Heidi Schelbert hat keine Kinder, dafür mehr als ein Dutzend Schlittenhunde. «Ich wollte nicht auf die Karriere verzichten. Und damals war es noch weniger möglich als heute, beides zu haben», sagt die emeritierte Professorin für Volkswirtschaftslehre. Die 73-Jährige hat 1970 das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich mitbegründet, war im Plenum und Ausschuss des Schweizerischen Wissenschaftsrates und anderer Gremien sowie Teilnehmerin von mehreren Erstbegehungen und Kletterexpeditionen auf über 7000 Metern und am Polarkeis. Hausfrauen beäugten dagegen kritisch ihren Mann Albin, wenn dieser wochentags im Lebensmittelgeschäft einkaufte. Dass er zuhause als Designer arbeitete, galt als suspekt. «Noch immer hat sich diesbezüglich in der Schweiz nicht viel geändert», bemängelt Schelbert, «für Männer ist und bleibt es schwieriger, Teilzeit oder zuhause zu arbeiten. Sie sinken im Prestige.»

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Das ist nicht bloss Privatsache: Es droht zu einem volkswirtschaftlichen Problem zu werden. Zum einen sind zwar in der Schweiz überdurchschnittlich viele Frauen berufstätig; nämlich 72% (der Durchschnitt aller OECD-Länder beträgt 60%). Verheerend ist allerdings, dass diese Frauen nicht als zusätzliche Arbeitskräfte das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Sie besetzen keine neuen Stellen, weil sie wegen fehlender Möglichkeiten zur Kinderbetreuung überwiegend Teilzeit arbeiten. Es werden also bloss die bestehenden Stellen auf mehr Köpfe verteilt, ohne dass die Produktion sich erhöht.

Ebenso unerfreulich ist die Tatsache, dass die Schweizer Frauen im Durchschnitt gerade eben mal 1,4 Kinder auf die Welt bringen. 2,1 Kinder pro Frau wären jedoch nötig, um den Bevölkerungsbestand zu sichern. 40% der 40-jährigen Frauen mit einer höheren Ausbildung sind heute kinderlos. Und ein beträchtlicher Teil der Familien in diesem Alter hat weniger Kinder als eigentlich gewünscht.

Kinderkriegen attraktiver machen

«Die Ursache liegt darin, dass die Leute aus ökonomischer Sicht ihren Nutzen optimieren», sagt Schelbert. Mit anderen Worten: Hohe Kosten und grosse Umtriebe vermiesen den Frauen sowohl das Kinderkriegen wie auch das Karrieremachen. «Man kann die Menschen nicht zum Kinderkriegen zwingen», findet die Volkswirtschaftlerin, «aber der Staat kann etwas tun, damit das Kinderkriegen attraktiver wird.»

Für Schelbert hat dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oberste Priorität. Mehr Kinderkrippen, Tagesschulen oder höhere Familienzulagen allein genügen ihres Erachtens jedoch nicht. «Auch die Finanzierung muss anders geregelt werden», meint sie. Es sei unattraktiv für Frauen zu arbeiten, wenn die Kinderbetreuung einkommensabhängig finanziert werden müsse. «Stattdessen sollte der Staat Betreuungsgutscheine nach Arbeitsprozenten verteilen», schlägt Schelbert vor. Für ärmere Familien käme überdies ein Verbilligungssystem analog zur KVG-Grundversicherung in Frage.

Zudem müsse unbedingt die Individualbesteuerung vorangetrieben werden. Auch möchte Schelbert einen Steuerabzug für alle anfallenden Kosten der Fremdbetreuung schaffen. «Überlegenswert wäre auch auf Bundesebene ein stärkerer finanzieller Beizug der Wirtschaft an die Schaffung von zusätzlichen Krippenplätzen», findet sie. Die Ökonomin denkt daran, die Beiträge für die Erwerbsersatzordnung (EO) anzuheben. Unternehmen, die selbst Krippenplätze schaffen, würden eine Rückvergütung erhalten.

«Die Wirtschaft muss nicht nur finanziell stärker in die Familienpolitik eingebunden werden», ist Schelbert überzeugt. Es müsse ein grundlegendes Umdenken bei der Karriereförderung von Frauen stattfinden. Als vordringlich erachtet sie die Schaffung von mehr anspruchsvollen Teilzeitstellen. «Die Diskriminierung von Frauen verschwindet nur, wenn es möglich wird, Topstellen im Jobsharing zu besetzen.» Dann würde es auch Männern leichter fallen, Teilzeit zu arbeiten und sich aktiv an der Kinderbetreuung zu beteiligen. «Ein ausgetrockneter Arbeitsmarkt kann diese Entwicklung fördern», ist sie überzeugt. Schelbert verweist auf die Informatikbranche, in der in den 60er- und 70er Jahren kleine und flexible Teilzeitpensen möglich waren.

Anspruchsvolle Teilzeitstellen

Daneben fordert sich auch von den Frauen selbst mehr Druck auf die Gesellschaft. «Noch immer verfügen viele Frauen über ein zu kleines Selbstbewusstsein. Sie sind oft zu risikoscheu.» Schelbert führt diesen Sachverhalt auf die noch immer vorhandenen Erziehungsunterschiede bei Mädchen und Buben zurück. «Gerade Frauenvereinigungen sollten sich deshalb nicht nur auf die eigenen Probleme im Erwerbsleben fokussieren, sondern aktiv eine Vorbildfunktion für junge Frauen einnehmen», findet sie. «Und schliesslich müssen junge Frauen selbst die Idee des Märchenprinzen aufgeben lernen. Ein guter Partner, der sich an der Kinderbetreuung beteiligt, muss ein Kumpel sein. Prinzen geben sich mit so etwas nicht ab.»

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Serie: Reformdebatte (5) – Heidi Schelbert

Bereits erschienen sind die Reformideen von Walter Wittmann, emeritierter Professor der Universität Freiburg («Handelszeitung» Nr. 27), George Sheldon, Professor der Universität Basel (Nr. 28), Heinrich Brändli, emeritierter Professor der ETH Zürich (Nr. 29) und Glücksforscher Bruno S. Frey (Nr. 30). Nächste Woche erscheinen die Reformideen von Bernd Schips, ehemaliger Leiter der ETH-Konjunkturforschungsstelle Kof und Gesundheitsökonom.

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Fakten: Zur Person

Heidi Schelbert

Sie ist emeritierte Professorin für Volkswirtschaftslehre. Schelbert hat 1970 das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich mitbegründet und war im Plenum und Ausschuss des Schweizerischen Wissenschaftsrates und anderer Gremien. Sie ist Autorin von Aufsätzen und Büchern wie «Wertvolle Natur: Was kann die Ökonomie zur Erhaltung der natürlichen Mitwelt beitragen?», «Schweizerische Wirtschaftsentwicklung seit 1950», «Wechselkurse und Zinssätze: Einige theoretische und empirische Aspekte» oder «Schlittenhunde: Eine Rasse für Mensch und Sport».

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Familienpolitik

Die Probleme

Einerseits kann das Erwerbspotenzial der Frauen aufgrund fehlender familienergänzender Betreuungsstrukturen nicht optimal ausgenützt werden. Dies wirkt sich angesichts des demografisch bedingten, drohenden Arbeitskräftemangels nachteilig auf das Volkswirtschaftswachstum aus. Andererseits wird die Überalterung der Bevölkerung durch die niedrige Geburtenquote von 1,4 Kindern pro Frau in der Schweiz verschärft.

Schelberts Lösungen

• Aufheben des tradierten Geschlechter-Rollenschemas.

• Finanzierung der ausserfamiliären Kinderbetreuung über

Betreuungsgutschriften nach Arbeitsprozenten.

• Verbilligung für Familien; ergänzende Kinderbetreuung für einkommensschwache Familien analog zur KVG-Prämienverbilligung.

• Beteiligung der Wirtschaft an der Schaffung von Krippenplätzen über EO-Anteile.

• Schaffung von mehr anspruchsvolle Teilzeitstellen in der Wirtschaft.