Die Börsenkurse sind monatelang gestiegen. Können die Banken endlich wieder zur Normalität zurückkehren?

Hans Nützi: Die schlimmsten Zeiten sind vorüber, und zwar aus verschiedenen Gründen. Mit der Erholung an den Börsen sind die verwalteten Vermögen wieder gestiegen. Ausserdem haben die Banken auf die Vermögensverluste der letzten Jahre reagiert, indem sie neue Finanzinstrumente kreiert haben, welche die Vermögenssicherung beinhalten.

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Ist das die Lehre aus dem Börsencrash?

Nützi: Neue Finanzprodukte sind eine Folge des Börsencrash. Die Lehre für unsere Berater und Kunden lautet anders: Entscheidend bei der Geldanlage ist, dass die Kundenberater die individuellen Bedürfnisse sowie die Risikotoleranz der Kunden das heisst die Risikofähigkeit, Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung genau ausloten und die Anlagestrategie konsequent auf dieses Profil ausrichten.

Dabei dürfen sich weder die Berater noch die Kunden in Haussephasen von der Euphorie mitreissen lassen; verheerend ist es etwa, in solchen Phasen die Aktienquote blindlings zu erhöhen oder sogar Aktien mit Krediten zu kaufen. Die Anlagestrategie sollte keinesfalls opportunistisch angepasst werden. Eine Anpassung der Anlagestrategie drängt sich auf, wenn sich das Kundenprofil geändert hat.

Diese Binsenwahrheit ging in der Hausse vergessen.

Nützi: In der Hausse stellten die Kunden mit Frustration fest, dass die Börsen an ihnen vorbei liefen, und erhöhten die Aktienquote vielfach zu stark ein menschliches Phänomen.

Was unternehmen die Banken, damit sich die Kunden und ihre Betreuer nicht wieder aufs Glatteis begeben?

Nützi: Die Kunden müssen laufend über die Risiken orientiert werden. Das oberste Ziel aller Kunden ist es dabei, möglichst kein Geld zu verlieren. Zweitens wollen die Anleger natürlich an steigenden Kursen teilhaben.

Heute hat sich der Fokus klar von der relativen zur absoluten Performance verlagert; das heisst weg vom Indexdenken. Die Ausrichtung auf einen Index kommt aus dem institutionellen Geschäft und hat im Private Banking Verbreitung gefunden, obwohl die Privatkunden eigentlich zur absoluten Performance neigen. Sie geben der Bank ein zu erreichendes Renditeziel. Das ist heute die grosse Herausforderung für die Banken.

Um diesem Kundenbedürfnis zu entsprechen, hat die Bank Leu ein Vermögensverwaltungsmandat mit dem Namen «Leu Absolute» kreiert. Dieses wollen wir zu einem bisher auf dem Markt noch nicht verfügbaren Mandat weiterentwickeln, das den Kunden die Nulllinie sichert.

Also ein Vermögensverwaltungsmandat ohne Verlust.

Nützi: Genau: Wir wollen ein Mandat entwickeln, bei welchem ein Verlust nicht mehr möglich ist.

Über welchen Zeitraum wollen Sie diese Garantie geben?

Nützi: Jederzeit. Wir wollen die Nulllinie jeden Tag sicherstellen können.

Sind die Absicherungskosten dafür nicht zu hoch? Die Anleger verlieren bei steigenden Märkten unter Umständen einen hohen Teil der Performance, wenn ihre Bank den Erhalt des Vermögens garantieren will.

Nützi. Das darf nicht passieren, denn in diesem Fall würden wir Kunden verlieren. Wir wollen, dass unsere Kunden in einer Baisse kein Geld verlieren und in einer Hausse dabei sind vielleicht nicht zu 100%, aber zum grossen Teil. Sobald die Zinsen wieder steigen, ist die Konstruktion eines solchen Mandats einfacher.

Sie streben ein Mandat mit Kapitalgarantie an. Viele Banken bieten heute einzelne Finanzprodukte mit demselben Ziel an. Nur haben diese Finanzinstrumente manchmal eine Laufzeit von sechs bis zehn Jahren. Eine Garantie über eine so lange Zeit ist nicht gerade eine herausragende Leistung.

Nützi: Wir streben ein Produkt mit Kapitalsicherung an. Bei einigen der von Ihnen erwähnten Produkte frage ich mich auch, was daran für die Kunden attraktiv sein soll. Immerhin ist der Wert eines solchen Instruments der vollen Volatilität des Marktes ausgeliefert und kann unter Umständen während der langen Laufzeit deutlich ins Minus fallen.

Produkte mit kürzeren Laufzeiten machen dagegen in einer abgestimmten Asset Allocation sehr viel Sinn. Wichtig ist vor allem auch, dass die Kunden genau verstehen, was sie kaufen.

Und bei langen Laufzeiten hat Pech, wer plötzlich Geld braucht.

Nützi: Es macht im Interesse der Kunden wenig Sinn, ein solches Produkt vor Ablauf zu verkaufen, weil das Produkt als solches nur seine vollen Möglichkeiten hat, wenn es über die ganze Laufzeit gehalten wird. Die Kunden müssen damit rechnen, dass sie ihr Geld einige Jahre nicht anrühren können.

Solche Produkte gefallen Ihnen nicht.

Nützi: Doch wenn sie den Bedürfnissen und dem Risikoprofil des Kunden entsprechen.

Finanzprodukte mit Kapitalschutz und strukturierte Instrumente sind im allgemeinen ein Riesenthema. Besteht nicht die Gefahr, dass die Anleger in fünf Jahren eine neue Enttäuschung erleben, weil das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht stimmt?

Nützi: Nein: Alles hängt von der Ausgestaltung ab. Unser Anspruch ist es, bei der Produktentwicklung in der vordersten Linie zu stehen. Immerhin war die Bank Leu beispielsweise das erste Institut, das mit dem «Absolute» Mandat ein Produkt auf kundenindividueller Basis auf den Markt gebracht hat. Weitere Innovationen sind in Planung bzw. in der Entwicklung.

Ein anderes Beispiel ist unser im vergangenen Jahr lancierte Leu Cat-Bond-Fund, der in so genannte Katastrophenbonds investiert. Mit dem Ziel, eine neue, marktunabhängige Anlageklasse zu schaffen, gelang es uns, mit diesem alternativen Fund-of-Funds-Produkt eine Weltneuheit zu entwickeln. Die Nachfrage nach diesem Fonds war schliesslich so hoch, dass sie das Angebot an Risikoinstrumenten bei weitem überstieg

Viele Anleger sind trotzdem skeptisch eingestellt gegenüber all den alternativen Produkten, die eine absolute Rendite anstreben oder mit anderen Anlageklassen nicht korrelieren. Sie haben den Verdacht, dass die Banken damit ihren Ertrag maximieren wollen.

Nützi: Die Banken müssen die Bedürfnisse der Kunden abdecken. Wenn die Performance für die Kunden netto stimmt, sehe ich hier kein Problem. Die Gebühren müssen jedoch transparent sein.

Anlagekunden rechnen in langen Zeiträumen, während bei den baissegeplagten Banken derzeit das Ergebnis des nächsten Halbjahr stimmen muss.

Nützi: Dies mag auf einige Banken zutreffen. Wir verfolgen eine andere Strategie. Im letzten Jahr haben wir die Bank Leu neu positioniert. Wir wollen langfristig zu den bedeutendsten Privatbanken der Schweiz gehören, weshalb wir nicht auf das Ergebnis des nächsten Halbjahres schielen.

Sie haben aber auch den Eindruck, dass bei gewissen Banken der aggressive Produktverkauf einen hohen Stellenwert eingenommen hat?

Nützi: Die Gefahr besteht immer, wenn die Banken weniger verdienen. Letztlich haben die Banken aber Kunden, denen sie integrale Lösungen präsentieren müssen. Wer dies leistet, verdient langfristig auch gut.

Wir werden in fünf Jahren sehen, ob diese Lösungen auch den Kunden etwas gebracht haben. Nicht alle Banken können mit ihren neuen Produkten Erfolg haben.

Nützi: Die Kunden sollten keine unrealistischen Erwartungen haben. Niemand darf sich der Illusion hingeben, dass ein Vermögensverwalter die Indizes langfristig systematisch schlagen kann. Jene Produkte, die vor drei oder vier Jahren ausgegeben wurden und jetzt fällig werden, haben die Kunden nicht enttäuscht.

Wenn die Indizes langfristig nicht geschlagen werden können, warum investieren Sie denn nicht entlang der Indizes? Das wäre günstiger.

Nützi: In diesem Fall müssten sich die Kunden auf periodische Verluste gefasst machen. Genau das wollen wir aber verhindern. Wie gesagt, Privatkunden denken in absoluter und nicht in relativer Performance. Wir wollen den Kunden helfen, Verluste zu vermeiden und die Risiken zu minimieren. Dafür muss die Bank aber die richtigen Produkte einsetzen.

Eine Vielfalt an Produkten birgt auch Gefahren. Plötzlich haben die Kunden Klumpenrisiken, weil niemand mehr den Überblick hat, was in den einzelnen Produkten eigentlich alles drin steckt.

Nützi: Diese Gefahr besteht. Die Kunden besitzen eine Portefeuille, von dem sie vielfach nicht mehr wissen, wie die einzelnen Teile zueinander korrelieren. Hier ist die Professionalität der Bank gefragt. Und wie gesagt: Die Kunden sollten nicht in Euphorie verfallen und zu viel auf eine Karte setzen.

Es gibt heute Anleger, die in Gold ein Allheilmittel sehen. Eine Preiskorrektur können sie sich gar nicht mehr vorstellen. Sie legen deshalb ihr Geld in Goldminenaktien, Goldzertifikaten und weiteren Goldinstrumenten an. Der Goldpreis steigt, und alle sind zufrieden. Hier müsste der Betreuer die Notbremse ziehen und den Kunden darüber aufklären, was passiert, wenn der Goldpreis plötzlich deutlich fällt. Wie seinerzeit bei den Aktien wird, fürchte ich, zurzeit bei Goldanlagen vielfach übertrieben. Die Anleger sind geneigt, entgegen ihrem Risikoprofil zu handeln. Und genau hier zeigt sich der Mehrwert einer professionellen Beratung: Wir verwalten für unsere Kunden nicht nur Vermögen, sondern managen vor allem Risiken.

Das heisst, dass die einfache Asset Allocation mit Aktien, Obligationen und Cash nicht mehr reicht, um die Privatkunden zufriedenzustellen.

Nützi: In der Schweiz genügt eine solche Vermögensverwaltung nicht mehr. Die Banken kämpfen in einem gesättigten Markt um jeden Kunden. Es herrscht ein Verdrängungswettbewerb. Wer als Bank in diesem Geschäft vorwärts kommen will, muss innovative und lösungsorientierte Dienstleistungen anbieten. Wer sich solchen Wünschen verschliesst, schwimmt mit dem Strom und verliert langfristig Kunden.

Die Banken sind gezwungen, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen und neue Wege zu beschreiten. Das Vermögensverwaltungsgeschäft wird immer professioneller und globaler. Diese Tendenz hat mit der unterschiedlichen Entwicklung der verschiedenen Weltregionen an Bedeutung gewonnen. So ist zum Beispiel der Emissionsmarkt im Fernen Osten im Gegensatz zu jenem in Europa derzeit sehr aktiv. Diesen einzuschätzen und die Risiken zu beurteilen, erfordert hohes Know-how.

Sind kleine und mittelgrosse Vermögensverwalter überhaupt in der Lage, eine ferne Anlageregion wie China im Auge zu behalten?

Nützi: Ja, ich bin überzeugt, dass es möglich ist, als professionelle Privatbank unserer Grössenordnung sämtliche Märkte zu beurteilen und zu verstehen. Dies erfordert allerdings eine hohe Qualität der Mitarbeiter im Research.

Kaufen Sie auch Finanzprodukte ein?

Nützi: Eine mittelgrosse Bank muss sich fragen, welche Finanzprodukte sie selber entwickeln will. Wir glauben, dass wir bei alternativen und strukturierten Produkten über ein sehr grosses Fachwissen und langjährige Erfahrung verfügen. Auf diesen Gebieten entwickeln wir eigene Produkte. Wir haben aber auch eine offene Produktpalette, das heisst wir bieten unsere Produkte anderen Banken an und offerieren gleichzeitig unseren Kunden nach dem «Best in Class»-Prinzip auch Drittprodukte.

Der Verkauf von Drittprodukten macht die Arbeit der Kundenberater aber anspruchsvoller.

Nützi: Unsere Berater haben im internationalen Vergleich ein sehr hohes Ausbildungsniveau. Die höheren Anforderungen in der Kundenberatung und die Komplexität der Produkte erfordern eine zunehmende Bereitschaft der Berater, sich ständig weiter auszubilden.



Profil: Steckbrief

Name: Hans Nützi

Funktion: CEO Bank Leu

Geboren: 1954

Familie: Verheiratet, drei Kinder

Karriere:

1993-1997 Bereichsleiter Anlagekunden und institutionelle Anleger Credit Suisse Zürich

1997-1998 Leiter Region Zürich-Bahnhofstrasse/Zürich-West, Credit Suisse Private Banking

1998-2002 Leiter der Region Zentralschweiz Credit Suisse Private Banking

2002-2003 Leiter Market Group I Credit Suisse Private Banking

Seit 2003 CEO Bank Leu