Paukenschlag beim Schweizer Lebensmittelriesen: Der Verwaltungsrat von Nestlé hat CEO Laurent Freixe mit sofortiger Wirkung entlassen. Nach nur einem Jahr beim grössten Lebensmittelkonzern der Welt muss das Nestlé-Urgestein – er arbeitete seit 1986 für Nestlé – gehen. Grund: Eine interne Untersuchung brachte eine Liebesbeziehung mit einer direkten Untergebenen ans Licht – ein klarer Verstoss gegen den Code of Business Conduct des Konzerns.
«Das war eine notwendige Entscheidung», erklärt Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke in einer Medienmitteilung. Nestlé wolle seine Werte und die strengen Governance-Regeln nicht kompromittieren. Freixe, seit Jahrzehnten im Konzern, verlässt das Unternehmen abrupt. Aber nicht ohne Nachfolger.
Philipp Navratil übernimmt per sofort
Denn im Chefbüro nimmt neu und per sofort Nespresso-Chef Philipp Navratil Platz – ein Nestlé-Eigengewächs. Der 48-Jährige Schweizer trat 2001 als interner Revisor bei Nestlé ein und machte Karriere über Stationen in Honduras, Mexiko und der globalen Kaffee-Sparte. Zuletzt leitete er Nespresso und wurde Anfang 2025 in die Konzernleitung berufen. Nun übernimmt er das Ruder des grössten Nahrungsmittelkonzerns der Welt.
Philipp Navratil übernimmt per sofort.
Bulcke lobt Navratil als «dynamischen Leader mit inklusivem Managementstil». Der neue CEO soll die laufende Strategie unverändert fortführen – mit Fokus auf Wachstum, Effizienz und die Stärkung von Marken wie Nescafé und Nespresso. Navratil zeigt sich in der Mitteilung geehrt: «Es ist ein Privileg, Nestlé in die Zukunft zu führen. Ich werde eng mit dem Verwaltungsrat und dem Führungsteam zusammenarbeiten, um unsere Pläne mit voller Intensität umzusetzen.»
Als Reaktion auf den CEO-Wechsel ist die Aktie des Konzern im frühen Handel am Dienstagmorgen um 3 Prozent gefallen und hat sich unter der 74 Franken-Marke eingependelt.
Im zweiten Anlauf aufgeflogen
Die Untersuchung gegen Freixe wurde unter Leitung des abtretenden Verwaltungsratspräsidenten Paul Bulcke und des designierten neuen Verwaltungsratspräsidenten Pablo Isla geführt.
Bulcke liess sich in der Mitteilung mit den Worten zitieren, die Entscheidung sei notwendig gewesen: «Nestlé's Werte und Governance bilden das solide Fundament unseres Unternehmens.» Gleichzeitig dankte er Freixe für dessen langjährigen Einsatz. Freixe war nur gerade ein Jahr CEO. Für das Unternehmen allerdings arbeitete der 63-jährige Franzose seit 1986.
Die Liebesbeziehung zwischen dem Nestlé-Chef und einer Mitarbeiterin flog erst durch eine zweite Untersuchung auf. Externe Nachforschungen brachten die Beziehung schliesslich an den Tag, sagte ein Nestlé-Sprecher der Nachrichtenagentur AWP.
Im Mai dieses Jahres sei dem Verwaltungsrat über interne Kanäle erstmals von der Beziehung berichtet worden, sagte der Sprecher. Das Gemium leitete daraufhin eine interne Untersuchung ein. Diese erbrachte den Angaben zufolge keinen Nachweis für eine Beziehung und damit kein Fehlverhalten des Chefs.
Danach gab es weitere interne Meldungen, wie der Sprecher sagte. Darum führte Nestlé eine breiter angelegte Untersuchung mit Hilfe einer unabhängigen externen Rechtsberatung durch. Welche Mittel zum Einsatz kamen sagte der Sprecher nicht.
Keine Abgangsentschädigung
Freixe verstiess mit dem Verschweigen der Beziehung gegen den Firmenkodex. Das Paar hätte diese offenlegen müssen. Die involvierte Frau arbeitet dem Vernehmen nach inzwischen nicht mehr bei Nestlé.
Weitere Sanktionen gegen Freixe gibt es nach Angaben des Firmensprechers nicht. Er muss allerdings auf eine Abgangsentschädigung verzichten. «Bei dieser Form der Trennung ist keine Abgangsentschädigung vorgesehen», erklärte der Sprecher.
Freixe sass bei Nestlé auch im Verwaltungsrat. Ob, wann und mit wem der freie Sitz besetzt wird, sei noch nicht entschieden, gab der Sprecher an.
Schon Vorgänger Schneider per sofort weg
Acht Jahre hielt sich Vorgänger Mark Schneider an der Nestlé-Spitze. Wie nun beim geschassten Freixe meldete der Konzern kurz nach Börsenschluss am 1. September 2024 den Abgang des Deutschen. Per sofort. Schneider war 2017 als Externer zu Nestlé gestossen. Schneider galt beim Amtsantritt als Hoffnungsträger und überzeugte mit seinen strategischen Schritten.
In den letzten Quartalen seiner Amtszeit enttäuschte der Nahrungsmittelmulti aber zum Teil mit den Zahlen. Zudem stiessen seine Vorstösse in neue Produktfelder wie Nahrungsergänzungsmittel intern auf immer weniger Anklang. Sie hätten «das Gefüge der Organisation geschwächt», sagt Freixe wenige Wochen, nachdem er den CEO-Posten übernommen hatte. Und dass die Diversifizierung unter Schneider dazu geführt habe, dass Nestlés Kerngeschäft vernachlässigt worden sei.
Der neuste Chefwechsel kommt für Nestlé im dümmsten Moment. Nach einem schwachen 2024 hatten die Nestlé-Aktien zwar ein sehr starkes erstes Quartal. Die Papiere waren für längere Zeit grösster Gewinner des Aktienindexes SMI. Mittlerweile haben die Papiere aber einen grossen Teil der Gewinne wieder eingebüsst.
In der Amtszeit von Freixe hat Nestlé an der Börse fast 16 Prozent an Wert verloren. So tief wie in diesen Tagen, lag der Aktienkurs zuletzt vor fast 10 Jahren. Die sofortige Beförderung von Nespresso-Chef Philipp Navratil auf den CEO-Posten dürfte an der Börse kaum für eine unmittelbare Trendwende sorgen.
(mit Material der awp)