Es mag ein städtisches Phänomen sein, dass heute selbst in Parkanlagen und in Strassenfluchten Spaziergänger mit Teleskopstöcken und Hochgebirgstextilien anzutreffen sind. Doch offensichtlich reichen schon teure und erlesene Materialien aus, um dem Nutzer das aufregende Gefühl von Abenteuer und Freiheit zu vermitteln. Die voll ausgerüsteten Urbansportler gehören zwar nicht zum klassischen Zielpublikum des aargauischen Sportutensilienherstellers Mammut, das sich vor allem aus einer sportlich ehrgeizigen Stammkundschaft rekrutiert. Doch längst zählen auch Leute zu Mammut-Käufern, die früher ihre Wanderungen noch mit SKA-Käppi und Schweizer-Mobiliar-Rucksack in Angriff genommen haben.

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Die einst auf die Ausrüstung im Hochgebirge spezialisierten Aargauer haben in den vergangenen Jahren ihr verstaubtes Image abgelegt und sind mittlerweile zur Nummer eins im Schweizer Outdoor-Markt aufgestiegen. Mit geschicktem Marketing und einer gezielten Akquisitionspolitik ist es dem zum Schmidheiny-Clan gehörenden Sportunternehmen gelungen, dass seine Produkte nicht nur am Everest und in der Eigernordwand eingesetzt werden, sondern auch auf dem Einihubel und in der Eggetschwand.

Mammut, eine 1862 im aargauischen Dintikon sozusagen in der Garage gegründete Seilerei, gehört erst seit jüngster Zeit zu den Grossen der Sportbranche. Zwar hat das Unternehmen schon vor dreissig Jahren mit dem Vertrieb von Sportartikeln begonnen, doch wurden nebst den eigenen Seilen vor allem Produkte ausländischer Anbieter verkauft. Auch waren die Produkte von Mammut so spezifisch auf Hochgebirgssportler zugeschnitten, dass sie unter 4000 Metern bis in die Neunzigerjahre hinein kaum anzutreffen waren. 1989, als das Unternehmen die alteingesessene Rucksackfabrik Fürst aus dem zürcherischen Wädenswil übernahm, dürfte als entscheidender Moment für die künftige Entwicklung gelten, auch wenn es danach noch gut ein Jahrzehnt dauern sollte, bis sich der Übergang hin zu einem modernen, trendigen Unternehmen abzuzeichnen begann. Im selben Jahr tat Mammut auch einen wichtigen Schritt, indem sie im süddeutschen Memmingen eine Tochtergesellschaft für ihren heute grössten Exportmarkt gründete, die noch heute für den Vertrieb in Deutschland zuständig ist.

Mammut, ein Unternehmen, das sich vor allem mit seinen Kletterseilen einen ausgezeichneten Ruf in der internationalen Bergsportwelt erworben hat, kämpfte in den Neunzigern mit internen Problemen und vernachlässigte in dieser Zeit seinen Stammmarkt. Vor allem der Umzug von Lenzburg in Richtung Seon und der Bezug eines sündhaft teuren Neubaus auf der grünen Wiese, der auch einem Casino zur Ehre gereichen würde, führten dazu, dass Mammut bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch tiefrote Zahlen schrieb. 1996 stiess dann mit Rolf Schmid ein Manager dazu, der dem Unternehmen einen neuen Auftritt und neue Strukturen verpassen sollte. Dafür erhielt Schmid nicht nur die notwendigen Mittel. «Vor allem liess man uns Zeit, für die Mutterholding einen langfristig erfolgreichen Sportbereich aufzubauen», so Schmid.

Schmid baute das Unternehmen radikal um und aus. Als Erstes holte er das Design in die Firma zurück, das bis anhin von italienischen Ateliers geliefert worden war. «Wenn man im oberen Preissegment tätig ist, muss man die Produkte auch selber entwerfen», so Schmid. Was folgte, war ein atemberaubendes Tempo des Umbaus. Im Jahr 2000 kaufte Schmid die amerikanische Vertriebsgesellschaft Climb High auf, um künftig den Absatz in den USA forcieren zu können. Im gleichen Jahr folgte das Management-Buyout der Sparte industrieller Seil- und Hebetechnik, weil für Schmid die Synergien zwischen den Bereichen nicht mehr gegeben waren. Ein Jahr später kaufte Schmid mit der norwegischen Firma Ajungilak einen im Hochpreissegment tätigen Schlafsackhersteller, und 2002 folgte der Zusammenschluss mit der ebenfalls zum Schmidheiny-Imperium gehörenden Rheintaler Skiwachsfirma Toko.

Für den Schweizer Fachhandel völlig überraschend verleibte Schmid ein Jahr später der Mammut-Gruppe auch die zur Bedeutungslosigkeit geschrumpfte Sportschuhmarke Raichle ein. «Die Überraschung war nur in der Schweiz gross, denn im Ausland hat man von der ganzen Geschichte um Raichle und Beatrice Wehrhahn kaum etwas mitgekriegt, der Brand ist international nach wie vor erstklassig», begründet Rolf Schmid diesen Schritt.

Mit dieser rasanten Expansion ist es Mammut gelungen, praktisch das ganze Sortiment rund um die Bergsteigerei abzudecken. Einzelne Accessoires wie Eispickel oder Steigeisen werden zwar nach wie vor von anderen Anbietern übernommen, doch glaubt Schmid in diesen Nischenbereichen kaum mehr an den Nutzen von weiteren Übernahmen. «Ich würde nach den vergangenen expansiven Jahren intern wohl auf wenig Gegenliebe stossen, wenn wir uns jetzt nicht aufs Wachstum konzentrieren würden.»

Wachsen will Schmid vor allem mit Investitionen in den Vertrieb, wie er dies in den USA mit Climb High bereits begonnen hat. Dabei schaut der HSG-Absolvent nicht nur für seine Firma, sondern für die ganze Branche. So war es Schmid, der den europäischen Verband der Outdoor-Produzenten gründete und mit diesem im deutschen Friedrichshafen eine Outdoor-Messe ins Leben rief. «Die Messe ist für uns eine wunderbare Verkaufsplattform, die erst noch den Verband finanziert», so Schmid. Ein Verband, dessen vorrangiges Ziel es verständlicherweise ist, sich gegenüber Behörden und Umweltverbänden für die Interessen der Outdoor-Sportler einzusetzen. «Schliesslich haben wir ein Interesse daran, dass Bergsportarten ausgeübt werden können, auch wenn den Sportlern der eine oder andere Kompromiss abgerungen wird», so Schmid.

Vermarktet wird Mammut heute nicht nur über die Fachpresse, Prospekte und den Fachhandel, sondern auch über konkrete Sponsoringprojekte wie im vergangenen Jahr mit der Everest-Expedition des Schweizer Fernsehens oder aktuell mit der österreichischen «Big Brother»-Variante «Expedition Österreich». Entsprechend wird im Alpenraum kaum mehr eine Bergsportdokumentation gedreht, bei der nicht ständig ein Mammut-Logo im Bild ist. Dafür werden auch Bergsteigstars eingespannt wie etwa Stephan Siegrist für die Mammut-Tochter Raichle und den Dokumentarfilm «Eigernordwand – auf den Spuren der Erstbesteiger». Auch der Rheintaler Kari Kobler, ein erfahrener Expeditionsleiter, oder die Berner Oberländer Bergführerin Evelyne Binsack gehören zum engeren Mammut-Umfeld und sorgen als Opinion-Leader dafür, dem Gros der Bergsportler die Produkte aus dem aargauischen Seon schmackhaft zu machen.

Dank dieser vielfältigen und ausgeklügelten Strategie ist es Mammut gelungen, mit heute rund 250 Mitarbeitern einen Umsatz von 120 Millionen Franken zu erzielen, was seit Schmids Einstieg einer Verfünffachung der Verkäufe entspricht. Obwohl die Schweiz nach wie vor der wichtigste Markt ist, werden hier noch dreissig Prozent des Umsatzes generiert, siebzig Prozent erzielt das Unternehmen im Ausland. Mit Ausnahme der Kletterseile wird in der Schweiz nichts mehr produziert, die Produktion ist heute wie in dieser Branche üblich nach Asien und nach Rumänien ausgelagert.

Die Zukunft seines Unternehmens sieht Schmid im Ausbau des Vertriebs und im Aufbau der Präsenz von Mammut in den einzelnen Märkten. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, zeigt sich etwa bei einfachen Normen. «Bei amerikanischen Jacken ist das Reissverschlussschiffchen auf der rechten, bei uns aber auf der linken Seite, weshalb europäische Jacken in den USA lange als unverkäuflich galten. Bis man diese Markteigenheiten kennt und sich hier angepasst hat, dauert es meistens relativ lange.» Dennoch ist vor allem der Ausbau in den USA deutlich vorangetrieben worden. Schmid: «Amerika wird sicher der wichtigste Einzelmarkt werden, insgesamt bleibt aber Europa unser Hauptabsatzmarkt.»

Zurzeit harzt es aber mit dem Absatz. Dies, nachdem das Unternehmen die Krisenjahre kaum zu spüren bekommen hat. Worauf die aktuelle Absatzschwäche zurückzuführen ist, darüber rätseln auch Schmid und seine Mitkämpfer. Dass es aber zumindest teilweise daran liegen könnte, dass die klassischen Mammut-Käufer bereits mit allem Notwendigen ausgestattet sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem weil sich auch hier die Binsenweisheit aus der Textilbranche bewahrheitet, dass mit Männern nur schwerlich das grosse Geschäft zu machen ist, weil sich diese weniger an modischen Entwicklungen als an funktionalen Trends orientieren.

Wie bereits in den vergangenen Jahren muss Mammut deshalb auf Innovation setzen und, was im Sportbereich in jüngster Zeit immer wichtiger geworden ist, auf die weitere Gewichtsreduktion von Outdoor-Produkten. Gefragt sind Materialien, die alles können, aber nichts mehr wiegen. Helfen wird Mammut aber sicher auch der Trend hin zum Stadtspaziergang in hochgebirgstauglichen Wanderschuhen. So wie man dies schon vom Mountainbike kennt, das auch auf dem urbanen Asphalt das klassische Stadtrad längst verdrängt hat.