Oktober 2001: Gerade mal drei Monate steht John Mack an der Spitze von Credit Suisse First Boston (CSFB), als sich der grosse Showdown mit Frank Quattrone anbahnt, dem mächtigen Chef der Technology Banking Group. Bezeichnenderweise vereinbaren die beiden, sich weder in New York, dem Sitz der CSFB, noch in Palo Alto, dem Hauptquartier Quattrones, zu treffen, sondern in Kansas City, ziemlich genau auf halber Strecke.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Das Einvernehmen zwischen den Männern war angespannt seit ihrer gemeinsamen Zeit bei Morgan Stanley. Mack war damals Präsident und hatte 1996 Quattrones Forderung nach lukrativen Sonderkonditionen und grösserer Unabhängigkeit zurückgewiesen. Quattrone lief daraufhin mit seinen Getreuen zur Konkurrenz über. Er landete bei der CSFB, wo er und sein Team – unbestritten einige der talentiertesten Dealmaker der Hightechbranche – ab 1998 quasi freie Hand hatten. Im Juli 2001 dann wurde Mack zum CEO von CSFB ernannt. Es lief gerade ein Ermittlungsverfahren gegen die Firma wegen angeblich unzulässiger Zuteilungspraxis von Aktien bei Börsengängen. Der Verdacht: Die Firma habe Investoren gezwungen, als Gegenleistung für eine Vorzugsbehandlung bei attraktiven IPO-Zuteilungen überhöhte Provisionen zu zahlen.

Mack spielte einige Zeit mit dem Gedanken, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen und Quattrone zum sofortigen Verlassen der Firma aufzufordern. Von Anfang an waren ihm die Fürsten innerhalb des CSFB-Reiches ein Dorn im Auge, und Quattrone war der mächtigste von allen. Mack musste auch zur Kenntnis nehmen, dass die Hausjuristen bis dato keinerlei Beweise dafür gefunden hatten, dass Quattrone irgendwelche Gesetze im Zusammenhang mit den IPOs gebrochen hatte. Das machte eine schnelle Lösung so gut wie unmöglich.

Quattrones Vertrag enthielt eine Klausel, die im Falle einer fristlosen Kündigung eine Abfindung in dreistelliger Millionenhöhe vorsah. In einem privaten Speisesaal des Hotels Fairmont in Kansas City ging Mack zu Plan B über. «Ich werde Ihren Vertrag zerreissen», sagte Mack kühl. «Unmöglich, ein Vertrag ist ein Vertrag», erwiderte Quattrone laut anwesenden CSFB-Mitarbeitern. «Ich kann es sehr wohl tun», widersprach Mack, «und ich denke, ich habe solide juristische Gründe.»

Mack erklärte Quattrone, der Vertrag behindere seine Mission, das Unternehmen zu sanieren. Die beiden Kontrahenten diskutierten zwei Stunden lang. Am Ende des Dinners einigten sie sich auf eine Neuverhandlung. «Er spürte meine Entschlossenheit», sagt Mack heute. Mit der Zustimmung zu neuen Konditionen, so machte Mack seinem Gegenüber klar, würde Quattrone auf andere Weise entschädigt. «Er tat es schliesslich, weil er mir vertraute.»

Vertrauenswürdig sein, Opfer belohnen, verantwortungsvoll handeln: Das sind wichtige Werte für John Mack, der die Grundzüge des Geschäftslebens von seinem Vater erlernte, einem libanesischen Einwanderer, der einen kleinen Laden in Mooresville, North Carolina, betrieb. Nach Macks Verständnis lieferte Quattrone ihm das entscheidende Zugeständnis: Der Starbanker erklärte sich bereit, seine Entlohnung an die Leistung des Unternehmens zu koppeln. Seine Bezahlung fiel von rund 100 Millionen Dollar im Jahr 1999 auf einen Bruchteil im Jahre 2002. Sozusagen als Dankeschön berief Mack den Kalifornier ins 27 Mitglieder umfassende Executive Board der CSFB und proklamierte öffentlich sein «volles Vertrauen» in dessen moralische Integrität. Das Verhältnis zwischen den beiden Männern war laut Mack ein Jahr lang «durchaus gut, sehr professionell».

Bis zu dem Tag, als Frank Quattrone angeklagt wurde.

Am 29. September wird gegen Frank Quattrone ein Gerichtsverfahren eröffnet. Er ist in drei Fällen angeklagt wegen Behinderung der Justiz und Vernichtung von Beweismaterial: der bisher spektakulärste Fall in dieser an Skandalen an der Wall Street nicht unbedingt armen Zeit. Quattrone selbst bekennt sich nicht schuldig. Und während er – nicht CSFB – auf der Anklagebank sitzt, werden die Scheinwerfer im Gerichtssaal unweigerlich auf jene ausser Rand und Band geratene Cowboykultur gerichtet, in die eben auch Mack involviert ist. Dies könnte sein Image als aufrechter Reformer durchaus trüben. Gefragt nach den Lehren aus dem Kapitel Quattrone, antwortet Mack nur: «Ich habe erfahren müssen, dass das Leben oft kompliziert ist.»

John Mack und Credit Suisse First Boston ist nicht ausschliesslich eine Geschichte der Triumphe. Es ist auch eine Geschichte des schlichten Überlebenskampfes. Mack (58) übernahm einen Scherbenhaufen gigantischen Ausmasses, als er im Juli 2001 zur CSFB kam. Noch im letzten Jahr überschlugen sich die Wirtschaftsmedien mit Spekulationen, wann die CSFB verkauft werde – heute spricht niemand mehr davon. Anfang August verkündete die CSFB einen Reingewinn von 296 Millionen Dollar fürs zweite Quartal. Analysten waren davon ausgegangen, dass das Unternehmen, die fünftgrösste Investment-Bank der Welt, in diesem Jahr rund 350 Millionen Dollar Gewinn erwirtschaften könnte, nachdem im Vorjahr noch ein Verlust von 1,2 Milliarden Dollar verbucht worden war. Nun aber sahen sich die Analysten gezwungen, ihre Schätzungen nach oben zu revidieren.

Der Weg zurück zur Rentabilität war steiniger, als Mack es sich vorgestellt hatte. «Ich wusste ehrlich gesagt nicht, in welchen Schwierigkeiten das Unternehmen steckte», gibt er heute offen zu. Hatte die Investment-Bank lange als innovatives und erstklassiges Unternehmen gegolten, ist der exzellente Ruf der Firma in der Branche längst verspielt. Im Jahr 2000, als der Finanzdienstleistungsbereich eine Welle von Fusionen verzeichnete, erwarb CSFB die Investment-Boutique Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) für zwölf Milliarden Dollar.

Ein schlechtes Geschäft, wie sich bald erwies. Zum einen zahlte CSFB auf dem Höhepunkt der Börseneuphorie einen viel zu hohen Preis. Zum anderen waren CSFB und DLJ letztlich in den gleichen Geschäftssegmenten tätig. Um die verunsicherten Topbanker am Weggang zu hindern, öffnete Macks Vorgänger Allen Wheat grosszügig das Portemonnaie und trieb das Gehaltsniveau in astronomische Höhen. Die CSFB: ein aufgeblähtes Unternehmen, überbesetzt mit arroganten und viel zu teuren Bankern, die ihre Abteilungen je nach Lust und Laune führten.

John Mack ging diese Missstände mit der ihm eigenen Mischung aus Charme und Härte an. Während seiner 29 Jahre bei Morgan Stanley stand Mack, der vom Anleihenverkäufer zum Big Boss aufgestiegen war, im Ruf, ein engagierter Teamplayer zu sein. Aber er war gleichermassen als knallharter Kostendrücker bekannt, eine Eigenschaft, die ihm den nicht ganz so liebevoll gemeinten Spitznamen «Mack the Knife» (nach der gleichnamigen Figur in Bertolt Brechts «Dreigroschenoper») einbrachte.

Sein Verständnis von Management übertrug er nahtlos auf die Credit Suisse First Boston und eliminierte rund 10 000 der 27 500 Arbeitsplätze. Einsparungen insgesamt: mehr als drei Milliarden Dollar. Mit besonderer Verve verfolgte er die horrenden Bonuszahlungen, die das Unternehmen seit dem DLJ-Erwerb belasteten. «Eine unglaubliche Menge an Shareholder-Value ist da vernichtet worden», ärgert sich Mack. Er schaffte es, die lange verhätschelten Banker des Unternehmens davon zu überzeugen, insgesamt 421 Millionen Dollar an Boni zurückzuzahlen. Dass Investment-Banker freiwillig ihren eigene Bonus zusammenstreichen, dürfte ein einmaliger Vorgang sein. «Wir haben tolle Leute hier, die gewillt sind, Opfer zu bringen», resümiert Mack.

Er möchte CSFB nicht nur zu einem profitablen Unternehmen formen, sondern auch zu einem, dass an der Wall Street bewundert wird. Auf dem Weg dorthin vertraut er nicht ausschliesslich auf harte Schnitte, sondern auch auf die Schaffung einer neuen Unternehmenskultur. «John Mack hat ausgesprochen hohe Ansprüche hinsichtlich moralischen Verhaltens», sagt Walter Kielholz, Verwaltungsratsvorsitzender der CS Group, «er will bei der CSFB das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.»

Diese Haltung förderte auch Macks Ansehen in Zürich. Als der Verwaltungsrat im vergangenen September den zögerlichen CEO Lukas Mühlemann entliess, bot er Mack die Position eines Co-CEO der Gesamtgruppe an. Mack akzeptierte aus Pflichtbewusstsein. Und wohl auch in der Hoffnung, dass ihm der zusätzliche Einfluss dabei helfen könnte, den Turnaround in New York zu schaffen. Seither verbringt er einige Tage pro Monat in der Schweiz und konferiert regelmässig mit seinem Counterpart Oswald Grübel (59), der derzeit das Retail- und das Private Banking sowie die Versicherungsgeschäfte der Gruppe neu ordnet. Die Partnerschaft funktioniert – wohl deshalb, weil «keiner von uns beiden sich darum reisst, alleiniger CEO zu sein», so Mack, der als erster Amerikaner an der Spitze einer europäischen Grossbank steht.

Er hätte es sich beileibe einfacher machen können. Als John Mack vor zwei Jahren Morgan Stanley verliess, hatte er ein privates Vermögen von 600 Millionen Dollar in Aktien und Optionen angehäuft. Zusätzlich zu den Vorwürfen schwerer moralischer Verfehlungen (die angesprochenen Gegengeschäfte bei Börsengängen, die Finanzierung des skandalgeschüttelten Energiekonzerns Enron und Probleme mit Regulierungsbehören in Europa und Asien), die auch andere Banken plagen, muss sich Mack mit hausgemachten Problemen herumschlagen. Mit ihrer ausufernden Kostenstruktur war das Institut während des konjunkturellen Abschwungs besonders anfällig. Tatsächlich schrieb die CSFB als einzige grosse Investment-Bank 2001 rote Zahlen.

Fünf Schritte zum Erfolg
John Mack konnte die defizitäre Credit Suisse First Boston wieder in eine profitable Investment-Bank verwandeln.
  1. Drückte die Kosten um mehr als drei Milliarden Dollar.
  2. Reduzierte die Mitarbeiterzahl von 27 500 auf 17 500.
  3. Verkaufte die Töchter Pershing und DLJ Direct sowie diverse Immobilien.
  4. Überzeugte Topmanager, 421 Millionen Dollar an Boni zurückzuzahlen.
  5. Strich langfristige Arbeitsverträge mit garantierten Mindestzahlungen.

Für Mack bestand die Herausforderung zunächst darin, «präzise zu identifizieren, wo die Probleme liegen». Er erinnert sich an die Frage eines Hausjuristen, wie er helfen könne. «Erklären Sie mir, welche Mitarbeiter hier gut sind und welche nicht», antwortete Mack dem Anwalt, «alles andere finde ich früher oder später selbst heraus.» Als sich herausstellte, dass ausgerechnet dieser Advokat einige der üppigen Anstellungsverträge abgefasst hatte, tobte Mack: «Wie konnten Sie es zulassen, dass die verantwortlichen Bosse solche Papiere unterzeichneten?» Der Rechtsanwalt erklärte dem neuen Chief Executive, dass er durchaus auf die Tücken der Vertragswerke aufmerksam gemacht habe. «Ich an Ihrer Stelle wäre zurückgetreten», so Macks entnervte Antwort – unterdessen hat der Jurist das Unternehmen verlassen.

Macks direkte Art kann die Mitarbeiter zuweilen vor den Kopf stossen. So ist es nicht ungewöhnlich, dass er im Falle von Beschwerden selbst zum Telefonhörer greift und den Verantwortlichen zur Räson ruft. Tom Nides, Macks Chief Administration Officer und rechte Hand, pflegt dann zu sagen: «John, Sie sollten solchen Kleinkram anderen überlassen.» Macks Antwort: «Tom, ich bin hier angetreten, um die Unternehmenskultur zu verändern!»

Mack gibt zu, dass er seinen «Elan manchmal zügeln muss». Kurz nach seinem Antritt bei der CSFB redete Mack in Sitzungen ständig über die Schaffung einer «moralisch einwandfreien Kultur» – bis ihn seine Adjutanten darauf aufmerksam machten, dass einige Leute sich auf den Schlips getreten fühlen. «Ich muss wohl unterschätzt haben, wie empfindlich die Leute sind», gibt Mack heute zu. Seither habe er seinen forschen Auftritt «ein wenig abgeschliffen». Er will eine besondere Atmosphäre schaffen, das Wir-ziehen-an-einem-Strang-Gefühl fördern. Ist vom 27. Stock des New-Yorker Bürogebäudes, traditionell für die Mächtigen der Bank reserviert, vorübergehend in ein kleines, verglastes Büro in die fünfte Etage umgezogen, wo die Trader der Leveraged-Buyout-Gruppe sitzen. Er pflegt den direkten Kontakt, stellt Fragen wie «Was machen Sie gerade?» oder «Welche Abschlüsse haben Sie zuletzt erfolgreich getätigt?».

Eine deutliche Veränderung gegenüber dem alten Regime, in dem Allen Wheat kaum sichtbar war. Damit sie ihm bei seiner Mission hülfen, hat Mack die Topetage von CSFB mit neun neuen Leuten verstärkt. Er gruppierte ein Team von Vertrauten um sich, das ihm nun dabei helfen soll, CSFB auf ein einheitliches Fundament zu stellen und das Klima interner Rivalität zu beseitigen.

Seine erste Personalentscheidung war die Ernennung von Steve Volk, einem hoch angesehenen Wall-Street-Anwalt von der Sozietät Shearman & Sterling, zum Chairman. «Dies schien mir die interessanteste Herausforderungen mit dem grössten Potenzial zu sein», sagt Volk (67). «Nicht notwendigerweise im finanziellen Sinne, sondern um etwas wirklich zum Besseren zu bewegen.» Volk wiederum heuerte Gary Lynch an. Lynch hatte sich in den Achtzigerjahren bei der Securities and Exchange Commission einen Namen gemacht, als er Michael Milken und Ivan Boesky vor Gericht brachte. Als Chefjurist der CSFB fädelte Lynch den Vergleich mit dem New-Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer ein, der mehreren Banken vorgeworfen hatte, in der Analyse nicht unabhängig von den Interessen des Investment-Banking zu sein. Anfang letzten Jahres zahlte die CSFB 100 Millionen Dollar. Im Dezember übernahm Lynch die Verantwortung für die Research-Abteilung der CSFB, um sie strikt den neuen Regularien gemäss auszurichten. Zudem implementierte er unternehmensweit strenge Regeln im Umgang mit Dokumenten. Neues Motto: «Alles wird aufbewahrt!»

Mit der Anstellung von Volk und Lynch sandte Mack ein klares Signal, dass es ihm ernst ist mit seiner Reform-Agenda. Er stimmt seine Banker darauf ein, dass scharfe Kontrollen durch die Anwälte auf lange Sicht wohl oder übel zur Realität des Business gehören werden. «Als ich 1968 in dieses Geschäft einstieg, ging es an der Wall Street vor allem um zuverlässige Berater», sagt er, «heute ist das nicht mehr so.» Er ist fest entschlossen, alles zu tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. «Wir haben keine andere Wahl.»

Dabei setzt Mack zweifellos auch auf seinen Charme. So etwa, als er Hunderte von CSFB-Managern davon überzeugte, auf Teile ihrer üppigen Gehälter zu verzichten. «Sehen Sie, wir verdienen kein Geld», sagte er den Topleuten, «und da arbeiten viele junge Leute bei uns, die keinen Bonus erhalten, wenn Sie nicht etwas abgeben. Vertrauen Sie mir. Irgendwann werde ich mich an Ihre Grosszügigkeit erinnern.» Spitzenbanker Jack DiMaio (36), der persönlich auf mehr als 20 Millionen Dollar verzichtete und seine Mitarbeiter von ähnlichen Opfern überzeugte, wurde von Mack seither mehrfach zum Golfen nach North Carolina eingeladen, wo dessen Ferienhaus steht. «Sie können eine neue Unternehmenskultur nur mit Menschen aufbauen, die Sie auch mal in einer lockeren Atmosphäre kennen lernen», sagt Gattin Christy Mack, mit der John seit über 30 Jahren verheiratet ist.

Auch typisch Mack: Bei seinen Gesprächen mit Bennett Goodman, dem langjährigen Chef des Leveraged-Finance-Geschäfts, erfuhr Mack beiläufig, dass Goodman ein fanatischer Fan des Basketballteams der Duke University ist. Als Goodman seine Mitarbeiter dazu überredete, auf 50 Millionen Dollar an Bezügen zu verzichten, gab sich Mack zunächst kühl. «Ich erwartete eigentlich, dass er aufspringen und mich umarmen würde», erinnert sich Goodman – und kehrte enttäuscht in sein Büro zurück. Eine Stunde später erhielt er einen Telefonanruf. Am Apparat war Mike Krzyzewski, legendärer Basketballtrainer der Duke University. «Bennett, ich bin ein guter Freund von John», erläuterte Krzyzewski, «er ist wirklich ein eiskalter Hurensohn. Aber das, was Sie heute gemacht haben, hat wirklich sein Herz erwärmt.» Eine Stunde lang hing Goodman an den Lippen des Traineridols. «Ich sagte ihm, wenn er längere Gespräche wolle, müsse er noch mehr Geld zurückgeben», scherzt Krzyzewski. Goodman tat es: Er und seine Abteilung verzichteten im Jahr 2002 auf weitere 50 Millionen Dollar.

«Es wird einen Gerichtsprozess geben, in den ein ehemaliger Mitarbeiter von uns verwickelt ist.» John Mack spricht in der morgendlichen Telefonkonferenz zu rund 5800 Mitarbeitern der CSFB. «Sie werden in den Zeitungen viele Schlagzeilen über unsere Bank lesen. Lassen Sie uns aber auch zurückblicken auf die Fortschritte, die wir in der Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden gemacht haben.» Den Namen Frank Quattrone erwähnt Mack nicht. Der einstige Starbanker wirft aber weiterhin seine Schatten auf die Investment-Bank. Besonders nahe geht die Sache dem Chefjuristen Gary Lynch, der – genau wie Mack – Quattrone vertraut hatte. «Frank versicherte uns, er wolle Teil des Teams sein», sagt Lynch.

Die Wende kam im Januar, als Lynch, aufgeschreckt durch eine Presseanfrage, Quattrone die Frage nach einer ganz bestimmten E-Mail stellte. Hatte Quattrone von den laufenden Ermittlungsverfahren gegen die CSFB gewusst? Hatte er seine Mitarbeiter Ende 2000 per Mail dazu aufgefordert, belastende Notizen, Memos und Dateien zu vernichten? Quattrone versicherte Lynch, er habe nichts von einer Untersuchung gewusst.

Zwei Tage später, es war 15.45 Uhr an einem Freitagnachmittag, stiessen die Juristen von CSFB auf eine E-Mail, die das Gegenteil bewies. «Ich war regelrecht angeekelt», erinnert sich Lynch. Mack, telefonisch in Kenntnis gesetzt, nahm die Nachricht gefasster auf. «Es ist, wie es ist», erklärte Mack lakonisch, «wir müssen das Unternehmen schützen. Rufen Sie noch heute die Aufsichtsbehörden an!» Gegen 17.30 Uhr an jenem Freitag hatten Lynch und sein Anwaltsteam Börsenaufsichtsbehörde wie auch Bundesanwaltschaft kontaktiert. Als Quattrone einige Wochen später von der National Association of Securities Dealers vorgeladen wurde, verweigerte er auf Rat seiner Rechtsanwälte die Aussage. «Das änderte alles», sagt Mack. «Ich konnte unmöglich jemanden halten, der nicht mit den Aufsichtsbehörden zusammenarbeitet, unter welchen Umständen auch immer.» In gegenseitigem Einvernehmen reichte Quattrone seine Kündigung ein. Die Staatsanwälte klagten Quattrone wegen Behinderung der Justiz an. (Seine Verteidiger argumentieren, dass es keine Verbindung zwischen den Ermittlungsverfahren wegen der IPO-Zuteilungen und den Dokumenten gibt, die zu zerstören er seine Mitarbeiter aufforderte.)

War es ein Irrtum, so lange an Quattrone festzuhalten? «Vielleicht», gibt Mack zu, «aber ich musste fair bleiben.» Und fügt hinzu: «Wir hatten offenbar einige sehr gute Schauspieler in unseren Reihen. Aber wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen. Frank hat wie jeder andere ein Recht auf eine faire Gerichtsverhandlung.»

So unangenehm die Vorgänge um den ehemaligen Chef der Technology Banking Group auch sind: Es geht für John Mack bei seiner derzeitigen Mission um mehr als nur um Frank Quattrone. Mack wird beweisen müssen, dass CSFB ein rentables Unternehmen ist – in guten wie in schlechten Konjunkturzeiten. Die Eigenkapitalrendite der CSFB entsprach im zweiten Quartal mit 18,5 Prozent zwar derjenigen von Morgan Stanley und Goldman Sachs. Sie lag aber immer noch unter der Citigroup – der Bank, die für Mack die Benchmark darstellt, die es zu schlagen gilt. Die Produktivität, gemessen am Einkommen pro Angestellten, ist schlechter als bei der Konkurrenz. «Wir müssen noch erhebliche Schnitte machen», sagt Mack.
Wichtig ist, neue Einnahmequellen zu finden. John Mack sieht durchaus eine leichte Belebung des Geschäfts, bleibt aber vorsichtig. «Bin ich davon überzeugt, dass wir uns mitten in einer langfristigen zyklischen Erholung unserer Branche befinden? Nein», sagt er. «Die Märkte sind noch zu anfällig.» Er hat die Zusammenarbeit mit vorhandenen Kunden wie Nestlé oder AT&T intensiviert. Er hat neue Kunden wie General Electric, Deutsche Telekom und Oracle akquiriert.

«John hat einen inneren Zirkel von etwa zehn absolut loyalen Mitarbeitern», sagt Jeff Peek, ehemals Vice Chairman bei CSFB. «Viel schwieriger wird es aber sein, die 100 Manager auf den Ebenen darunter für sich zu gewinnen.» Mack hat das Problem erkannt. «Die Firma muss intern Vertrauen aufbauen», erklärte der CEO auf der jüngsten Konferenz. «Ich meine damit die Art, wie wir miteinander umgehen. Auf der Vorstandsebene haben wir da schon erhebliche Fortschritte gemacht.» Und in den Etagen darunter? «Da bin ich noch nicht zufrieden. Es ist halt verdammt schwer, eine Unternehmenskultur zu ändern.» Die Moral der Firma mag sich verbessert haben – aber das hat wohl mehr mit dem steigenden Aktienkurs der Credit Suisse zu tun.

Warum tut sich Mack, der es eigentlich nicht mehr nötig hätte, all diesen Stress überhaupt noch an? Hank Paulson, Chief Executive von Goldman Sachs, zeigt sich angesichts von Macks Durchhaltevermögen überrascht: «Immer, wenn er total down sein müsste, scheint er die meiste Energie zu entwickeln.» Mack bestätigt: «Ich würde es immer wieder machen.» Hat er Spass an seinem Job? «Spass ist nicht unbedingt das richtige Wort. Haben Sie Spass, wenn Sie Ihr Fitnesstraining absolvieren? Nein – aber Sie fühlen sich anschliessend gut.» John Mack blickt hinaus durch die Glasscheibe seines Büros in den Trading-Room.
«Letztlich bin ich wohl süchtig nach dem, was ich tue», sagt er. «Ich denke ständig ans Gewinnen. Ich bin besessen davon.» Man hat tatsächlich den Eindruck, John Mack müsse sich noch etwas beweisen.

Mack und Grübel
Erfolgreiches Tandem


Die Doppelbesetzung der CS-Spitze scheint zu funktionieren – wider Erwarten.


Immer wieder wurde über Meinungsverschiedenheiten zwischen den operativen Chefs der CS Group, John Mack und Oswald Grübel, spekuliert. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann einer der beiden ausgewiesenen Machtmenschen das Handtuch werfen würde. Auf Anfang Jahr führte die zweitgrösste Schweizer Bank erstmals das Jobsharing-Prinzip ein: Grübel leitet seither das Privatkundengeschäft (CSFS), Mack das institutionelle Geschäft (CSFB).


Entgegen allen Erwartungen funktioniert die Doppelbesetzung an der Konzernspitze prächtig. Bei der Präsentation der glänzenden Quartalszahlen strahlte das Power-Duo gemeinsam in die Kameras. Es hilft, dass keiner der beiden die alleinige Führung für sich beansprucht. Grübel behagt zudem die strikte Aufgabenteilung: «Zwei Leute, die immer in die gleiche Richtung gehen – das gibt es normalerweise nicht. Bei John und mir funktioniert das, weil wir in unserer Gruppe zwei operative Einheiten haben.» Nicht ohne Ironie: In den Schweizer Medien wurde ängstlich darüber spekuliert, was passiert, wenn das zunächst für unmöglich gehaltene Modell der Doppelspitze aufgegeben werden muss. Derweil üben sich «Mack the Knife» und «Ossi mit der Pickelhaube» in Harmonie. «Mit Ossi gibt es keinen Nonsens», schwärmt John Mack, «er gehört zu jenem Typ von Managern ohne Schnörkel, die ich sehr schätze.»