Der Mann ist der ambulante Kulturschock für das grösste Schweizer Unternehmen. Statussymbole interessieren ihn nicht, er zieht Grossraumbüros vor, hält Bescheidenheit für eine Zierde, kommuniziert offen und am liebsten gleich selber, zählt den Spass an der Arbeit ebenso zur Führungsaufgabe wie den Erfolg. Die E-Mails schliesst er mit einem lockeren «Enjoy Easter. Paul».

Paulus Polman, genannt Paul, ist seit vier Monaten Finanzchef beim 91-Milliarden-Konzern Nestlé, jenem Closed Shop, in dem man Karriere nur intern macht. Polman aber war jahrzehntelang beim US-Markenartikler Procter & Gamble tätig, verkaufte Ariel, Meister Proper, Pringles, Tampax – und schaffte es trotzdem in den Olymp des Schweizer Kapitalismus.

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Den Job verdankt der bestens vernetzte Polman dem zielsicheren Auge von Konzernchef Peter Brabeck. Offenkundig schätzt er Polmans breite Erfahrung, vor Analysten spielen sich die beiden die Bälle zu, als wären sie jahrelang auf Roadshows durchs Land getingelt. Helvea-Analyst James Amoroso: «Eine perfekte Besetzung.» Wenn Hobby-Pilot Brabeck besonders gut gelaunt ist, nennt er seine Neuakquisition schon mal «meinen Co-Piloten».

Mittlerweile zweifeln in Vevey nur noch wenige daran, dass Polman auf der Shortlist der potenziellen Brabeck-Nachfolger weit oben steht. Polmans Talente sind auch anderen aufgefallen. Das «Wall Street Journal Europe» kürte ihn 1993 zum «Business Leader of the Year».

Im offiziellen CV gibt sich der Gefeierte als veritabler Sportsmann zu erkennen. Im Freundeskreis aber lässt er sich nur ungern an den Marathon de Genève 05 erinnern. Polman quälte sich mit einer Zeit von 4:38:08,7 durchs Ziel.

Drei Wochen zuvor habe er den Paris-Marathon absolviert, gibt Polman zu bedenken. Zudem sei er in einer Gruppe mit 151 Läufern gestartet – Ziel war nicht die Zeit, sondern das Erlebnis beim gemeinsamen Einlauf. Heuer legt Polman noch eins drauf: Nun will er im Pulk mit 305 Gleichgesinnten über die Linie. Marathon, weiss er, stärkt Wille und Disziplin.

«A life-changing experience» war schliesslich, als er letztes Jahr mit beiden Söhnen den Kilimandscharo bezwang. Mit in der Seilschaft waren Profibergsteiger und zehn Behinderte. Zu ihnen zählten der Amerikaner Erik Weihenmayer und der Kenianer Douglas Sidialo, der es als erster blinder Schwarzer auf Afrikas höchsten Gipfel (5895 Meter) schaffte. Polmans Slogan für sämtliche Lebenslagen: «Nur wer es nicht versucht, scheitert.»

Aus dem Abenteuer wächst Gutes. Polman will nun die Kilimanjaro Blind Trust Foundation in die Gänge bringen; eine Stiftung, die blinde Kinder aus Westafrika unterstützt.

Anfang Juli visiert der polyvalente Nestlé-Mann den nächsten Gipfel an – nein, nicht den CEO-Posten, sondern den Montblanc.

Die Ouchy-Connection

Am mondänen Ufer des Genfersees, in Lausanne Ouchy, hat sich ein Exklusiv-Club aus der Konsumgüterindustrie formiert. Er trägt den Namen Groupe d’Ouchy und existiert seit 1972. Dreimal jährlich treffen sich die 500-Pfund-Gorillas der Branche fernab von Mikrofonen und Kameras zum Gedankenaustausch. Abgehandelt werden Themen zu Marketing, Kommunikation und Verkauf, wie ein Insider berichtet.

Die Groupe d’Ouchy ist ein formidables Netzwerk. Im illustren Zirkel macht mit, was in der Branche Rang und Namen hat: Beteiligt sind die Senior Executives von Henkel, Danone, Nestlé, Heineken, L’Oréal, BAT, Kraft, Colgate-Palmolive, Sara Lee, Procter & Gamble.

Polman ist seit Jahren Mitglied der Groupe («eine inspirierende Energiequelle, die wir alle brauchen können»). Daselbst ist er auf Peter Brabeck gestossen. An und neben den Meetings konnte sich der Nestlé-Chef von den Qualitäten des Niederländers überzeugen. Neben Brabeck und Polman sitzt ein Dritter aus dem Nestlé-Sortiment im Herren-Club: der Schwede Lars Olofsson, ebenfalls Mitglied der Konzernleitung.

Hands on

Als Präsident der Swiss-American Chamber of Commerce tummelte sich Polman in die Niederungen schweizerischer Politik. So engagierte er sich etwa für eine Internationalisierung der Primarschulen. Seine zupackende Art ist den Vorstandskollegen, darunter Peter Wuffli und James Schiro, in bester Erinnerung. Zur Finanzierung des Chamber-Jahrbuchs griff der Präsident jeweilen höchstselbst zum Telefonhörer, um Kollegen Inseratenfläche anzudrehen. Ganz zur Freude von Chamber-CEO Martin Naville: «Paul ist ein engagierter Teamplayer ohne Allüren.»

Seit seinem Rücktritt als Präsident ist Polman Treasurer der Handelskammer. Diesen Job hat er von Wolfgang Reichenberger übernommen. Der frühere Nestlé-Finanzchef ist derzeit daran, einen 500 Millionen Euro schweren Fund aufzugleisen. Reichenberger soll sich in der Karibik befinden. Der von ihm geführte Nestlé Growth Fund ist in Nassau domiziliert.

Globetrotter

Polman ist der Inbegriff des globalen Managers. Geboren am 11. Juli 1956 in Enschede in Holland, arbeitete er in Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, England, den USA und der Schweiz (Genf). Ökonomie studierte er im holländischen Groningen und an der University of Cincinnati (MBA); einen Ehrendoktor verlieh ihm die Universität von Newcastle. Die holländische Presse bezeichnet ihn als «een van de machtigste Nederlandse ondernemers». Er spricht fünf Sprachen, ist verheiratet, hat drei Kinder.