteter Hühner decken. «Das wäre ökologisch falsch», sagt Givaudan-Manager Häusler. Aminosäuren aus Getreide oder Hefe ergeben die gleichen Grundstoffe wie beim Huhn. Die Nachfrage nach Eis, Joghurt oder Desserts mit Erdbeergeschmack übersteigt die Menge anbaubarer Erdbeeren deutlich. Reine Vanille würde exzessiv teuer, wenn nur die Schote verwendet werden dürfte. Vanillearoma ermöglicht viel mehr Menschen den Geschmack zu günstigen Preisen. Für einen Liter natürliches Rosenöl braucht es drei Tonnen Rosenblüten, also Monokulturen auf riesigen Flächen.

Am Trend zu natürlichem Essen haben die Konzernforscher dennoch zu knabbern. Konsumgüterkonzerne wie Parfumhersteller wollen sich mit Natürlichkeit zieren. Doch die Diskrepanz zwischen Öko-Willen und dem, was wirklich gekauft wird, ist gross. Denn die Konsumenten haben konträre Ansprüche.

«Zurück zur Natur, das ist nicht wie früher», sagt Häusler. «Ein Joghurt soll biologisch hergestellt sein, aber auch lange halten und eine gute Farbe haben.» Blaubeerjoghurt werde aber meist nicht als natürlich angesehen, wenn er nicht richtig blau sei. Dabei gelinge das nur mit Zusatzstoffen. Werden die Beeren verarbeitet, verlieren sie die Farbe – genauso wie Äpfel. Kunden schmecke ein Apfelgericht ohne spezielle Ingredienzen nicht frisch genug. Den Eindruck von knackig grünen Äpfeln ergebe aber nur das Aroma von Pfefferminze – eines von vielen Naturaromen, das Givaudans Tüftler in Kemptthal einsetzen.

Enormer Output der Parfümeure

Die freien Kunstmaler Givaudans, die ungekannte Düfte finden sollen, sitzen wiederum im Pariser Vorort Argenteuil. Dort kreiert Givaudan sowohl Duftessenzen als auch Parfums für Markenkonzerne und Prominente, ebenso wie den Duft für Waschmittel, Duschgels und Kosmetik. Der Meister der Duftnoten, Jean Guichard, bildet die Parfümeure des Konzerns aus. Der Leiter der Parfümerie-Schule kämpft gegen starke Konkurrenz, denn pro Jahr entstehen weltweit über tausend Parfums. Und der Wunsch nach mehr Natur im Flakon hält auch dort Einzug und macht es schwieriger, ein umwerfendes Duftbouquet zu erfinden.

Komplexer werden die Kundenwünsche an die Aromalieferanten. Givaudan spielen die Ansprüche aber auch in die Hände. Nur grosse Konzerne sind in der Lage, sie zu erfüllen. Givaudan als Marktführer, der ebenfalls nahe Genf ansässige Privatkonzern Firmenich, IFF aus den USA und die deutsche Symrise kontrollieren nicht umsonst über die Hälfte des Weltmarkts für Aromen und Duftstoffe. 25 Prozent Marktanteil hält allein Givaudan, in der Luxusparfümerie gut 40 Prozent. Etwa jedes zweite Parfum weltweit kreiert der Marktführer.

Der Erfolg gibt Givaudan-Chef Gilles Andrier recht, der in seiner Freizeit selbst gerne kocht. Ruhig und zurückhaltend führt der 52-Jährige den Konzern und trieb dessen Umsatz auf 4,4 Milliarden Franken, den Gewinn auf 500 Millionen. Rund fünf Prozent organisches Wachstum will Andrier halten. Bei der Konzerngrösse kein Zuckerschlecken, zumal der Markt nur um bis zu drei Prozent wächst. Rund 4500 Mitarbeiter, die Hälfte der Givaudan-Mannschaft, arbeiten allein für den Erhalt der bisherigen Auftragsvolumen. Rund 20 Prozent der Orders laufen pro Jahr aus.

Für die nächsten Gesundheitstrends hat Givaudan neue Ideen gefunden: Salz, Zucker, Fett – die wichtigen Geschmacksträger – sind verpönt. Givaudans Forscher entwickeln Ausgleich dafür. In Japan fanden sie etwa Versuche mit Pilzen und Fischen, die Essenzen mit salzigem Eindruck ergaben. Manche Stärken fühlen sich im Mund an wie beim Zuckergenuss. «Zucker raus und Magie rein, das funktioniert nicht», sagt Häusler. «Wir tauschen Salz, Zucker und Fett nicht einfach durch Ersatzstoffe aus.» Durch spezielle Aromen versuche Givaudan, die Gerichte ohne die ungesunden Stoffe genauso schmackhaft zu machen.

Vorsichtig zukaufen

Um auf mehr Feldern mitzuspielen, will Andrier vorsichtig zukaufen. So kündigte er den Kauf der französischen Firma Soliance an, die für Kosmetik Inhaltsstoffe aus Pflanzen, Mikroorganismen und Mikroalgen entwickelt. Auch an der Zuger Capri-Sonne-Firma Wild Flavors wird Givaudan Interesse nachgesagt. Zu Givaudans Plänen würde der Anbieter natürlicher Lebensmittelzutaten passen – teuer aber wäre er mit gut 1,5 Milliarden Franken Firmenwert.

Übernahmen helfen bei der Suche nach Geschmacksnoten. Denn die sind schwerer aufzuspüren. Jahrzehnte durchforstete Givaudans Top-Forscher Roman Kaiser Schweizer Berghänge und Italiens Pinienhaine, saugte in Regenwäldern mit Glasglocken den Duft seltener Pflanzen ein. Heute lagern die Schätze als Formeln in der Trickkiste der Aromaentwickler, während Kaiser in Pension ist. Für alle Produkte Givaudans zusammen – Lebensmittel, Parfums, Kosmetik, Haushaltshelfer – haben die Entwickler 10 000 Rohstoffe, 4000 synthetische, 6000 natürliche. So gewaltig die Sammlung ist, zeigt sie aber ein Dilemma: Unentdeckte Duftstoffe gibt es kaum.

«Der Aufwand, ein unbekanntes Duftmolekül in der Natur aufzuspüren, ist enorm gross geworden und lohnt sich oft nicht mehr», sagt Givaudans Strategiemanager Markus Gautschi. Stattdessen suchen die Forscher heute eher nach stabileren Rohstoffen, solchen mit besserer oder länger anhaltender Wirkung.

Nachhaltige Projekte

Zugleich muss Givaudan ihre Naturressourcen schützen. Manche werden knapp, und kommt eine Zutat in die Kritik, weil sie nicht nachhaltig angebaut wird, gerät die Firma in Probleme. «Es ist uns äusserst wichtig, die Rohstoffversorgung zu sichern, sodass wir auch in Zukunft einzigartige Duftstoffe herstellen können», sagt Gilles Andrier. In Laos zog der Konzern eine Schule hoch, um die jungen Familien der Bergbauern zum Bleiben zu bewegen. Denn das warm duftende Baumharz, das sie in den Hügeln ihrer Wälder sammeln, dient als wichtige Parfumzutat. In Australien verdienen Aborigines heute, unterstützt von Givaudan, Geld mit dem Anbau einst fast ausgestorbener Sandelholzbäume. In Venezuela hilft der Konzern mit Wissen und Technik dem Criollo-Volk beim Anbau von Tonkabohnen, um den wichtigen Rohstoff für Luxusparfums zu sichern. Dafür schützen die Bauern zugleich den Urwald.

Gerade in Asien, Afrika und Lateinamerika lockt Givaudan noch unerforschtes Terrain. Beinahe die Hälfte des Erlöses bringen die Entwicklungsmärkte, und der Anteil soll steigen. Denn ganz andere Geschmäcker sind in den Ländern zu entschlüsseln und neue Aromen dafür zu entwickeln.

Auch wenn der Versuch, zum grössten Parfümeur aller Zeiten zu werden, den Duftenthusiasten Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Roman «Das Parfum» ins Verderben führte – eines wissen Givaudans Manager, bei denen Süskind vor Jahren seine Kenntnis über Düfte aufsog: Er machte einen Fehler. Seine Hauptfigur roch selbst nach nichts. «Das kann man nicht», sagt Chefentwickler Häusler. Das ist das Beruhigende für die Genfer: Alles ist Duft und Geschmack.

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