Frau Professor Bahrami, vor drei Jahren noch wurde Wissensmanagement als vorletzter Schritt auf dem Weg ins unternehmerische Nirvana gepriesen. Ist dieser Traum mit der New-Economy-Bubble geplatzt?
Homa Bahrami: Keineswegs. Es stimmt, dass viele Softwareunternehmen das Konzept damals als Verkaufsvehikel für ihre Produkte entdeckt hatten. Die gewaltigen IT-Investitionen der Unternehmen mussten ja irgendwie begründet werden.

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Da schwirrten regelrechte Heilsversprechen durch die Vorstandsetagen.
(Lacht) Halleluja, Wissensmanagement wird per Knopfdruck all unsere Probleme lösen! Geholfen hat derlei Euphorie der Sache sicher nicht.

Ist sie typisch für eine Pionierphase?
Natürlich, und man kann der Industrie ja auch keinen Vorwurf machen. Wir alle – ob Unternehmensberater, Journalisten, Professoren und eben auch die Marketingstrategen – leben ja letztlich davon, neue Ideen zu propagieren. Und wie überall sonst gibt es auch in der Managementtheorie Moden; manche erweisen sich als Avantgarde, andere als untragbare Extravaganzen.

Wissensmanagement wirkt heute eher wie der Fummel der letzten Saison.
Wir haben nicht deutlich genug gemacht, dass das Ganze mehr ist als eine Softwarefunktion. Und wir haben zu wenig den experimentellen Charakter herausgestrichen. Im Übrigen ist die Tatsache, dass man den Begriff Wissensmanagement heute kaum noch verwendet, für mich ein gutes Zeichen, das Thema scheint in die tieferen Fasern der Unternehmen vorgedrungen zu sein.

Wovon spricht man jetzt?
Von «cross pollination», also gegenseitiger Befruchtung, von «silo buster», der Sprengung vertikaler Unternehmensstrukturen, oder «horizontal linkage», der flachen Vernetzung innerhalb der Organisation.

Semantische Mätzchen, um ein gescheitertes Konzept am Leben zu halten?
Nein, als Begriff hatte Wissensmanagement das Pech, ein schlechtes Timing zu erwischen und mit der New Economy identifiziert zu werden. Die Wahrheit ist, dass Wissensmanagement als solches keine Erfindung des letzten Jahrzehnts ist. Jedes Unternehmen steht vor der Herausforderung, sein inhärentes Wissen zu managen...

«Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiss», hiess es früher immer bei dem deutschen Elektrokonzern...
Ja, heute geht es darum, die Informationsströme innerhalb einer Organisation und darüber hinaus bewusst zu machen und den rasant veränderten Prozessen anzupassen.

Zur Person
Professorin Homa Bahrami (47) von der Haas School of Business an der University of California in Berkeley ist eine international renommierte Expertin auf dem Gebiet wissensbasierter Unternehmen. Der Fokus ihrer Forschungsarbeit liegt auf der Veränderung von Organisationsstrukturen und Management auf dem Weg zur Wissensgesellschaft.

Gemeinsam mit Harold Leavitt verfasste Bahrami das Standardwerk «Managerial Psychology: Managing Behavior in Organizations» (University of Chicago Press). Die in Persien geborene und in England aufgewachsene Bahrami ist Mitbegründerin von Pedagogy Inc., einer Managementschule in Menlo Park, und ist in mehreren Aufsichtsräten führender Firmen im Silicon Valley aktiv.

Am 25. Juni leitet Professorin Bahrami in Zürich ein von der ZfU International Business School organisiertes ganztägiges Seminar unter dem Titel «Leadership Dilemmas: Leading Knowledge Workers and Organizational Flexibility» (www.zfu.ch/pdf/etm.pdf).

Klingt sehr akademisch. Das Thema wurde in vielen Unternehmen lebhaft diskutiert, aber nur begrenzt umgesetzt.
Dies hing mit der Angst vor ausufernden IT-Kosten zusammen. Der Erfolg von Wissensmanagement hängt aber in Wahrheit nicht vom Preis ab und steht und fällt damit, die Mitarbeiter dazu zu bringen, das in den Köpfen vorhandene Wissen konsequent zu teilen.

Als dringendste Aufgabe gilt das Thema indes nicht mehr.
Es wäre albern zu behaupten, die Voraussetzungen hätten sich nicht geändert. Wir haben das Platzen der Dotcom-Bubble erlebt, eine globale Rezession, das sind dramatische Einschnitte. Viele Unternehmen kämpfen ums Überleben, da gilt Wissensmanagement als Luxus.

Was ist heute angesagt?
Dinge wie «Superflexibilität»: Wie kann ich als Organisation stabil und berechenbar sein – was die Märkte und die Kunden schätzen – und gleichzeitig auch in der Krise innovativ genug bleiben, um im Wettbewerb bestehen zu können? Und wie schaffe ich es, auf allen Zylindern zu feuern, wenn irgendwann das Licht wieder angeknipst wird? Wissensmanagement ist zu einer Komponente dieser Herausforderung geworden, kein Allheilmittel.

Wie gehen Unternehmen die Aufgabe an?
Man unterscheidet heute präzis zwischen Wissen, das per Informationstechnologie systematisch kodifiziert, strukturiert und gespeichert werden kann, und Wissen, das spontan und intuitiv ist. In Bereichen wie dem Customer-Relationship-Management (CRM), der Logistik, den Produktionsprozessen oder dem Auftragseingang und selbst im Finanzmanagement gehören IT-basierte Wissensmanagementsysteme heute längst zum Standard. Die zweite Frage ist freilich: Wie verwende ich die gespeicherten Informationen für strategische Entscheidungen? Selbst die beste Software kann einem CEO oder einem Vorstand ja nicht beantworten, ob die angestrebte Übernahme eines Konkurrenten langfristig Vorteile bringt oder eine Expansion auf den chinesischen Markt geboten ist.

Womit wir wieder beim bewährten «Bauchgefühl» des Chefs wären.
Es wird immer eine gehörige Portion von Intuition vonnöten sein, das ist richtig. Aber: Die Entscheidungen sind heute von einer so hohen Komplexität, dass sie selbst ein noch so genialer CEO kaum allein bewältigen kann.

Management à la Jack Welch ist out?
Das sicher nicht, es wird immer herausragende Persönlichkeiten geben, die allein mit ihrer Aura einiges bewegen können. Was ich aber mehr und mehr beobachte, ist ein breiter Trend weg von zentralisierten hin zu mehrpolarigen Entscheidungsstrukturen.

Konkretes Beispiel?
Nehmen Sie ein Unternehmen wie Cisco, die verfügt über ein ganz hervorragendes IT-basiertes Wissensmanagement. Trotzdem kommen die Spitzenmanager aus der ganzen Welt zu regelmässigen Treffen in der Konzernzentrale zusammen, um in der gemeinsamen Diskussion unternehmensrelevante Strategien zu erarbeiten. Die Frage heute ist, wie man die beiden Dimensionen von Wissen miteinander verbindet. Entscheidend für Spiel, Satz und Sieg ist der richtige Mix zwischen den «harten» und den «weichen» Informationen.

Und wegen IBM, Siebel, SAP und Co. haben wir uns zu lange auf die «harten» Informationen konzentriert?
Das mag so sein. Wie bei jedem neuen theoretischen Ansatz erleben wir aber auch im Wissensmanagement extreme Pendeleffekte. In den Neunzigern haben wir die Technologie verherrlicht. Nach dem Platzen der Internet-Bubble hiess es dann: Wozu brauche ich eigentlich den ganzen Kram? Ein exzellenter Verkäufer ist doch hundertmal mehr wert als jede noch so ausgeklügelte CRM-Software. In den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten werden Unternehmer fragen: Wie kann ich meinen unternehmerischen Instinkt mit empirischen Fakten kombinieren? Das Topmanagement muss die zwei oder drei Schlüsselbereiche identifizieren, über die es ständig up to date sein will und die für die strategischen Entscheidungen von höchster Relevanz sind, und jene Sektoren definieren, wo die Verantwortung getrost etwa an Bereichsleiter delegiert werden kann.

Wird sich ein Alpha-Wolf im Vorstandssessel wirklich das Heft aus der Hand nehmen lassen?
Ich war letzte Woche bei einem Hersteller von medizinischen Diagnosegeräten mit einem Umsatz von zwei Milliarden Dollar pro Jahr. Der CEO dort macht tatsächlich eindeutig klar, dass er der «top dog» ist, über dessen Schreibtisch jede Entscheidung zu gehen hat. In einem solchen Unternehmen muss Wissensmanagement halt auf ihn zugeschnitten sein. In den meisten global aufgestellten Konzernen sehe ich aber eher eine Entwicklung hin zu Entscheidungsprozessen, die stärker auf die verschiedenen Ebenen verlagert sind.

Gibt es einen Königsweg bei der Implementierung von Wissensmanagement?
Fangen wir mit dem schlimmsten Szenario an: wenn ein Firmenchef glaubt, mit der Einführung eines tollen neuen Knowledge-Management-Systems verkaufe er automatisch mehr Produkte, sei innovativer und das interne Wissen sei über Nacht allen Mitarbeitern zugänglich. Ich nenne das den «Big Bang»-Ansatz – funktionieren tut er praktisch nie. Die effektivere Herangehensweise sehe ich in kleinen experimentellen Projekten, die nicht unmittelbar mit dem Business in Verbindung stehen. Wenn ein engagierter Manager etwa sagt, er wolle neue Kanäle zur firmeninternen Kommunikation öffnen. Eine Firma, mit der ich eng zusammenarbeite, hat zum Beispiel zwei unaufwändige Webseiten installiert: «Excellence in Thought» und «Excellence in Action». Jeder Mitarbeiter kann dort auf freiwilliger Basis seine Ideen und Anregungen ablegen.

Die virtuelle Wiedergeburt des traditionellen Vorschlagswesens.
Richtig, Sie sitzen in der Schweiz, ich in Kalifornien, wir beide verkaufen das gleiche Produkt. Sie haben in Zürich wochenlang mit einem extrem schwierigen Kunden zusammengearbeitet, am Ende aber einen Weg gefunden, einen glänzenden Verkaufsabschluss zu tätigen – warum soll ich hier nicht von Ihren Kniffen profitieren?

Klingt prima, was passiert aber bei einem Konzern wie Lucent, wo plötzlich nur noch ein Viertel der Angestellten da ist? Ist Wissensmanagement da nicht ein Schönwetterkonzept?
Im Gegenteil, ich bin fest davon überzeugt, dass die wirklich innovativen Zeiten eher die der Krise sind. Wenn alles wunderbar läuft, werden die Menschen risikoscheu. Versetzen Sie sich nur in die Lage eines Lucent-Mitarbeiters, der tief verunsichert und demotiviert in seinem Büro hockt. Was hat er zu verlieren? Wäre es nicht fantastisch, wenn er mit einem solchen Projekt dem Unternehmen Wege aus der Krise weisen könnte?

Ist man sich unter den Management-Gurus schon einig, was nach Knowledge-Management kommt?
Ich gehe davon aus, dass im nächsten Schritt die starren Grenzen der Unternehmen gesprengt werden. Die meisten Konzerne sind immer noch wie Fürstentümer aufgebaut, mit hohen Festungsmauern. In Zukunft werden wir aber einen offeneren Wissensaustausch zwischen den Unternehmen erleben, wo wie in einem Ökosystem Informationen, Menschen und Ideen ständig zirkulieren. Hier im Silicon Valley gibt es ja heute schon Tausende Firmen, deren Mauern extrem durchlässig sind. Mitarbeiter wechseln andauernd den Job, Konkurrenten werden über Nacht zu Partnern. Das funktioniert, weil das Silicon Valley eine wirklich wissensbasierte Wirtschaft darstellt.

Wissen hat aber ein schnelles Verfallsdatum.
Eben, wenn sich Unternehmen nicht ständig gegenseitig befruchten, werden sie schnell auf der Strecke bleiben. Es wird darauf ankommen, unser natürliches Bedürfnis nach Stabilität und Vorhersehbarkeit mit der Herausforderung ständiger Innovation auszubalancieren. Knowledge-Management wird helfen, beide Welten miteinander in Einklang zu bringen.