Technologien haben einen deutlich längeren Lebenszyklus als Produkte oder Fertigungsmittel. Deshalb müssen sich Unternehmen frühzeitig mit möglichen Anwendungen von neuen Technologien auseinandersetzen. Dabei geht es um die Frage, ob ein Unternehmen mit den aktuell eingesetzten Technologien auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleibt. Ein funktionierendes Innovations- und Technologiemanagement trägt entscheidend dazu bei, Produkt-, Prozess- oder Materialtechnologien rechtzeitig zum Einsatz zu bringen. Dies ist besonders wichtig für Unternehmen in Hochlohnländern: Schweizer Firmen müssen sich primär über Innovationen differenzieren, da sie auf der Kostenebene im globalen Wettbewerb nur in Ausnahmefällen konkurrenzfähig sind.
«Fuzzy Front End»
Technologiemanagement erfordert nicht nur ein Verständnis für Technologien, sondern auch für Märkte. Es braucht ein integriertes Gesamtkonzept. Die Herausforderung dabei ist, verschiedene, kaum miteinander vereinbare Ziele wie tragbare Kosten, hohe Qualitätsansprüche und kurze Entwicklungs- oder Markteinführungszyklen gleichzeitig zu verfolgen.
Die klassischen Innovationsprozesse der Unternehmen vernachlässigen fast alle die frühe Phase der Innovation, das so genannte «Fuzzy Front End» des Innovationsprozesses. Diese Phase wird als «fuzzy» bezeichnet, weil die ihr zugeordneten Aktivitäten in der Regel kaum strukturiert sind. Die «Fuzzy Front End»-Phase beginnt noch vor der Ideenfindung und dauert bis zur Entscheidung, ob eine oder mehrere Ideen weiterverfolgt werden. Sie ist im Gegensatz zur eigentlichen Entwicklungsphase dynamisch und ungewiss. Sie lässt sich auch in keine Routine pressen. Eine systematische Strukturierung und ein kontrollierter Ablauf des «Fuzzy Front End» können spätere, teure Nachentwicklungen verhindern. Die Risiken werden in eine frühe Phase verlegt und Produktentwicklungen dadurch besser einschätzbar.
Hauptziel der «Fuzzy Front End»-Phase ist, die Anforderungen an das Produkt und damit an ein späteres Entwicklungsprojekt zu verstehen und ein klar definiertes Konzept zu erarbeiten. Denn die grundlegende Problematik in einer Produktentwicklung besteht darin, dass die gewünschten Anforderungen an ein Produkt und die Realisierungsmöglichkeiten an verschiedenen Orten angesiedelt sind: Der Kunde gibt die Bedürfnisse vor, deren Umsetzung in das Produkt liegt jedoch beim Hersteller. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kunde seine Bedürfnisse oft nicht artikulieren kann oder sich seiner Bedürfnisse (noch) gar nicht bewusst ist. Dies kann dazu führen, dass aus innovativen Ideen Produkte entstehen, die nicht den Kundenbedürfnissen entsprechen.
Fokus auf künftige Märkte
Bei einer Produktentwicklung muss der Fokus auf zukünftigen Märkten und Anwendungen liegen. Dazu muss ein Unternehmen auch bereit sein, bestehende eigene Produkte zu konkurrenzieren. Das Management eines solchen Prozesses stellt hohe Anforderungen an das Unternehmen. Es muss auch strukturelle Widerstände überwinden.
Es gibt verschiedene Methoden, die Zielgenauigkeit von Innovationen zu erhöhen. Ein wichtiger Ansatz ist, den Kunden unmittelbar in den Innovationsprozess einzubeziehen. Die Firma Caterpillar, Weltmarktführer für Baumaschinen, sensibilisierte zum Beispiel bei ihrem Turnaround Mitte der 90er Jahre die Entwicklungsingenieure, damit sie die Kunden bei der Arbeit mit den Maschinen beobachten. Entscheidend dabei war, dass die Ingenieure auch in der Lage waren, über die direkt artikulierten Bedürfnisse des Kunden hinauszublicken.
Klassische Methoden sind auch Kreativitätstechniken. Sie erlauben anstelle der Lösung, das Bedürfnis zu erkennen und in Kundenprozessen zu denken, respektive diese permanent zu hinterfragen. Ebenfalls hilfreich sind Methoden des Rapid Prototyping oder zukunftsorientierte Instrumente wie Roadmapping, Szenario Management oder Lebenszyklusmodelle und Portfolio-Analysen.
Externe Unterstützung beiziehen
Entscheidend ist also die Berücksichtigung latenter und zukünftiger Kundenbedürfnisse. Denn das alleinige Abstellen auf direkt identifizierbare Bedürfnisse kann gerade in einem dynamischen Umfeld zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen. Traditionelle Methoden der Marketingforschung reichen oft nicht aus, da sie sich nur auf diejenigen Kunden beziehen, die im Zentrum des bis anhin bearbeiteten Marktes stehen.
Die Anforderungen an das Innovations- und Technologiemanagement der Unternehmen haben sich in den letzten Jahren laufend erhöht. Die Budgets werden tendenziell kleiner, die Risiken im Markt grösser. Wer sich in dieser Situation nicht auch den Zugang zu externem Wissen, sei es an Hochschulen, von Kunden oder Lieferanten sichert, macht einen strategischen Fehler.
Prof. Dr. Thomas Friedli, Geschäftsführer, Transferzentrum für Technologiemanagement (TECTEM) der Universität St.Gallen und Privatdozent für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Technologiemanagement.