Die Vorstandsmitglieder von Bancomer, der grössten mexikanischen Bank, sind beeindruckt. Mit ihren Digitalkameras halten sie alles fest, was sie sehen: das kühle, flughafenähnliche Firmengebäude, die chic gekleidet umherflitzenden jungen Designerinnen. Als potenzielle Investoren sind die Lateinamerikaner auf Einladung ihres Mutterhauses, der spanischen Bank BBVA, nach Arteixo gekommen. In dem kleinen nordspanischen Dorf residiert Inditex, der zweitgrösste Textilhersteller der Welt. Die erfolgreichste Modeladenkette des Konzerns heisst Zara.

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Ganz unverhofft stösst Zara-Gründer und Inditex-Präsident Amancio Ortega zu der Gruppe. Ortega scheut die Öffentlichkeit, gibt keine Interviews. Trotzdem dürfen die Mexikaner ihn fotografieren, im hellgrauen Anzug, mit blauem Hemd und ohne Krawatte. Einer der Besucher staunt über den korpulenten 70-Jährigen, über dessen Schlichtheit und die Absage an modisches Outfit: «Schrecklich, er hat überhaupt keinen Geschmack.»

Ortega ist Spaniens reichster Mann, aber alles andere als originell. Er ist kein exzentrischer Modeschöpfer, eher ein bodenständiger Dorfmensch. Sein Talent offenbart sich woanders: Er hat in den letzten 30 Jahren mit Zara eine perfekte Kopiermaschine geschaffen, die nichts anderes macht, als weltweit Modetrends aufzuspüren, sie in Rekordzeit umzusetzen und in die eigenen Läden zu bringen. Zara orientiert sich, anders als die grossen Wettbewerber, nicht an internationalen Modeschauen, sondern nutzt eigene Geschäfte an zentraler Lage in internationalen Metropolen als Trendscouts. Der Startschuss dazu fiel 1989 dort, wo nach Meinung Ortegas die wichtigsten Modetrends entstehen: Zara ging nach New York und Paris – und nicht nach München, Mailand oder Rom.

Noch immer hält Ortega 59 Prozent an der Zara-Mutter Inditex. Seine Kopiermaschine wird immer mehr zur Gelddruckerei: Mit einem Umsatz von 6,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr hat er die bisherige Nummer zwei der Weltrangliste, den schwedischen Konkurrenten H&M, überholt. In diesem Jahr peilt er mehr als sieben Milliarden Euro an. «Zwei Drittel davon steuert immer noch Zara bei», sagt Ortegas operativer Chef Pablo Isla. Der Gewinn, im vergangenen Jahr 803 Millionen Euro, soll 2006 um 20 Prozent wachsen.

Kein Modehaus ist so international aufgestellt wie der Konzern aus der galicischen Provinz. Die Gruppe zählt über 3000 Shops in 64 Ländern, rund 150 davon sind erst kürzlich hinzugekommen. Damit ziehen die Spanier auch am Weltmarktführer Gap vorbei. Der US-Konkurrent musste im vergangenen Jahr 650 Läden schliessen. Einmal an der Spitze, will Ortega bis 2011 weitere fünf Milliarden Euro in die Expansion investieren. 450 Läden möchte er jährlich eröffnen, die meisten in Europa.

Die spanischen Analysten applaudieren ihrem Landsmann. «Zara hat ein gutes Gespür dafür, was der Kunde will, und bietet ihm ein topmodisches, aber preisgünstiges Produkt an», sagt Jesús Domínguez, Analyst des spanischen Brokers Ibersecurities. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Inditex-Aktie von 25 auf 39 Euro zugelegt.

Betriebswirtschaftlich macht das seit 2001 börsennotierte Familienunternehmen vieles anders als der Rest der Branche – was die Börsianer lange Zeit beunruhigte und die Kursentwicklung 2003 ins Stocken brachte. «Bei Inditex wird ein Grossteil der Ware erst produziert, wenn Trends und Bestellungen auf dem Tisch liegen, dann aber in Rekordzeit», sagt Konzernchef Isla. Neue Farben oder Schnitte kommen binnen drei Wochen in die Geschäfte. Nur 40 Prozent der Kollektionen werden auf Lager produziert, der Rest wird laufend neu entwickelt. Auf diese Weise wechseln die Auslagen in den Schaufenstern.

Das ist nur möglich, weil 60 Prozent der Ware – anders als bei den Wettbewerbern Benetton, Gap oder H&M – in Europa, der Türkei und Marokko hergestellt werden und 40 Prozent aller Fabriken Inditex gehören. Das Logistikzentrum liegt produktionsnah in Spanien. Auch Bekleidung aus Asien oder Lateinamerika wird dort angeliefert, bevor sie auf dem Land- oder Luftweg an die 3000 Läden rund um den Globus verteilt wird.

Es dauerte lange, bis Ortega die Analysten von den Vorteilen dieses Systems hatte überzeugen können. Inzwischen gilt Zara als Modell für ein logistikgetriebenes, globales Unternehmen: «Zara-Läden haben neue Mode schneller im Schaufenster als andere und setzen deswegen mehr um, auch wenn die Produktions- und Logistikkosten höher sind als bei den Konkurrenten, teilweise sogar schneller wachsen als der Umsatz», sagt Alfred Vilanova von der Managementschule Esade in Barcelona.

Trotz diesen Erfolgen sind Gap oder H&M profitabler. Die Schweden machen bei weniger Umsatz über 20 Prozent mehr Gewinn als Inditex – knapp eine Milliarde Euro. Das weiss auch Ortegas Statthalter Isla. Langfristig muss er die Kosten drücken, will er das Vertrauen der Analysten behalten und den Kurs der Aktie beflügeln: «Ab 2008 wollen wir durch eine effizientere Verwaltung und noch bessere Logistik beim Umsatz schneller wachsen als bei den Kosten.» Im Moment verbringt Isla viel Zeit mit Investoren, um ihnen das Zara-Geschäftsmodell zu erklären. Schon zieht die Inditex-Aktie deutlich an.

Offenbar haben die Analysten inzwischen auch akzeptiert, dass Inditex mehrere Marken unterhält, darunter das Damenoberbekleidungslabel Oysho und das auch in der Schweiz vertretene Damen- und Herrenmodegeschäft Massimo Dutti. «Sie bringen uns Synergien, bieten unseren Kunden ein komplettes Angebot und bescheren uns damit noch mehr Umsatz», sagt Isla. Der 42-Jährige, der seit 2005 den Konzern lenkt, ist das Ebenbild seines Herrn und Meisters: Sein dunkelblauer Anzug ist zwar einen Tick eleganter als bei Ortega, aber richtig modisch wirkt auch Isla nicht. Böse Zungen behaupten, der gelernte Banker und ehemalige Staatsanwalt habe vor seinem Start bei Inditex noch nie einen Zara-Laden betreten.

In der Firmenzentrale in Arteixo zelebriert Ortega die Einfachheit. Extras für die Chefs lehnt er ab. Für ihn zählt nur Erfolg. Er pendelt am liebsten zwischen der Inditex-Zentrale, seiner Pferderennbahn in der Nähe der galicischen Hauptstadt La Coruña und seinem dortigen Haus. Obwohl er sich aus dem operativen Geschäft weitgehend heraushält, kommt er jeden Tag ins Büro.

Ortega ist zu Recht stolz auf das, was er geschaffen hat: 31 Jahre nach dem Start ist Zara das einzige spanische Label, das die internationale Kommunikationsagentur Interbrand unter den 100 besten Marken der Welt führt. Geschätzter Wert: rund 4,2 Milliarden Euro. H&M taucht in der Interbrand-Liste nicht auf. H&M verkauft vor allem in Europa – Zara auch im Nahen Osten, in Lateinamerika und Asien.

Für den Fall, dass Ortega abtreten oder plötzlich sterben sollte, gilt Isla schon jetzt als sein Nachfolger. Ortegas Kinder haben keine Ambitionen oder sind zu jung für den Präsidentenposten. Vorerst sind das Sandkastenspiele: Ortega geht es blendend. Deshalb kann sich Isla auch voll auf die wichtigen Dinge konzentrieren – den Verkauf. Auch bei seinen jeweiligen Gesprächspartnern macht er keine Ausnahme, wenn er sie von oben bis unten mustert und dann fragt: «Tragen Sie eigentlich auch Zara?»