Hard Seltzer: Blöterliwasser mit Alkohol erobert den Getränkemarkt

Ein kurzes Zischen, ein Stechen in der Nase. Da ist Frucht und Perlage, ein Hauch Alkohol. Wer seinen ersten Schluck Hard Seltzer nimmt, setzt sich einem unerwarteten Erlebnis aus. Und wundert sich beim zweiten Blick aufs Büchsenetikett: Hard what? So neu wie die Bölkstoff-Sensorik ist auch die Getränkegattung. 2016 zeigte sich das Hard-Seltzer-Phänomen erstmals in den USA; mit White Claw bildete sich rasch eine Vorreitermarke. Die neue Getränkekategorie wuchs raketenartig. 2019 war der US-amerikanische Hard-Seltzer-Markt gemäss dem Fachportal «Just Drinks» noch 1,6 Milliarden Dollar schwer; dieses Jahr soll er auf über 4 Milliarden anwachsen. Wichtiger Unterschied zu Alcopops «Ich habe in den letzten 15 Jahren nichts Grösseres gesehen im Getränkesektor», sagt Arturo Sutter, Chef der unabhängigen Zürcher Getränkefirma Trivarga. «Hard Seltzer ist mit grosser Wahrscheinlichkeit das nächste grosse Ding.» Wörtlich übersetzt Sutter den Gattungsnamen «Hard Seltzer» so: «Karbonisiertes Mineralwasser, versetzt mit Alkohol und Aromen.» Etwas knapper liesse sich helvetisieren: Blöterliwasser mit Strom. Der Hard-Seltzer-Boom erinnert an die zuckrigen Alcopops, die in den neunziger Jahren Heerscharen von Teenies zum Alkohol (ver-)führten. Aber die aktuelle Trendgattung ist schwächer getaktet. Das «harte Sprudelwasser», ausgestattet mit einem ähnlichen Volumenprozent wie Bier, beinhaltet im Wesentlichen drei Zutaten: Blöterliwasser, Alkohol und Geschmacksstoffe. Der Alkohol stammt dabei meistens aus der Gärung von Malz oder Zucker oder aus Spirituosen, die beigemischt werden. Der kleine, aber feine Unterschied zum Alcopop: Im letzteren Fall wird das Endprodukt höher besteuert und unterliegt dem Alkoholgesetz. In der Praxis übersetzt sich dies in kleineren Margen und Einschränkungen im Werbeauftritt. In die Schweiz fand White Claw Anfang 2020 über den Getränkehändler Drinks of the World, der mit seinen Filialen in den Bahnhöfen nahe am Trend segelt. «Wir nahmen das im Februar ins Sortiment auf», sagt Geschäftsführer und Inhaber Stefan Müller. Es laufe gut, «aber die erste Welle ist bereits ein wenig vorbei». Viele Produzenten versuchten jetzt, auf den Zug aufzuspringen. Müller hat Bedenken: «Unsere Erfahrung zeigt, dass die Konsumenten bisher nur zum Original greifen.» Wer erst jetzt einsteige, sei wohl zu spät. Rund zehn Schweizer Marken, Against the Grain, Bubblz, Dr. Gabs, Limmatwasser, Nylo, Sparklys oder Yeaah benamst, tummeln sich schon im Markt. Hard Seltzer, sagt Sutter, habe einen wichtigen Benefit. Es sei vor allem eine Alternative für Bierkonsumenten: «Es enthält gleich viel Alkohol wie Bier, aber wesentlich weniger Kalorien. Deshalb fürchten sich auch alle Brauereien vor der Konkurrenz.» Oder sie mischen selber mit. Die Appenzeller Brauerei Locher etwa ist Lohnabfüllerin für Yeaah, was ermögliche, «in diesem neuen Feld Erfahrungen zu sammeln, ohne inhouse eine Marke zu lancieren», sagt Geschäftsleiter Aurèle Meyer. Dem Vernehmen nach steht auch Schützengarten in den Startlöchern. Die St. Galler Regionalbrauerei setzte schon in den letzten Jahren zunehmend auf Mischgetränke – mit und ohne Alkohol – und sammelte Erfahrungen mit einem Low-Carb-Bier. Geschäftsführer Reto Preisig bestätigt: «Wir prüfen und testen laufend neue Kreationen, dabei ist auch Hard Seltzer ein Thema.» Sehr schnell schaltete Arturo Sutter mit seinem Hard-Seltzer-Getränk Luke’s: «In nur zehn Wochen haben wir die Marke entwickelt und in die Regale gebracht.» «Das Hard-Seltzer-Getränk Luke’s ist bei uns seit Ende September national fest eingelistet», bestätigt eine Denner-Sprecherin. Zu einem Raketenstart kam es hier offenbar noch nicht: «Aufgrund der kurzen Verkaufszeit können wir noch nicht sagen, ob es einen Run auf dieses Produkt gibt.» Coca-Cola steht mit Hard Seltzer bereit Erstaunlich ist das nicht. Das Terrain war nicht ideal im ersten Schweizer Hard-Seltzer-Sommer. Corona verunmöglichte grössere Partys. Viele der oft trendbildenden Open-Air-Festivals wurden abgesagt. Hilfreich für den Durchbruch könnte ein Konzern sein, der den Trend aus den USA grossflächig in die Schweiz bringt. Das würde der ganzen Kategorie die nötige Aufmerksamkeit bringen. So wie in den neunziger Jahren, als Red Bull die Gattung der Energydrinks etablierte und daneben Platz für andere Marken schuf. Im Falle der Hard Seltzers steht der Riese bereit. Einer, den wohl niemand auf dem Hard-Zettel hatte: Coca-Cola. Tatsächlich betritt der Softdrinkriese mit seiner Hard-Seltzer-Marke Topo Chico komplett neues Terrain. Erstmals in der über hundertjährigen Firmengeschichte lanciert das US-Unternehmen weltweit ein alkoholisches Getränk. In Österreich ist die Markteinführung im Gange. Hard Seltzer sei interessant, sagt Matthias Schneider, Sprecher von Coca-Cola Schweiz, weil das Unternehmen so «auch Konsumentinnen und Konsumenten in bisher nicht abgedeckten Bereichen wie leichten Bieren oder Cocktails» erreiche. Ob Coke seinen Hard Seltzer hierzulande einführt, verrät Schneider nicht: «Topo Chico ist ein Thema für den Schweizer Markt; ob und wann wir es hier lancieren, ist noch nicht entschieden.» Jüngst liess Coca-Cola in der Schweiz Topo Chico als Marke und Webdomain schützen. Insider gehen davon aus, dass Coca-Cola Schweiz nächsten Mai mit seinem harten Blöterliwasser startet. Zwar sind auch die Brause-Barone aus Atlanta nicht gefeit vor Flops. Doch wenn Coke den Marketinghahn aufdreht, dürfte das der ganzen Kategorie Flügel verleihen. Bis keiner mehr fragt: «Hard what?» Die Rolle des Schweizer Trendsetters aber gebührt nicht Coke, Luke’s oder Yeaah – sondern dem Bund. Dort ahnte man die Süffigkeit des Themas schon im Frühling. Die Zollverwaltung, Sektion Spirituosensteuer, agierte im Mai 2020. Mit einem sechsseitigen Merkblatt: «Alcopos, Gärpops und Hard Seltzers». Der Durst nach Steuern versiegt nie.