Künzli-Schuhe - zwei Worte, die Gefühle wecken. Manche erinnert der Name an die Schweizer Fussballer, die einst noch auf Künzli-Sohlen Tore schossen. Andere sehen vor dem geistigen Auge Herbert auftauchen, den Schulkameraden mit dem Knickfuss, gehänselt, einsam, Stützschuh-Träger. Wieder andere sind einfach nur glücklich, dass der Bänderriss ausgeheilt und der Orthopädie-Schuh am Fuss Vergangenheit ist. Doch ob Kicken oder Knicken: Es gibt kaum jemanden, dem Künzli kein Begriff ist. «Die Marke ist grösser als die Firma», bringt es Geschäftsführerin Barbara Artmann auf den Punkt.

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Zeitreise in Windisch

Wie Recht sie hat, zeigt ein Augenschein in Windisch. Die Schuhfabrik eine der letzten im Lande steht unauffällig, klein und bescheiden mitten in einem Wohnquartier. Das Büro der Chefin ist halb Lager, halb Sitzungszimmer, die Administration hat in einem einzigen Raum Platz, und die Korridore sind voller Regale mit Schuhen, Leisten, Verpackungen. Es ist eng, auch im auf zwei Etagen verteilten Fabrikationsbereich. Im oberen Stock befindet sich die Näherei, wo zwei Mitarbeiter gerade Lederteile ausstanzen und sie nummerieren. Künzli fabriziert über 50 Schuhmodelle. Dank der Beschriftung wissen die Näherinnen genau, wie die Teile zusammen passen. Sie sitzen auf der anderen Seite des Raums und schieben sie mit geübten Händen flink durch die Maschine. Der Ledergeruch, das sanfte Rattern; fast wähnt sich der Besucher in einer anderen Zeit, als die Arbeit noch Lebensinhalt und die Dienstleistungsgesellschaft in weiter Ferne war.

Unten geht die Zeitreise nahtlos weiter. In der Schusterei, wo aus Schaft Schuh wird, ist es lärmig, Maschinen verströmen Wärme. Ein Schuster ist am Zwicken: Er zieht den Schaft um den Leisten und nagelt ihn auf die Brandsohle. Anschliessend kommt der Schuh in einen Wärmekanal, damit das Leder die Form behält. Die Laufsohle wird später mit Hilfe einer Sohlenpresse angebracht. 1 bis 2 Stunden dauert es, bis ein einziges Paar Schuhe fertig ist.

Vergangenheit hat Zukunft

Dass durchaus Zukunft hat, was zunächst wie Vergangenheit wirkt, belegt Firmen-Inhaberin Barbara Artmann mit Zahlen: Nach Einbussen von 10% im Jahr 2003 konnte Künzli 2004 wieder 10% an Umsatz dazu gewinnen. Für 2005 rechnet Artmann mit einer Steigerung von 5%. Der Jahresumsatz liegt bei rund 5 Mio Fr. Die Ziele sind klar: «Ein Weltkonzern müssen wir nicht werden, aber es darf schon ein ganzes Stück grösser sein.» Konkret will Artmann in den nächsten Jahren ein Umsatzwachstum von jeweils 10% erreichen. Die Strategie: Ein klares Bekenntnis zum Produktionsstandort und eine eindeutige Positionierung im Markt. Während andere die Produktion nach China verlegen, setzt die gebürtige Bayerin bewusst auf «Swiss made». Ein wenig aus Trotz («Ich will tun, was sonst niemand tut.»), vermischt mit Geschäftssinn («Es gibt Nischen für das Besondere Hochklassige»), vor allem aber aus Überzeugung: «Ein Unternehmer muss Verantwortung tragen und Arbeitsplätze schaffen.»

Schuster, bleib bei deinem Leisten, heisst es. Hätte sich Barbara Artmann daran gehalten, sässe sie jetzt vermutlich in einem feudalen Chefbüro einer Grossbank oder eines Beratungsunternehmens, nicht zwischen Schuhen und Regalen. Doch sie entschied sich gegen die klassische Karriere und übernahm Anfang 2004 die traditionsreiche Windischer Fabrik durch ein Management Buy-in.

Ausbau der Produktepalette

Die ehemalige McKinsey-Beraterin merkte schnell, wo der Schuh drückte: «Das Lager war voll, die Leute hatten Angst, der lebenswichtige Orthopädie-Bereich war am Abrutschen.» Schon am zehnten Arbeitstag führte die Neue Kurzarbeit ein, entliess zwei Mitarbeiter. Dann ging es an die inneren Strukturen, das Marketing wurde aufgebaut, der Einkauf verbessert, der Produktionsprozess effizienter gestaltet. Vor allem aktivierte Artmann den Kontakt zu Ärzten. «Nur sie verfügen über das nötige medizinische Know-how.»

Dieses ist für den auf Orthopädie spezialisierten Kleinbetrieb unerlässlich. Künzli startete 1927 mit der Herstellung von Skischuhen, später kamen Schlittschuhe, Eishockeystiefel, dann die leichten Sportschuhe mit den charakteristischen fünf Streifen hinzu. In den 1980er Jahren konzentrierte sich das Unternehmen auf den Orthopädiebereich (Künzli Ortho). Bis heute erzielt der Schuhhersteller in diesem Segment rund 80% des Umsatzes und ist Marktleader. Das soll so bleiben. Doch Artmann will noch mehr: Künzli hat in Deutschland Fuss gefasst und erzielt dort bereits 5% des eigenen Orthopädieumsatzes. Zugleich will die Unternehmerin mit dem Sortiment Künzli All'tag ein zweites Standbein aufbauen: Freizeit- und Businessschuhe, sportlich, gesund, elegant. Entstanden ist die Idee mit dem Auftrag, für die Sommerspiele 2004 in Athen das Schweizer Olympiateam zu besohlen. «Die Sneakers kamen so gut an, dass wir uns entschlossen, ein kleines Sortiment Freizeitschuhe zu kreieren.»

Der Erfolg hält an: Die helvetischen Sportler werden auch 2006 in Turin Künzlis tragen. Ausserdem darf der Hersteller diesmal eine kleine Auflage der weiss-roten Olympia-Sneakers verkaufen.

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Firmen-Profil

Name: Künzli Swiss Schuh AG

Gründung: 1927

Umsatz: 5 Mio Fr.

CEO: Barbara Artmann

Beschäftigte: 29

Produkte: Orthopädische Therapieschuhe, Spezialschuhe mit Umknickschutz und Freizeitschuhe

Kunden: Othopädiefachhandel sowie Boutiquen und Sportfachhandel

Internet: www.kuenzli-schuhe.ch

Conny Schmid
Conny Schmidschreibt seit 2008 für den Beobachter. Sie beackert vorzugsweise sozial- und gesellschaftspolitische Themen und interessiert sich für alles, was Menschen bewegt.Mehr erfahren