BILANZ: Seit Sie 2005 nach London umgezogen sind, scheinen Sie von ungebremster Expansionslust befallen. Nun bespielen Sie auch den Sekundärmarkt mit einer Ausstellung in einer alteingesessenen Mayfair-Galerie. Trauen Sie dem Boom der Gegenwartskunst nicht mehr?

Iwan Wirth: Keine Programmgalerie mit junger Kunst kann ohne den Kunsthandel auskommen. Es gehört aber auch zu unserem Anspruch, unseren jüngeren Künstlern einen Kontext innerhalb der Kunstgeschichte zu schaffen. Es bereitet mir ein echtes Vergnügen, mit historischen Ausstellungen immer wieder nach dem Nullpunkt im Koordinatensystem der Kunst zu suchen. Im besten Fall ist das dann auch lukrativ.

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Wie hat sich Ihr Umzug nach London denn konkret auf Ihr Geschäft niedergeschlagen?

Mit unsern Galerien in London haben wir an Internationalität gewonnen. Viele unserer wichtigsten Sammler aus Holland, Belgien, Italien, Deutschland und den USA sowie Südamerika kommen einmal im Monat nach London. Das macht den Kontakt zu ihnen sehr eng. Und Nähe ist das A und O in unserm Geschäft.

Hat sich Ihre Klientel schon um die viel beschworenen russischen und indischen Sammler erweitert?

London als internationalste Stadt überhaupt eröffnet tatsächlich die fantastische Möglichkeit, auf neue Sammler zu treffen. Wir erleben hier eine unglaublich interessante Zeit, in der sich die Gesellschaft verändert. Kunstinteressierte aus Russland und Indien sind zunehmend auf Auktionen, Messen und in Galerien sichtbar. Das ist spannend. Das wussten wir noch nicht, als wir unsere Galerie in London planten.

Trotzdem reisen Sie unermüdlich an Messen. Lastet der Druck so schwer, dass man heute überall dabei sein muss?

Von Druck kann keine Rede sein. Aber die Messen haben, wie fast nichts anderes, die Galerienwelt in den letzten zehn Jahren verändert. Sie tragen entscheidend zur Globalisierung des Kunstgeschäfts bei und sind eine Riesenchance für Galerien aus der Peripherie. So hat man den Zugang zu einem internationalen Kreis von Sammlern, Kuratoren und Kritikern, der sonst nicht so einfach möglich wäre.

Ist das nur von Vorteil? Gerade Messen wie die Art Basel Miami Beach stehen mit ihren Partys und Crossover-Events im Ruf, Kunst zum Lifestyle und trendigen Freizeithobby umgemünzt zu haben.
Ich stehe der Popularisierung offen gegenüber. Snobismus ist da fehl am Platz. Klar gibt es von den Einsteigern auch Leute, die Kunst kaufen wie eine Handtasche. Aber ich bin sicherlich nicht jemand, der Kunst als Dekoration verkauft. Wir verändern wegen der Kunstmessen unser Programm ja nicht. Es hat sich, mit Künstlern wie Christoph Büchel, höchstens radikalisiert. Das ist keine einfache Kost, sondern anspruchsvoll. Auch die Lifestyle-Käufer entwickeln sich unter Umständen zu ernsthaften Sammlern, die sich breiter informieren als nur über den Auktionskatalog.

Sie führen mit Künstlerinnen wie Lee Lozano und Caro Niederer aber mehr Malerei im Programm. Malerei ist sehr en vogue. Passt man sich so dem Markt an?

Ich werde mich hüten, mich dem Markt anzupassen. Man wäre ohnehin immer zu spät damit. Wer auf den kurzfristigen Erfolg und auf Markttendenzen abzielt, hat schon verloren. Deshalb waren wir während des Fotobooms in der Fotografie auch eher untervertreten. Malerei-Positionen gehörten aber mit Mary Heilmann und On Kawara schon lange zu unserem Programm. Luc Tuymans oder Marlene Dumas hätte ich auch gern im Programm gehabt. Aber die waren schon vergeben.

Der Kunstboom bringt derzeit Spekulanten hervor. Kunstkäufer liefern Werke in Auktionshäuser ein, die kaum älter als ein, zwei Jahre sind. Wie schützt man sich als Galerist vor solcher Spekulation?

Ich glaube nicht an Kontrollen. Es gibt zwar Galerien, die sich über Verträge ein Rückkaufsrecht sichern. Aber letztlich bin ich davon überzeugt, dass ein Kunstwerk immer am richtigen Ort landet. Das ist wie mit dem Wasser. Wir haben das Glück, dass im Verhältnis zur Anzahl Werke, die wir vermitteln, nur ein sehr kleiner Teil auf Auktionen wieder auftaucht.

Kürzlich hat aber eine Sammlerin bei Christie’s in London ein Werk von Jason Rhoades verkauft, das sie vor einem Jahr bei Ihnen erworben hat. Haben Sie es nicht auch vermehrt mit Kunstspekulanten zu tun?

So etwas nenne ich tatsächlich schamlose Spekulation. Da war ich sehr enttäuscht. Jason Rhoades war noch nicht zwei Monate tot, und schon kam das Werk auf die Auktion. Es ist klar, dass wir so jemanden nicht mehr bedienen werden. Die Käuferin hatte 50 000 Dollar bezahlt und löste dann 150 000 Dollar.

Der Boom in der Gegenwartskunst hat auch vermehrt Fonds hervorgebracht, die in Kunst investieren. Verkaufen Sie denn an diese nicht?

Doch, Kunstfonds gehören im Sekundärmarkt auch zu unsern Kunden. Die Spekulation mit Kunst ist so alt wie der Kunstmarkt selbst. Sie zu verteufeln, wäre heuchlerisch.

Auch Private bauen teilweise aus reinen Investmentgründen Sammlungen auf, sogar mit Hilfe von Auktionshäusern.
Wir versuchen zu vermeiden, dass Werke unserer Künstler in solche Sammlungen kommen. Gewöhnlich gehe ich davon aus, dass jemand, der bei uns eine Arbeit kauft, mit dem Werk leben will und es nicht aus Spekulationsgründen wieder auf den Markt gibt.

Auktionshäuser konkurrieren das Galeriengeschäft zunehmend. Was haben Sie gegen sie auszurichten?

Im Bereich der Private Sales haben wir tatsächlich eine direkte Konkurrenz erhalten. Denn wir sind ja auch im Sekundärmarkt tätig. Was wir nicht anbieten können, ist die sogenannte Upside, also diese Preisausreisser nach oben. Solche Preise, wie sie teilweise an Auktionen erzielt werden, sind einfach nicht vorhersehbar. Wer aber die langfristige Zusammenarbeit sucht, die Diskretion und Verschwiegenheit eines privaten Kunsteinkaufs oder Kunstverkaufs schätzt, der findet den Weg zu uns. Generell sind wir dank unseren engen Beziehungen zu Sammlern konkurrenzfähig.

Die pflegen Auktionshäuser auch.

Ja, aber über eine gute Beziehung kann sich der Interessent den Zugang zu Werken von Künstlern aus unserem Programm sichern. Bei einer Nachfrage, die grösser ist als das Angebot, macht uns das interessant.

Sind die an Auktionen für Gegenwartskunst erzielten Preise noch realistisch? Spiegeln sie nicht vielmehr wider, wie leicht Geld an der Börse gemacht wurde?

Jeder Preis ist ein realistischer Preis, wenn er erzielt wird. Das ist Marktwirtschaft pur. Was Ölfarbe auf Leinwand wert ist, hat sowieso nur mit Perzeption zu tun.

Aber es ist doch ein Unterschied, ob die Perzeption künstlerischen Kriterien oder äusseren wirtschaftlichen Prinzipien folgt.

Wenn zwei Leute auf einer Auktion einen Preis für ein bestimmtes Werk herauftreiben, ist das, was erzielt wird, der Preis des Werkes. Ob dieses Werk tatsächlich den Wert hat und im Wiederverkauf wieder so viel bringt, hängt von ganz vielen Faktoren ab. Es kann auch jemand im Taxi auf dem Weg zur Auktion stecken bleiben, dann ist der Preis viel tiefer. Genau das ist es, was gewöhnungsbedürftig ist und zugleich den Reiz unseres Geschäfts ausmacht: Eins plus eins ist nicht gleich zwei.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Auktionshäusern aus? Liefern Sie auch Werke ein?
Wir liefern sicherlich nie Werke von eigenen Künstlern ein. Wir kaufen aber unter Umständen unsere eigenen Künstler auf Auktionen zurück. Damit pflegen wir den Sekundärmarkt unserer Künstler.

Damit lassen sich Preise beeinflussen.

Nein, denn man kann den Markt eines Künstlers nur kurzfristig manipulieren. Wenn man den Preis hochtreiben würde, kämen noch mehr Interessenten, und man müsste noch mehr liefern. Das kann man langfristig nicht durchhalten.

Sie lobten stets die Freiheit und Unreguliertheit des Kunstmarktes. Ihre Galerie ist aber strukturiert wie ein KMU mit Projektleitern, Technik, Logistik und einem ausländischen Filialnetz. Ein Widerspruch?

Das Kunstgeschäft ist eines der letzten Geschäfte, das vor allem auf Vertrauen basiert. Das schätze ich. Kaufen Sie ein Auto, lassen Sie sich ein Büchergestell montieren: Sie müssen einen Vertrag unterschreiben. Bei uns laufen 99 Prozent per Handschlag. Das heisst aber nicht, dass man für dieses Geschäft nicht auch eine Struktur benötigt. Die Struktur ist eine Voraussetzung. Ebenso, dass man einen guten Buchhalter hat, die Zusammenarbeit mit Künstlern regelt und seine Mitarbeiter ordentlich bezahlt. Das ermöglicht erst die Freiheiten, die wir haben. Das Modell des betrunkenen Bohémien-Galeristen als Gutmenschen ist eine romantische Vorstellung, die dem Künstler letztlich nicht hilft ...

... und den Ansprüchen des globalisierten Kunstbusiness auch nicht genügt.

Ja, da hat sich tatsächlich etwas geändert. Man muss heute in der Lage sein, sein Flugbillett online zu buchen (lacht).

Heute gibt es auch in der Kunstwelt Power-Listen. Gucci- und Christie’s-Besitzer François Pinault rangiert in der Liste von «ArtReview» auf Platz 1, Sie bekleiden Platz 14. Das lässt auf ein streng hierarchisches System schliessen. Schon Samm- ler beklagen sich über die Hackordnung.

Für mich gibt es nur eine Hierarchie: Das ist die der Qualität der Künstler und der Sammlungen. Und: Wer sagt, dass die, die auf den Power-Listen weit oben stehen, die interessanteren Kunden sind?

Immerhin scheint sich mit Ranking-Listen und grösserer Publizität die Transparenz vergrössert zu haben. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil für den notorisch auf Diskretion bedachten Galeristen?

Der Kunstmarkt ist nicht mehr nur ein elitärer Club der happy few. Er ist grösser und breiter geworden. Dagegen kann ich nichts haben. Rankings sind Orientierungshilfen, die mit einem Augenzwinkern zu geniessen sind. Wir sind ja auch Teil einer Unterhaltungsindustrie.

Nur die Preisbildung umweht noch immer der Hauch des Mysteriösen.

Die Preisbildung ist per definitionem etwas, das mit der Arbeit und dem nachhaltigen Bekanntheitsgrad des Künstlers, der Karriereplanung und dem Dialog mit Institutionen zu tun hat. Dafür sind die Galerien zuständig. Hier sind wir in der Lage, wirtschaftlich gesprochen einen Mehrwert zu schaffen.

Hat Sie, angesichts der Millionen, die in den USA in private Kunstmuseen gesteckt werden, auch schon der Gedanke gepackt, dass das Geld besser für den Wiederaufbau von Schulen in New Orleans flösse?

Es ist sicher nicht das Problem der Kunst, wenn ein Land sein Sozialwesen vernachlässigt. Man kann das nie so abwägen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber gute Kunst verschliesst sich den Missständen nicht. Man darf aber nicht vergessen, dass die Summen, die für Kunst ausgegeben werden, im Verhältnis zu anderer Philanthropie gar nicht so riesig sind. Andererseits ist Kunst auch zu einem Wirtschaftsfaktor der Tourismusindustrie geworden.

Wozu ist Kunst Ihrer Ansicht nach gut?

Kunst verstärkt im besten Fall unsere dünne Zivilisationsdecke eine Spur, indem sie sich mit Problemen und Krämpfen und Ängsten auseinandersetzt. Ich sehe Kunst und Kultur als eine Art Speerspitze unserer Zivilisation. Aber es gilt dabei zu unterscheiden zwischen Kunst und Kunstmarkt.

Iwan Wirth

Iwan Wirth (36) gründete die Galerie Hauser & Wirth 1992 mit seiner Schwiegermutter, der Jelmoli-Mitbesitzerin Ursula Hauser. 2000 folgte die New Yorker Filiale Zwirner & Wirth, 2003 die Galerie in London in einer ehemaligen Bank am Piccadilly. Die Galerie vertritt sowohl etablierte wie auch junge Künstler, darunter Louise Bourgeois, Paul McCarthy und die Schweizer Pipilotti Rist, Christoph Büchel und Roman Signer. Hauser & Wirth beschäftigen 20 Angestellte in Zürich, 15 in London und 5 in New York.