So, der Alte ist da, Jean-Remy von Matt. In Jeans, Chucks, Langarmshirt. Gehetzter Blick. Er hat keine Zeit, muss an der Kampagne für Mercedes arbeiten. Aber Peter hat gesagt, es sei wichtig. Von Matt mustert seine Gegenüber: ein junger Werber aus der Agentur und eben Peter. «Worum gehts?»

Ein Akkuschrauber kommt auf den Tisch, von Bosch: klein, putzig, etwas für die Küchenschublade. «Es geht hier nicht ums Schrauben», sagt der junge Werber, «es geht um Leichtigkeit, Spontaneität. Also haben wir ein Experiment gewagt.Eine neue Art der Kommunikation! Auch wenn sie zu Jung von Matt vielleicht noch nicht passt. Auch wenn es den Kunden überrascht.» Der Alte schaut unwillig. Überraschungen mag er nicht.

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«Das ist superspannend», wirft Peter ein. Der junge Werber: «Wie lange gibt es Jung von Matt? 18 Jahre?» – «19», sagt der Alte scharf. «Dann eben 19.» Der Junge projiziert ein Computerbild an die Wand. «Und wir haben das Bauchgefühl», hebt er an, «dass das da die nächsten 19 Jahre sind.»

Der Blick des Alten blitzt auf. Die nächsten 19 Jahre? Um seine Agentur herum ist die Welt zusammengebrochen. Die Krise hat das Geschäft zerschlagen, die Budgets und die Preise sind abgestürzt. Millionen hat Jung von Matt verloren.

Und nicht nur die Krise hat alles verändert. Da ist auch das Internet, mit dem sich seine Generation schwertut. Gute Sprüche allein reichen nicht. Jean-Remy von Matt ist 58 Jahre alt, Mitgründer Holger Jung 56. Also mussten die beiden was tun. Und sie haben etwas Unerhörtes getan: Sie machten einen Fremden zum Partner: Peter Figge, den manche Leute «Internetguru» nennen. Er soll sie in die neue Welt führen.

Es ist ein Frontalzusammenstoss der Kulturen. Auf der einen Seite Jung von Matt. Ein klangvoller Name in der Branche. Slogans wie «Geiz ist geil» sind in Deutschland Volksmund. In New York wurde die Firma als «Agency of the Year» ausgezeichnet, in Cannes als «Independent Agency of the Year». Die Mitarbeiter platzen vor Stolz: «Wir sind die Champions League», sagen sie.

Der Prophet. Diese Leute also soll Peter Figge lehren, dass ihre Welt am Untergehen ist. Dass die kunstvollen 30-Sekunden-Filme, auf die alle abfahren, nur mehr Beiwerk sind. Und er soll diese Ikone unter den Agenturen zu einem Trendsetter machen, wie er es bei seiner alten Firma geschafft hat, Tribal DDB, die Volkswagen als Kunden gewann, Horst Schlämmer zur Werbefigur im Netz machte und zu einem solchen Internetvorreiter wurde, dass Figge zum Agenturmann des Jahres aufstieg. Kein anderer Werbechef wird derzeit so in den Himmel gelobt. Selbst von härtesten Konkurrenten wie Thomas Strerath, Deutschlandchef der Agentur Ogilvy. «Was Figge macht, ist beeindruckend.»

Bei einem Blick ins Chefbüro sieht man einen kleinen Mann in Jeans und Pulli, der etwas tut, das gar nicht nach Chefarbeit aussieht. Er füllt eine Tabelle aus: Was hat er gestern wann gemacht? Die Tabelle gibt es schon eine Weile, aber sie gefiel nicht allen Mitarbeitern. Figge will wissen, wer was tut, will wissen, was er umbauen muss. Es wird viel sein.

Vorbei die Zeit, in der die 17 Tochteragenturen vor sich hin werkelten und sich gegenseitig konkurrenzierten. Vorbei die Zeit, in der die Leute nicht miteinander redeten. Auch den fünf Vorständen hat Figge ein wöchentliches Meeting verordnet. «Ich war entsetzt», sagt Jean-Remy von Matt. Aber Peter Figge hat nicht mit sich reden lassen. So wie er bei der Tabelle nicht mit sich reden lässt. In den Meetings geht es zurzeit um mehr als Werbung. Die Mitarbeiter möchten sich darstellen, Sorgen wegfragen. Ein neuer Chef macht Angst.

Doppelt Angst macht er, weil er gekommen ist, um zu verändern. «Ich bin keine Kopie der Gründer. Die Welt dreht sich weiter», sagt Figge. Wer das nicht sehen will, muss Sinnsprüche hören. «Die Logik wird euch würgen.» Oder: «Nichts ist so grausam wie die Wahrheit.»

Die neuen Kollegen treten ihm vorsichtig entgegen, aufs Tüpfelchen vorbereitet. Eine Managerin will wissen, was die Zukunft bringe. Seit vielen Jahren ist sie im Geschäft, nun hockt sie da, mit holpernder Stimme und einer immer wiederkehrenden Frage: «Was bedeutet der Wandel für die Mitarbeiter?» Peter Figge stellt sein iPhone leise, wendet ihr den Blick zu, und am Ende sagt er, dass alles gut werde. Die Krise ist überstanden, die Agentur hat keinen Verlust gemacht und nur fünf Prozent Umsatz verloren. Stolze 88 Millionen Euro beträgt der immerhin.

Ein Managementtrainer, sagt Figge, würde feststellen, dass er seine Zeit ökonomischer einteilen könne. Wenn er Menschen in «wichtig» und «weniger wichtig» einteilte. «Aber das will ich nicht.» Nur keine Angst schüren in diesen unsicheren Zeiten. Figge weiss, wie sich Druck anfühlt. «Die Branche guckt darauf. Ich muss gewinnen. Ich sollte ja nicht nur ein Fettauge sein, das oben schwimmt.»

Ein halbes Jahr hat er sich auf den Job vorbereitet. Mit Nichtstun. «Ich wollte Kraft sammeln.» Zu Hause ist er geblieben, in Hamburg. Ist spazieren gegangen, Dann endlich ging es los.

Der erste Tag war gut. Holger Jung übergab ihm seinen Bürostuhl, sein Auto und seinen Parkplatz. Dann fuhr er in die Ferien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste jeder, wer das Sagen hat. Und die ersten Wochen waren ebenso gut. Schnell war ein Erfolg da, die erste Kampagne: Vodafone. «Das war schon ein Zeichen gegen aussen», sagt Figge.

Jetzt, an diesem Tag im Spätherbst, ist auch der Spot endlich fertig. Armin Jochum, der Kreativchef, kommt in Figges Büro, um das Werk vorzuführen: Ein junger Typ sucht mit dem Handy ein Mädchen. Ihr Foto geht um die Welt, und die beiden finden sich. «Weltklasse», sagt Jochum. «Das ist kein TV-Spot, das ist grosses Erzählkino.»

Figge nickt. Das muss reichen an Lob. Dann folgen Managerfragen. Kundenmeinung? Kosten? Zeitplan? Schliesslich: Lässt sich das grosse Erzählkino auch kürzen? Auf sieben Sekunden fürs Internet? Jetzt ist es der Kreative, der nur nickt. Figge: «Schaffen wir dazu ein Onlinegame?» – «Schwierig.» – «Die Frage ist, ob das Onlinegame fertig ist, wenn es keinen mehr interessiert, oder rechtzeitig?» Schweigen. Jochum schätzt Peter, sie gelten als gutes Team. Aber es gibt Augenblicke, in denen mag er Peter weniger.

Schöne Filme sind für Figge nur Teil seines Plans. Dessen Kern ist das Internet, die neue Welt. Zufällig platzt Figge in eine Runde im «Wohnzimmer», wo die Agentur den Alltag des Durchschnittsdeutschen nachgebaut hat: blauer Teppich, senfgelbes Sofa, hellbraune Vitrine, Gläser mit Leonardo-Aufklebern, ein Flachbildfernseher. «Jeder hat eines dieser Dinge mal besessen oder bei Freunden gesehen», erzählt einer der Werber.

Tolle Sache, findet auch Figge. «Aber der Wohnzimmergedanke ist nicht adäquat, er passt nicht zur neuen Technologie. Das Netz erlaubt hochspezifische Interessen. Du kannst Bedürfnisse bis aufs Kleinste granulieren. Du bist Durchschnitt und bist dann doch kein Durchschnitt.» Allgemeines «Äh». Figge versinkt weiter in seiner neuen Welt. In England, erzählt er, liefen Kampagnen über Social Circles. «Und es gibt ein Tracking: Wer gibt was weiter? Mit wie vielen Empfängern?» Wieder Stille. Staunen. Tschüs.

«Digitalguru, wie es immer heisst, kann ich mit meinen 45 Jahren gar nicht sein», sagt Figge. «Es geht nur darum: Wie kann ich kommunizieren?» So viele Wege: Banner, E-Mailing, Facebook, Foren, Search-Marketing, Web-Specials. Figge hört gar nicht auf mit dem Aufzählen. Nur zwei, drei Sekunden verstummt er; als er auf der Treppe ausrutscht und hinfällt. Besorgt will man ihm zu Hilfe eilen. Doch er steht schon wieder. Nix passiert. Und weiter gehts mit der Aufzählung: eigener YouTube-Kanal, eigene Community, Product Placement in Spielen …

Der Herausforderer. Termin bei der Personalchefin, Inka Wittmann. Anfangs war ihr vor Figge bange. «Wir hatten eine gewisse Brille auf», sagt sie. «Wer passt zu uns? Du kannst doch diesen Technik-Nerd nicht auf unsere Leute loslassen. Aber wir müssen unseren Blick weiten.» – «Was ich als Herausforderung für euch sehe», wirft Peter ein. «Für uns. Inzwischen kann ich ‹wir› sagen.»

Das «wir» wird sich wandeln bei Jung von Matt. Die altbekannten Dreierteams aus Texter, Art Director und Berater werden aussterben. Heute sitzt ein Onliner dabei, der Ideen entwickelt, ein Producer, der die Technik beherrscht, ein zweiter Berater, der den Kunden erklärt, wie sie das Netz nutzen können.

«Man braucht Online-Konzeptionatoren und Information Architects», sagt Figge. Doch wie lassen sich solche Leute finden? Es gibt dafür noch keinen Markt, ja noch nicht mal die Personalleute. «Wer im Haus hat eine Affinität zu Menschen, die technologisch ticken?» – «Hm», sagt Wittmann. Dann ein, zwei Ideen. «Wenn wir keine haben», sagt Figge, «muss man sie eben holen.»

Das iPhone klingelt. Figge rennt hinaus. «Er ist schon ein Businesstyp», sagt Wittmann. «Aber er ist nicht so ein blöder Oberflächensurfer wie viele in der Branche. Wenn er einen Neuen empfiehlt, kennt er dessen Background.»
Figge wurde durch seinen Vater geprägt. Ein Unternehmer. Ein Mann der Zahlen. Nie im Leben, sagt Figge, würde er Schulden machen. «Ich gebe nur aus, was ich habe.» Klar, korrekt, geradlinig, so beschreiben ihn alte Kollegen von Tribal.

Trifft man sich mit Hamburger Kreativen, fangen sie gern an zu lästern. Wie der schon aussieht! Klein, Glatze, Pulli, langweilig. Das soll die Zukunft sein? «Er ist für die Kreativszene schwer zu verdauen», sagt Thomas Strerath von Ogilvy. «Noch vor drei Jahren hätte ein Peter Figge keine Chance gehabt.»

Es sind die Kunden, die den Wandel vorangetrieben haben. Man will in der Werbung Gesamtpakete: Anzeige und Spot, Banner und mobile Website. Der Kunde sucht keine Filmgenies, sondern Leute, die von allem etwas verstehen. Leute wie Figge eben.

Figge kann schon einmal einem Kunden erklären, er brauche keine Kampagne, sondern neue Preise. Damit verzichtet er zwar auf Umsatz, baut aber Vertrauen auf, bindet Kunden. Peter Figge war Vorreiter, und er wird auch Jung von Matt in ein neues Zeitalter treiben.

Seine Verpflichtung war kein leichter Schritt, gerade für Jean-Remy von Matt nicht, den Altstar der Branche, der schon seit 36 Jahren Slogans schreibt. Sein Mitstreiter Holger Jung wechselt nächstes Jahr in den Aufsichtsrat, im Tagesgeschäft muss er sich mit dem neuen Kurs der Agentur nicht mehr herumschlagen. Von Matt schon.

Vieles hat sich in vier Monaten bereits verändert. Auf der anderen Seite des Bürotischs sitzt nun nicht mehr Holger. Und: «Ich kann nicht mehr nach Gutsherrenart entscheiden», sagt von Matt. Peter soll nun machen, umbauen.
Das hätten die Alten nicht geschafft. «Wir denken nicht in Strukturen. Deswegen ist uns das über den Kopf gewachsen. Er macht aus unserem Hippieladen ein ordentliches Unternehmen.» Jean-Remy von Matt lächelt.

Ein Mann, zerrissen zwischen den Welten. Da ist das grosse Ja zum Wandel, sonst hätte er Figge ja nicht geholt. Doch zugleich ist da das kleine, fiese Nein, das immer wieder durchbricht, etwa in einem Essay, den er vor einem Jahr schrieb. Er huldigt darin einer Werbergabe, die selbst «die cleverste Suchmaschine» nicht ersetzen könne: «Geschichten erzählen, die träumen lassen; Bilder so spektakulär wie Marienerscheinungen schaffen.»

Aber was soll er dem jungen Werber mit dem Akkuschrauber schon mit solchen Weisheiten kommen. Die nächsten 19 Jahre will der ihm zeigen? Jean-Remy von Matt schaut an die Wand. Er sieht 50 Buttons. Hinter jedem steckt eine Idee. Der Werber: «Du kannst dir einen aussuchen.» Der Alte schweigt. Also sucht der Junge selbst einen aus. «Diese Idee heisst ‹Hedge the City›!» Der Alte wartet auf die Pointe. «Ähm. Kennst du Guerilla Gardening?» «Neee», tönt es zurück.

Peter sitzt daneben, zupft an seinem linken Ohrläppchen herum. Ganz rot ist es. Also, erklärt der Werber. Das ist, wenn Leute Verkehrsinseln bepflanzen. Denen könne man den Akkuschrauber schenken. Und die würden in der Stadt einen Tisch bauen und ein Bier daran trinken. Das bringt einen ins Gespräch, in Blogs.

Blogs? Von Matt hat sie mal «Klotüren des Internets» genannt, ein Zitat, mit dem er es sogar in die «New York Times» geschafft hat. Es folgen weitere Klicks. Immer der gleiche Gedanke: die grosse Netzgemeinschaft dazu verleiten, über ein Produkt zu reden.

Wirklich der Beste? «Was mir gefällt», sagt der Alte am Schluss, «ist die neue Art der Präsentation.» Der Werber und Peter gucken ein wenig leer. Jean-Remy von Matt ist eben kein Fan von Mundpropaganda über Blogs oder YouTube. Gerade Werbefilme seien dort ohne Wirkung, schrieb er in seinem Essay. «Neun von zehn erreichen weniger als 5000 Seher. Das Verführerische dabei: Die wenigen Erfolgsbeispiele sind in aller Munde.»

Eines dieser Musterbeispiele ist Horst Schlämmer, den Tribal DDB für Volkswagen im Netz berichten liess, wie er den Führerschein macht. Wenigstens Figge also scheint zu wissen, wie es geht.

«Der ist schon nicht schlecht, der Peter Figge», sagt Jean-Remy von Matt später in seinem Erkerbüro. «Nein, er ist nicht schlecht.» Aber ob er der Beste ist, wie es in der eigenen Pressemitteilung steht? «Das wissen wir in drei Jahren.»