«Es begab sich aber zu der Zeit…» Diese Worte werden an Weihnachten tausendfach in Kirchen und Wohnzimmern zitiert. Wohl jeder Schweizer hat einmal in seinem Leben die Weihnachtsgeschichte vorgelesen oder vorgelesen bekommen. Die Bibel, selbst wenn kein regelmässiger Lesestoff, steht in den meisten Haushalten.

Die Bibel ist ein Bestseller. Ein Teil dieser Bücher kommt aus China – vom grössten Bibelproduzenten der Welt. Nirgendwo sonst werden so viele der heiligen Bücher gedruckt wie bei Amity Bible Printing Co., Ltd. in Nanjing, nordwestlich von Shanghai. Rund 13 Millionen Exemplare waren es in diesem Jahr, seit der Gründung der Fabrik sind insgesamt knapp 130 Millionen Bibeln gedruckt worden.

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Im Industriegebiet nahe Shanghai

Im grauen, gesichtslosen Gewerbegebiet in der Nähe des Südbahnhofs dröhnt und rattert es. Ununterbrochen ziehen die Druckmaschinen frische Papierbahnen ein. Sekunden später sind die Bahnen bedruckt und geschnitten, Arbeiter in blauer Kleidung sortieren sie mit der Hand vor.

Auf einer Palette wandern die Papierstapel in den Nebenraum, in eine riesige Fabrikhalle. Hier wird das Papier weiter sortiert, gepresst und gebunden. Blaue Spruchbänder fordern die Arbeiter zur Vorsicht auf. «Wir müssen wirklich aufpassen», sagt John Zhang, der in der Fabrik arbeitet. «Die Gefahr ist gross, dass uns sonst die ganze Hütte abbrennt, bei so viel Papier.» Feuerzeuge und Zigaretten sind in der Druckerei deshalb tabu.

Ein paar Meter weiter läuft die vollautomatische Presse. Sie presst das Papier und verpasst ihm einen festen Einband. Bis zu 70 gebundene Bücher spuckt die Maschine so pro Minute aus. «Es muss schnell gehen, zack, zack», sagt John Zhang, «sonst kommen wir mit den Aufträgen nicht hinterher.» Wegen der grossen Mengen ermahnt John Zhang seine Arbeitskollegen zur Sorgfalt: «Wir arbeiten mit den Worten Gottes», sagt er. «Das ist ein kostbares Gut. Sie sollten nicht von uns verändert werden.»

Wachsende Nachfrage

Die Nachfrage nach günstig produzierten Bibeln aus China wächst. Amity liefert vor allem nach Südamerika, nach Afrika und nach Europa. Die Aussichten für das Unternehmen sind gut, wächst doch die Zahl der Christen; in Südamerika, in Afrika und im Reich der Mitte. Was für die Drucker in Nanjing ein Grund zur Freude ist – mehr Christen bedeuten auch mehr verkaufte Bibeln –, ist für die chinesische Regierung jedoch ein Ärgernis.

Sie beobachtet die wachsende Beliebtheit des christlichen Glaubens in China mit Skepsis. Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung der chinesischen Gesellschaft suchen mehr und mehr Menschen nach einem tieferen Sinn für ihr Leben – und wenden sich christlichen Kirchen zu.

Qiu Zhonghui verfolgt schon seit Jahren, wie sich seine Landsleute vermehrt mit dem christlichen Glauben beschäftigen. «Seit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas hat die Zahl der Christen zugenommen», sagt der Vorstandsvorsitzende von Amity Bible Printing. Angesichts der rapiden Veränderungsgeschwindigkeit, der Turbo-Urbanisierung und des zunehmenden Drucks auf dem Arbeitsmarkt nehme das Bedürfnis nach Sinnstiftung in dem offiziell atheistischen Land zu, glaubt Qiu.

Sehnsucht nach Sinn im Leben fördert Absatz

Diese Sehnsucht befördert seine Geschäfte. Seit mehreren Jahren steigert Amity Bible Printing die Produktion. Schon seit 1987 druckt die Fabrik in Nanjing, zunächst nur für den chinesischen Markt. Nach der Jahrtausendwende kam der Export hinzu.

Heute liefert Amity Bible Printing heilige Bücher in rund 90 ausländische Sprachen, aber auch in Mandarin, in Kantonesisch und in chinesischen Minderheitendialekten. Über 600 Mitarbeiter hat die Fabrik derzeit, die Produktionskapazität ist dreimal so gross wie noch in den 80er-Jahren.

Hinter dem Unternehmen steht ein Joint Venture der Amity Foundation, einer Stiftung, und der United Bible Societies, dem Weltbund der Bibelgesellschaften mit Sitz in London. Die Produktion finanziert sich durch den Verkauf der Bibeln, durch Druckaufträge für Schulbücher und durch Papier- und Geldspenden.

Geringe Margen

Trotz der wachsenden Nachfrage ist es ein Geschäft mit geringen Margen, 2013 kam Nanjing Amity Printing auf einen Umsatz von nur 288 Millionen Renminbi, umgerechnet etwa 38 Millionen Euro.

«Wir sind kein normales Unternehmen», sagt Vorstand Qiu Zhonghui. «Wir sind nicht profitorientiert.» Dennoch will er mit seinen Bibeln Geld verdienen, mit den Erlösen werden unter anderem karitative Projekte in China und Afrika unterstützt. «Es stimmt deshalb nicht, dass es uns nicht auch ums Geld ginge», sagt der 59-Jährige.

Der christliche Glaube wird in der Volksrepublik allerdings mit Argwohn betrachtet, die Kirchen unterliegen strenger Kontrolle. Gottesdienste werden oftmals mit Videokameras überwacht, chinesische Staatsbürger dürfen nur an für sie vorgesehenen Gottesdiensten teilnehmen. Wer katholischen Glaubens ist, muss der Katholisch-Patriotischen Vereinigung beitreten, denn die Regierung in Peking akzeptiert den Papst nicht.

Mehr als 100 Millionen gläubige Chinesen

Vielleicht sind es daher vor allem die protestantischen Kirchen, die wachsen. Die Zahl der Gläubigen soll bereits bei über 100 Millionen liegen. Damit hätten die christlichen Kirchen mehr Mitglieder als die Kommunistische Partei Chinas, die nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua auf mehr als 85 Millionen Mitglieder kommt.

In einigen Städten sind deshalb in den vergangenen Jahren viele neue Kirchen gebaut worden. Nicht alle dürfen jedoch stehen bleiben, wie das Beispiel Sanjiang zeigt. Die Kirche nahe der Grossstadt Wenzhou wurde auf Anordnung der Regierung abgerissen. Wie der «Guardian» berichtete, soll es sich hier nicht um einen Einzelfall gehandelt haben.

Das ficht der Chef von Amity Bible Printing jedoch nicht an. Sein Unternehmen werde behandelt wie jedes andere chinesische Unternehmen, sagt Qiu Zhonghui. «Wir haben eine Geschäftslizenz und keinerlei Probleme», sagt er. Qiu hat häufig Besucher, auch aus dem Ausland. «Ich werde immer wieder gefragt, ob wir die Bibel zensieren», sagt er. «Das stimmt nicht. Die Regierung nimmt keinen Einfluss auf die Inhalte.»

Bibel-Verbrennung während Kulturrevolution

Während der Kulturrevolution war ein Grossteil der chinesischen Bibeln verbrannt worden, in der Folge mangelte es deshalb an Bibeln. «Der Import war in den 80er-Jahren viel zu teuer, deshalb entschieden wir uns, selber zu drucken», erklärt Amity-Vorstand Qiu. Das China Christian Council, die Dachorganisation der protestantischen Kirchen in China, verteilt die Bibeln in den Gemeinden.

Qiu Zhonghui will noch mehr Bibeln produzieren. «Bis zu 20 Millionen Stück können hier pro Jahr vom Band laufen.» An erster Stelle sollen seine chinesischen Glaubensbrüder stehen, «der Export ins Ausland kommt erst danach», sagt er.

Qiu wird schon bald expandieren müssen. Schon 2025, so schätzt ein Wissenschaftler der amerikanischen Purdue-Universität, wird die Zahl der Christen in China auf 160 Millionen angestiegen sein. «Das bedeutet, dass wir noch viel mehr drucken müssen», sagt Qiu.