Amerikanisch-chinesische Kulturverbindung auf einem Disney-Plakat: Xian, Provinz Ghaanxi.




An einem sonnigen Nachmittag in der südchinesischen Stadt Shenzhen schlendern Chen Ping und Wei Ying Hua durch das Gelände des World Park von Disney. Das fröhlich gestimmte junge Paar ist aus der chinesischen Provinz Hubei nach Shenzhen ausgewandert, einem Symbol des neuen, kapitalistischen China, um hier das finanzielle Glück zu finden – er als Taxifahrer und sie in einer Fabrik. An diesem Dienstag haben sie einen Ausflug zu den Attraktionen des Freizeitparks unternommen.

«Nichts Besonderes», meint Chen bei der Begutachtung des käsefarbenen Modells des römischen Kolosseums und des Arc de Triomphe, die Hauptattraktionen jenes Teils des Parks, der Europa gewidmet ist. Auf dem weitläufigen Gelände sind Modelle von Touristenattraktionen aus allen fünf Kontinenten zu finden – wie zum Beispiel die Sphinx, Mount Rushmore und ein afrikanisches Dorf in Originalgrösse.

Nur rund eine halbe Zugstunde entfernt befindet sich ein weiterer, noch ehrgeizigerer Vergnügungspark im Bau: «Hong Kong Disneyland». Dieser soll im Jahr 2005 eröffnet werden und jene Faszination, Sauberkeit und Detailtreue bieten, die Shenzhen abgehen. Chen und Wei, die Mickey und Donald bereits gut kennen, wollen Hong Kong Disneyland besuchen, wenn sie die dafür erforderlichen Visa erhalten. «Das wäre toll», sagt Chen. «Alles, was von ausserhalb Chinas stammt, ist besser als das, was in China produziert wurde. Das weiss man einfach.»

Die Chancen, die sich Unternehmen der amerikanischen Popkultur wie Disney im Ausland eröffnen, lassen sich wohl kaum besser auf den Punkt bringen. Seit dem Ende des Kalten Krieges, der Öffnung Chinas und dem weltweiten Triumphzug des Kapitalismus geht es den Exporteuren der amerikanischen Nahrungsmittel-, Mode- und Unterhaltungsprodukte so gut wie noch nie. Kaum eine Stadt der Welt hat noch keinen McDonald’s, kein CNN und MTV oder keine Levi’s. Amerikanische Filme sind allgegenwärtig. Gleiches gilt für das Fernsehen: Die ursprünglich aus den Vereinigten Staaten stammende TV-Show «Wer wird Millionär?» ist in Europa und in mehreren asiatischen Ländern ein Hit.

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Erst in der Ära von CEO Michael Eisner hat sich Disney zu
einer globalen Mediensupermacht gemausert.


Kein Unternehmen vermittelt das Bild einer Kulturarmee auf Eroberungsfeldzug besser als Disney. Der Firmengründer, Walt Disney, war ein hartgesottener Patriot, der sich selbst als Missionar der amerikanischen Werte sah. Die Produkte seiner Firma verkörpern – im Gegensatz zu Fastfood-Hamburgern oder übersüssten Softdrinks – nicht nur den American Way of Life, sondern enthalten auch eine Reihe von Überzeugungen über Gut und Böse. Disney ist es zudem durch die ganze Firmengeschichte hindurch gelungen, ausserordentlich raffiniert Sekundärvermarktung zu betreiben, indem Produkte lanciert wurden, die sich in den verschiedenen Kanälen – Freizeitparks, TV-Shows, Kinofilme und Merchandisingprodukte – gegenseitig stärken und alle gemeinsam den Disney-Lifestyle fördern.

Das gezielte Vorgehen des Unternehmens auf dem chinesischen Markt illustriert die Funktionsweise dieser Maschinerie im Ausland. Es begann mit dem Elementarsten von Disney, den Zeichentrickfilmen, die Mitte der Achtzigerjahre, als sich das Land gerade zu öffnen begann, zum ersten Mal am chinesischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. In der Folge warfen chinesische Unternehmen eine Flut von illegal kopierten Videos und gefälschten Produkten auf den Markt. Diese trugen zwar nicht zum Gewinn von Disney bei, doch sie sorgten dafür, dass sich die Comic-Figuren mit der Geschwindigkeit einer Virusansteckung verbreiteten.

Im Jahr 1997 lancierte das Disney-Label Miramax «Kundun», einen Film von Martin Scorsese über Tibet, der die chinesische Nomenklatur verärgerte. Hinter den Kulissen arbeitete das Unternehmen aber gleichzeitig auch an «Mulan», einem Zeichentrickfilm nach einer alten chinesischen Legende, der sich zu einem eigentlichen Blockbuster entwickelte. Nachdem «Mulan» auf ein positives Echo gestossen war, schloss Disney mit Hongkong ein Abkommen zum Bau eines Freizeitparks ab. Dieses Projekt dürfte dank einer Vereinbarung, gemäss der Zeichentrickfilme von Mickey Mouse täglich im grössten Fernsehkanal Chinas zur Prime Time der Kinder gezeigt werden sollen, gewaltig gepusht werden.

Die Geschäftsleitung von Disney, einschliesslich CEO Michael Eisner und COO Bog Iger, fliegt regelmässig nach China, um sich dort mit der obersten Führungselite zu treffen und den Weg für weitere Abkommen zu ebnen. Als weitere Option steht ein Freizeitpark in Shanghai zur Diskussion. Mittlerweile ist China zum grössten Lizenzhersteller von Disney-Merchandise-Artikeln geworden.

Trotz alldem ist das Bild von Disney als unaufhaltbarem kulturellem Moloch falsch. Treibende Kraft hinter Disney und anderen grossen internationalen Marken ist nicht die Verbreitung amerikanischer Werte, sondern vielmehr eine zunehmend pragmatische, am Gewinn orientierte und auf Marktforschung basierende Unternehmensstrategie – und auch dann kostet es die Firmen noch grosse Anstrengungen, ihre Initiativen auch umzusetzen. In den meisten Ländern wird die Medienbranche noch immer von einheimischen Firmen dominiert. Dies dürfte sich auch in naher Zukunft kaum ändern: Der Umsatzanteil von Disney im Ausland liegt unter 20 Prozent. Und er stagniert, obwohl das Management den internationalen Markt immer wieder als Wachstumsbereich gepriesen hat.



Mao sah in westlicher Kultur bloss imperialistische Botschaften.
Seine Erben wittern das grosse Geschäft.


In Burbank (Kalifornien), dem Hauptsitz der Walt Disney Company, liegen die Disney-Studios, eingebettet in einer sorgfältig gepflegten Umgebung, umsäumt von Wegen mit so schönen Namen wie Mickey Avenue; in der Nähe befindet sich auch ein Gebäude, dessen Dach von über sechs Meter hohen Statuen der sieben Zwerge gestützt wird. Aber so selbstbewusst und unbekümmert sich das Unternehmen nach aussen auch präsentiert, im Inneren sieht es keineswegs so unbeschwert aus. In den geräumigen Suiten der Geschäftsleitung ist die Atmosphäre eher steif und angespannt, überhaupt nicht «casual» wie in Kalifornien sonst üblich. Sie widerspiegelt vielmehr den knallharten, hierarchischen Führungsstil von CEO Eisner.

Ihm ist es zu verdanken, dass sich Disney von einer dahindümpelnden, verstaubten Ikone der amerikanischen Mittelschichtunterhaltung zu einer globalen Mediensupermacht gemausert hat, die an Grösse nur noch von AOL Time Warner übertroffen wird. Der Geist von Walt, der die meisten der Figuren sowie das Disneyland-Konzept erfunden hat, schwebt noch immer in vielen Ecken und Winkeln des Unternehmens. Aber wie es sich für ein grosses, an der Börse kotiertes Unternehmen gehört, ist die eigentliche Orientierungsgrösse heute der Gewinn.

Als Eisner das Ruder 1984 übernahm, wies Disney einen Umsatz von 1,7 Milliarden US-Dollar aus, erwirtschaftete kaum Gewinn und war mit einem miserablen Ruf behaftet, sowohl in Hollywood als auch an der Wall Street. Heute erzielt das Unternehmen dank aggressiver Nutzung der firmeneigenen Figuren, der Schaffung von immer neuen Zeichentrickfilm-Kassenschlagern, dem Revival der Filmstudios und verschiedenen Akquisitionen einen Umsatz von über 25 Milliarden Dollar und zählt weltweit 120 000 Mitarbeitende. Trotzdem mangelt es nicht an Schwierigkeiten: Die Konjunkturabschwächung, der Aktienkurseinbruch, die Flaute in der Werbebranche und der Einbruch des Tourismus nach den Terroranschlägen haben zur Folge, dass sich die ohnehin mässigen Voraussetzungen noch verschlechtern. Trotzdem zweifelt kaum jemand am Durchhaltevermögen der dominanten Medienmarke.

Disney war über die letzten zehn Jahre hinweg eines der ganz wenigen Unternehmen, die den Begriff Synergie auch lebten. Beispielsweise beim Zeichentrickfilm «The Lion King» («Der König der Löwen»), der sich zum Kinoschlager entwickelte: Nach seiner Lancierung im Jahr 1994 spielte er an den Kinokassen weltweit über 765 Millionen Dollar brutto ein. Zusätzlich wurde ein Bestselleralbum veröffentlicht, es gibt Musical-Aufführungen (derzeit in vier Städten), entsprechende Zeichentrickfilme wurden auf dem Disney Channel ausgestrahlt. In Disneyland wurde eine Attraktion mit Lion-King-Motiven geschaffen, daneben wird eine breite Palette an Merchandising-Produkten angeboten. Besonders lukrativ sind die Video- und DVD-Verkäufe. Gesamthaft gesehen, brachte die Franchise für «The Lion King» über eine Milliarde Dollar ein, schätzt Dave Miller, Analyst der Bank Sutro & Co in San Francisco.

Dazu kommt, dass sich der grösste Teil des Disney-Imperiums leicht exportieren lässt. Die Comic-Figuren erfreuen sich im Ausland einer bereits langjährigen Beliebtheit; Mickey Mouse gehört weltweit zu den bekanntesten Figuren überhaupt. Auch die Freizeitparks sind zum Exportschlager avanciert: Tokyo Disneyland erfreut sich seit Eröffnung im Jahr 1982 eines ungebrochenen Erfolgs; der neue Tokyo Disney Seas Park, der seine Tore im September öffnete, scheint ihm nicht nachzustehen. Disneyland Paris machte nach Eröffnung im Jahr 1992 einige äusserst schwierige Jahre durch, hat sich aber mittlerweile so gut erholt, dass eben erst der Disney Studios Park nebenan eingezogen ist. Über die Hälfte des Umsatzes mit Merchandising-Produkten wird ausserhalb der USA erzielt. Und gerade weil Disney für Familienvergnügen steht und sich von politischen Themen fern hält, hat sie sich als weitgehend immun erwiesen gegenüber dem wachsenden Antiamerikanismus.

Hingegen fehlte es dem Unternehmen bis vor ein paar Jahren an einer brauchbaren internationalen Strategie. «Wir führten ein paar Hundert Unternehmen im Ausland, die konsolidiert werden mussten – darin waren wir nicht gerade Spitzenklasse», sagt Michael Johnson, Chef der Abteilung Walt Disney International. «Wir gaben viel Geld aus. Ein paar unserer Figuren und deren Performance hatten wir einfach nicht im Griff. Das war noch eine Altlast dieser riesigen Silos.»



Disney verkörpert Spass, Familie, persönliche Freiheit – und den Glauben,
das Gute werde über das Böse siegen.


Mit diesen Silos meint Johnson die fünf Geschäftsbereiche von Disney: Media Networks, Parks and Resorts, Consumer Products, Studio Entertainment und Internet. Grundsätzlich hätten sich all diese Einheiten ständig gegenseitig unterstützen sollen. In Wirklichkeit aber gingen sie oft ihre eigenen Wege, besonders im Ausland. Deshalb schuf das Unternehmen im Jahr 1999 eine Organisationsstruktur mit starken Country-Managern, die explizit mit der Koordination der Markenstrategie beauftragt wurden. Das machte Sinn. Doch der im Ausland erwirtschaftete Umsatz erhöhte sich seither nur marginal von 4,2 auf 4,3 Milliarden Dollar, während der Umsatz innerhalb der USA im gleichen Zeitraum sprunghaft um 1,7 Milliarden Dollar anstieg.

Dank hohem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum stellt Asien für die Exporteure amerikanischer Kultur so etwas wie das Gelobte Land dar. Japan, mit Abstand das reichste Land in Asien, ist logischerweise die erste Adresse. Tokyo Disneyland hat dazu beigetragen, dass die Zeichentrickfilme und Spielzeuge von Disney mittlerweile zum Grundbedürfnis japanischer Kinder gehören.

Obwohl Japan Disneys grösster ausländischer Markt ist, ist das Land noch immer ein Nischenmarkt mit beschränkten Wachstumsaussichten, abgesehen vom neuen Vergnügungspark. Zudem dämpft die schwere Wirtschaftskrise seit Jahren die Konsumlust der Japaner. Dies erklärt, weshalb Disney den Blick noch etwas weiter weg, nämlich nach China, gerichtet hat. Es gibt wohl kaum einen verheissungsvolleren Markt: eine Milliarde Menschen, die schnell reicher werden und die ausländische Marken sowohl auf Grund des Symbolwertes als auch wegen der besseren Qualität schätzen. Dazu kommt, dass die Disney-Produkte bei den chinesischen Behörden als politisch ungefährlich gelten – ganz im Gegensatz beispielsweise zum Fernsehsender CNN. Der Vorsitzende Mao bezeichnete westliche Filme und westliche Kunst einst als «mit Zuckerguss überzogene Gewehrkugeln» und versuchte, diese im Zuge der Kulturevolution auszurotten. Doch die Pragmatiker am Ruder der Kommunistischen Partei von heute teilen diese Bedenken nicht mehr. «Wir sind ein Unternehmen, das Unterhaltung für die ganze Familie bietet, und die Regierungsvertreter haben das eigentlich auch eingesehen», meint Jun Tang, bei Disney zuständig für das China-Geschäft.

Die China-Strategie von Disney setzt wie bei den meisten westlichen Unternehmen in Hongkong an. Mitte der Neunzigerjahre, unmittelbar nach Eröffnung des Freizeitparks in Paris, hatte Disney ein Auge auf Hongkong als möglichen Ort für einen nächsten Park geworfen. Nicht nur, dass Hongkong ein ausreichend hohes Pro-Kopf-Einkommen, eine solide Infrastruktur und Know-how im Tourismus aufwies. Nach dem Abzug der Briten 1997 und der asiatischen Finanzkrise von 1998 fürchteten sich die lokalen Politiker vor einer erstarkenden Volksrepublik China, die Arbeitslosigkeit war im Steigen begriffen, und der Tourismus litt. Ein Disney-Park schien damals eine geeignete Remedur für diese Leiden zu sein.

Wie schon in Frankreich gelang es Disney auch in Hongkong, einen cleveren Deal mit der Regierung einzufädeln – teilweise auch unter Zuhilfenahme der Drohung, den Freizeitpark in Shanghai zu bauen. Für die Investition von 314 Millionen Dollar wird Disney einen Anteil von 43 Prozent am Park besitzen und Tantiemen und Management-Honorare erhalten. Die Regierung von Hongkong ihrerseits wird eine Mehrheitsbeteiligung am Park erhalten, aber erst nach Ausgaben in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar für Landgewinnung, Strassen und weitere Infrastruktur, zuzüglich 417 Millionen Dollar für die Mehrheitsbeteiligung selbst. Zusätzlich gewährt die Regierung dem Joint Venture ein Darlehen von weiteren 71 Millionen Dollar. Alles in allem ein guter Deal für Disney, der von manchen Hongkonger Kreisen sogar als «Geschenk» bezeichnet wurde. So reichen 5,5 Millionen Besucher pro Jahr – nur ein Drittel der Besucherzahlen von Tokio –, um die Budgetvorgaben zu erfüllen. Mit dem Freizeitpark hat Disney überdies in der Region Fuss gefasst, und der Park als solcher stellt nur einen Teil einer umfassenderen Asien- Strategie dar.

Am Hauptsitz Disneys für den asiatisch-pazifischen Raum in der Nähe des Times Square von Hongkong sind über 20 verschiedene Unternehmen am Markenaufbau beteiligt. Jon Niermann ist damit beauftragt, «alle zusammen an einen Disney-Tisch zu bringen», wie er es nennt. Grosse Hoffnungen setzt er in die Vereinbarung zwischen Disney und China Central Television, nach der 142 Zeichentrickfilm-Sendungen mit Mickey Mouse im führenden Kinderprogramm ausgestrahlt werden sollen. Ein Coup, denn der Kanal erreicht 75 Prozent aller chinesischen Fernsehapparate – 225 Millionen Haushalte –, während die meisten ausländischen Programme immer noch nur über Satellit empfangen werden können und daher eine weitaus kleinere Reichweite erzielen.

Geschickt ist der Deal, doch ob er auch lukrativ ist, steht auf einem anderen Blatt: «China ist bei diesen Abkommen sehr clever vorgegangen», sagt Andrew Collier, asiatischer Medienanalyst bei Bear Stearns. «Es wird nicht zulassen, dass westliche Unternehmen grosse Gewinne einstecken können.» Auch an den anderen Fronten steht noch mühsame Arbeit an: Im Merchandising-Geschäft wurden in China so viele Disney-Produkte während so langer Zeit gefälscht, dass die echten – zu den Originalpreisen von Disney – es schwer haben werden. Und für das Kino schränkt China die Anzahl westlicher Filme ein, die im Land gezeigt werden dürfen.

Die Hassliebe Chinas zum Westen geht auf die Ankunft der europäischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert zurück. Noch heute kann die zunehmend prowestliche Haltung im Nu verschwinden: Als etwa die Nato während des Kosovo-Krieges aus Versehen die chinesische Botschaft bombardierte, löste dies in ganz China wütende antiamerikanische Protestaktionen aus. Franchise-Unternehmen der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken wurden mit Steinen beworfen, MTV aus dem Äther verbannt.

«China ist im Banne von Amerika, fühlt sich aber gleichzeitig von Amerika abgestossen und manchmal auch überwältigt», sagt Orville Schell, chinesischer Gelehrter und derzeit Rektor der Graduate School of Journalism in Berkeley. «Es ist der totale Widerspruch.» Laut Schell nütze die Regierung bisweilen antiwestliche Gefühle aus, um sich Sympathie zu verschaffen, «aber sie ist auch erpicht darauf, die Unterstützung westlicher Unternehmen für den Aufbau eines moderneren und wirtschaftlich erfolgreicheren Landes zu erhalten». Solche Widersprüche sind in vielen Ländern zu beobachten. Auch wenn der islamische Fundamentalismus den «grossen Satan» verdammt, hindert das seine Anhänger nicht am Trinken von Coca-Cola. In den meisten Ländern spielt diese ambivalente Haltung gegenüber Amerika jedoch keine grosse Rolle, weil die Produkte grundsätzlich wertneutral sind. Ein Computer ist ein Computer, und IBM steht für Hightech, nicht für New York.

Doch mit der Kulturbranche verhält es sich anders. Disney und andere Medienmarken sind mit emotionalen und psychologischen Assoziationen belegt. Disney verkörpert Spass, Familie, persönliche Freiheit, Optimismus hinsichtlich des eigenen Lebens und der Zukunft sowie die Zuversicht, dass das Gute über das Böse siegen wird. Dies sind in vielerlei Hinsicht die Werte der europäischen Aufklärung und nicht so sehr typisch amerikanische. Zwar sagt die Marktforschung, dass sich die Menschen nicht wegen der amerikanischen Herkunft zu Disney hingezogen fühlen. Trotzdem sind sie sich der Herkunft der Disney-Produkte sehr wohl bewusst. Genau das macht ja einen Teil des Reizes aus: «Amerikanische Marken verkörpern so etwas wie ‹alles ist möglich› – der Kernwert all dieser Produkte ist Optimismus», sagt Martyn Straw, Präsident der Markenberatungsfirma Interbrand. «Amerika ist kein Land, es ist eine Idee. Es gibt einen Unterschied zwischen Amerika als geopolitischer Einheit und Amerika als einem Konzept, einem Ort, wo man das sein kann, was man will. Diese Themen wiederholen sich auf der ganzen Welt, und die Marke Disney ist fast ausschliesslich davon abhängig.»

Das Paradox besteht darin, dass die Menschen sich auf Grund der Symbolwirkung zwar zu amerikanischen Marken hingezogen fühlen. Gleichzeitig aber fordern sie genau auf ihren Geschmack abgestimmte Produkte. Hong Kong Disneyland wird trotz der Treue zum Original eine breite Palette asiatischer Gerichte sowie Shows und Special Events bieten, die sich auf die lokalen Ferienzeiten konzentrieren. Selbst McDonald’s, ein Symbol von Monokultur schlechthin, führt seinen Erfolg im Ausland auf die Kreativität und die Innovation der lokalen Franchise-Betriebe zurück, welche die Menüs an die lokalen Vorlieben anpassen können.

Marken mit Symbolwert haben ein grosses Machtpotenzial. Und dennoch sind sie eingeschränkt: Disney ist so eng mit Familienvergnügen verbunden, dass es sich für das Unternehmen als schwierig erweist, ausserhalb dieser Schiene Erfolg zu haben. Um einen Anteil am Markt für Teenager- und Erwachsenenfilme zu gewinnen, produziert Disney beispielsweise Filme unter den Labels Touchstone, Hollywood Pictures und Miramax. Ebenso wird das grösste Projekt von Disney im Ausland nicht unter dem eigenen Firmennamen geführt.

Im Bestreben, die eigene Position im harten Wettbewerb mit Cartoon Network und Nickelodeon zu stärken, hat Disney kürzlich 5,2 Milliarden Dollar für den Kauf von Fox Family Network von Rupert Murdoch ausgegeben. Mit 35 Millionen Zuschauern in Europa und Lateinamerika verfügt Fox über eine viel grössere Marktdurchdringung ausserhalb Amerikas als der Disney Channel. Die Programmgestaltung – eigenständiger als bei Disney – wird unter dem Markennamen ABC Family geführt. Paradoxerweise dürfte der Erfolg von Nicht-Disney-Produkten, insbesondere ESPN Sports Network, einen grossen Beitrag zum langfristigen finanziellen Erfolg des Unternehmens ausserhalb der USA leisten.

Aber von noch grösserer Bedeutung für den Erfolg von Disney im Ausland ist die Performance in den USA. Schliesslich werden internationale Kunden kaum von einem amerikanischen Unternehmen angetan sein, das sich zu Hause auf dem absteigenden Ast befindet. Und Disney blickt auf ein paar harte Jahre zurück. Das Fernsehgeschäft wird zunehmend schwierig, da die Auswahl an TV-Sendern stark wächst. Die Merchandising-Abteilung leidet an Marktsättigung: Das Unternehmen muss rund 100 der insgesamt etwa 750 Disney-Shops schliessen. Die Konkurrenten sind stärker als je zuvor, sei es DreamWorks bei der Animation oder MGM/ Universal bei den Freizeitparks. Das Internet- geschäft ist zu einem Fiasko geworden. Diese Tiefschläge haben sich auf den Aktienkurs von Disney ausgewirkt: Von seinem Höchststand von 43,87 US-Dollar im Mai 2000 hat der Kurs inzwischen rund die Hälfte verloren. Der Abwärtstrend in der Werbung und im Tourismus wird heuer ein grosses Loch in die Gewinnrechnung reissen.

Die Probleme von Disney sowohl im eigenen Land als auch im Ausland verdeutlichen, wie schwierig es auch für eine der grössten amerikanischen Marken ist, permanentes Wachstum zu erzielen und gleichzeitig die Befürchtungen hinsichtlich des Kulturimperialismus zu widerlegen. Doch die Menschen werden selbst entscheiden, welche Elemente der amerikanischen Kultur sie überhaupt haben wollen. Die Disneys der Welt sind den Vorlieben von Chen Ping und Wei Ying Hua unterworfen – und nicht umgekehrt.

Das Disney-Imperium

Hong Kong Disneyland in Zahlen