Praktisch, lebensnah und an ausgewiesenen Bedürfnissen orientiert, begann Rotary kurz nach der Gründung sein karitatives Engagement, indem er beim Rathaus von Chicago eine öffentliche Toilette erstellte. Das passt bis heute zum Stil des vor hundert Jahren gegründeten Serviceclubs, der Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Politik vereint. Geprägt von Praktikern, die im beruflichen Alltag Probleme lösen, verschreiben sich Rotarier auch im Karitativen mehr der effizienten Umsetzung konkreter Ziele als abstrakten Idealen.

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Das bedeutendste rotarische Sozialprojekt begann 1979, als Rotary International der Kinderlähmung den Kampf ansagte. Innert fünf Jahren erhielten sechs Millionen philippinische Kinder eine Schluckimpfung. 1985 initiierte Rotary eine Stiftung von 120 Millionen Dollar und gewann die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Partner. Bis zum heutigen Tag hat Rotary International über 600 Millionen Dollar für das Projekt aufgebracht. Tausende Rotarier haben persönlich in Ländern Schwarzafrikas und in Indien «nationale Impftage» organisiert, was die Überwindung grosser Schwierigkeiten insbesondere logistischer Art erforderte.

Doch der Einsatz hat sich gelohnt. Zwar flackert Polio ab und zu noch auf, und in Nigeria gilt es noch immer, Vorurteile gegen Impfungen abzubauen, aber Polio gilt heute als weitgehend besiegt.

Im gleichen Geiste unterstützt die Rotary Foundation weltweite Projekte zu Gunsten der Ärmsten sowie Bildungs- und Austauschprogramme und stellt mit ihren Scholarships das grösste private Stipendienprogramm der Welt.

Vieles, was Rotary leistet, ist dem Einsatz Einzelner und ihren Erfahrungen in der Privatwirtschaft zu verdanken. Ein Beispiel von vielen ist Past District Governor Peter Gut vom RC Küsnacht. Seit Jahren hilft der pensionierte Manager in den Staaten Ex-Jugoslawiens mit, die Zivilgesellschaft aufzubauen, indem er sich für Bedürftige einsetzt, rotarische Clubs gründet oder praktische Probleme löst. So hat Gut schon über vierzig in der Schweiz ausrangierte Ambulanzfahrzeuge nach Ex-Jugoslawien gefahren. Dabei kann er sich auf sein Management-Know-how, seine Erfahrung und das weltumspannende Netz der Rotarier abstützen.

Selbstverständlich ist Rotary nicht einfach eine karitative Organisation. In den Clubs wird Freundschaft gross geschrieben, und die Meetings mit ihren Vorträgen dienen der Geselligkeit, dem Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Ich selbst kam zu Rotary durch einen Auslandeinsatz für die damalige SKA, die mich Ende der siebziger Jahre zum Kriseneinsatz nach Italien entsandte. Es galt, dort einen Teil der Erbschaft zu veräussern, die aus der Chiasso-Affäre verblieben war. So wurde ich über Nacht zum grössten Arbeitgeber der Region um die Ferieninsel Albarella, und man fragte mich alsbald an, ob ich nicht Interesse hätte, Rotarier zu werden. Für einen Ausländer, das machte man mir gleich klar, sei das eine überaus grosse Ehre.

Nach kurzer Zeit schon fühlte ich mich beim Rotary Club Adria wie zu Hause. Und ich erlebte Facetten der Gesellschaft meines Gastlandes, die mir sonst verborgen geblieben wären: von der Einladung beim Junggesellen auf der Schilfinsel im Po-Delta über das Landgut, das alles, was man verzehrte und trank, selber herstellte, bis zu eleganten Sommerfestivitäten.

Ausserdem verlieh mir die Mitgliedschaft bei Rotary lokale Akzeptanz, was mir in vielen schwierigen Situationen die richtigen Türen öffnete. Und ich hatte in meinen rotarischen Freunden ständige Berater, die mich mit den Usanzen des italienischen Geschäftslebens vertraut machten, etwa mit den ungeschriebenen Gesetzen im Umgang mit Lokalpolitikern. Oder man versicherte mir, dass die politischen Uhren tatsächlich noch langsamer tickten als in der Schweiz und dass ohne Geduld gar nichts gehe.

Besonders froh war das Greenhorn aus der Schweiz, als es galt, ein Drittel der Belegschaft zu entlassen. Die Clubfreunde erläuterten, wie man in Italien mit Gewerkschaften verhandelt. So war ich gewappnet und wusste, dass man die gute Kinderstube zu vergessen und auch einmal aufgebracht davonzustapfen hat (Türe knallen nicht vergessen!). Ich wusste dank Rotary, dass es viele Verhandlungsrunden braucht und man den Gewerkschaften die Möglichkeit geben muss, der eigenen Klientel einen wichtigen Sieg zu vermelden.

Die Kontakte zu meinem ersten Club sind nie abgerissen, und ich bin glücklich, wenn ich an der Adria die alten Freunde und neue Mitglieder treffen kann. Auch auf Reisen öffnete mir die Mitgliedschaft in der weltweiten Organisation Türen in aller Herren Ländern. Denn jeder Rotarier kann auf der ganzen Welt an den Meetings von jedem Club teilnehmen, und so ergeben sich schnell herzliche Kontakte, die sonst in dieser Form kaum möglich wären.

Unvergessen ist mir etwa der Besuch bei einem Rotary Club im amerikanischen Niemandsland Idahos. In dem kleinen Ort ging es äussert einfach zu und her. Das Mittagessen wurde von Rotarier-Frauen im Saal einer wohltätigen Institution gekocht und aufgetragen. Man war höchst erfreut über meinen Besuch, hatte man doch seit über zwei Jahren keinen Europäer mehr zu Gesicht bekommen. So wurde nach meinem Kurzvortrag zu meinen Ehren lautstark und anhaltend gesungen.

Unvergesslich ist mir auch ein Besuch in einem kleinen Club Rio de Janeiros. Als ich beim Sekretär anrief, organisierte er einen «vertrauenswürdigen» Fahrer, der auch wisse, an welche Tür zu klopfen sei, es werde nämlich sowieso nicht bei jedermann geöffnet. Es stellte sich dann heraus, dass ich mit dem einzigen Englisch sprechenden Rotarier telefoniert hatte und der Club sich neben einer Favela, einem eher rauen Armenviertel, befand. Dort erlebte ich mit meiner Gattin einen äusserst angeregten und sympathischen Abend.

Als ich nach meinen Jahren in Italien in die Schweiz zurückkam, nahm mich der RC Zürich-Nord auf. Banker gab es schon genug, so wurde ich, als Zeichen der Toleranz, unter meiner italienischen Klassifikation «Tourismus» akzeptiert. Denn einem Rotary Club sollte jeweils nur ein Mitglied einer bestimmten Berufsgattung angehören.

Das erlaubt allen Einblicke in die verschiedensten professionellen und gesellschaftlichen Bereiche, was durch die zwanzigminütigen Referate unterstützt wird, die an den wöchentlichen Meetings gehalten werden.

Gerade die Referate sind ein Anstoss für das karitative Engagement der Mitglieder, denn wenn einer der eigenen Leute knapp und klar von konkreten sozialen Problemen berichtet und Details beleuchtet, von denen man sonst nie hören würde, schafft das die Motivation für schnelle und effiziente Hilfe.

Für unser Jubiläumsjahr waren alle Clubs aufgefordert, ein spezielles Jubiläumsprojekt zu planen und zu realisieren. Mein Club hatte durch persönliche Kontakte eines Mitgliedes den Vorschlag gemacht, den Jesuitenpater Michael Windey in Südindien zu unterstützen. Windey kam zweimal in unseren Club, berichtete über sein Werk, das im Armendreieck von Madras Dorfgemeinschaften Hilfe zur Selbsthilfe anbietet.

Auch wenn im ersten Moment der Betrag für ein ganzes Dorf bei den Clubfreunden als jenseits von Gut und Böse empfunden wurde, haben wir gemeinsam durch Fundraising-Aktivitäten und den Griff nach hinten rechts den sechsstelligen Betrag gesammelt und das Dorf Ponnavolu finanziert.

Unmittelbar vor der Tsunami-Katastrophe wurde das Dorf eingeweiht, und bei dieser Gelegenheit besuchte die Clubdelegation auch Fischerdörfer, die Wochen später durch die Flutwellen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Spontane Reaktion im Club nach der Katastrophe war die Feststellung, dass es kaum etwas Sinnvolleres gibt, als einem solchen Fischerdorf zu helfen. In kurzer Zeit brachte der Club nochmals eine grosse Summe zusammen, um einem dieser Dörfer wieder eine Zukunft zu ermöglichen.

Wenn ich mich frage, was Rotary mir gegeben hat, dann sind es tiefe Freundschaften, Einblick in andere Länder und Lebenswelten sowie die Möglichkeit, hier und da mitzuhelfen, damit sich irgendwo etwas zum Besseren kehrt.

Und nun versuche ich als Governor des Distriktes 2000 (Zürich, Ostschweiz, Graubünden, Liechtenstein), Rotary etwas zurückzugeben für all die positiven Erfahrungen, die ich machen durfte. Das Jubiläum zu 100 Jahren Rotary International stellt für alle eine besondere Herausforderung dar, da die Clubs ihre vielseitigen Aktivitäten (vorwiegend humanitäre Projekte, Schüleraustausch und Kontakte mit Clubs in anderen Ländern) intensiviert haben.

Das Jubiläum hat auch die Diskussion um die Zukunft von Rotary angeregt, denn alle Serviceclubs müssen sich dem heutigen wirtschaftlichen Umfeld und den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen. Wobei mehrheitlich festgestellt wird, dass die wesentlichen Grundwerte (Pflege der Freundschaft, hohe ethische Werte und soziales Engagement) die gleichen bleiben sollen, wir aber unter uns vermehrt Toleranz und Verständnis für die Veränderungen aufbringen müssen.

Alfred Banz (67) ist Rotary Governor des Distriktes 2000 (Zürich, Ostschweiz, Graubünden und Liechtenstein). Er war während 36 Jahren bei der SKA und der CS, davon zwölf Jahre in Italien und sechs Jahre in Genf. Von 1996 bis 2000 war er als Mitglied der Geschäftsleitung CS verantwortlich für das Tessin. Alfred Banz lebt in Hünenberg ZG, ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Töchtern.