Wie üblich auf internationalen Flughäfen führen endlos lange Gänge durch ein Labyrinth aus gesichtslosen Bürofluren, bis man plötzlich beim Chef vor der Tür steht. Im Vorraum eine Polstergruppe für Wartende, einer der Stühle ist ein technisches Monstrum, ein Schleudersitz, ausgebaut aus einem «Hunter», dem ehemaligen Erdkampfflugzeug der Schweizer Luftwaffe. «Das ist keine Anspielung auf meinen Abgang hier», lächelt Jean-Pierre Jobin und begrüsst im eleganten Zweihreiher mit einladender Geste, «es ist ein persönliches Geschenk des Chefs Flugwaffe. Wir haben seit Jahrzehnten ein freundnachbarliches Verhältnis mit der Swiss Air Force.»

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Jobin, Directeur général, arbeitet seit 36 Jahren hier in Cointrin. Angefangen hat er als Hoch- und Tiefbauingenieur, seit zwölf Jahren ist er CEO des Unternehmens. «Ich habe meinen Grad an Inkompetenz erreicht», scherzt er.

Die «Freunde in Zürich»

Souverän und mit der Ausstrahlung des Hausherrn führt er den Besuch in sein Büro. Gewaltig die Aussicht des Chefs auf seinen Flughafen, nur die Leute im Tower haben die bessere Übersicht. Flugzeug um Flugzeug startet oder landet, viele von ihnen tragen auf der weissen Heckflosse das orange «EasyJet.com». Auf dem Pult Berge von Akten, auf dem Fenstersims eine Reihe von Modellflugzeugen, Iran Air, Emirates, «alles Geschenke von befreundeten Partnern», sagt Jobin. Und keine Swiss-Maschine? «Mais bien sûr», sagt der Maître und deutet auf zwei grosse Modelle, die hinter Stapel von Plänen und anderen Papieren versteckt sind. «Unsere Freunde aus Zürich sind nach wie vor gern gesehen in Genève.»

Die vielen Pläne auf dem Tisch sind eine der Reaktionen Jean-Pierre Jobins auf jenen schwarzen Tag in der Geschichte des Flughafens Genf, als die Swissair unter ihrem frischgebackenen CEO Philippe Bruggisser 1996 bekannt gab, sich fortan auf den Hub in Zürich zu konzentrieren und viele der internationalen Flüge von Genf aus zu streichen. Damals war eine ganze Region vor den Kopf gestossen worden. «Es war brutal», erinnert sich Jobin, «ein Schock. Auch die Art und Weise, wie es geschah.» Aber Jobin macht nicht den Eindruck, als hätte er sich lange über den Schicksalsschlag gegrämt. «Alors, qu'est-ce qu'on fait?» hat es am Sitzungstisch geheissen, und die Strategie war schnell klar. «Genève ist ein Flughafen der Region, das Potenzial der Region ist da, wenn Swissair nicht will, wer dann?»

In der Rekordzeit von zwei Jahren hatte es die Westschweiz geschafft, in Bern die Gesetze so zu ändern, dass sich Genève frei machen konnte für andere Fluggesellschaften. Dann kam jener Tag, an dem EasyJet um einen Termin bei Jobin anfragte. «Ich erinnere mich sehr genau», erzählt er gutgelaunt, «wie dann eines Tages Herr Stelios hier auf diesem Stuhl sass, auf dem Sie jetzt sitzen, und er erzählte mir, wie er unsere Freunde in Zürich angefragt habe, ob er möglicherweise mit ihnen über Landerechte ins Geschäft kommen könnte. Man habe ihm zu verstehen gegeben, dass er sich wohl in der Adresse geirrt habe, man sei hier Unique, und er sei in sechs Monaten ohnehin vom Markt.»

Swissair-Rückzug mehr als wettgemacht

Jobin geniesst es, die Dinge klar und deutlich darzustellen. «, habe ich ihm gesagt, 20% Kannibalismus, hat er mir geantwortet, und 80% werde ich Ihnen neue Passagiere bringen. Und er hat sein Wort gehalten.» Heute hat EasyJet Switzerland fünf Maschinen in Genf immatrikuliert und bringt 2 Mio Passagiere, 80% davon sind Neukunden, Leute, die jetzt für wenig Geld nach Paris, London, Nizza fliegen. «Viele Angestellte der internationalen Organisationen fliegen heute nicht mehr einmal im Jahr, sondern einmal im Monat nach Hause, und ich kenne eine Familie in Lausanne, die lässt ihre Oma regelmässig als Babysitterin von London einfliegen, wenn sie mal ins Theater wollen.» Genf hat den Teilrückzug der Swissair mehr als wettgemacht.

Jean-Pierre Jobin versteht sich in erster Linie als Chef dieses Flughafens, quasi als Portier für die Region, und mit der Ansiedelung von EasyJet ist es ihm gelungen, den Schaden, den die Swissair mit ihrem Abzug angerichtet hat, in einen Vorteil umzuwandeln. Wie er das geschafft hat? «Avec Charme, évidemment.»

Jobin ist Chef von rund 600 Angestellten, aber sein Flughafen beherbergt 150 Gesellschaften mit insgesamt 6000 Angestellten. «Ein solches Puzzle zusammenzuhalten, ohne hierarchische Befugnisse, da müssen Sie mehr können als nur befehlen.» Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Jobin hier nicht als Topmanager von aussen zugestiegen ist, sondern sich im Hause hochgearbeitet hat und jeden hier kennt. «Unser Unternehmen ist noch einigermassen übersichtlich, gewisse Dinge kann man bei einem Kaffee regeln, man nimmt sich nicht so wichtig.»

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Jobin immer ein wenig auf die Konkurrenz in Kloten anspielt. Ist die Schmach doch nicht ganz überwunden? «Schauen Sie, die Idee von Swissair und Unique, in Zürich einen Hub aufzubauen, ist zu hoch gegriffen. Ich habe niemals gewünscht, dass die Swissair oder die Swiss oder Unique scheitern, im Gegenteil, aber wir haben uns hier in Genf daran gehalten, vernünftig zu investieren, und das ist uns gut bekommen.»

Die nächste Investition, die Jobin vorantreibt, liegt in Form von Plänen stapelweise auf seinem Tisch. Um den Billigfliegern bessere Konditionen gewähren zu können, will er den alten Terminal, der heute für Charterflüge im Winter genutzt wird, wieder auf Vordermann bringen und als eigenen Terminal mit eigener Kostenstruktur auf dem Markt anbieten. «23 Fluggesellschaften haben sich für das Projekt interessiert, Virgin und EasyJet haben innert zwei Monaten offeriert. Wir sehen der Sache zuversichtlich entgegen.»

Wohlverdiente Pension geniessen

Bei all den Fliegern aus aller Welt, die da vor dem Fenster landen oder starten, ist Jobin ein Mann vom Bau geblieben. Er wohnt nicht auf dem linken Seeufer, wie es seine Stellung vermuten liesse, er wohnt ganz in der Nähe des Flughafens, kennt die Nachteile des Fluglärms und ist mit den Anwohnern im glaubwürdigen Gespräch. Die Fliegerei selber hat ihn nur am Rande gestreift. Das Flugbrevet hat er mal gemacht, das einfache Sichtflugbrevet, ohne Einziehfahrwerk, ohne Instrumentenflug, ohne zwei Motoren. «Es hat Spass gemacht.» Aber heute fliegt er nicht mehr. «Als Sportflieger muss man dann fliegen, wenn das Wetter einwandfrei schön ist», erzählt er, «und ich habe mir früher hie und da erlaubt, meine Überstunden dann abzubauen, wenn das Wetter einen Ausflug erlaubt. Da hat man gemunkelt, der Jobin fliege während der Arbeitszeit. Da habe ich sofort aufgehört.»

Disziplin, Engagement, Charme. Genf Cointrin hat in den zwölf Jahren unter CEO Jobin eine gute Entwicklung durchgemacht. Im nächsten Jahr wird Jobin 65. Was dann? «Ich werde meine Pension geniessen. Sie ist wohlverdient.» Und die Nachfolge? «Wir sind daran, sie aufzugleisen. Es braucht jemanden, der diesen Laden weiterführt. Es braucht niemanden, der hier was kaputt macht, niemanden, der was aus dem Dreck ziehen muss, es braucht jemanden, der diesen Laden gesund weiterführt. Denn der Laden ist gesund.»

Der Flughafen ist sein Leben

Steckbrief

Name: Jean-Pierre Jobin

Funktion: Directeur général, Aéroport International de Genève

Geburtsdatum: 8. Januar 1941

Wohnort: Le Grand-Saconnex GE

Familie: Verheiratet, drei erwachsene Kinder

Transportmittel: BMW X3

Karriere

1966 Diplomingenieur ETH, Lausanne

1966 Ingenieurbüro Basel, Ingenieur

1969 Flughafen Genf, Ingenieur

Seit 1. August 1993 Directeur général, Flughafen GenfFirma

Flughafen Genf begann 1922 als einfache Graspiste. Die Krise kam, als sich die Swissair 1996 von «Genf scheiden liess» und viele internationale Direktverbindungen strich. In der Folge liess sich EasyJet Switzerland in Genf nieder, betreibt hier fünf Maschinen und bringt rund 26% des Passagieraufkommens (Swiss 18%). Genf Cointrin empfängt jährlich rund 8,5 Mio Fluggäste und erwirtschaftete 2003 einen Umsatz von 215 Mio Fr. und einen Reingewinn von 27 Mio Fr. Cointrin verbindet die Region über 51 Fluggesellschaften mit 101 Destinationen, davon 60 in Europa.