Flipflops schlurfen durch die Gänge. Arme und Beine werden entblösst. Eine Etage höher werden Krawatten gelockert und der oberste Knopf im Hemd geöffnet – in vielen Büros herrscht in den heissen Sommermonaten eine lockere Atmosphäre, die an Ferienstimmung grenzt. «Not amused» darüber sind Stilfachleute wie beispielsweise Clifford Lilley aus Zürich.

Für ihn ist Stil schlichtweg ein Ausdruck von Respekt und Rücksicht dem anderen gegenüber: «Mit Stil drückt man die Intelligenz aus, dass man in jeder Situation angemessen gekleidet ist. Stil ist höflich und unauffällig und stört nie.» Nichts kleide einen Mann so vorteilhaft wie ein klassischer Anzug: «Das reicht aber nicht. Um stilvoll aufzutreten, müssen die Teile geschickt ausgewählt werden.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Casual Friday» missverstanden

Die Idee des amerikanischen «Casual Friday», des krawattenlosen letzten Tags der Arbeitswoche, ist laut Clifford Lilley längst nicht mehr aktuell. Ursprünglich ging es darum, das Geschäftsoutfit geringfügig zu lockern: Am Freitag konnten die Herren den Anzug gegen Hemd und Hose, die Damen das Kostüm gegen ein Twinset eintauschen. Natürlich nur solange sie keinen Kundenkontakt hatten.

Vielerorts sei der «Casual Friday» missverstanden worden: «Die Leute kamen zur Arbeit, wie sie gerade wollten.» Eben ohne Stil. «Die Bekleidung ist unsere äussere Hülle und vermittelt eine Botschaft. Unser Äusseres wirkt mehr, als wir uns oft bewusst sind», bestätigt Farb-, Stil- und Imageberaterin

Silvia Meeuwse, die Kunden für den privaten und beruflichen Auftritt berät und Seminare in Unternehmungen hält.

Dass weisse Socken unangebracht sind, soll sich inzwischen herumgesprochen haben. Doch es gibt zahlreiche Unsicherheiten, was guten Stil ausmacht. Passen zum Beispiel braune Schuhe zum dunklen Anzug? Gehören Manschettenknöpfe noch zu einem gepflegten Auftritt? Auch Clifford Lilley gibt in Firmenseminaren Antworten auf solche Fragen und hat kürzlich gemeinsam mit dem Journalisten Jeroen van Roojen ein Buch dazu veröffentlicht. Als er kürzlich in einer grossen Unternehmung seinen Workshop hielt, war er entsetzt. Neun von zehn Männern trugen an diesem Sommertag ein Hemd mit kurzen Ärmeln zu Anzug und Krawatte. Für Lilley eine unverzeihliche Modesünde.

Der ganze Stil im Eimer

Viele Männer seien in dieser Hinsicht stur: «Sie verstehen nicht, weshalb sie unter dem Jackett kein Kurzarmhemd tragen sollen. Der gepflegte Mann trägt auch im Hochsommer ein Langarmhemd, weil man nur so die Manschette sehen kann.» Ohne diesen Zentimeter Stoff, der aus dem Jackenärmel herausschaut, sei der ganze Stil «im Eimer». Die Anzugsjacke ausziehen dürften die Männer sowieso nur dann, wenn der Vorgesetzte sich selbst der Jacke entledigt. An besonders heissen Tagen liege es dann drin, die Hemdenärmel etwas hochzukrempeln.

Edle Manschettenknöpfe sind ein Accessoire, das der Mann nur an speziellen Anlässen trägt. Auch hier gilt: Schlichtheit und Eleganz ist das Ziel. Protzige Diamanten oder hippe Totenköpfe haben darauf nichts zu suchen. Ein ebensolcher Gräuel sind für Lilley sämtliche Auswüchse der Freizeitkultur im Geschäftsleben: Turnschuhe, Flipflops, aufgerollte Jeans, offene Sandalen. Sowieso verpönt sind helle Schuhe kombiniert zum dunklen Anzug. Clifford Lilley: «Im Geschäftsleben ist Schwarz keine Farbe für einen Anzug. Dunkelblau, Anthrazitgrau oder Nadelstreifenanzüge sind am besten. Das gilt aber nicht für Damen.»

Unpassende oder auffällige Kleidung kann zudem vom Wesentlichen ablenken. Beispielsweise wenn eine Rednerin ein knallrotes Deuxpièce trägt. Stilberaterin Silvia Meeuwse: «Für eine Präsentation oder eine Rede vor Publikum ist es ratsam, etwas Schlichtes zu tragen, um die Zuhörenden nicht vom Inhalt abzulenken.» Farben steuern die Aufmerksamkeit des Gegenübers: Der Blick bleibt immer am hellsten Punkt der Garderobe hängen. Wenn die Strümpfe hell sind, bleibt der Blick unten. Ein helles Oberteil lenkt den Blick hingegen nach oben, zum Gesicht. «Das ist unser Ziel, denn das

Gesicht ist das Wichtigste», so Meeuwse. Am ruhigsten wirke deshalb auch bei den Damen ein helles Oberteil, eine dunkle Jacke und ein dunkler Jupe mit farblich passenden Strümpfen.

Nie ohne Reservekravatte

Falls einmal ein Malheur passieren sollte und der Strumpf eine Laufmasche bekommt, weiss sich die Dame von Welt zu helfen. Sie hat stets ein zweites Paar passende Strümpfe dabei. Ebenso clever ist der gepflegte Herr. Clifford Lilley: «Wenn man beim Mittagessen die Krawatte in die Salatsauce getunkt hat, ist es angenehm, auf eine Ersatzkrawatte zurückgreifen zu können.»

-----

NACHGEFRAGT | CLIFFORD LILLEY, Lifestyle-Kolumnist, Stylist und Imageberater, Stilberater, Seminar- und Workshopleiter: «Ein Vorgesetzter sollte immer ein Stilvorbild sein»

Geht der Trend zurzeit wirklich zu mehr Stil, wie immer wieder zu lesen ist?

Clifford Lilley: Ja. Auch Kniggekurse sind heute wieder hoch im Kurs. Dass Stil im Trend liegt, zeigt die Tatsache, dass inzwischen selbst Massenanbieter wie H&M eine Businesslinie eingeführt haben. Der Mensch mit Stil zeigt, dass ihm das Wohlbefinden anderer Menschen wichtig ist. Stil gibt Haltung und Eleganz, Stil zeigt, dass man sich bemüht und die anderen respektiert. Kleider sollen dem Auge Freude bereiten.

Entscheidend sind doch die Persönlichkeit und die Leistung? Warum sollen Äusserlichkeiten so wichtig sein?

Lilley: Mit Stil erreicht man mehr Sicherheit und Kompetenz. Kleider sind nonverbale Kommunikation. Ein Anzug vermittelt Seriosität und Vertrauen. Nicht in allen Branchen gelten strenge Regeln. Einen gewissen Stil sollten die Mitarbeiter aber immer einhalten. Es ist aber besser, «overdressed» zu sein, als zu salopp daherzukommen. Die Mitarbeiter widerspiegeln mit ihrem Auftreten die Kultur und das Image der Firma. Dieser Bedeutung sind sich viele Mitarbeiter und Vorgesetzte nicht bewusst. Ein Büro ist ein seriöser Ort, wo Arbeit geleistet wird. Das soll sich auch im Kleiderstil zeigen.

Welche Rolle spielt der Kleiderstil bei Vorgesetzten?

Lilley: Ab einer gewissen Managementebene kommt man um einen eleganten, tadellosen Kleiderstil nicht herum. Auf Executive-Ebene kann man sich keinen knitternden Leinenanzug leisten. Ein Vorgesetzter sollte immer auch ein Stilvorbild sein. Die Untergebenen sollten vom Chef denken: «Sieht gut aus, der Typ, die Kleider sind in Ordnung, nichts ist protzig daran!»

Sie raten in Ihren Seminaren, sich die besten Accessoires zu kaufen, die «man sich leisten kann». Muss Stil wirklich teuer sein?

Lilley: Qualität ist wichtig. Stil heisst nicht, sich für die teuersten Marken zu entscheiden. Aber man sollte sich tatsächlich immer den bestmöglichen Schnitt und das edelste Material gönnen, das man sich leisten kann. Es sieht einfach besser aus.

Was ist für Sie die schlimmste Stilsünde?

Lilley: Proportionen missachten. Herren tragen oft Jacken, die eine bis zwei Nummern zu gross sind. Das stört das ganze Bild. Oder ein gelockerter Krawattenknopf und ein geöffneter oberster Hemdenknopf. Die grösste Stilsünde sind Kleider, die schmutzig, fleckig oder vernachlässigt sind. Bei Hitze empfehle ich den Herren, ein zweites Hemd zum Wechseln mitzunehmen. Oft steht es auch schlimm um die Schuhe. Bei Regenwetter trägt man draussen Schuhe mit Gummisohlen, die man drinnen durch ein Paar mit Ledersohlen tauscht.

------

Stilregeln: Tun und Lassen für sie und ihn

Stilregeln für Damen:

• Verpönt sind: Lockere Sitten im Sommer, bauchfreie Tops und nackte Oberarme.

• Sandalen sollten nur hinten offen sein. Dazu keine Strümpfe.

• Sonst trägt die Geschäftsfrau immer Strümpfe (auch im Hochsommer), nur keine hellen, beigen oder glänzenden Exemplare.

• Das Kostüm oder Deuxpièce ist der klassische Businessdress für die Dame. Die Kostümjacke darf sie im Business nicht ausziehen. Auf keinen Fall, wenn sie darunter nur ein Top trägt.

• Der Saum des Rockes sollte im Sitzen höchstens eine Handbreit über den Knien enden.

• Kleider müssen sitzen. Zu weite oder zu enge Kleidung ist wenig schmeichelhaft.

• Dezentes Make-up, gepflegte Hände und Haare unterstreichen den Auftritt. Zu viel Schmuck, Schminke und Parfüm wirken aufdringlich.

Stilregeln für Herren:

• Bei Anzug, Hemd und Krawatte sollten höchstens zwei Teile (nur dezent!) gemustert sein.

• Die Krawatte sollte bis auf die Höhe des Gürtels reichen.

• Kniesocken in Schwarz oder in gleicher Farbe wie die Hose sind ein Muss. Rutschende Socken oder Knöchelsöckchen entblössen behaarte Beine.

• Kurzarmhemden sind im Business verpönt.

• Statt Schuhe mit Gummisohlen sollte man welche mit Ledersohlen tragen.

• Eine elegante Markenarmbanduhr und der Ehering reichen als Schmuck.

• Weitere Stilsünden: Alles andere als schwarze Kniesocken, Anzugsjacke ganz zuknöpfen (stattdessen: Unterster Knopf immer offen lassen!), zu kurze oder zu lange Hosenbeine oder Jackenärmel, helle Schuhe zu dunklen Anzügen, schrille, mit Comics bedruckte Krawatten oder Socken.

• Ein guter Haarschnitt ist unerlässlich. Die grösste Stilsünde

bei den Haaren: Glatze mit Haarsträhnen überdecken versuchen.

------

Literaturhinweis: Clifford Lilley, Jeroen van Roojen, Der Dresscode. Fragen des Stils Antworten des guten Geschmacks. Orell Füssli Verlag 2007.