Wenn die Begriffe sich verwirren, ist die Welt in Unordnung» das wusste schon Konfuzius zu berichten. Das gilt auch für den mittlerweile gerne und häufig gebrauchten Terminus Manufaktur. Viele Uhrenfirmen schmücken sich damit, obwohl die Berechtigung eher dürftiger Natur ist. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Uhrmacherei darf sich so nennen, wer mindestens ein Rohwerk selber fertigt.

Die Fertigungstiefe liegt höher als 90 Prozent

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Über diese Forderung kann Jérôme Lambert, der Chef der Richemont-Tochter Jaeger-LeCoultre mit Hauptsitz in Le Sentier, nur milde lächeln. Der 35-Jährige gebietet nicht nur über einen stattlichen Stab von rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch über Uhrenkaliber en masse. Aus Lamberts Mund heisst das so: «Jedes Werk, das in einer Uhr mit unserer Signatur tickt, stammt auch von uns. Bei einer Fertigungstiefe von mehr als 90% haben wir es nicht nötig, uns mit fremden Federn zu schmücken.»

Das Ende der Fahnenstange ist damit noch lange nicht erreicht. In der kontemplativen Umgebung des abgeschiedenen Vallée de Joux kreieren motivierte Konstrukteure und Uhrmacher jedes Jahr mindestens ein neues Uhrwerk. Und die Mitbewerber müssen sich keine Hoffnungen machen, dass die Entwicklungsabteilung eines Tages vor leeren Bildschirmen sitzen wird. «Unser Ideenspeicher ist prall gefüllt», wie Jérôme Lambert mit verschmitztem Lächeln kundtut.

40 Handwerkskünste und 20 Technologien

Verwundert werden sich bei diesem Statement nur jene zeigen, denen der Blick in die verschiedenen Ateliers des weitläufigen Bauwerks bislang versperrt blieb. 200 der insgesamt rund 900 Beschäftigten sind Uhrmacher und Designer, 130 Techniker und Ingenieure. Alles in allem vereint Jaeger-LeCoultre im altehrwürdigen, mittlerweile jedoch vollständig erneuerten und beträchtlich erweiterten Gebäudekomplex 40 verschiedene Handwerkskünste und 20 Technologien.

Lambert: «Unsere treuesten Mitarbeiter arbeiten mittlerweile mehr als 40 Jahre bei Jaeger-LeCoultre. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei neun Jahren.» Letzteres ist ausgesprochen lange für die Uhrenindustrie, die Personalfluktuation und den damit verbundenen Kompetenzverlust nicht sonderlich schätzt. Immerhin dauert es vier Jahre, bis sich einer der jährlich vier neuen Auszubildenden im Hause Jaeger-LeCoultre endlich Uhrmacher nennen darf. Bis er an Topkomplikationen wie Chronographen, ewige Kalendarien oder gar Tourbillons gelassen wird, gehen sieben bis zehn Jahre ins Land.

Verständlich, dass sich Jérôme Lambert von Kündigungsschreiben und dem Verlust mühsam antrainierter Fertigkeiten wenig begeistert zeigt. Qualifizierte Uhrmacher, die sich mit ihrer Marke voll und ganz identifizieren, sind nämlich immer sehr begehrt. In Zeiten der Hausse, aber auch in jenen, da Schmalhans Küchenmeister ist. Statistisch zur erfreulichen Personalsituation in Le Sentier an dieser Stelle nur noch so viel: 52% der Beschäftigten sind Frauen, etwa 60% des Mitarbeiterstabs reisen jeden Tag aus dem benachbarten Frankreich an. In den Haute-Horlogerie-Ateliers dominiert das männliche Geschlecht mit 70 bis 80% des dortigen Personalbestands. Schliesslich gilt es auch das noch zu vermelden: Bei jungen Menschen geniesst Jaeger-LeCoultre als potenzieller oder faktischer Arbeitgeber einen guten Ruf. Denn: «Bei uns», so Jérôme Lambert, «kann man lernen, Erfahrungen sammeln und jede Menge Kompetenzen erwerben.»

Das gilt für die Fertigung der kompletten Rohwerke bis hin zu winzigsten Komponenten wie Zahnrädern, Trieben oder Schrauben. Selbst vor den komplexen Ankern schreckt die Manufaktur unter den Manufakturen nicht zurück. Wer Teile dieser Art herstellen kann, für den sind die übrigen Komponenten eines Uhrwerks eine eher leichte Übung. Darüber hinaus gehören auch Gehäuse, einfache Zifferblätter und Zeiger zum breit gefächerten Fertigungsspektrum.

Die Reverso ist nach wie vor das starke Standbein

Gegenwärtig steuern die legendäre Reverso 60 und die Master-Linie 35% zum Umsatz bei. Der kleine, aber nicht minder interessante Rest von 5% gehört der Atmos, also jener Pendule, die genügsamst von der Luft lebt.

Wenn es nach dem Willen von Jérôme Lambert geht, will Jaeger-LeCoultre die starke Reverso-Lastigkeit in den kommenden Jahren sukzessive reduzieren. Deshalb unternehmen Lamberts Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle erdenklichen Anstrengungen, um das Gewicht weiter zu Gunsten der «meisterlichen» Linie und dort insbesondere der sportlichen Compressor zu verschieben.

Die Vorstellung des hoch komplexen Gyrotourbillon I mit 8-Tage-Werk, sphärischem Drehgestell, ewigem Kalender und Äquationsanzeige im Jahre 2004 ist beredter Beweis dafür, dass die Zeit bei Jaeger-LeCoultre nicht stehen bleibt. Mit dem Kaliber 177 hat Eric Coudray, der Spezialist für heikle Missionen, sein vorläufiges Meisterstück geschaffen. Seit Anfang 1989 pendelt der Franzose von seinem 200 Jahre alten Bauernhof in Foncine nach Le Sentier. Obwohl er ungern redet, hier eines der spärlichen Statements von Coudray zu seiner Tourbillon-Konstruktion: «In den vergangenen 200 Jahren ist in der Uhrmacherei so gut wie nichts mehr passiert. Ich denke zwar auch traditionell, aber ich lebe heute. Deshalb muss man dort, wo erforderlich, ganz neue Wege beschreiten.» Und das tat er denn auch, der Chef von «mon atelier», also «meiner Werkstatt». Sein kreatives Schaffen hauchte einem Uhrwerk Atem ein, das es in dieser Form und Ausprägung noch nie gegeben hat. «Breguet und auch Charles-Antoine LeCoultre haben immer Material verwendet, das sie mit den Werkzeugen ihrer Zeit bearbeiten konnten. Hätten sie computergesteuerte Maschinen besessen, wären andere Werkstoffe kein Thema gewesen. Warum also sollte ich dem 21. Jahrhundert nicht den ihm gebührenden Respekt zollen. Für mich geht Funktion vor Optik. Daher habe ich mich bei der Fertigung des sphärischen Tourbillons in erster Linie für Aluminium und Titan entschieden.»

Dass Jérôme Lambert dem notorischen Querdenker Eric Coudray nicht nur freien Lauf liess, sondern ihn auch nach Kräften unterstützte, spricht für den Manufaktur-Chef.

Kompromisslos gibt er sich hingegen bei der Tatsache, dass jedes der 75 Exemplare des Gyrotourbillon I vor der Lieferung einem gnadenlosen 1000-Stunden-Test unterzogen wird. «Das ist fester Bestandteil unserer Master-Philosophie. Es gibt deshalb keinen Grund, beim Gyrotourbillon I, unserem derzeitigen Spitzenstück, davon auch nur ein Jota abzuweichen.»

Stösse von 600 G mit Luftpolster abgefedert

Im übertragenen Sinn gilt diese Feststellung Lamberts auch für den brandneuen Master Compressor Extreme World Chronograph. Dabei handelt es sich um den ersten Automatik-Chronographen mit Schaltradsteuerung und Weltzeitindikation von Jaeger-LeCoultre. Sein opulentes, zweiteiliges Stahl-/ Titan-Gehäuse mit Luftkissenpolster nimmt selbst Stössen von 600 G ihre brachiale Gewalt.

Dieses Opus technicus ist weiterer Beleg für die Innovationskraft einer Manufaktur, welche mit Blick in ihre Annalen zu Recht als «Quelle der Komplikationen» gelten kann und die trotz ihrer 172 Jahre kein bisschen alt ist.

1000-Stunden-Test

Ein unerbittlich langer Dauerlauf garantiert Ganggenauigkeit

Das 1992 von Jaeger-LeCoultre ins Leben gerufene Testprogramm 1000 Hours Control ist in der Uhrenwelt zu einer Institution geworden. Seit 2003 verlässt keine Uhr von Jaeger-LeCoultre die Manufaktur in Le Sentier, ohne den «Dauerlauf» absolviert zu haben. Ohne Beanstandungen, versteht sich. Umgerechnet immerhin fast 42 volle Tage werden die Meisterstücke kontrolliert, deshalb sind die anschliessenden Qualifikationen ein Garant für Topqualität. Die unerbittlich strenge Testserie erstaunt immer wieder auch die Besucher der Manufaktur: Geprüft werden Ganggenauigkeit, Wasserdichtigkeit und Widerstandsfähigkeit.

Diese Prozedere gelten besonders auch für die Jaeger-LeCoultre-Neuheiten 2005, den Master Compressor Chronograph und den Master Compressor Extreme World Chronograph; hier macht der Stoppuhrmechanismus noch zusätzliche Kontrollen notwendig. Jede einzelne Chronographenfunktion - Start, Stopp und Nullrückstellung - wird 200-mal getestet.

Die Ganggenauigkeitskontrollen wurden zudem verdoppelt. Die Messungen erfolgen in zwei Schritten während der Stoppuhrmechanismus läuft und wenn er nicht in Betrieb ist. Diese Detailprüfung der Uhrzeit dauert eineinhalb Wochen: Drei Messtage mit eingeschaltetem Chronographen, drei Tage mit ausgeschaltetem Chronographen und drei Tage mit Tragsimulation.

Beim weiteren Test der Gangreserve wird die Gangdauer der Uhr bei eingeschalteter und bei ausgeschalteter Chronographenfunktion geprüft.