Nur noch loswerden wollte die alte Eigentümerin, die Von Roll Holding, die Giesserei- und Wasseraktivitäten, weil «es keine Zukunft dafür gibt». Der Weg ins Aus schien programmiert. Und niemand hätte daran Anstoss genommen, denn: In der Vergangenheit haben bereits andere renommierte Giessereien wie jene von Saurer oder Sulzer ihre Tore für immer geschlossen.

Eine kapitale Fehleinschätzung. Heute, nur ein Jahr nach dem Einstieg einer privaten Investorengruppe, schreibt die vonRoll infratec so der Name der Holding, unter der die verschiedenen Sparten (Giessereien, Wasser- und Gasversorgung) organisiert sind schwarze Zahlen. Aus einem Verlust von 51 Mio Fr. (2002) ist ein Gewinn von gut 4 Mio Fr. geworden. Dank des erfolgreichen Besitzerwechsels wurden mehr als 1000 Arbeitsplätze gesichert.

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Dass man in der Schweiz allen Unkenrufen zum Trotz erfolgreich industriell tätig sein kann, beweisen auch andere Unternehmen. Gemäss Jürg Brand, Verwaltungsratspräsident der vonRoll infratec, ebnet das Schweizer Kreuz den Zugang zu vielen Märkten, denn es steht nach wie vor für Qualität: «Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Leute, Engagement ausserhalb gängiger Konventionen und Fantasie bilden das Erfolgsrezept.»

Billiger, aber mit vielen Problemen behaftet

Ist es aber nicht billiger, in China zu produzieren als in Emmenbrücke und Delémont? «Unter dem Strich nein», weiss Franz Roth, Geschäftsleiter der vonRoll casting, welche für die Giessereiaktivitäten verantwortlich ist. «Die direkten Produktionskosten liegen, nachdem sich die Rohmaterialpreise weltweit angeglichen haben, hier zwar rund 30% über einer vergleichbaren Produktion in China.» Nur: Darin nicht berücksichtigt seien die Probleme mit der Qualität und dem lokalen Arbeitsrecht, die Transportwege, die nötigen Investitionen und generell die zusätzlichen Managementaufwendungen. Franz Roth: «Wir sind mit der Schweizer Produktion sehr kompetitiv.» Jürg Brand doppelt nach: «Heute wittern viele Unternehmer hinter jedem Baum einen Chinesen, der alles besser und billiger kann.»

Zu 50% ist die Infratec in Schweizer Hand, 10% besitzen italienische Investoren um den Industriellen Alberto Lina, mit 40% ist die Bergbaufamilie Kurkajew aus Kasachstan beteiligt. Die Investorengruppe hat die Infratec zu einem «günstigen Preis» und ohne Fremdschulden übernommen, auch weil die Banken substanzielle Abschreibungen gemacht haben. Die Unabhängigkeit von Finanzinstituten soll auch in Zukunft erhalten bleiben. «Bei Neuinvestitionen werden wir zwar nicht um Bankkredite herumkommen. So brauchen wir rund 10 Mio Fr. für den Ausbau der Leck-Ortungssysteme und dazugehöriger Technologien. Doch der Eigenkapitalanteil soll zwischen 50 und 80% bleiben. Ersatzinvestitionen wollen wir aus dem eigenen Sack berappen». erklärt Brand die Strategie. Wieso aber gelingt es den neuen Besitzern, schon nach einem Jahr schwarze Zahlen zu schreiben? Der Gründe sind mehrere. «Erstens sind die Zweifel an der Zukunft der vonRoll infratec verschwunden. Zweitens ist wieder Geld vorhanden, und wir sind schuldenfrei», resümiert Jürg Brand. Zudem gehe die neue Strategie voll auf, nicht nur Gussteile, sondern integrierte Dienstleistungen zu verkaufen. «Diese neue industrielle Perspektive hat Vertrauen ins Geschäft gebracht. Zudem revitalisieren wir den vernachlässigten Verkauf.» Die frühere Eigentümerin habe das Potenzial nicht erkannt, welches in einer Hightech-Giesserei und der Hydro-Technologie liege, analysiert der VR-Präsident. Casting-Chef Franz Roth: «Vor Jahresfrist glaubten unsere Mitarbeiter nicht an die Zukunft. Heute sind alle hoch motiviert.»

Die vonRoll casting produziert maschinengeformten Industrieguss (wie Bremsscheiben, Achsenteile, Antriebskomponenten) in Delémont und Emmenbrücke, die vonRoll hydrotec konzentriert sich in Oensingen und Choindez auf Infrastruktursysteme für die Wasser- und Gaswirtschaft. Da die Wasser-, Abwasser- und Gassysteme weltweit gewaltiges Potenzial haben, ist man daran, ein Agentennetz aufzubauen. «Bereits angedockt haben wir in Brasilien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Mexiko und Saudi-Arabien», erklärt Brand.

Bis heute giesst vonRoll casting nur wenige Massengüter; schweizweit bekannt sind die Schachtdeckel und Hydranten. «Das muss nicht so bleiben», schaut Brand in die Zukunft. Bauland habe man genug. Expansion im Massenguss ist ein mögliches Szenario. Dabei müsse man sich auch bei den Massengütern über die integrierte Dienstleistung von der Konkurrenz abheben. «Engineering, Design und Guss: Diesen Kombi offeriert so niemand», meint Franz Roth stolz. Das Herzstück der neuen Strategie ist die so genannt virtuelle Giesserei. Dank dieser kann der ganze Giessereiprozess am PC simuliert werden. Das Credo dabei: Im Preis so günstig wie möglich, in der Qualität so gut wie nötig. «Dank der virtuellen Giesserei fallen die kostspieligen Prototyp-Serien weg. Die Prozesse sind schlank, und der Kunde spart Zeit und Geld», weiss Hansruedi Fellmann, Leiter der Giesstechnologie.

Für die nächsten fünf Jahre hat sich der Konzern ambitiöse Ziele gesetzt. Man will beweisen, dass der Industriestandort Schweiz etwas taugt. VonRoll casting will den Umsatz nachhaltig auf über 100 Mio Fr. steigern. Im Geschäft der vonRoll hydrotec werden bis 500 Mio Fr. angestrebt. Brand ist sich des Erfolges sicher: «Giessen in der Schweiz ist eine über 3000-jährige Hightech-Geschichte, von der Bronzezeit bis heute. Die Geschichte geht weiter. Noch lange.»

Druckguss: St. Gallen und Tschechien kombiniert

«Wir sind heute als selbstständige Einheit erfolgreicher und schneller als unter Von Roll, weil unsere neuen Besitzer den Kundennutzen und die Innovation bei uns stark fördern.» Auch die Druckguss Systeme AG (DGS), eine auf Ende 2002 abgespaltene Tochter der Von Roll, hat sich positiv weiter entwickelt, wie der Geschäftsleiter Alfred Lichtensteiger bestätigt. Der Umsatz betrug 2003 80 Mio Fr. 15% mehr als zu Von-Roll-Zeiten. 2004 läuft ebenfalls wie geschmiert: «Wir haben die damals angepeilte Betriebsgewinnmarge in den letzten fünf Monaten bereits hinter uns gelassen und den Umsatz gegenüber der Vorjahresperiode um 21% gesteigert», erklärt Lichtensteiger stolz.

Möglich gemacht haben die neue Strategie zwei Industrielle Carl Felix Stürm und Hans Huber, welche zusammen mit dem Management die DGS 2003 verselbstständigt haben. Früher hat man einfach Druckgussteile gegossen. Heute ist die DGS Innovations-getrieben; sie bietet den Kunden ganze Systeme an, die auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. 70% der Produkte gehen in die Automobilindustrie. «Wir liefern den Kunden genau jene Festigkeit und jenes Gewicht, die sie brauchen. Magnesium als neuer Leichtbauwerkstoff hilft uns dabei.» Lichtensteiger wertet den Erfolg nur bedingt als Zeichen dafür, dass sich die Schweiz als Industriestandort für alles eigne: «Wir produzieren mit 220 Beschäftigten auch in Tschechien. Unser Erfolg beruht auf der Kombination St. Gallen als Technologiestandort und Tschechien als Produktionsstandort für gewisse Produkte.» Und doch ist Massenfertigung auch in der Schweiz möglich: «Die Produktion muss einfach hoch automatisiert sein. So produzieren wir in St. Gallen grosse Serien und beschäftigen hier 270 Mitarbeiter.» (jac)

Kolbenkompressoren: Erfolgreich seit der Trennung

«Es macht Spass.» Dies die spontane Antwort einer Mitarbeiterin auf die Frage, wie es der Firma Burckhardt nach der Ablösung vom Sulzer Konzern heute geht. Lang ist die Trennung nicht her. 2002 verkaufte Sulzer den Bereich Kolbenkompressoren für rund 58 Mio Fr. ans Management. Eingesetzt hatte der Abnabelungsprozess aber schon früher. Anfang 2000 erklärte das Mutterhaus, die Kompressoren würden fortan nicht mehr zum Kerngeschäft gehören. Das hatte die Belegschaft verunsichert. Doch dann folgte das Management-Buy-out. Zudem versicherten die neuen Unternehmer, am Standort festzuhalten. 320 der weltweit 430 Mitarbeiter sind nach wie vor in Winterthur beschäftigt. Entwicklung und Produktion erfolgen auch heute noch vollständig in der Schweiz. Teil des Erfolgsrezepts: «Bei unserer Grösse muss man die Aktivitäten auf einen Standort konzentrieren», erklärt der CEO der Burckhardt Gruppe. Valentin Vogt ist überzeugt, dass die Schweiz ein guter Standort ist, an dem man nach wie vor erfolgreich produzieren kann. Dazu gehöre Mut zur Einfachheit, Bescheidenheit, und schlank müsse man bleiben. «Vor allem aber müssen die Mitarbeiter spüren, dass man hinter ihnen steht», sagt Vogt. Die Risikobereitschaft der Geschäftsleitung hat sich ausbezahlt. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend in der Maschinenindustrie habe Burckhardt erfolgreiche Jahre hinter sich, freut sich Vogt. «Wir haben in den letzten drei Jahren nur zugelegt.» Allein im letzten Jahr stieg der Umsatz um 10% auf 163 Mio Fr. Auch die Erträge haben sich positiv entwickelt. Zwar gibt die Gruppe keine operativen Ergebnisse bekannt. Bezüglich Rentabilität lässt Vogt aber durchblicken, dass sich Burckhardt klar über dem Durchschnitt der Maschinenindustrie von 4 bis 5% Ebit-Marge bewegt. (hub)

ETH-Studie: Verlagerung ist Diversifizierung

Nicht nur Manager, auch wissenschaftliche Forscher interessieren sich für das Thema: «Wie attraktiv ist die Schweiz für die produzierende Industrie?» Eine Studie des Institutes für Technologiemanagement der Uni St. Gallen, erstellt gemeinsam mit Roland Berger Strategy Consultant und dem Verband Swiss Engineering, ist dieser Frage nachgegangen.

Über 100 Unternehmungen quer durch alle Branchen und Grössen wurden befragt. Die Resultate werden am 7. Juli 2004 in St. Gallen vorgestellt (mehr Informationen unter www.item.unisg.ch).

Der Leiter der Studie, Professor Elgar Fleisch, verrät im Gespräch mit der «HandelsZeitung» die Trends vorweg. «Die Schweiz ist für viele Betriebe nach wie vor auch als Produktionsstandort für die Industrie attraktiv», resümiert Fleisch. Dies, weil die Personalpolitik flexibel, die Arbeitsmoral gut, das Sicherheits- und Bildungsniveau auf einem hohen Niveau seien. Der Trend zum Auslagern von Betriebsteilen halte zwar weiter an und erfasse vermehrt auch kleine und mittlere Unternehmen. «Zudem werden nicht mehr nur Produktion und Montage ausgelagert, sondern auch Entwicklungs- und Servicetätigkeiten», so Fleisch. Die Gründe für diese Verlagerungen lägen aber nicht nur bei den Kosten, wie immer wieder behauptet werde, sondern viel mehr darin, dass viele Firmen in den boomenden Märkten, beispielsweise des Fernen Ostens, ein Standbein haben möchten. «Die Firmen folgen dem Wachstum. Weil wachsende Märkte Spass machen», fasst Fleisch den Trend zusammen. Letztlich heisse dies aber nicht, dass in der Schweiz unter dem Strich Arbeitsplätze verloren gingen: «Die meisten Betriebe bleiben in der Schweiz und diversifizieren ins Ausland. Davon profitieren alle.» (jac)