Architektur hätte der jugendliche Emanuel Probst gern nach der Matur studiert. Oder Design. «Das war die Optik des 19-Jährigen», erinnert sich der heute 52-jährige Solothurner. Dass er nach erfolgreichem Betriebswirtschaftsstudium an der Hochschule St.  Gallen einmal die unweit seines Heimatortes in Niederbuchsiten domizilierte Elektroapparatefirma Jura komplett umbauen würde, hätte er sich als Teenager nicht träumen lassen.

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Und wie er diese Ikone der Schweizer Haushaltsgeräte-Industrie umgebaut hat. Probst liess im Jura-Werk nach und nach das gesamte frühere Standardsortiment, unter anderem die berühmten Bügel- und Brezeleisen, eliminieren und setzte stur auf nur noch ein Produkt: Kaffeemaschinen. Innerhalb von weniger als einem Vierteljahrhundert schaffte es Probst, dass Jura weltweit als Inbegriff von hochpreisigen Kaffee-Vollautomaten für die Gastronomie steht. Mehr als 400 Millionen Franken hat die Firma im Vorjahr an Verkaufserlösen erzielt. Damit dominiert Jura die Branche, sieht die eigene Stärke allerdings im Verkauf von Grossserien für Haushalte. 30  000 Stück des Modells Z 5 verkaufte Jura gleich im ersten Jahr nach der Markteinführung weltweit zu Preisen von mehr als 3000 Franken pro Automat.

Doch nun registriert der Topverkäufer «erstmals seit zwölf Jahren» ein gebremstes Wachstum. Nur im besten Fall rechnet Probst damit, das Vorjahresergebnis halten zu können: «2009 bleibt pickelhart.» Wichtige Wachstumsmärkte der letzten Jahre wie Russland oder Spanien brechen dramatisch ein. So betrachtet, dürfte Jura froh sein, das Geschäft mit gewerblichen Nutzern, also Hotels, Kaffeehäusern oder Autobahnraststätten, stets gepflegt zu haben. Der Branchenprimus bei der Belieferung von Endverbrauchern bietet im Gastrobereich Geräte an, die technisch auf eine Tagesleistung von allenfalls 100 Tassen ausgelegt sind und bis gegen 8000 Franken kosten.

Wer an professionelle Kaffeeköche denkt, bewegt sich gedanklich nach Italien. Dort scheint vor Arbeitsbeginn der Besuch der Espressobar obligatorisch. Hinter dem Tresen glänzt zumeist ein Monstrum von Kaffeemaschine, das nur von einem Profi, dem Barista, bedient werden kann. Weil diese Geräte eben geschickte Handwerker brauchen, werden sie Halbautomaten genannt. Und deren Fabrikation ist unverändert Domäne italienischer Produzenten.

Die ruhmreichen Hersteller südlich der Alpen registrierten aber nicht, dass Hunderttausende Italien-Touristen auch in der Heimat Espresso trinken wollten, Kaffeehausbetreiber dort aber keine hoch bezahlten Baristi beschäftigen mochten. Da schlug die Stunde für Schweizer Erfinder. Ein schöner Beleg helvetischer Weitsicht findet sich in den Archiven der Franke Coffee Systems in Aarburg AG. Der Mövenpick-Gründer Ueli Prager und der visionäre Multifabrikant Willi Pieper trafen sich Mitte der 1980er Jahre und grübelten gemeinsam, wie die Gastronomie mit gänzlich neuartigen «Hightech-Maschinen für den Ausschank von Kaffee» zu beglücken sei. Schon bald lancierte Franke «die erste Maschine mit zwei Kaffeemahlwerken». Mitte der neunziger Jahre präsentierte die Firma, unter der Regie des heutigen CEO Michael Pieper, mit der Swiss Mambo den ersten Vollautomaten.

Der Begriff Vollautomat besagt treffend, dass ein Knopfdruck genügt, damit die Kaffeemaschine das gewünschte Heissgetränk in die Tasse fliessen lässt. Den Siegeszug starteten unbestritten Schweizer Erfinder. Im Segment der Kaffeevollautomaten kontrollieren Schweizer Produzenten mit ihren Brühapparaten für die Gastronomie oder für Grossküchen etwa in Spitälern den Weltmarkt. Solche Geräte schaffen nach Herstellerangaben im Laufe ihres Maschinenlebens locker bis zu einer Million Tassen und kosten in kleinen Serien schon mal 50  000 Franken – und auch mehr.

Sechs Schweizer Firmen bilden weltweit ein Oligopol: Cafina in Hunzenschwil AG, Egro Coffee Systems in Niederrohrdorf AG, Franke in Aarburg AG, HGZ Maschinenbau in Dällikon ZH, M.  Schaerer (noch) in Moosseedorf BE und Thermoplan in Weggis LU. Als Konkurrenten dieses Schweizer Vollautomaten-Sextetts gelten vielleicht noch die italienischen Betriebe Faema / La Cimbali und Rancilio. Doch bleiben deren Domäne die Halbautomaten.

«Die Italiener können keine Vollautomaten bauen», lästert denn auch Peter Tintelnot. Der 64-jährige VR-Präsident der Cafina kennt die Branche aus dem Effeff. Ein Jahrzehnt lang hatte er bei der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) die Sparte vollautomatische Kaffeemaschinen angeheizt, den Verkauf «von 170 auf 300 Millionen D-Mark» gesteigert. Seit zehn Jahren forciert Tintelnot den Verkauf bei der deutschen Melitta System Service (MSS). Im 100. Geschäftsjahr addierte der Konzern 1,2 Milliarden Euro Umsatz. 3300 Mitarbeitende zählt der Multi weltweit, davon etwa 150 bei der 1988 zugekauften Cafina. «In der Schweiz sind wir ganz klar Marktführer», protzt Tintelnot und nennt als Beispiel: «Allein im Zürcher Hauptbahnhof stehen mindestens 100 Cafina-Kaffeeautomaten.»

Auf dem zweiten Rang sieht der Platzhirsch die M. Schaerer, die seit 2006 ebenfalls unter deutscher Regie als grösste Tochtergesellschaft des WMF-Konzerns expandiert. Peter Althaus (41), Schaerer-Chef und damit WMF-Statthalter, darf getrost behaupten, im Gespann mit den Deutschen «unangefochtener Leader auf dem Weltmarkt» zu sein. Mit der bewusst kultivierten «Zweimarkenstrategie», eben Schaerer in der Schweiz und WMF weltweit, schäumte der Umsatz 2008 gemäss Jörg Hass von der WMF-Zentrale «auf rund 240 Millionen Euro» auf und «damit auf etwa sechs Prozent mehr als im Vorjahr».

M. Schaerer schaffte gar doppelt so viel Wachstum, trug 81,4 Millionen Euro zum gesamten WMF-Umsatz bei; ein «Plus von zwölf Prozent», addiert Hass und konstatiert ein erfolgreiches Comeback. Die 1892 gegründete Schaerer taugt als Beispiel dafür, wie Erfolg träge machen kann. Denn tatsächlich hatten die Berner schon 1957 «die erste Kaffeemaschine mit vollautomatischem Hydrokolbensystem» lanciert; zehn Jahre später die Dosiereinrichtung für das Kaffeepulver automatisiert. Die Firma rühmt zu Recht 1984 als Beginn eines neuen Zeitalters für die gesamte Branche. «Die Schaerer Matic – eine Legende – setzte neue Massstäbe.» Nur: Danach kam praktisch nichts mehr aus der Entwicklung. «Wirtschaftlich schwierige Jahre und diverse Handänderungen» nennt das der Firmenchronist. Mit einem Management Buyout beendete Peter Bigler 2001 den Niedergang, sanierte den Pionierbetrieb und lockte den Riesen WMF «mit einem treuen Kundenstamm» erst zu einer Kooperation, dann zu einem Komplettkauf. Zum Stamm gehörten in der Schweiz traditionell sowohl die Grossverteiler Migros und Coop als auch Mövenpick.

Wegen des Erfolgs wird Schaerer aber im September von Moosseedorf Abschied nehmen. Die dort 1989 etablierte Produktionskapazität «reicht nicht mehr aus», sagt Hass, «wir ziehen um nach Zuchwil». Während dieser Konzern mit dem nach eigener Einschätzung «komplettesten Produktportfolio aller Kaffeemaschinenhersteller» noch keine Abkühlung der Branchenkonjunktur feststellt, registriert die Franke Coffee Systems in Aarburg «bereits in den verschiedensten europäischen Märkten seit Oktober 2008 einen Rückgang». Natascha Widmer vom Franke-Management beziffert das Minus «per Ende Mai auf rund fünf Prozent» und befürchtet gar, «dass sich die Situation verschärfen wird».

Im Franke-Konzern mit mehr als 70 Tochtergesellschaften, knapp drei Milliarden Franken Umsatz und über 12  500 Mitarbeitenden spielt die Kaffeesparte mit 154 Millionen Franken Erlös eine wohl weniger wichtige Rolle. «Präsent in mehr Küchen als jeder andere Hersteller», so wirbt Franke. Freilich dürfte Konzernchef Michael Pieper besonders stolz darauf sein, dass der Welt erfolgreichste Grossküche, nämlich der Fast-Food-Fabrikant McDonald’s, bei der spektakulären Expansion ins Braune-Bohnen-Business auf Franke setzt. «Wir haben im Jahr 2008 etwa 5500 Maschinen an McDonald’s geliefert», bilanziert Natascha Widmer.

Von diesem von McDonald’s neu entdeckten Geschäftsfeld profitieren auch andere Schweizer Kaffeemaschinenproduzenten. Um einen Grossauftrag des Multis rechtzeitig erledigen zu können, richtete Cafina etwa 2007 temporär einen Zweigbetrieb in Egliswil AG ein. Und selbst Adrian Steiner, Geschäftsführer bei Thermoplan in Weggis, nennt McDonald’s-Landesgesellschaften als Kunden. «1200 Geräte in Grossbritannien und 300 bis 400 Automaten in Skandinavien.» Die Lieferung an den Fast-Food-Riesen verwundert, weil Thermoplans Erfolgsweg eng verknüpft scheint mit der explosionsartigen Expansion von Starbucks. 1987 kaufte der Amerikaner Howard Schultz eine kleine Kaffeekette mit elf Filialen an der Westküste der USA für knapp vier Millionen Dollar und dehnte sie seither unter Dampf auf fast 14  500 Starbucks-Standorte aus, in 43 Ländern rund um den Globus. Und in der Zentralschweiz setzte der Bäckersohn Domenic Steiner (heute 71-jährig) zur rechten Zeit auf den damaligen No-Name Schultz.

Anfang der achtziger Jahre hatte sich Steiner mit der Produktion von Schlagrahmautomaten ins Rampenlicht gerückt. Da fast zeitgleich der Siegeszug neuartiger Kaffeevollautomaten einsetzte, entwickelte Domenic Steiners Thermoplan auch solche Geräte. «Starbucks war unser grosses Glück», gesteht Geschäftsführer Adrian Steiner, der mit dem gleichnamigen Gründer «weder verwandt noch verschwägert» ist. Als Trumpf von Thermoplan wertet der Manager «unsere modulare Bauweise»

Wenn Starbucks aktuell stagniert, im US-Heimatmarkt gar erstmals, und dabei 600 Filialen schliessen musste, bremst das natürlich auch die Verkäufe des Systemlieferanten in Weggis. Adrian Steiner («Starbucks war und ist immer sehr partnerschaftlich») vertraut darauf, dass es bei der Ankündigung des als CEO zurückgekehrten Antreibers Howard Schultz bleibt, «alle Maschinen auszutauschen».

Während Franke und Thermoplan in den USA brillieren, nennt Susanne Tanner von der Egro Coffee Systems in Niederrohrdorf Asien als stärksten Absatzmarkt. Ein Dreivierteljahrhundert tummelt sich die Firma nun schon am Markt. «Die erste Egro-Kaffeemaschine verliess 1934 unsere Produktion», referiert die Marketingmanagerin. Im Sommer 2008 übernahm die italienische Familie Rancilio von Bankierspross René J. Bär Egro mit mehr als 90 Mitarbeitenden. Auch wenn Egro «über 90 Prozent unseres Umsatzes im Export erzielt» (Tanner), hat die Gesellschaft durchaus Gewicht in der Heimat. Cafina-Chef Tintelnot sieht Egro in der Schweiz gleichauf mit Franke.

Klein, aber fein präsentiert sich schliesslich die HGZ Maschinenbau in Dällikon ZH. Gründer Heinrich Gertsch hatte HGZ, deren Kürzel für Holzgasgeneratoren Zürich steht, 1937 ins Leben gerufen und im Jahr 1945 die erste Filterkaffeemaschine mit Namen Bravilor lanciert. 1969 schluckte HGZ den Schweizer Konkurrenten Rex und kreierte die erfolgreiche Marke Rex-Royal. Als einziger Verwaltungsrat und CEO der HGZ mit rund 50 Beschäftigten amtiert der Schwiegersohn des Gründers, Peter Sager-Gertsch.

Apropos Peter Tintelnots kesse Formulierung «Italiener können keine Vollautomaten bauen»: Produzenten südlich der Alpen haben zwar den Trend zu den professionellen Vollautomaten verschlafen, bleiben aber Weltmeister bei Halbautomaten. Marco Vassalli, der Geräte von La Cimbali in die Schweiz importiert, sieht dieses Unternehmen allerdings nicht allein «führend bei Halbautomaten». Mehr als 30  000 Grossmaschinen verliessen im Vorjahr die Cimbali-Werke. «Davon gegen 10  000 Vollautomaten», führt er als Beweis an.

In Zürich ist für ihn, wie für viele andere auch, Sprüngli am Paradeplatz der Inbegriff gepflegter Kaffeehauskultur. «Da brühen Automaten von uns.»