Das Sekretariat von Josef Ackermann ist es gewohnt, dessen vollen Terminkalender auf die Minute genau zu planen. Doch diesmal stellt sich den Damen und Herren im Vorzimmer ein besonders schwieriges Problem: Wie schaffen wir es, Ackermann in wenigen Stunden aus Düsseldorf in die Davoser Bergwelt zu bringen?

Am Freitag, 23. Januar, frühmorgens wird Ackermann am World Economic Forum (WEF) in Davos erwartet. Am Vorabend aber hat er einen unverrückbaren Termin in einem weit weniger mondänen Umfeld: bei der 14. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Düsseldorf. Dort, in einem betongrauen Stadtbezirk, muss sich der Schweizer Bankier seinen Richtern stellen.

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Angeklagt ist er der Untreue – ungetreue Geschäftsführung, wie der vergleichbare Gesetzespassus in der Schweiz heissen würde. Darauf stehen in Deutschland bis zu fünf Jahre Gefängnis. Vorgeworfen wird Ackermann, dass er als Verwaltungsrat des Mobilfunkanbieters Mannesmann bei der Übernahme durch den Konkurrenten Vodafone aus Grossbritannien unangemessen hohe Bonuszahlungen für eine Reihe von Mannesmann-Topmanagern bewilligt habe. Wie sich Ackermann wiederholt äusserte, seien dies «haltlose Vorwürfe». Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Was er getan habe, sei international üblich.

Der Prozess beginnt am 21. Januar. Immer mittwochs und donnertags von 9 bis 16 Uhr muss Ackermann auf der Anklagebank Platz nehmen – das Verfahren könnte bis zu einem halben Jahr dauern. Viel Zeitverlust für den Chef eines der grössten Finanzhäuser der Welt. Um ihm die Arbeit zu erleichtern, hat die Bank in ihrer Düsseldorfer Niederlassung eigens ein bereits bestehendes Büro für Ackermann ausgebaut.

Die Mitangeklagten
Der Chef


Klaus Esser (56) wurde im Mai 1999 CEO des Mobilfunkanbieters Mannesmann. Innert 13 Monaten steigerte er den Unternehmenswert massiv. Er wehrte sich lange gegen die Übernahme durch Vodafone und brachte den Konkurrenten so dazu, sein Kaufangebot um 80 Milliarden Dollar zu erhöhen. Esser liess sich aus der Kasse von Mannesmann eine Abfindung von rund 60 Millionen Mark auszahlen.


Der Präsident


Joachim Funk (69) war von Juni 1999 bis April 2000 Aufsichtsratsvorsitzender von Mannesmann. Zuvor war er fünf Jahre lang Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Als er als Mitglied der Salärkommission des Aufsichtsrats die 60-Millionen-Abfindung für Esser absegnen musste, kamen bei ihm eigene Begierden auf. Er liess sich schliesslich seine Pension um 5,3 Millionen aufstocken.


Der Gewerkschaftsboss


Klaus Zwickel (64) war bis im Frühsommer 2003 Chef der mächtigsten Einzelgewerkschaft der Welt: der deutschen IG Metall. Zwickel vollführte in der Sache Mannesmann eine Art Eiertanz. Zunächst gab er grünes Licht für die Millionenabfindungen. Als die Sache bekannt wurde, reagierten viele Gewerkschafter empört. Gegen aussen verurteilt Zwickel die Zahlungen, zugelassen hat er sie gleichwohl.


Der Funktionär


Jürgen Ladberg (57) war Chef des Betriebsrats und Aufsichtsratsmit-glied von Mannesmann. Der Arbeitnehmervertreter bildete zusammen mit Funk, Ackermann und Zwickel den vierköpfigen Salärausschuss des Mannesmann-Aufsichtsrats. Er hätte zusammen mit Zwickel die Abfindungen leicht verhindern können. An der entscheidenden Sitzung vom Anfang Februar 2000 fehlte er krankheitshalber.


Der Handlanger


Dietmar Droste (44) war Jurist in der Direktionsabteilung der Mannesmann und in der Phase, in der die inkriminierten Beschlüsse gefasst wurden, als Protokollführer des Aufsichtsratsausschusses involviert. Er war auch zuständig für die Vorbereitung der Sitzungen. Er hat vielen Beschlüssen den schriftlichen Rahmen gegeben und sich damit mehr oder weniger zum Handlanger des Aufsichtsratsausschusses gemacht. Ihm gesteht die Staatsanwaltschaft zu, nur mitgemacht zu haben, um seinen eigenen Arbeitsplatz zu retten.

Derweil unterhalten sich seine Verteidiger mit den Verteidigern von weiteren Angeklagten und mit den Verantwortlichen des Gerichts über die Sitzordnung im Verhandlungsraum. «Joe» Ackermann ist nur einer von sechs Beschuldigten. Und er soll, so das Anliegen seiner Hausjuristen, keinesfalls zuvorderst auf der Anklagebank sitzen. Weil die Beschuldigten in der Regel nach dem Alter platziert werden, rechnen sich die Verteidiger für ihr Anliegen gute Chancen aus: Der Schweizer, mit 55 Jahren der Zweitjüngste der Angeklagten, wird sich wahrscheinlich in der dritten Reihe einrichten können.

Solche Details werden wichtig sein im bisher «grössten Wirtschaftsstrafverfahren der Republik» («Süddeutsche Zeitung»). Die «Strafsache Mannesmann» ist komplex. Kein Wunder, werden und wollen die berichterstattenden Medien die Thematik journalistisch erfolgreich bewirtschaften. Zumal die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft aufgeboten ist: Neben Josef Ackermann werden etwa Klaus Esser, Exkonzernchef von Mannesmann, Joachim Funk, Expräsident von Mannesmann, oder Klaus Zwickel, langjähriger Boss der mächtigen Gewerkschaft IG Metall, von der Anklagebank aus in die TV-Kameras blicken (siehe unten «Die Mitangeklagten»). Auch die Zeugenliste – sie umfasst rund 60 Personen – liest sich wie das Who’s who der internationalen Wirtschaft. Am 11. und 12. Februar wird beispielsweise Christopher Gent, Ex-Chef von Vodafone, um seine Zeugenaussage gebeten, am 25. März Henning Schulte-Noelle, langjähriger Chef des Versicherungsgiganten Allianz und ehemaliger Aufsichtsrat von Mannesmann. Canning Fok, CEO von Hutchison Whampoa, hat sein Kommen noch nicht zugesagt, doch auch er ist geladen.

Neben grossen Namen geht es auch um grosse Summen. Im Mittelpunkt der Anklage steht die Verteilung von Bonusgeldern von insgesamt 111 Millionen Mark im Anschluss an die grösste Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte: den Takeover des Mobilfunkunternehmens Mannesmann durch den Konkurrenten Vodafone im Frühling 2000. Dieser Dealgrösse ist auch die Anklageschrift angemessen. Sie ist ganze 460 Seiten dick.

Ackermann selber hat zwar keinen Cent bekommen, aber als ehemaliger Aufsichtsrat von Mannesmann die umstrittenen Zahlungen bewilligt. 60 Millionen Mark hat allein Klaus Esser erhalten, fast gleich viel wurde an rund ein Dutzend ehemalige Vorstandsmitglieder inklusive Joachim Funk ausgeschüttet. Für die Gewährung dieser Bezugsrechte habe es keine Grundlage gegeben, moniert die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft und wirft Ackermann und den anderen Angeklagten eine Schädigung des Unternehmens Mannesmann vor.

Der Fall geht zurück aufs Jahr 1999, als Klaus Esser neuer Chef von Mannesmann wurde. Es war die hohe Zeit der New Economy und des Technologiebooms. Die Exponenten der Telekom-branche kämpften wenig zimperlich um einen rasant wachsenden Markt. Ende 1999 machte Vodafone dem Konkurrenten Mannesmann ein 120 Milliarden Dollar hohes Übernahmeangebot. Esser wehrte sich zunächst vehement gegen den unfreundlichen Übernahmeversuch – unter anderem mit einer millionenteuren Werbekampagne. Er stellte sich auf den Standpunkt, Mannesmann werde ohne Vodafone besser wachsen.

Esser suchte und fand einen Alliierten: die französische Vivendi. Doch ihr CEO, Jean-Marie Messier, trieb ein doppeltes Spiel, liess die Fusionspläne mit Mannesmann platzen und tat sich überraschenderweise mit dem Feind Vodafone zusammen. Esser streckte daraufhin die Waffen und gab seinen Widerstand auf.

Immerhin hatte Essers Abwehrhaltung den Mannesmann-Aktionären einen grossen Vorteil eingebracht: Vodafone hatte in den langen Monaten des Seilziehens ihr Angebot von 120 auf 200 Milliarden Dollar erhöhen müssen, was einer Wertsteigerung für die Mannesmann-Aktien von insgesamt 80 Milliarden Dollar entsprach.

Millionenabfindungen
Zum Abschied reich beschenkt


Auch Schweizer Banken zahlen hohe Abfindungen.


Sechzig Millionen und tschüss», kommentierte die deutsche Boulevardzeitung «Bild», als die Millionenabfindungen nach der Übernahme von Mannesmann im Jahr 2000 bekannt wurden. Im gleichen Jahr haben die beiden Schweizer Grossbanken milliardenteure Übernahmen gemacht und sogar noch höhere Abfindungen geleistet. So zahlte die UBS im Rahmen des Kaufs des US-Investmenthauses Paine Webber dem scheidenden Chef Don Marron insgesamt 200 Millionen Dollar. Zu einem Aufpreis auf seinen Aktien von 75 Millionen Dollar kamen drei Jahressaläre von je 20 Millionen Dollar, eine Altersrente von fünf Millionen Dollar jährlich sowie ein paar angenehme Zugaben wie eine Limousine samt Chauffeur. Die CS, die das Brokerhaus DLJ übernahm, versüsste dem CEO Joe Roby den Deal mit einem Vertrag, der ihm in sechs Jahren 82 Millionen Dollar garantierte. Die Banken stellen sich auf den Standpunkt, dass solche Zahlungen international längst Usanz seien. Diese Argumentation verfolgt auch der Schweizer Bankier Josef Ackermann. Er spricht aus Erfahrung: Sein Arbeitgeber, die Deutsche Bank, hat 1999 nach der Übernahme des Investmenthauses Bankers Trust dem nicht mehr benötigten Chef der US-Tochter, Frank Newman, 100 Millionen Dollar bezahlt.

Dieser Geldsegen freute die Mannesmann-Teilhaber und einen ganz besonders: die chinesische Grossaktionärin Hutchison Whampoa. Die Zehn-Prozent-Beteiligung des Mischkonzerns an Mannesmann hatte um fast zehn Milliarden Dollar an Wert zugelegt. Man wolle sich Esser erkenntlich zeigen, liess Canning Fok, Chef von Hutchison Whampoa, den Mannesmann-CEO wissen. Fok fragte nach, ob Esser mit einem Geschenk von 19 Millionen Dollar einverstanden sei.

Esser war. Doch er hatte einige wichtige Bedingungen: Er wollte den Sold mit seinem Team teilen. Und er verlangte das Geld nicht vom chinesischen Grossaktionär, sondern von Mannesmann, das sei sein Arbeitgeber. Die erste Bedingung war schnell erfüllt. Fok legte nochmals 19 Millionen drauf als Geschenk für die Mitarbeiter. Mit der zweiten Bedingung jedoch begannen die Probleme.

Nun kam Josef Ackermann ins Spiel. Zahlungen seitens Mannesmanns mussten zur Diskussion in die Salärkommission des Aufsichtsrats und danach vom Gesamtgremium bewilligt werden. Ackermann war zu jener Zeit Mitglied der vierköpfigen Salärkommission.

Als Chef der Kommission wirkte Mannesmann-Präsident Joachim Funk. Anfang Februar 2000 rief Funk die Kommission zusammen. Da einer krank war und der andere, IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, nicht in der Stadt weilte, sassen schliesslich nur zwei Männer am Tisch: Funk und Ackermann.

Funk legte Ackermann den Vorschlag eines Bonus für Esser vor. Das viele Geld, das hier verteilt werden sollte, hatte bei Funk zudem eigene Begierden geweckt: Er sei als Vorgänger von Esser als CEO auch für den Erfolg von Mannesmann zuständig, argumentierte er. Ackermann hatte keine Einwände. Schnell verteilten Ackermann und Funk rund 60 Millionen Mark Anerkennungsprämien. 30 Millionen für Esser, 9 Millionen Mark für Funk, rund 21 Millionen an die Manager aus Essers Team.

Schnelle und tatkräftige Entscheide gehören zum Markenzeichen des Bankers aus dem ländlichen Mels im St.-Galler-Land. Der Schweizer Armeeoberst, der es bei seinem vorherigen Job bei der Grossbank Credit Suisse zum Konzernchef gebracht hat, pflegt in grossen Linien zu denken.

Die Juristen
Die Richterin


Brigitte Koppenhöfer (52) ist Vorsitzende Richterin der 14. Wirtschaftsstrafkammer des Düsseldorfer Landgerichts. Sie ist für den Mannesmann-Fall zuständig. Bisher ist sie als Spezialistin für Jugendstrafrecht in Erscheinung getreten, hat sich aber durch ihre Fachkenntnisse für den Vorsitz einer Wirtschaftstrafkammer empfohlen. Sie gilt als sehr besonnene Richterin mit grossem Einfühlungsvermögen.


Der Ankläger


Hans-Reinhard Henke, Leiter der Strafverfolgungsbehörde. Er hat im Februar 2003 die Anklage gegen die Beschuldigten publik gemacht: «Die Zahlungen dienten allein der Bereicherung der Begünstigten anlässlich der Übernahme und nicht dem Wohl des Unternehmens.» Konkret mit der Untersuchung betraut sind aber zwei Untergebene: die Staatsanwälte Johannes Puls und Lothar Schroeter.


Der Verteidiger


Eberhard Kempf, Verteidiger von Josef Ackermann, ist einer der schillerndsten Anwälte Deutschlands. Der Frankfurter Strafrechtsspezialist gilt als Kapazität auf seinem Gebiet. Er hat unter anderem den verstorbenen FDP-Spitzenpolitiker Jürgen Möllemann bei dessen Steuervergehen verteidigt. Bekannt wurde er auch, weil er die Familie des elfjährigen Entführungsopfers Jakob von Metzler vertreten hat.

Die Höhe der Boni war im Meeting denn auch rasch geklärt. Funk und Ackermann hatten aber ein anderes Problem: Damit der Beschluss gültig war, brauchte es drei Unterschriften. Also riefen Funk und Ackermann Zwickel, den Gewerkschaftsboss, an. Gemäss Staatsanwaltschaft sagte dieser, dass der Betrag hoch sei, er sich aber nicht quer legen wolle. Also unterschrieb Ackermann in Zwickels Namen, wie Insider aus dem Prozessumfeld berichten.

Einzelne Involvierte scheinen dieses ominöse Meeting zwischen Funk und Ackermann als problematisch empfunden zu haben. Jedenfalls war zehn Tage danach plötzlich eine zweite Version des Beschlusses im Umlauf, diesmal ohne Erwähnung einer Zahlung für Funk. Es war interessanterweise Esser – von Haus aus Jurist –, der seinen Chef auf einen rechtlich fragwürdigen Umstand aufmerksam machte: dass ein Aufsichtsratspräsident über seinen eigenen Bonus entscheide.

Auf Umwegen sollte Funk später doch noch zu seinen Millionen kommen. Ganz einfach, indem ihm und andern pensionierten Mannesmann-Vorständen die Pensionsansprüche aufgestockt wurden. Dietmar Droste, Direktionsmitglied von Mannesmann, mit 42 Jahren der jüngste der sechs Angeklagten, musste für seinen Chef kalkulieren. Droste kam auf 61 Millionen Mark, die an 18 ehemalige Vorstandsmitglieder gingen. 5,3 Millionen Mark bekam Funk.

Funk und Ackermann segneten Mitte Februar 2000 die revidierte Resolution für die Zahlung an Esser und sein Team ab. Zwickel – nach kritischen Presseberichten über die Bonuszahlungen bei den eigenen Genossen im Erklärungsnotstand – liess schriftlich mitteilen, er enthalte sich der Stimme. Was ein Abstimmungsresultat ermöglichte, das für die Bonuszahlungen dennoch grünes Licht gab.

Alles wäre möglicherweise gut gelaufen, wäre da nicht ein fleissiger Buchprüfer von der Revisionsfirma KPMG gewesen. Dieser verweigerte den Stempel auf der Anweisung aus der Buchhaltung, die Gelder schon mal zu überweisen. Die Sache sei inhaltlich und formal nicht akzeptabel, die genannten Beiträge willkürlich und unangemessen hoch.

Ein Beschluss des Gesamtaufsichtrats über die Bonuszahlungen kam zwar einige Wochen später offiziell zu Stande, aber nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nur deshalb, weil die Salärkommission rechtswidrig gehandelt habe. Zudem, so lautet ein weiterer Vorwurf der Staatsanwaltschaft, der im Prozess zu prüfen sein wird, seien Sitzungsprotokolle verfälscht und umdatiert worden. Die Warnungen der KPMG seien in den Wind geschlagen und die Aufsichtsräte – hier kommt explizit der Schweizer Banker unter Beschuss – von Josef Ackermann falsch informiert worden. Ackermann soll den Gesamtaufsichtsrat zur Beruhigung der Arbeitnehmervertreter falsch über die Herkunft der Prämien unterrichtet haben. Der Staatsanwaltschaft liegen Zeugenaussagen vor, laut denen Ackermann den Arbeitnehmervertretern in einer Sitzungspause erklärt habe, die Prämien würden von Vodafone statt von Mannesmann bezahlt. Ackermann bestreitet dies vehement. Wie im Übrigen auch alle anderen gegen ihn vorgebrachten Punkte. Dem Vernehmen nach existiert ein Aufsichtsratsprotokoll, das ihm Recht geben soll und die Juristen der Deutschen Bank beruhigt hat.

Die Zeugen
Der Belagerer


Christopher Gent, ehemaliger Chef des britischen Mobilfunkgiganten Vodafone, griff im Dezember 1999 mit einem feindlichen Übernahmeangebot Mannesmann direkt an. Nachdem sich die belagerte Firma erfolglos gegen die Attacke gewehrt hatte, lenkte der kampfesmüde Esser im Februar 2000 schliesslich ein. Gent segnete die Anerkennungsprämien für Esser seitens Vodafone ab.


Der Versicherungsboss


Henning Schulte-Noelle, ehemaliger Chef des Versicherungsgiganten Allianz, war bis Mai 2000 im Aufsichtsrat von Mannesmann. Er gehörte damit im Frühling dem Gesamtgremium an, das die Zahlungen an Esser und andere zu bewilligen hatte. Seine Zeugenaussage soll unter anderem die Frage klären helfen, inwieweit Josef Ackermann den Gesamtaufsichtsrat über die Millionenzahlungen getäuscht hat.


Der Grossaktionär


Canning Fok, Managing Director des chinesischen Mischkonzerns Hutchison Whampoa, brachte mit seinem Vorschlag, Esser eine Anerkennungsprämie zu bezahlen, die Sache ins Rollen. Hutchison Whampoa war Grossaktionär von Mannesmann. Esser hatte von den Chinesen 1999 die Telekomfirma Orange gekauft. Hutchison Whampoa sicherte sich im Tausch ein Aktienpaket von zehn Prozent an Mannesmann.

Die Frage ist umstritten, wie gross die Gefahr für Ackermann ist, belangt zu werden. Die Mehrheit der Aktienrechts- und Strafrechtsspezialisten in Deutschland sind der Meinung, die Anklage gegen Ackermann stehe auf tönernen Füssen. Die Höhe von Bonuszahlungen möge ethisch fragwürdig erscheinen, rechtlich strafbar sei deren Bewilligung jedoch nicht gewesen.

Doch die Experten haben sich schon einmal getäuscht. Viele Beobachter waren der Auffassung, der Prozess werde gar nicht zur Hauptverhandlung zugelassen, sondern schon vorher mangels rechtlicher Grundlagen eingestellt. Im vergangenen September hat aber die zuständige Richterin, Brigitte Koppenhöfer, gesetzlich ausreichende Gründe gefunden, um die Hauptverhandlung einzuberufen.

Damit sollen die Hausjuristen der Deutschen Bank nicht gerechnet haben. Man gibt sich zwar nach wie vor siegessicher in den Frankfurter Zwillingstürmen, der Führungszentrale der Deutschen Bank, doch die Bedenken sind gestiegen. Denn wer mit den Gepflogenheiten des deutschen Justizsystems vertraut ist, weiss, dass ein deutsches Gericht in der Regel nur dann einen Fall zur Hauptverhandlung zulässt, wenn mehr dafür als dagegen spricht.

Diesmal hätten, so der Vorwurf kritischer Beobachter, die Düsseldorfer Strafverfolger nicht unvoreingenommen entschieden. Hohe Vertreter der Deutschen Bank vermuten hinter der harten Haltung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft politische Motive. Angetrieben vom linken Flügel der SPD – im Land Nordrhein-Westfalen traditionell stark – und geprägt von der öffentlichen Meinung, welche Abzockerei in den Chefetagen nicht mehr hinnehmen will, soll nun an Joe Ackermann ein Exempel statuiert werden.

Ins gleiche Horn bläst ein Grossteil der ausländischen Presse. Scheinen die Schweizer Blätter vor allem den Landsmann vor den «übereifrigen Ermittlern» («Weltwoche») ennet der Grenze schützen zu wollen, so betonen angelsächsische Publikationen die Rückständigkeit Deutschlands in Lohnfragen. Das «Wall Street Journal» schrieb Ende September, der Prozess kläre die Frage, ob künftig «deutsche Richter oder die Unternehmensleitung» die Managerlöhne bestimmen würden.

Wenn ordentlich zu Stande gekommene Entscheide eines Aufsichtsrats nachträglich vom Gericht abgeklärt würden, sei dies Gift für die Attraktivität des Standorts Deutschland, klagen auch viele deutsche Wirtschaftsvertreter. Sogar von den politischen Eliten kam Schützenhilfe.

Prominente Fürsprache
Viel Support für Ackermann


Deutschlands politische und wirtschaftliche Elite stellt sich hinter den angeklagten Banker.


«Ich glaube, dass Herr Ackermann in der Deutschen Bank einen guten Job macht.»


Gerhard Schröder, deutscher Bundeskanzler


«Diese Anklage ist ein Schlag gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland.»


Angela Merkel, Parteivorsitzende der CDU


«Dies schadet dem Finanzplatz Deutschland.»


Dieter Rampl, Chef HypoVereinsbank


«Dieser Prozess ist auch Ausdruck der deutschen Neidgesellschaft.»


Roland Berger, Consultant

In der Tat hat der Prozess in Deutschland eine heftige Debatte ausgelöst: Inwieweit ist die bisher abgeschottete Deutschland AG bereit, sich einer globalen und von angelsächsischen Modellen geprägten Wirtschaft zu öffnen?

Aus angelsächsischer Optik mögen die 60 Millionen für Esser zwar hoch sein, aber sie stehen im Zusammenhang mit einer Leistung. Schliesslich hat Esser den Börsenwert von Mannesmann um 80 Milliarden Dollar gesteigert; sein Bonus beträgt weniger als ein Promille dieses Betrags. Ackermann selber wird für seinen Chefposten bei der Deutschen Bank längst in angelsächsischen Massstäben belohnt, verdient er doch 750 000 Franken – im Monat. Er sagt: Wenn man keine Erfolgsboni zahlen könne, könne man nicht geschäften. Und fügt an, dass dann «globale Unternehmen nicht von Deutschland aus operieren können».

Doch nicht vergessen gehen dürfen in dieser Standortdebatte die unterschiedliche Gesetzesgrundlagen. Während die angelsächsische Perspektive immer vom Shareholder als Besitzer der Firma ausgeht, nimmt das deutsche Recht einen anderen Blickwinkel ein: Ausgangspunkt ist das Unternehmen, hier also die Mannesmann. Dieser Rechtskörper besteht losgelöst vom schwankenden Wert seiner Aktien an den Börsen. Ob der Griff in die Firmenschatulle der Mannesmann demnach rechtens war, ist offen.

Dass aus dem Fall Mannesmann spätestens seit vergangenem Frühsommer eine Causa Ackermann geworden ist, ist kein Zufall. Auch nicht, dass dieser Prozess als Lackmustest für die Kompatibilität Deutschlands mit der angloamerikanischen Wirtschaftswelt herhalten muss. Der Schweizer Chef an der Spitze der Deutschen Bank hat schon seit Jahren eine Öffnung Deutschlands gefordert. Er selber hat bei seiner Bank gegen starken internen Widerstand vor knapp zwei Jahren angelsächsische Bräuche eingeführt – etwa indem er das althergebrachte Vorstandssystem durch ein Executive Committee ergänzt hat, an dessen Spitze er so viel Machtfülle geniesst wie ein amerikanischer CEO. Einholen könnte ihn zudem das stets von neuem auftauchende Gerücht, er wolle den Hauptsitz der Bank von Frankfurt nach London verlegen, was die Bank aber regelmässig dementiert.

Theoretisch gibt es für Ackermann in diesem Prozess drei Szenarien: einen Freispruch, eine rechtskräftige Verurteilung oder eine Einstellung des Verfahrens im Rahmen eines Vergleichs mit Geldzahlung. Alle Varianten sind – freilich in unterschiedlichem Ausmass – ungünstig für ihn.

So oder so ist es unangenehm, monatelang in den Augen der Öffentlichkeit als Angeklagter dazustehen. Das Bild des Bankers vor Gericht schadet seiner Reputation und auch dem Image der Bank, selbst wenn schliesslich ein Freispruch resultieren sollte. Wöchentlich wird schmutzige Wäsche gewaschen, die Presse wird sich auf jedes süffige Detail stürzen. Und so viel ist schon jetzt absehbar: Auch wenn Ackermann keinerlei rechtliche Verfehlungen nachgewiesen werden können, so wird der Prozess eine für die breite Öffentlichkeit wohl unverständliche Nonchalance in der Verteilung von Millionenzahlungen offenbaren.

Nicht auszuschliessen ist auch eine Verurteilung. Die Rechtsanwälte Ackermanns würden in diesem Fall aller Wahrscheinlichkeit nach in Revision gehen. Die Deutsche Bank wird nicht akzeptieren, dass ihr Chef in ein schlechtes Licht gerückt wird. Das hätte aber zur Folge, dass die Geschichte noch jahrelang weiterköcheln würde. Ackermanns Position an der Spitze der Bank wäre geschwächt. Interne Konkurrenten, die selbstverständlich wie überall auch in Frankfurt existieren, könnten sich das zu Nutze machen.

Die einzige Möglichkeit, den Prozess abzukürzen und Ackermann das Spiessrutenlaufen zu ersparen, wäre eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldzahlung. Diese Opportunität hat das deutsche Recht spezifisch für jene Fälle vorgesehen, die besonders im öffentlichen Rampenlicht stehen. Laut Paragraf 153a der deutschen Strafprozessordnung kann das Gericht ein Verfahren einstellen und dem Beschuldigten «Auflagen und Weisungen» erteilen, «wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld dem nicht entgegensteht». Gezahlt werden muss in so einem Fall «ein Geldbetrag zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse».

Ein Vergleich, verbunden mit einer Geldstrafe, wird oft bei Prominenten angewendet. Etwa beim ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der im Rahmen der parteiinternen Spendenaffäre angeklagt war. Kohl zahlte 300 000 Mark.

Die Anwendung des Paragrafen 153 ist politisch umstritten, weil er die Reichen begünstigt. Schon bei seiner Einführung 1975 sprachen Kritiker von einem «Millionärsgesetz».

Für Ackermann ist diese Möglichkeit mit einigen Risiken verbunden. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) diese Lösung nicht akzeptieren wird und eine Einstellung des Verfahrens als Teilanerkennung der Schuld auslegen würde. Die BaFin hat hohe Standards bezüglich der Integrität der Geschäftsleitung deutscher Finanzdienstleistungsunternehmen. Damit wäre die Frage verbunden, ob Ackermann in seinem Job verbleiben kann.

Die BaFin will sich zur Möglichkeit eines Vergleichs im Fall Mannesmann nicht äussern. Sie sei nach dem Gesetz verpflichtet, jeden Einzelfall gesondert zu prüfen. Dabei untersuche sie, ob der vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft festgestellte Sachverhalt «Rückschlüsse auf die persönliche Zuverlässigkeit des Geschäftsleiters zulässt».

Glauben die Strategen im Hintergrund von Ackermann, dass die Sache mit dem BaFin wohl irgendwie zu klären wäre, so kommen von der Staatsanwaltschaft bisher keinerlei Signale, dass man eine Vergleichslösung akzeptieren will. Die Ankläger fühlen sich derart gut dokumentiert, dass sie eher auf einen ordentlichen Prozess setzen. Das muss Joe Ackermann zu denken geben.

Doch es gibt auch ermutigende Signale. So hat die Richterin in ihrer Zulassungsschrift die lange verfolgte Verschwörungs- und Bestechungstheorie abgelehnt. Die Strafverteidiger, welche die Anklageschrift von Anfang an als überrissen kritisiert hatten, konnten damit einen Etappensieg verbuchen.

So geben sich Joes Verteidiger nach wie vor siegessicher und glauben, dass bereits im April «Ende Feuer» sein wird. Sie setzen darauf, dass die Staatsanwaltschaft dann die gütliche Einigung anbieten wird, nachdem einige Zeugen die Vorwürfe entkräftet haben werden. Wie auch immer: Für einen Mann wie Joe Ackermann, der es gewohnt ist, die Zügel in der Hand zu halten, ist es ungewöhnlich, sein Schicksal zu so grossen Stücken in fremder Hand zu wissen – dem Schweizer Banker stehen schwere Wochen bevor.