Sogar die Frau schmunzelt über ihren Mann: «Du bist ein Bürstenspinner», sagt sie. Dieser festen Überzeugung ist auch, wer die moderne Fabrik von Edi Baur im Zürcher Oberland nach einem unterhaltsamen Gespräch und einem kurzweiligen Rundgang wieder verlässt. Das 2004 erstellte Gebäude in Fehraltorf ZH hat 8 Mio Fr. gekostet, umfasst 5200 m2 und ist bereits wieder zu klein, sodass der Patron Räume zumieten muss.

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Erwähnenswert ist, dass Baur auf der Liegenschaft keinen Rappen Schulden hat - der gesamte Betrieb ist laut ihm total eigenfinanziert. Banken brauche er zum Glück nur für den Zahlungsverkehr, meint Baur augenzwinkernd. Unnötig zu sagen, dass die Wirtschaftskrise praktisch spurlos an ihm vorbeigegangen ist. Pro Jahr werden 8 Mio Artikel verkauft. «Das sind 15 Stück pro Minute - Tag und Nacht gerechnet. Würden diese auf die üblichen Öffnungszeiten der Geschäfte umgerechnet, setzen wir alle 3 Sekunden einen Artikel ab», rechnet Edi Baur vor, dem Kalkulationsspiele wie diese Spass machen.

Noch zwei Schweizer Produzenten

«Ich komme aus einfachsten Verhältnissen», erzählt der Bauernsohn aus dem Rafzerfeld ZH. Freizeit ist für ihn heute noch ein Fremdwort. «Gut, ich könnte Golf oder Tennis spielen. Aber das reizt mich einfach nicht; ohne Bürsten wäre ich todunglücklich und wüsste nicht, was ich den lieben langen Tag machen würde», sagt er und blickt auf die im Showroom präsentierten Besen und Bürsten in allen Grössen sowie Formen, Schrubber, Staubwedel, Flaschenreiniger und Gerätschaften, von denen nur noch eine besonders emsige Hausfrau oder ein Profi wissen, wozu sie nütze sind.

Und dann entfaltet Baur einige Entwürfe für die nächste Bürstengeneration. Spätestens jetzt reift die Erkenntnis, dass Bürsten mehr sind als Hilfsmittel beim Saubermachen von Haus und Hof, von Strassen oder Gewerbe- und Industriebetrieben. «Sie sollen nicht nur funktional sein und bequem in der Hand liegen, sie müssen auch schön sein», wünscht der Mann, der schon als Bub nach der Schule sein Taschengeld in der dörflichen Bürstenmacherei verdient hat und sich nichts sehnlicher wünschte, als den Beruf des Bürstenbinders zu erlernen. Während der Lehre - er bekam 11 Rp. in der Stunde - brachte Baur fast den ganzen Wochenlohn auf die Bank. Das Einzige, was er sich ab und zu gönnte, waren ein Cervelat und ein Büürli - denn zu Hause reichte es nur knapp, die siebenköpfige Familie so zu ernähren, dass der Magen nicht knurrte.

«Aber das ist eigentlich gar nicht erwähnenswert», findet der erfolgreiche Unternehmer. «Viel wichtiger ist, dass diese karge Jugend der Antrieb zum Vorwärtskommen war, um aus eigener Kraft etwas zu schaffen.» Von den 45 Bürstenfabriken, die es in Europa einst gab, sind nur wenige übrig geblieben. Zwei davon stehen in der Schweiz. Aber nur jene von Baur wird noch von einem gelernten Bürstenmacher geführt, ist in Familienbesitz und völlig unabhängig. «Ich habe meiner Lebtage noch nie Schulden gemacht», betont er und erzählt aus den Anfängen im eigenen Wohnhaus. In den Kinderzimmern wurden die Büros eingerichtet, und überall stapelte sich die Ware. «Sogar unter unseren Betten», entsinnt sich seine Gattin Evi Baur, die ihm seit den harten Anfängen zur Seite steht - als Beraterin, kritische Konsumentin und Finanzchefin.

Bei Ideen und Gehalt nicht sparen

In einem Punkt werde indes nicht gespart: Wenn es um Neuheiten und um die Entlöhnung der Belegschaft geht. Das mit den Ideen für Innovationen muss man sich erst erklären lassen. Denn wie kann man die an sich schon handlichen, farbenprächtigen sowie zweckmässigen Bürsten überhaupt noch verbessern? Da gibt es etwa Modelle, bei denen der Bürstenkopf ersetzt werden kann, wenn er abgenützt ist, wobei man den gleichen Stiel wieder verwendet; «Schüfeli und Beseli», bei denen der Griff des Besens so durch den Handgriff geführt wird, dass sich beides platzsparend aufhängen lässt; oder Laubbesen aus Kunststoff, die fast nicht abgenützt werden können. «Ein Blick auf all die vielen Konkurrenten, die untergegangen sind, zeigt, dass vor allem der mangelnde Innovationswille schuld daran ist. Man muss sich immer wieder überlegen, wie die täglichen Arbeiten erleichtert werden können. Wichtig scheint mir auch eine konsequente Spezialisierung», sagt Edi Baur, um sodann zu ergänzen: «Klar gehört ein gewisser Fanatismus dazu, wenn man in dieser Branche erfolgreich sein will.»

Anstössiger Bürstenbinder?

Womit wir wieder beim eingangs erwähnten «Bürstenspinner» wären. Nichts hat ihn je davon abgehalten, seinen Jugendtraum zu verwirklichen, auch nicht die schwierigen Anfänge, als er mit einem Koffer voller Muster unterwegs war. Allein was er da erlebte, füllte Seiten. Im Puschlav wurde ihm gesagt, erzählt er: «Wenn du in ein Dorf kommst, geh einfach in die bekannteste Beiz am Platz und bestelle 1 Liter Merlot, dann kommen die Kunden von selbst.» Das mit den vollen Orderbüchern hat funktioniert, aber zum Preis, dass er am Abend einen sturmen «Grind» hatte. In einem Hotel wurde er mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Bett geholt, weil man annahm, «Bürstenbinder» im Eintrag sei mit einem Zigeuner gleichzusetzen. Heute haben sowohl namhafte Grossverteiler, Detailhändler oder Warenhäuser als auch unabhängige Wiederverkäufer die Produkte der Bürstenfabrik Edi Baur in ihrem Sortiment.

Mitarbeitern die Hand schütteln

Beim Rundgang durch die Räumlichkeiten des KMU fällt auf, wie freundschaftlich das Verhältnis der Angestellten zu Evi und Edi Baur ist. «Uns sind ein gutes Arbeitsklima und eine überdurchschnittlich gute Entlöhnung wichtig. Wir haben ein unglaublich motiviertes Personal und praktisch keine Fluktuation», erklären sie. Vielleicht behaupten das andere Unternehmer auch von sich. Aber die Baurs bestehen einen Lackmustest, von dem sie nicht ahnen konnten.

Beim Abschied erzählt Edi Baur, dass er jedem Mitarbeiter am frühen Morgen persönlich die Hand schüttelt und ein paar Worte mit auf den Weg gibt. «Wegen der Schweinegrippe kann ich das im Moment nicht», bedauert er. Und man nimmt es ihm ab.