Alle Jahre wieder finden landauf, landab die ordentlichen Generalversammlungen statt; nicht nur bei den grossen, bekannten Publikumsgesellschaften, sondern auch in den unzähligen Klein- und Familienbetrieben, die als Aktiengesellschaften organisiert sind und deren Aktien sich oft in der Hand einer einzigen Person oder Familie befinden.

Auch der Kleinunternehmer weiss: Die «Décharge» (Entlastung) des Verwaltungsrats gehört so sicher wie das Amen in der Kirche auf die Traktandenliste einer jeden ordentlichen Generalversammlung. Sie schützt den Verwaltungsrat vor künftigen Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit seiner Geschäftsführung. Hat der Verwaltungsrat erst einmal Décharge erhalten, kann er beruhigt zum «gemütlichen Teil» übergehen.

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Kein Persilschein für den Verwaltungsrat

Aber Achtung: Der Déchargebeschluss wird in seiner Wirkung und Bedeutung gerade für Klein- und Familienunternehmen gerne überschätzt. Wichtig ist zunächst, dass die Décharge immer nur für Tatsachen gilt, die an der betreffenden Generalversammlung offen gelegt wurden oder den Aktionären sonstwie bekannt waren.

Vor allem aber und dies wird oft übersehen kann der Verwaltungsrat den Déchargebeschluss nur der Gesellschaft und ihren Aktionären, nicht aber Dritten entgegenhalten. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft bzw. die einzelnen Aktionäre können einen Schaden, den der Verwaltungsrat der Gesellschaft zugefügt hat, nach gültiger Décharge nicht mehr einklagen. Dies gilt mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten auch für diejenigen Aktionäre, die dem Entlastungsbeschluss nicht zugestimmt haben. Dagegen wird der Verwaltungsrat trotz gültigem Déchargebeschluss niemals von seiner Verantwortung gegenüber Dritten, namentlich Gläubigern der Gesellschaft, entbunden. Vor allem kann er sich darum auch nicht auf die Décharge berufen, wenn er im Konkurs der Gesellschaft mit Schadenersatzansprüchen der Konkursverwaltung oder einzelner Gläubiger konfrontiert wird. Gerade dies ist aber der häufigste und praktisch wichtigste Fall von Klagen gegen den Verwaltungsrat.

unbedeutend in Klein- und Familienbetrieben

Weil die Décharge nur gegenüber den Aktionären und nicht gegenüber Dritten wirkt, muss ihre praktische Bedeutung speziell für Klein- und Familiengesellschaften nochmals stark relativiert werden; denn wo alle Aktien in der Hand des Verwaltungsrats und seiner engsten Familienangehörigen sind, kommt es naturgemäss eher selten vor, dass Aktionäre gegen den Verwaltungsrat Schadenersatzansprüche erheben.

Sodann darf auch davon ausgegangen werden, dass in kleinen, «familiären» Verhältnissen oft gar kein gültiger Déchargebeschluss zu Stande kommt. Es gilt nämlich zu beachten, dass Personen, die in irgendeiner Weise an der Geschäftsführung teilgenommen haben, beim Déchargebeschluss nicht stimmberechtigt sind. Dies gilt nicht nur für die Mitglieder des Verwaltungsrats, sondern für alle geschäftsführenden Organe, die letztlich von einer Décharge profitieren würden. Vom Stimmrecht ausgeschlossen sind also namentlich auch Geschäftsführer, aber auch Teilhaber, die in der Firma zwar keine offizielle Funktion (mehr) bekleiden, faktisch aber dennoch massgeblich Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen, was gerade in Familienbetrieben nicht selten vorkommt.

Es liegt deshalb auf der Hand, dass in vielen Klein- und Familienunternehmen sämtliche Aktionäre bei der Décharge vom Stimmrecht ausgeschlossen sind und ein Déchargebeschluss somit gar nicht gültig gefasst werden kann. Immerhin dürfte aber der an sich ungültige Beschluss den Effekt haben, dass die zustimmenden Aktionäre später mit Klagen gegen die andern ausgeschlossen sind. Vollends undenkbar und überflüssig ist ein Déchargebeschluss jedenfalls in der Einmann-AG, in der der Alleinaktionär gleichzeitig der einzige Verwaltungsrat ist.

Aber auch in Klein- und Familienunternehmen, in denen nicht alle Aktionäre im Verwaltungsrat sitzen oder an der Geschäftsführung teilnehmen und somit die Décharge durchaus ihre Bedeutung hat, kommt der Déchargebeschluss oft nicht gültig zu Stande, weil die nicht aktiven Aktionäre ihre Stimme nicht gültig abgeben. Ordentliche Generalversammlungen kleiner Familiengesellschaften werden bekanntlich oft so abgehalten, dass der Verwaltungsrat ein meist standardisiertes Protokoll erstellt und dieses dann den anderen Aktionären zur Kenntnisnahme und eventuell Genehmigung zustellt, ohne dass aber eine eigentliche Versammlung unter physischer Anwesenheit der Aktionäre stattfindet.

Ein so gefasster Déchargebeschluss ist ungültig, und zwar auch dann, wenn der Verwaltungsrat von seinen Mitaktionären eine Vollmacht zur Vertretung in der Generalversammlung erhalten hat. Laut einem neueren Urteil des Bundesgerichts ist ein solcher Déchargebeschluss sogar dann ungültig, wenn die Vollmacht eine ausdrückliche Weisung enthält, dass Décharge zu erteilen sei; denn die Stimmabgabe zur Décharge kann nur «in der Versammlung und aufgrund der dort vermittelten Informationen» erfolgen (vgl. Urteil vom 7.2.2002, BGE 128 III 142).

Ein Déchargebeschluss, der nur dank der Mitwirkung von nicht stimmberechtigten Personen zu Stande gekommen ist, kann innert zwei Monaten seit der Versammlung gerichtlich angefochten werden.

Lic. iur. Daniel Bloch LL.M., Rechtsanwalt, ist Mitarbeiter bei Froriep Renggli Rechtsanwälte in Zürich und Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.

Obligationenrecht

Wirkung des Entlastungsbeschlusses

Art. 758 OR

1 Der Entlastungsbeschluss der Generalversammlung wirkt nur für bekannt gegebene Tatsachen und nur gegenüber der Gesellschaft sowie gegenüber den Aktionären, die dem Beschluss zugestimmt oder die Aktien seither in Kenntnis des Beschlusses erworben haben.

2 Das Klagerecht der übrigen Aktionäre erlischt sechs Monate nach dem Entlastungsbeschluss.

Die Décharge-Erteilung hat also eine weit geringere Bedeutung, als gemeinhin angenommen wird. Sie ist für den Verwaltungsrat kein Persilschein, keine Absolution für die von ihm begangenen Sünden.

Ausschliessung vom Stimmrecht

Art. 695 OR

1 Bei Beschlüssen über die Entlastung des Verwaltungsrates haben Personen, die in irgendeiner Weise an der Geschäftsführung teilgenommen haben, kein Stimmrecht.

2 Dieses Verbot bezieht sich nicht auf die Mitglieder der Revisionsstelle.