Hundert Meter lang zieht sich die Fensterfläche im hippen Zürich-West, über zehn Meter davon eine Couch, auf die beim Einzug vor zwei Jahren noch die ganze Firma passte. Heute drapieren sich bei Mitarbeiterversammlungen einige auf den Stühlen rund um den grossen Esstisch, einige lehnen an der Küchentheke. Wer morgens seinen Laptop an einen der bereitstehenden Bildschirme anschliessen will, muss rechtzeitig kommen – dafür kann man später eine Pause einlegen: «Wenn jemand um zehn Uhr morgens das Gefühl hat, er müsse jetzt laufen gehen, dann geht er laufen – am Ende zählen nur die Resultate», sagt David Allemann, einer der drei Gründer des Sportschuhherstellers On. Es scheint zu funktionieren: Mit 40 Leuten bezog On die Räume, heute arbeiten hier rund 100 (weltweit sind es 200), für die Allemann bereits nach grösseren Räumlichkeiten sucht. Der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, genannt «Lab», steht infolge Platzmangels schon jetzt ein Umzug in die Nachbarschaft unmittelbar bevor.

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On ist ein Phänomen: Ein Neueinsteiger aus der Schweiz im nicht gerade unbespielten Markt für Laufschuhe, 2010 gestartet mit der Idee, Schuhe für ein neuartiges, schonendes Laufgefühl zu entwickeln. Mitgründer Olivier Bernhard ist ein erfolgreicher Triathlet, der Verletzungen aus eigener Erfahrung kennt und mit einem ETH-Ingenieur nach technischen Lösungen für die Vorgabe «weich landen, hart abstossen» sucht – den Gründungsmythos und die Geschichte der ersten Jahre erzählen die drei Gründer, der dritte ist Caspar Coppetti, unermüdlich und immer wieder in den Medien.

Die schnellstwachsende Laufschuh-Marke

«Heute», sagt Allemann, «ist On weltweit die schnellstwachsende Laufschuhmarke», 2017 sei einmal mehr «ein sehr, sehr gutes Jahr» gewesen. Dass der Absatz pro Jahr um 70 bis 100 Prozent wächst, in diversen Märkten sogar darüber, diese Schätzung «stimmt immer noch, zum Glück», bestätigt Coppetti – der die Zahl der On-Laufsportler auf drei Millionen beziffert. Ansonsten halten sich die Gründer mit Zahlen zugeknöpft wie Geheimdienstoffiziere. «Wir üben uns in Schweizer Bescheidenheit», grinst David Allemann.

In der Tat dürften die Marktanteile, mit Ausnahme von Deutschland und vor allem der Schweiz, noch gering sein. Es kommt hier auf die Segmentierung an: Der günstigste On-Schuh kostet in der Schweiz knapp 200 Franken, in Deutschland 140 Euro. In diesem Umfeld soll On in der Schweiz bereits mit einem Drittel Marktanteil an der Spitze liegen, gefolgt von Asics und Nike, in Deutschland hinter Asics und Adidas auf Rang drei. Die Marktforschungsfirma GfK will keine Zahlen bestätigen, doch GfK-Handelsexperte Kurt Meister sagt immerhin, der Erfolg von On habe «dem Schweizer Sportfachhandel kräftigen Auftrieb gegeben».

On-Sofa
Quelle: Eduardo Perez

Die niedrigen Marktanteile in anderen Ländern wollen Coppetti und Allemann vor allem als Wachstumsmöglichkeiten sehen. Zudem weiten sie nach und nach die Produktpalette aus – betonen aber stets die sportliche Ambition der Schuhe. So spaziert zwar das optisch puristischste Modell der Firma, der «Cloud», an vielen Städterfüssen durch Zürichs Bahnhofstrasse, doch erlief Triathletin Nicola Spirig mit exakt diesem Schuh 2016 in Rio de Janeiro die olympische Silbermedaille. Neuentwicklungen wie der «Cloudace», kürzlich bei der Sportartikelmesse Ispo mit einem Innovationspreis bekränzt, bieten mehr Halt und Unterstützung als die ersten, eher minimalistischen Modelle. Auch für Bergläufer hat On inzwischen Angebote, überhaupt sei das Segment «Outdoor» zentral für die Marke. Funktionskleidung ergänzt das Sortiment bereits.

«On» steht für aktiviert, eingeschaltet – die Idee zum Markennamen kam Coppetti, als er beim Joggen den Transporter einer Filmproduktionsfirma passierte, auf dem eben dieses «On» prangte: Spot on, lights on. Das klang gut. War allerdings als Marke schwierig zu etablieren, und so hiess On etwa einen Monat lang «Neon», als Kombination aus Neu und On. Doch dieser Brand schien den Gründern bald zu aggressiv, und sie fürchteten nicht zu Unrecht, dass die Farbe Neon böse aus der Mode kommen könnte.

Anders als die Konkurrenz

Die Schweizer machen einige Dinge anders als die grossen Konkurrenten. Während die Multis fast wie Modefirmen ständig neue Kollektionen auf den Markt werfen, überleben On-Modelle jahrelang – und erzielen durch die Positionierung als Leistungssportschuh Premiumpreise, selbst wenn ein Grossteil der Treter nur als Freizeitschuh genutzt wird. Zur Händlerbetreuung kommen die Firmengründer häufig persönlich zum Joggen vorbei; in der US-Hauptstadt Washington haben sie im vergangenen Jahr mit 300 Leuten einen «Run to Switzerland» in die Botschaft organisiert, «da gab es einen Zmorge mit Käse um den Pool des Botschafters herum», sagt Coppetti. Die Händler verdienen gutes Geld an der Marke, weil Onkeine grossen Rabattaktionen mitmacht. Und für die Logistik, ein Kernthema im Konsumgütergeschäft, hat Coppetti ein «skalierbares Businessmodell» entwickelt. In wichtigen Märkten, das habe sich «als Kardinalsweg herausgestellt», sei On mit Tochtergesellschaften aktiv – die eigenen Leute arbeiten motivierter als beauftragte Distributoren.

Diese Töchter könne On ausrollen wie eine Blaupause. In Australien habe es von der Entscheidung, dort zu starten, bis zur Auslieferung des ersten Paars Schuhe nur sechs Wochen gedauert. Aktuell arbeitet Coppetti am Markteintritt in Brasilien, «und wir bereiten den Sprung nach China vor». Dabei hilft, dass der globale Logistikpartner Kühne + Nagel (K+N) überall schon mit seiner Logistikkette präsent ist. Wo On nur online starten will, sagt Allemann, könne man deshalb «innert weniger Tage den Webshop freischalten». Fracht, Zollformalitäten und Warehousing, also Versenden bestellter und Rücknahme retournierter Ware, wickelt K+N für Onab.

Unbezahlte Helfer sind die freiwilligen Testimonials wie der Oscar-prämierte Kameramann Emmanuel Lubezki, Schauspielerin Emma Stone oder ihre Kollegen John Malkovich und Jake Gyllenhaal, Regisseur Wim Wenders, Skisportlerin Wendy Holdener, diverse skandinavische Nachwuchs-Prinzen, Tennisqueen Venus Williams, Musical-König Andrew Lloyd Webber und erst vor wenigen Wochen Hugh Jackman in einer ganzen Fotoserie der «Daily Mail» vom Flughafen Tokio-Narita.

Drei grosse Schweiger

Angesichts der breiten Berichterstattung können die drei Firmengründer, in der Chefetage flankiert von einem Finanzchef und einem Leiter des Tagesgeschäfts, getrost auf Werbung verzichten. Lieber erzählen sie ihre Geschichte – nur eben zu Zahlen und zum Aktionariat sagen sie praktisch nichts: Mit Händen zu greifen ist ihre Befürchtung, dass der Start-up-Spirit verloren gehen könnte, dass die Mitarbeiter das Gefühl beschleichen könnte, womöglich hätten bald Fonds und Finanzleute das Sagen bei On. Doch nach wie vor, sagt ein kleinerer Aktionär, hätten die drei Gründer die uneingeschränkte Kontrolle. Sie sind zugleich Aktionäre, mit identischem Anteilsbesitz, schweigen jedoch über den Umfang der Beteiligung. Coppetti lässt sich noch entlocken, die Margen seien «überdurchschnittlich».

Diverse Detailhandelsmanager und Corporate-Finance-Experten halten das für leicht untertrieben. Sie schätzen die Vorsteuergewinnmarge auf neun bis zehn Prozent, oberhalb von Laufschuh-Primus Asics, und den Umsatz auf 80 Millionen Franken, einige Beobachter sogar auf nahezu 100 Millionen. Zu diesem Volumen würden die Gerüchte passen, wonach die jüngste Kapitalerhöhung von Mitte Dezember 2017 den Firmenwert auf fast 300 Millionen getrieben haben soll; wachstumsstarke Konsumgüterfirmen werden typischerweise mit Umsatzmultiples zwischen zwei und vier bewertet.

On-Gründer
Quelle: Light + Byte AG

Bei der Fahndung nach Aktionären trifft man auf illustre Namen. Etwa die mittlerweile aus dem Handelsregister gelöschten Peter Fanconi, Ex-Vontobel-Topmann und heute Präsident der Graubündner Kantonalbank, Infront-Mann Bruno Marty und Markus Ebner, Neffe von BZ-Bank-Grande Martin Ebner. Laut brasilianischen Medienberichten soll auch Marc Lemann investiert sein, Sohn von Biermogul Jorge Lemann, der selbst bereits in On-Schuhen gesichtet wurde. Auch Handelsmanagement-Anbieter DKSH gilt als Aktionär, fungiert aber wohl nicht mehr als Brückenkopf nach Asien – das erledigt On heute offensichtlich selbst. Schliesslich findet sich in der dem Schuhgeschäft übergeordneten On Holding als Verwaltungsratspräsident ein alter Bekannter des Zürcher Finanzplatzes: Philippe Bubb, Sohn des früheren Implenia-Chefs Christian Bubb und bis 2008 Schweizer Vormann des Hedge Fund Focus Capital, der in Nebenwerte wie Forbo, Hiestand, Komax oder Schulthess mit viel geliehenem Geld investiert war – und dem mit Ausbruch der Finanzkrise die verschreckten Broker, darunter UBS und Goldman Sachs, den Saft abgedreht hatten. Seitdem war von Philippe Bubb nichts mehr zu hören.

Erfahrene Investoren

Doch über sein Engagement bei On möchte Bubb reden. Zu den Sportschuhen kam er über Caspar Coppetti, einen Freund seit Jugendtagen. Später «zog er in meine WG in St. Gallen, als ich meinen Abschluss hatte und dort auszog». Gleich zum Start habe Bubb bei On investiert, «wir dachten, entweder funktioniert es, oder wir haben unser Leben lang gute Laufschuhe». Auch er will nichts zu Zahlen oder Aktionären sagen, nicht mal seinen eigenen Anteil beziffern, «das wäre Sache der Gründer». Er weiss, dass die drei nachdrücklich auf die alleinige Aussenvertretung pochen.

Bubbs Hauptbeschäftigung heute: «Ich bin aktiver Investor in verschiedenen, zumeist jungen Unternehmen und berate andere Privatinvestoren und Family Offices bei Direktinvestitionen.» Dass er im Finanzgeschäft geblieben ist, verdanke er «guten Freunden in meinem Umfeld, die an mich geglaubt haben, das hat mir den Neustart erleichtert». Eines seiner Engagements ist Bexio, eine Art Mini-SAP für KMUs, Businesssoftware und Kontaktplattform zugleich, die mit bereits 70 Mitarbeitern mehr als 10 000 Schweizer Kunden und Swisscom sowie Swiss Life als Investoren gewonnen habe.

Ein anderes ist SwissCommerce, eine stark wachsende Onlinehandelsplattform für Fachmärkte. Mitgründer Peter Schüpbach hat schon 2001 mit seiner Bürosoftwarefirma Miracle einen ähnlich brutalen Abstieg am Finanzmarkt erlebt wie Bubb später und sich wieder aufgerafft; solche Erfahrungen verbinden. Heute sind beide wieder aktiv – man könnte sagen: «On».

Dirk Ruschmann
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