Der Brief ist geschrieben und wartet darauf, ausgedruckt und versandt zu werden. Garantiert ist dann die Druckerpatrone leer oder einfach ausgetrocknet. Oft fehlt auch entweder das Papier, das passende Couvert oder die Briefmarke. Hat man all diese Dinge beisammen, muss der Brief zugeklebt, frankiert, zum nächsten Briefkasten gebracht und eingeworfen werden – die umständliche und zeitraubende Prozedur hat jeder schon erlebt.
Das Jungunternehmen Pingen glaubt, eine Lösung dafür zu haben. Firmenchef Sandro Kunz beschreibt die Geschäftsidee des Zürcher Startup so: «Wir bieten einen schnellen und hürdenlosen Zugang zum Briefversand, welcher sich besonders für den Rechnungsversand von Firmen eignet.» Rund 95 Prozent der von Pingen verschickten Dokumente sind Rechnungen, statt einer E-Mail erreicht ein Brief aus Papier einen vielfach höheren Grad an Aufmerksamkeit beim Empfänger. Die Dienste von Pingen lassen sich aber auch von Privaten nutzen, die ihre Briefkorrespondenz bequem vom Computer aus erledigen wollen.
Kooperation mit der Post
Der Kunde übermittelt dabei Pingen den Brief online. Eine Software prüft, verifiziert und formatiert das Dokument und leitet es an eine Druckerei weiter, wo es auf Papier gedruckt, in ein Couvert gesteckt und frankiert der Post übergeben wird, die es dem Empfänger bringt. Via Pingen lassen sich auch eingeschriebene Briefe verschicken. Der Absender wird per SMS oder E-Mail informiert, wenn der eingeschriebene Brief entgegengenommen wird. Zudem lässt sich die Unterschrift des Empfängers anzeigen. Die Nachverfolgung des Versands und die Ablage in einem elektronischen Archiv runden die Dienstleistungen von Pingen ab. Obwohl die Software bereits das Anfertigen und Hinterlegen von Unterschriften anbietet, rät die Firma vom Versand unterschriftspflichtiger Briefe, wie der Kündigung der Krankenkasse, ab. Pingen klärt derzeit zusammen mit einer Anwaltskanzlei ab, wie sich Briefe anbieten lassen, die eine Unterschrift benötigen. Das Versandmodell funktioniert seit vergangenem Sommer in der Schweiz und in Deutschland, ab November auch in Österreich.
Aufgrund des Briefmonopols wird jeder Brief von Pingen hierzulande von der Schweizer Post befördert. Deutschland und Österreich kennen zwar kein solches Monopol mehr, trotzdem arbeitet Pingen auch dort noch mit der Post zusammen, «doch mittelfristig ist eine Zusammenarbeit mit privaten Kurierdiensten denkbar», sagt Kunz zur Situation in den beiden Nachbarländern. Per Anfang 2015 ist die Expansion nach Kanada und China geplant, um laut Kunz «eine erste globale Abdeckung zu erreichen, die wir anschliessend ausbauen».
Lokale Ansprechpartner zuständig
Bei jedem ausländischen Markt sei das Ziel, die einzelnen Länder vor Ort zu betreuen, sowohl für die Kundengewinnung als auch im Support sind lokale Ansprechpartner zuständig, «der Schweizer Sitz von Pingen bleibt mit dieser Strategie schlank und agil». Am Beispiel China macht der Firmenchef die Vorteile des Versands mit Pingen deutlich: Sendet ein Schweizer Unternehmen einen Brief ins Reich der Mitte, kostet dies mindestens 1.60 Franken und es dauert zwei bis drei Wochen, bis das Schriftstück via Schiffsweg den Empfänger erreicht.
Schickt die Firma den Brief via Pingen, wird er am gleichen Tag in China produziert und ausgeliefert. Und das zu lokalen Portokosten von 18 Rappen. «Unsere Lösung ist somit schneller, günstiger und ohne Schiffstransport auch ökologischer.»
Auf Kapitalsuche
Das Jungunternehmen funktioniert derzeit faktisch als Einmannbetrieb, Sandro Kunz betreut das Geschäft im Firmensitz im bluelion incubator, dem Bürogebäude für Internet-Startups in Zürich-Schwamendingen. Der Informatiker hat daneben ein weiteres Standbein in einer anderen Firma. Gleiches gilt für Mitinhaber und Technologiechef Graem Lourens. Er lebt und arbeitet aber in Warschau, wo er ein Unternehmen für Web-Software führt.
Ab kommendem Jahr wollen beide Geschäftspartner ihr Engagement bei Pingen erhöhen. Ziel bis Ende 2014 ist, die Verhandlungen mit interessierten Investoren abzuschliessen, um das nötige Kapital von einer halben bis einer Million zu erhalten und anschliessend mit China und Kanada zu starten. Dafür will Kunz neue Mitarbeiter einstellen. Läuft das Geschäft wie geplant, soll nächstes Jahr ein rundes Dutzend Personen für Pingen arbeiten.
Amazon und Skype als Vorbild
Mit den bisher erreichten Zahlen ist Kunz zufrieden, «besonders, wenn man bedenkt, dass Pingen während der ersten zweieinhalb Jahre faktisch nur als Website existierte und wir bis jetzt kaum Marketing betrieben haben, ausser monatlich 150 Franken Werbegelder in Google Adwords zu stecken». Er sieht die eigene Lösung unterdessen als erprobt an, «ein technologisches oder Produkterisiko haben wir nicht mehr». Nun komme es darauf an, die Aufmerksamkeit dem Bereich Marketing zu widmen. «Das ist unsere grösste Herausforderung, nicht nur im Kostenbereich.»
Nach seinen Visionen für die Zukunft befragt, zieht Sandro Kunz zwei grosse Namen im Online-Geschäft zum Vergleich heran: «So wie Skype das Telefonieren revolutioniert hat, wollen wir den Briefversand revolutionieren.» Oder wie Amazon im Büchermarkt gross geworden und heute ein Marktplatz für ganz viele Produkte sei, will Kunz Pingen im Briefmarkt wachsen lassen, bis die Firma zur Plattform ausgebaut ist für schriftliche Kommunikation jeder Art. Mögliche Konkurrenz macht ihm keine Sorgen: «Wir wollen unser Geschäft so effizient aufbauen, dass es für Mitbewerber dereinst interessanter sein würde, Pingen zu übernehmen, statt uns zu konkurrenzieren.»