Eigentlich sollte der Braunschweiger Jan Kunath Metzger werden. Das ist in seiner Familie Tradition. Seit über fünf Generationen wird dieser Beruf in seiner Familie vererbt, so wie es einst im Mittelalter üblich war. Und die Kunaths haben es damit weit gebracht: In ihren Blütezeiten führten sie 30 Metzgerei-Filialen und beschäftigten 350 Mitarbeitende in Norddeutschland. Als einziger Sohn neben zwei Mädchen war Kunath prädestiniert, das Unternehmen einst zu leiten.

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Doch es kam alles ganz anders. Am 1. Juli dieses Jahres wurde Jan Kunath CEO der Bon appétit. Nur drei Wochen vorher hat ihn Rewe-Chef Ernst Dieter Berninghaus angefragt, ob er diesen Posten in Volketswil übernehmen werde. Denn mit dem vorzeitigen Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Hans Reischl kam es beim deutschen Handelskonzern Rewe, dem Mutterhaus von Bon appétit, zu Rochaden: Kunaths Vorgänger bei Bon appétit, der Franzose Alain Caparros, wurde in die Rewe-Unternehmensleitung nach Köln berufen.

Bei der Anfrage zum CEO war Kunath sofort klar: «Das kann ich. Das mach ich. Da kann ich noch etwas entwickeln.» Er hatte bereits zuvor dem Retailgeschäft von Bon appétit beratend zur Seite gestanden und so «liebe Kollegen» kennen gelernt. Das Coaching sei beim deutschen Handelskonzern sehr wichtig für das Auslandgeschäft: «Hilfe zur Selbsthilfe» nennt er das.

Er will wissen, wie an der Basis gefühlt wird

Helfen und anpacken hat er schon in jungen Jahren gelernt. Bereits als Knabe klebte er Etiketten auf Wurstdosen auf und half mit, Schaschlik-Spiesse zu stecken. Auch wie man Tiere schlachtet, weiss er. «Wer ein Unternehmen führt, muss das Handwerk von der Pike auf kennen. Ich absolvierte deshalb nach der Handelsschule eine Lehre als Fleischer», sagt er. Und diesem Grundsatz ist er treu geblieben. So weiss er, was es bedeutet, an der Kasse im Laden zu sitzen und trotz Rückenschmerzen zu lächeln, auch wenn die Kunden schlecht gelaunt sind. «Es ist elementar zu wissen, wie an der Basis gefühlt wird.»

In der Bundeswehr wurde er ein «Erdferkel»

Nach der Lehre holte er das Fachabitur Wirtschaft nach. Danach musste er Militärdienst leisten. Er wählte die Panzergrenadiere aus: «Erdferkel nannte man uns.» Dort wurde er bald befördert. «Bereits im Alter von 21 Jahren erhielt ich die Chance, einen Zug mit 20 Soldaten zu führen das war toll.»

Die Bundeswehr war damals eine reine Männergesellschaft, die straff geführt wurde. Die Erfahrungen im Militär haben ihn geprägt. «Ich habe dabei gelernt, wie wichtig Entscheidungen sind.» Bei einer Gefechtsübung hat er einen Fehlentscheid getroffen, indem er seinen Soldaten befahl, die Stellung zu halten, statt sich zu verschieben. «Im Ernstfall hätte mein Entscheid Menschenleben gekostet.» Er ist sich deshalb bewusst, dass ein zentraler Entscheid in seiner neuen Funktion als CEO der Bon appétit 4500 Mitarbeitende betrifft. «Und mit ihren Familienangehörigen sind es noch weit mehr.»

Bereits zu Beginn seines Betriebswirtschaftsstudiums an der Universität in Berlin zeichnete sich ab, dass sein Vater das Unternehmen verkaufen musste. Weil sein Vater den falschen Leuten vertraute, glitt der Familienbetrieb in die roten Zahlen. «Für meine Eltern war das ein harter Schlag, für mich weniger. Ich orientierte mich einfach anders.» Seine Lehre aus diesem Fall: «Die Auswahl des richtigen Führungsteams ist match-entscheidend. Denn der Fisch beginnt beim Kopf zu stinken.»

Während des Studiums jobbte er in Berlin als Kellner und Buffetier in einem Golfklub oder als Barkeeper in Kreuzberg. Und in den Semesterferien arbeitete er immer wieder als Zugführer in der Armee. Denn dort verdiente er verhältnismässig gut.

Mit Rewe Karneval gefeiert, bleibt man der Firma treu

Nach dem Studium heuerte er bei Rewe in Berlin an und blieb dem Unternehmen bis heute treu. Das gelte auch für die Zukunft: «Bei Rewe werde ich bleiben.» Denn Rewe ist für ihn wie eine Familie. In der Zentrale in Köln hat er seine Frau kennen gelernt. Sie leitet dort die Abteilung der zentralen Einrichtungen, im Fremdwort «Facility Management». Kunath ist begeistert von der deutschen Handelskette: «Wer bei Rewe einmal den Karneval gefeiert hat, der geht nicht mehr weg», lacht er und erzählt, wie er als Einziger einmal ohne Verkleidung an den Maskenball ging. «Peinlich war das.» Der rheinländische Frohsinn und der freundschaftliche Umgang im Unternehmen haben es dem Nordländer angetan. «Es gibt keine Status- oder Berührungsängste.»

«Im Detailhandel spielt die Musik draussen»

Sukzessive stieg er bei Rewe die Karriereleiter empor. Zuletzt eroberte er für Rewe Osteuropa. Als Vorstandsmitglied von Eurobilla war er zuständig für die Geschäfte in Polen, Kroatien, Bulgarien, Tschechien, Rumänien sowie für die Slowakei und die Ukraine. Er hatte zwar ein Büro in Wien und am Rewe-Hauptsitz in Köln. Doch meist war er unterwegs auf der Pirsch nach neuen Standorten. «Mein Büro war der Laptop. Im Handel spielt die Musik draussen.» Diesem Grundsatz will er treu bleiben und die verschiedenen Unternehmensteile der Bon appétit immer wieder selber aufsuchen.

Vor zwei Wochen hat er eine Mietwohnung in der Schweiz ganz in der Nähe seines Arbeitsortes Volketswil gefunden. So kann er seinem Hobby, dem Joggen, frönen. Noch aber pendelt er an den Wochenenden zu seiner Frau nach Neuss, einer Stadt zwischen Düsseldorf und Köln, wo er eine Eigentumswohnung besitzt.

Ein weiterer Grund, die Berufung anzunehmen, waren die Schweizer Alpen. Der gestählte Manager ist ein leidenschaftlicher Bergsteiger. Vor zwei Jahren erklomm er den 6900 m hohen Aconcagua in Südamerika. «Dabei spielt für mich weniger das Erklimmen des Gipfels eine Rolle als vielmehr das Erlebnis in der Gruppe und die ganze Vorbereitung für den Trip.» Auch Skitouren haben es ihm angetan, den Montblanc hat er bereits erobert. Jeden Morgen joggt er eine Stunde, um sich fit zu halten. Das ist ihm ungeheuer wichtig.

Manche finden seine Geheimratsecken attraktiv

Und wie hält er es mit der Kultur? «Da bin ich im Konflikt mit der Zeit.» Aber falls er etwas Zeit findet, gehe er gerne in Musicals. Nächstes Jahr feiert er seinen 40. Geburtstag. Ist er wunschlos glücklich? «Gerne hätte ich einen Sohn zum Fussballspielen», lacht er. Dass er immer mehr Haare verliert, bereitet ihm keinen Kummer: «Manche finden dies gar attraktiv.»

An der Schweiz erstaunt ihn das grosse Interesse der Medien am Detailhandel. «In Deutschland war dies nicht der Fall.» Sein Ziel ist es, die Gruppe weiter zu entwickeln, und viel sagend erklärt er: «Der Handlungsbedarf ist gross.» Mehr verraten will er nicht über das Geschäft und seine konkreten Unternehmensziele in der Schweiz: «Räumen Sie mir 100 Tage ein, bevor ich Ihnen über das Geschäft Red und Antwort stehe.»