Den Einstieg in den neuen Job hätte sich Marcel Borgo (54) wohl schöner vorgestellt. Sein ganzes Berufsleben hat er bei Hewlett-Packard oder deren Vorgängerfirmen verbracht, zum 1. Dezember ist er nun oben angekommen: Er übernimmt die Leitung von HP Schweiz, und seine erste Aufgabe wird das Stellenstreichen sein: 232 oder zehn Prozent aller Mitarbeiter muss er abbauen. Weltweit fallen gar 29 000 Jobs dem Rotstift zum Opfer, das grösste Sparprogramm, das der IT-Konzern je beschlossen hat. Auch die Europazentrale in Genf ist betroffen. «Abbau mit Anstand heisst die Losung», sagt Borgo und hofft, dass er aufgrund des langen Umsetzungszeitraums von zwei Jahren Härtefälle vermeiden kann. Er folgt auf Hauke Stars, welche die Landesorganisation fast sechs Jahre lang geleitet und 2011 ein Rekordjahr hingelegt hat. Stars wird oberste Informatikchefin der Deutschen Börse, eines DAX-Konzerns.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Borgo übernimmt das Steuer der Büros in Dübendorf, Bern und Genf in schwieriger Zeit: Im letzten Quartal verzeichnete HP einen Verlust von 8,9 Milliarden Dollar, den grössten in der 73-jährigen Firmengeschichte. Der Umsatz fiel zuletzt um fünf Prozent. Selbst über eine Zerschlagung wird schon spekuliert: «Wir bezweifeln, dass HP als Einheit wirklich besser dran ist; möglicherweise wäre es stattdessen viel intelligenter, auseinanderzugehen», liess sich Steven Milunovich, renommierter IT-Analyst bei der UBS in New York, kürzlich vernehmen. Zu allem Überfluss verkündeten die Marktforscher von Gartner Mitte Oktober auch noch, dass der chinesische Herausforderer Lenovo HP als weltgrössten PC-Produzenten abgelöst habe (das Konkurrenzinstitut IDC liegt noch leicht hinter HP). Dabei war der Konzern aus Palo Alto vor zwei Jahren mit Marktanteilen um 20 Prozent noch der unangefochtene Weltmarktführer im PC-Geschäft.

Sieben Jahre, sieben Chefs. Die 337 000 Mitarbeiter der US-Ikone sind tief verunsichert: Sieben Chefs mussten sie in ebenso vielen Jahren über sich ergehen lassen, davon vier allein in den letzten zweieinhalb Jahren. Mark Hurd, ein Zahlengenie, das die Welt auf Spreadsheets reduziert, hatte konsequent die Kosten gesenkt, aber die Kultur missachtet und die Mitarbeiter mit seinem Sparkurs an den Rand des Wahnsinns gebracht. In manchen Büros wurden die Lichter zum Stromsparen um 18 Uhr automatisch gelöscht und die Angestellten so vertrieben; in anderen wurde der Abfall nicht mehr entsorgt, sodass die Mitarbeiter die Müllsäcke schliesslich nach Hause mitnahmen. Im August 2010 musste Hurd gehen wegen einer gefälschten Spesenabrechnung in Zusammenhang mit einer Affäre mit einer Mitarbeiterin.

Was – nach einem kurzen Interregnum der Finanzchefin Cathie Lesjak – folgte, war nicht viel besser: Léo Apotheker, zuvor Kurzzeit-CEO bei SAP und ein Visionär, der genau wusste, wohin er die Firma bringen wollte. Dummerweise war diese Vision mit der Historie von HP nicht in Einklang zu bringen. Der Deutsche dachte öffentlich darüber nach, ähnlich wie IBM das Kerngeschäft der Personal Computer zu verkaufen – mit der Folge, dass die Bestellungen über Nacht einbrachen. Und Apotheker kaufte die britische Softwarefirma Autonomy für überrissene zwölf Milliarden Dollar. In seiner Amtszeit sank der Aktienkurs um 45 Prozent – nach nur zehn Monaten musste er gehen.

Und jetzt also Meg Whitman, jene Frau, die eBay von der Garagenfirma zum Weltkonzern aufbaute und dabei selber Milliardärin wurde, die 2010 erfolglos für das Gouverneursamt in Kalifornien kandidierte und kurze Zeit später als Board-Mitglied zu HP stiess. Neun Monate darauf war sie CEO, nolens volens, und steht jetzt vor der wohl schwierigsten Aufgabe, die das Silicon Valley zu vergeben hat: den 130-Milliarden-Dollar-Konzern wieder in ruhige Fahrwasser zurückzuführen. Dieses und nächstes Jahr dürften Umsatz und Gewinn zurückgehen, erst 2016 soll der Konzern wenigstens wieder so schnell wachsen wie die Wirtschaft. Die Börse hat das gar nicht goutiert; die Aktie verlor nach der Ankündigung weitere 13 Prozent, aber angesichts der Mammutaufgabe ist der Zeitplan wohl realistisch. Trotz allen Problemen ist die Ausgangsposition eigentlich stark. Noch immer ist HP in vielen Bereichen Weltmarktführer, sei es bei Druckern, Servern oder Workstations, und in den verschiedenen Verkaufskanälen ist der Konzern präsent wie kaum ein anderer Hersteller.

«Better together», besser zusammen, lautet das offizielle Motto von Whitman. Die Versicherung, dass man felsenfest am PC-Geschäft festhalte, war ein erster Schritt auf dem langen Weg, das Vertrauen zurückzugewinnen. Damit auch nicht der Hauch eines Zweifels bleibt, hat sie das PC- und Druckergeschäft zu einer 65 Milliarden Dollar grossen Einheit fusioniert. Statt gesamthaft sechs Verkaufsteams gibt es neu nur noch drei, statt zwölf Support-Organisationen noch sieben. Auch die bisweilen ausufernde Modellpalette wird drastisch reduziert: im Druckergeschäft um 30, im PC-Bereich um 25 Prozent. Ähnliches gilt beim Sorgenkind EDS, jenem IT-Dienstleister, den HP 2008 für 14 Milliarden Dollar übernahm, um zum Branchenführer IBM aufzuschliessen. Dort sind Umsatz, Margen und Marktanteile rückläufig; HP schrieb bereits Milliarden ab. In Zukunft wolle EDS die Aufträge strenger auswählen und auf die Margen achten, liess Whitman verkünden. Der Bereich wird vom Stellenabbau am stärksten betroffen sein.

Tablets und Smartphones. Nach dem Abbau der 29 000 Stellen wird HP wieder so viele Mitarbeiter haben wie 2009. Der Schritt soll Ressourcen freimachen, damit der Konzern wieder investieren kann in jene Bereiche, die der Sparwut Hurds oder dem Irrweg Apothekers zum Opfer fielen. Etwa in Tablets, einen stark wachsenden Markt, der das Kerngeschäft von HP mit PC erodieren lässt. HP war – nach Apple – einer der ersten Hersteller, die dort aktiv wurden. 2010 kaufte man gar für 1,2 Milliarden den strauchelnden Tablet- und Smartphonehersteller Palm, um dessen Betriebssystem WebOS als dritte grosse Kraft neben Apples iOS und Googles Android zu etablieren. Doch nach harzigem Start stellte Apotheker das Geschäft kurzerhand ersatzlos ein. Whitman machte den Entscheid wieder rückgängig. Eben lancierte man die ersten Tablets auf Windows-8-Basis. Auch der Wiedereinstieg in den Telefonmarkt steht bevor. «Letztlich werden wir ein Smartphone anbieten müssen», sagt Whitman. «Es gibt Länder der Welt, in denen die Menschen niemals ein Tablet oder einen PC besitzen werden und alles über das Telefon erledigen.»

Ist Whitmans Strategie im Grossen und Ganzen also jene der Ära vor Apotheker? «Das kann man so sehen», sagt Bill Veghte, als COO der neue starke Mann (siehe Interview). Doch es gibt Unterschiede. Zum einen werden die unter Hurd radikal gekürzten Forschungsetats wieder aufgestockt, in der Hoffnung, dass HP ähnliche Blockbuster lanciert wie einst mit den Inkjets und Laserjets. Zum anderen wird Software immer bedeutender. Bereits ist HP der fünftgrösste Softwarehersteller der Welt, und der Anteil am Gesamtgeschäft (bislang drei Prozent) soll ausgebaut werden.

Marcel Borgo wird als Chef von HP Schweiz, die mit 1,9 Milliarden Umsatz eine reine Verkaufs- und Serviceorganisation ist, teilweise andere Schwerpunkte setzen. Zum einen beim Thema Cloud Computing – schliesslich ist das europäische Cloud Service Center von HP in der Schweiz angesiedelt. Zum anderen im ganzen Bereich Security, der in Zeiten von vermehrtem Datendiebstahl und Cyberattacken an Bedeutung gewinnt, insbesondere bei der hiesigen Finanzindustrie. Zum Dritten will er Schweizer Firmen helfen, sich durch ihre unstrukturierten Datenberge wie E-Mails, Präsentationen oder Videos zu kämpfen. Hier spielt die Neuerwerbung Autonomy eine grosse Rolle.

«Jeden Morgen kurz nach sieben gehe ich mit meinem Team einen Kaffee trinken», beschreibt Borgo seinen Führungsstil. «Dann erläutern wir in ungezwungener Atmosphäre die Lage der Nation und wie wir für unseren Kunden Mehrwert schaffen können.» Letzteres wird, sofern es ihm gelingt, der deutlich angenehmere Teil seines neuen Jobs sein.