Kühne + Nagel hat in den vergangenen Jahren erhebliche Summen in die globale Kontraktlogistik und in den Bereich der europäischen Landverkehre investiert – so in den Aufbau von Lagereinrichtungen und in Umschlagsanlagen – und das Angebot im Bereich Supply Chain Management – nicht zuletzt dank ACR – deutlich ausgebaut. Welche Perspektiven sieht Kühne + Nagel in beiden Unternehmensbereichen?
Dirk Reich: Wir haben uns entschieden, in beide Geschäftsbereiche zu investieren. Es handelt sich dabei um zwei unterschiedliche Tätigkeitsfelder, die wichtige Bestandteile des integrierten Geschäftsmodells von Kühne + Nagel bilden und Wachstumspotenzial bieten. Den Schwerpunkt in der Kontraktlogistik sehen wir in der Globalisierung unserer Lager- und Verteilaktivitäten und in der kontinuierlichen Entwicklung neuer Dienstleistungen. Bei den Landverkehren liegt der Schwerpunkt derzeit im organischen wie im akquisitorischen Wachstum für den Aufbau eines integrierten europäischen Door-to-door-Stückgut-Netzes. Dabei versuchen wir, auch die Vor- und Nachläufe der Luft- und Seefracht sowie der Kontraktlogistik in dieses Netzwerk einzubringen. Somit können wir die erste wie die letzte Meile abdecken.
Sie bauen also ein europaweites Netzwerk für Landtransporte auf. Verfügen Sie denn auch über die ausreichenden Mengen an Gütern, um dieses nicht ganz billige Netzwerk auslasten zu können?
Reich: Im Moment verfügen wir noch nicht überall über die notwendigen Gütermengen, diese wollen wir durch organisches Wachstum und auch durch Akquisitionen dazugewinnen. Wenn sich allerdings die europäischen Netzwerke weiter konsolidieren und kleinere Wettbewerber mangels Volumen aufgeben müssen, ist es wichtig, über ein eigenes Netzwerk für Luftfracht, Seefracht, Landverkehre und Kontraktlogistik zu verfügen.
Konkurrenten von Kühne + Nagel, beispielsweise Panalpina, kaufen keine teuren Infrastrukturen oder Fuhrparks, Kühne + Nagel dagegen investiert kräftig. Wo sehen Sie die Vorteile dieser Strategie?
Reich: Auch die Kontraktlogistik- und Landverkehrsaktivitäten lassen sich mit mehr oder weniger Assets realisieren, wobei Kühne + Nagel in allen Bereichen eher «asset light» operiert. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Lageraktivitäten: Nur knapp 20% der Lagerfläche, über die wir verfügen – und das sind 6 Mio m2 weltweit – befindet sich im Eigentum von Kühne + Nagel. Bei den Landverkehren liegt der Schwerpunkt der Investitionen nicht im Aufbau eines Fuhrparks, sondern im Bereich standardisierter IT.
Ist damit zu rechnen, dass in einigen Jahren nur noch einige wenige grosse Player im europäischen Transportmarkt tätig sein werden?
Reich: Aus heutiger Sicht kann diese Frage nicht befriedigend beantwortet werden. Gerade deshalb setzen wir auf unser eigenes Netz, um auf der sicheren Seite zu sein. Es wird aber auch in Zukunft so sein, dass verschiedene Spezialisten für spezielle Branchen und spezielle Relationen logistische Dienstleistungen anbieten werden. Allerdings werden diese in zunehmendem Masse als Subcontractor
für grosse Anbieter tätig sein. Es wird
also nicht nur die ganz Grossen geben, sondern auch etliche mittelgrosse
Firmen werden in Zukunft eine Rolle spielen.
Werden aber anderseits nicht immer mehr Kunden sich nur noch auf einige wenige Anbieter im Supply Chain Management abstützen wollen?
Reich: Es gibt ganz klar den Trend, dass Kunden bei der Auswahl eines Logistikdienstleisters selbst für eine kleine Teilleistung diejenigen Anbieter bevorzugen, die globale Grösse und umfassende Fähigkeiten haben und die langfristig nicht zum Verkauf stehen.
Kühne + Nagel bietet Logistikdienstleistungen für verschiedene Schlüsselindustrien an. Bleibt es bei diesen Branchen, oder erwägt man weitere Branchen zu betreuen?
Reich: Wir wollen in den kommenden Jahren, soweit wie möglich, die Prozesse in der Kontraktlogistik weltweit standardisieren. Gleichzeitig wollen wir unseren Kunden global auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Dienstleistungen mit derselben Qualität anbieten. Mit der Akquisition von ACR konnten wir in Branchen, in denen wir bisher nicht so stark vertreten waren, wie etwa Retail oder Fast Moving Consumer Goods, unser Dienstleistungsangebot deutlich ausbauen. Zudem engagieren wir uns auch in interessanten Nischenmärkten wie etwa der Luftfahrtindustrie oder der Getränke- und Hotel-
logistik.
Lassen sich realisierte Lösungen im Supply Chain Management für einzelne Branchen auch für andere Branchen nutzen?
Reich: Dies ist durchaus möglich, wir können eine ganze Reihe von Synergien für verschiedene Branchen nutzen.
Welchen Einfluss hat die sogenannte Globalisierung auf die Dienstleistungspalette international tätiger Speditions- und Logistikkonzerne?
Reich: Die Globalisierung ist der wesentliche Treiber für unseren Erfolg, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen durch die zunehmende Verlagerung der Produktion nach Asien und Osteuropa und zum anderen dadurch, dass die Globalisierung der Produkte zu einer starken Verlagerung der Nachfrage in neue Märkte geführt hat. Die Optimierung von Supply-Chain-Netzwerken als Bindeglied zwischen global verteil-ter Produktion und globalen Märkten wird die grosse Herausforderung für globale Kunden und Dienstleister in der Zukunft sein.
In welchen Regionen der Welt bestehen aus der Sicht von Kühne + Nagel noch Expansionsmöglichkeiten im Bereich Supply Chain Management?
Reich: Die ständige Veränderung der globalen Warenströme führt zu Wachstumsmöglichkeiten sowohl in den traditionellen Märkten wie Europa und USA als auch in den Märkten der Zukunft, also Asien, Osteuropa und Südamerika.
Welche Bedeutung haben China und Indien?
Reich: Wir beschäftigen heute in China bereits 2100 Mitarbeitende an rund 30 Standorten; in Indien sind es mehr als 500 Personen an 19 Standorten. In beiden Märkten haben wir erst in den letzten Jahren Investitionen in die Kontraktlogistik getätigt und entsprechende Logistikzentren in Betrieb genommen.
Wie wichtig sind für Kühne + Nagel andere aufstrebende Länder oder die neuen EU-Länder in Osteuropa?
Reich: Wir konzentrieren uns heute neben China und Indien auf Lateinamerika, dort insbesondere Brasilien und Russland, also die sogenannten BRIC-Staaten. In den neuen EU-Ländern sind wir schon seit vielen Jahren gut vertreten, wobei Polen, Ukraine und Russland die Schwergewichte sind. Auch in dieser Region werden wir in Zukunft unsere Präsenz weiter ausbauen.
Lange war die Rede davon, dass Weltkonzerne, welche ihre Distribution outsourcen, nur noch einen Ansprechpartner wünschen. Ein Trend, der sich bisher nicht durchsetzte. Was ist der Grund dafür?
Reich: Es gibt nur ganz wenige Weltkonzerne, die nur einen Provider wünschen. Die Mehrzahl stützt sich auf verschiedene Dienstleister ab. Eine Tendenz ist allerdings festzustellen, nämlich, dass in immer stärkerem Masse wesentliche Teile des Supply Chain Management an immer weniger Dritte ausgelagert werden. So sind wir beispielsweise seit einigen Jahren der Lead Logistics Provider des Kommunikationskonzerns Nortel. Andere Konzerne haben die gesamten intraeuropäischen Transportflüsse an einen Dienstleister ausgelagert. In diesem Bereich konnten wir in jüngster Zeit etliche Kontrakte unterzeichnen.
Das umfassende Netzwerk, welches Kühne + Nagel derzeit aufbaut, ist wohl auch eine Investition in die Zukunft, um Kunden stärker als bisher in die Transportkette einzubinden.
Reich: Absolut. Wir erhalten von verschiedenen Kunden immer komplexere Aufgaben, die wir dank unserem Know-how, unserer Infrastruktur und unserem IT-Netzwerk effizient und weltweit abwickeln können. Bereits heute ist es so, dass die Kundschaft vermehrt diejenigen Logistikdienstleister auswählen wird, die über umfassende Kompetenzen in der Luft- und Seefracht sowie im Landverkehr und der Kontraktlogistik verfügen. Aus diesem Grund sind wir auch überzeugt, mit unserem integrierten Geschäftsmodell die richtige Lösung für sämtliche Kundenwünsche entlang der gesamten Supply Chain anbieten zu können.
Diese immer engere Verzahnung von Kontraktlogistiker und Kunde bedingt aber auch eine minimale Vertragslaufdauer, sonst können die dafür getätigten Investitionen zum Risiko werden.
Reich: Die durchschnittliche Vertragsdauer liegt bei drei bis fünf, im Einzelfall bei über zehn Jahren. Die tatsächliche Laufzeit einer Kundenbeziehung hängt jedoch weniger an der legalen Vertragsdauer als an der Qualität der erbrachten Dienstleistung. Einige unserer Kundenbeziehungen bestehen seit mehr als 30 Jahren.
Der Umsatz in der Kontraktlogistik hat sich seit 2005 verdreifacht, das Betriebsergebnis in der Kontraktlogistik beträgt dagegen nur gerade 1,6% vom Nettoumsatz. Wie lässt sich diese Marge verbessern?
Reich: Wir können es nur schaffen, unsere Marge stabil zu halten oder gar zu verbessern, wenn wir kontinuierlich in neue Dienstleistungen investieren und mit hoher Effizienz und niedrigen indirekten Kosten das Standardgeschäft betreiben und stets Ausschau halten nach innovativen Produkterweiterungen. Wir analysieren heute für unsere Kunden deren gesamte Supply-Chain-Kosten und bieten ihnen dann optimale Dienstleistungen über die gesamte Wertschöpfungskette an.
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Steckbrief
Name: Dirk Reich
Alter: 44
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Studium in Logistik, Strategischem Management sowie Produktion und Marketing. Diplom in Betriebswissenschaften
Funktion: Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne + Nagel International AG, Schindellegi, Executive Vice President Contract Logistics
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Kühne + Nagel
Weltweit aktiv
Mit mehr als 46000 Mitarbeitenden an 830 Standorten in über 100 Ländern zählt Kühne + Nagel zu den global führenden Logistikdienstleistern. Schwerpunkte liegen im See- und Luftfrachtbereich, in der Kontraktlogistik und den Landverkehren mit klarer Ausrichtung auf wertschöpfungsintensive Bereiche wie informatikgestützte Supply-Chain-Management-Dienstleistungen.
Geschäftsjahr 2006
Der Konzern erzielte einen konsolidierten Umsatz von 18195 Mio Fr., ein Betriebsergebnis (Ebit) von 601 Mio Fr. und einen Jahresüberschuss von 458 Mio Fr.