Tief im Schwarzwald nahm die Liebesgeschichte ihren Anfang. Am Sonntag, 13.  März 2005, war die Annäherung offiziell, und am darauffolgenden Mittwoch konnten sich die Führungsriegen von Lufthansa und Swiss zum ersten Mal beschnuppern – bis dahin waren nur wenige Personen eingeweiht. Vormittags packte also Swiss-Chef Christoph Franz seine komplette Geschäftsleitung in seinen silbrigen VW-Bus. Kurz hinter der Grenze bei Schaffhausen gab es ein schnelles Mittagessen am Döner-Imbissstand. Während der Fahrt, die Drehsitze in Besprechungsposition, bereiteten sie den Abend vor, und wenn einer mit Grossaktionären oder Politikern telefonierte, «dann mussten alle anderen ganz still sein», erinnert sich einer, der dabei war.

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Die Lufthansa hatte einen Waldgasthof mit stark eingeschränktem Handyempfang gemietet. Konzernchef Wolfgang Mayrhuber und seine Mitarbeiter reisten in Autos aus Frankfurt an. Beim Bier am Abend lernten sich die neuen Partner kennen, gründeten das Steuergremium Integration Board und verteilten die ersten Aufträge an Projektgruppen. Mayrhuber versprach, dass Franz die Swiss ohne Einmischungen aus Deutschland sanieren könne. Die Amtssprache Englisch der Swiss-Konzernleitung übernahmen die Lufthanseaten, ohne zu meckern. In guter Stimmung verabschiedeten sich die Delegationen am folgenden Morgen.

Die Operation wurde ein Erfolg. Heute, fünf Jahre später, spricht Lufthansa-Chef Mayrhuber von «Modellcharakter» (siehe Interview unter 'Weitere Artikel'), und der neue Swiss-Chef Harry Hohmeister nennt es «einmalig in der Industrie, wie viel wir mit unserer Partnerschaft in kurzer Zeit erreicht haben». Dabei waren die Vorbehalte beträchtlich. O. H. aus Reinach BL klagte damals via Leserbriefspalte der «Berner Zeitung»: Man habe «hinterrücks erfahren, dass der neue deutsche Obermanager Christoph Franz unsere teure Investition respektive unseren neuen Nationalstolz der grossen deutschen Konkurrentin zum ‹Frass› vorwirft». Doch «die anfänglichen Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet», bilanziert Jürgen Ringbeck, Luftfahrtexperte der Beratungsfirma Booz & Company: «An Bord ist das Produkt besser geworden statt schlechter, ins Interkontinentalnetz wird investiert, statt es auszudünnen.»

Wiederaufbau. Mayrhuber verfiel nicht auf die Idee, der Swiss Vermögenswerte auszusaugen, sondern liess Franz machen – Swiss konnte an konzernweiten Sparprojekten teilnehmen, verpflichtet war sie nicht. Bereits 2004 hatte Franz Vorarbeit geleistet und den Blutverlust um eine halbe Milliarde Franken verringert.

2005 begann die Aufbauarbeit: Harry Hohmeister, damals zuständig für das Streckennetz, strich unrentable Flüge, verbesserte die Umsteigeverbindungen in Zürich, verlegte Lufthansa und Swiss in gemeinsame Terminals und stimmte den Flugplan nach Deutschland mit den neuen Konzernherren ab. Franz legte sich mit den Piloten an und strich Arbeitsplätze. Schon 2006 türmten sich über 270 Millionen Franken Synergien auf – 200 mehr als kalkuliert. Dass sie bei Swiss und Lufthansa zu fast gleichen Teilen anfielen, ist ein Zeichen, dass Umsätze gewonnen und nicht nur Kosten abgeworfen wurden.

Die Hälfte der Synergien stammt aus der Flugplanoptimierung. «Mit nichts kann man in unserer Branche sowohl auf Erlös- wie auf Kostenseite so viel bewegen wie hier», sagt Netzwerkexperte Hohmeister. Bei Swiss war besonders viel Potenzial vorhanden, weil sie bis dato nicht Teil der Star Alliance war. Das konnte Hohmeister alles nachholen, «eine Win-win-Situation für beide Airlines», sagt der Swiss-Chef.

Ein Viertel der Zusatzerträge geht auf steigende Kundenzahlen zurück, die Swiss auch dem Beitritt zum Bonusprogramm Miles & More verdankt. Nur das letzte Viertel stammt aus klassischen Fusionssynergien wie gemeinsamem Einkauf, Treibstoffpreis-Hedging, IT-Projekten und Finanzierungen – Lufthansa ist Europas einzige Fluglinie mit einem Investmentgrade-Rating. Übertriebene Sparmassnahmen, wie das Essen an Bord von Kurzstreckenflügen abzuschaffen, machte Franz bald rückgängig. Heute prägten «Aufbruchstimmung» und «wieder ein eigenes Selbstbewusstsein» die Swiss, sagt Hohmeister, der Kunde sehe die Airline «wieder als Premium-Marke». Björn Maul, Partner beim Beratungsunternehmen Roland Berger in Zürich, sieht das Ganze als «Referenzfall für erfolgreiche Sanierung und Integration».

Tatsächlich ist Swiss heute die Ertragsperle im Lufthansa-Konzern. Doch zu diesem Verbund gehört mittlerweile ein ganzer Strauss von Fluglinien, die alle Geld verdienen wollen (siehe Grafik auf dieser Seite). Die Swiss-Basis Zürich ist von Freunden belagert. Frankfurt, München, Wien, Brüssel – überall Konzern-Airlines, in Mailand hat die Lufthansa selbst eine Airbus-Flotte installiert. Und wenn Mayrhuber betont, dass er «die Strategie des profitablen Wachstums nicht ad acta legen» wolle, heisst das nichts anderes als: Weitere Zukäufe werden nicht ausgeschlossen. Polens LOT, die skandinavische SAS und Alitalia gelten als Kandidaten. Wie dieser Verbund intern gesteuert und die Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz ausgependelt wird, ist eine der grossen Fragen der Luftfahrtbranche.

Hohe Eigenständigkeit. «Zum Glück verstehen nicht alle Konkurrenten unser Geschäftsmodell», lacht Mayrhuber. Swiss ist für ihre Kunden, ihren Markt, ihre Qualität und ihre Zukunftsperspektiven selbst verantwortlich, «sie kann Ideen entwickeln und Investitionen anfordern». Der Konzern nennt das «integrierte Eigenständigkeit». Nur wenn Konflikte nicht bilateral oder anlässlich der regelmässigen Gremiensitzungen der Airline-Chefs gelöst werden können und «bei Konstellationen, wo man sich gegenseitig nachhaltig schaden könnte, kommt ein Stück Orchestrierung rein – mehr nicht», betont Mayrhuber. Sollten etwa Austrian, Brussels und Swiss zeitgleich nach Dubai fliegen wollen, würde gerechnet, für wen es wann am meisten Sinn ergäbe, und der bekäme den Zuschlag. Es sei bisher nie ein Problem gewesen, sich «per Vernunft abzustimmen», sagt Harry Hohmeister. Swiss habe den gleichen Stellenwert wie die viel grössere Lufthansa Passage: «Wir können eigenständige Entscheidungen treffen und bleiben für unser Handeln verantwortlich.»

Mayrhuber verfolgt das Prinzip, dass jede Marke ihren Markt so gut abräumt, wie es geht – ein Stück weit auch gegen interne Mitbewerber. Das macht die Räume für Wettbewerber ausserhalb des Konzerns noch enger. Bei internen Kollisionen «ist der Vorteil, dass wir das heute transparent auf dem Tisch haben», sagt Hohmeister. Früher haben alle heimlich geplant, da konnte es zu Beginn der Flugplanperioden böse, weil kostspielige Überraschungen geben. Ausserdem facht Mayrhuber damit auch den «Ehrgeiz unter den Beteiligten an: weil man im Verbund beweisen will, dass man es selber bisweilen besser kann».

Das geht so weit, dass Mayrhuber die Drehscheiben Frankfurt und München mit eigenen Flotten ausstattet und gegeneinander antreten lässt. So wird «gut sichtbar, wo welche Gewinne anfallen, wo Stärken und Schwächen liegen», erläutert Roland-Berger-Mann Maul. Zudem zielt Mayrhuber damit auf Effizienzgewinne, die in dieser Konzernstruktur mit vielen Fluglinien und Drehscheiben nicht via Zentralität erzielt werden könnten.

Booz-Berater Ringbeck bezeichnet das als «eines der komplexesten Steuerungsmodelle, die ich kenne» – obwohl Erfinder Mayrhuber gern abwiegelt: Das System sei «nicht komplex, sondern reichhaltig». Etwas anderes blieb ihm ohnehin nicht übrig, denn Zentralisierung war für Lufthansa keine Option. In Europa bietet nur der Standort London genug Potenzial, um ein eigenes Langstreckennetz zu rechtfertigen. Lufthansa muss, um eine Maschine von Frankfurt nach Hongkong zu füllen, aus 40 bis 50 Städten Passagiere via Zubringerflüge einsammeln. Schon Mayrhubers Vorgänger Jürgen Weber hat dieses Dilemma zu bekämpfen versucht: mit der Gründung der Star Alliance. Deren Partner bleiben Wettbewerber, koordinieren aber ihre Flüge mit Codeshares und füllen sich gegenseitig die Kabinen. Stratege Mayrhuber hat das Modell auf die Konzernebene verlängert. Damit hat er British Airways mit ihrer London-fixierten Splendid Isolation längst überholt. Der alte Dreikampf in Europa ist passé, «heute reden wir wohl eher von einem Zweikampf zwischen Air France/KLM und Lufthansa», sagt Björn Maul. Diesen Vergleich entscheidet Lufthansa derzeit mit besseren Geschäftsergebnissen klar für sich.

Swiss ist also am richtigen Ort, und auch intern sind die Perspektiven intakt. Zürich ist ein hochklassiger Markt, und bereits jetzt «kommen in den Buchungsklassen Business und First die Kunden langsam zurück nach der Krise», so Hohmeister. Übergriffe der grossen Schwester Lufthansa Passage, in Zürich mit Kampfpreisen der Swiss Schweizer Kunden abspenstig zu machen, kommen zwar vor, blieben bisher aber die Ausnahme.

Austrian Airlines war für Lufthansa vor allem wegen des Nachbarschaftsverkehrs wichtig, bei dem beide eng kooperieren – ein Albtraum für Mayrhuber, wären die Österreicher Air France in die Hände gefallen. Für Langstreckenverkehr hat der Tourismusstandort Wien aber längst nicht das gleiche Potenzial wie Zürich. Und bei British Midland steht die Sanierung noch ganz am Anfang. Trotz ihren wertvollen Start- und Landerechten in London gilt es nicht als sicher, dass die Airline langfristig bei Lufthansa bleibt, solange nicht geklärt ist, ob sich das Drehkreuz auf den Britischen Inseln profitabel betreiben lässt.

Kein schnelles Shopping. Derzeit hat für Lufthansa das Verdauen der bisherigen Akquisitionen Priorität, es sieht nicht nach schnellen Shoppingtouren aus. Polens LOT und SAS gelten derzeit nicht als attraktive Bräute, vor allem SAS ist in der aktuellen Drei-Länder-Konstruktion mit insgesamt 39 Gewerkschaften im Konzern eine regelrechte Giftmischung.

Ironie der Geschichte: So tief die Krise nach dem Grounding war – die radikale Sanierung und die Kostensenkungen spielen Swiss heute in die Hände. Günstiger produziert derzeit keiner der alten europäischen «Flag Carriers». Das verschafft Hohmeister eine gute Ausgangsposition im konzerninternen Stellungsspiel und gegen die wahren Gegner. Die, so schwört Mayrhuber seine Truppe ein, sind Lowcost-Airlines wie Air Berlin und EasyJet sowie die Petrodollar-gestützten Fluglinien vom Persischen Golf: Emirates, Qatar, Etihad. Mayrhuber will weiter «Effizienz steigern und Kosten senken», Hohmeister akzeptiert Benchmark-Vergleiche mit europäischen Fluglinien nicht: Die meisten seien «Problemgesellschaften, an denen wir uns besser nicht orientieren».

Das Triumvirat Mayrhuber, Franz und Hohmeister harmoniert. «Wir denken sehr ähnlich und ergänzen uns dennoch – das hat man selten», sagt Hohmeister. Konzernarchitekt Mayrhuber treibt bis zu seinem Ausscheiden zum Jahresende die Verzahnung der Tochterfluglinien mit dem Konzern voran. Sein mutmasslicher Nachfolger Franz gibt wie bei Swiss den verbindlich auftretenden, aber knallhar-ten Sanierer. Für die Schweizer Airline wäre es kein Nachteil, wenn ihr langjähriger Chef Franz an die Konzernspitze aufstiege: «Wir kommunizieren alle drei sehr transparent und ohne egoistischen Ehrgeiz», so Hohmeister. Und wenn einer gemeinsame Geschäftspartner trifft, lässt man «dem Christoph» oder «dem Harry» selbstverständlich Grüsse bestellen.

Dirk Ruschmann
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