BILANZ: Haben Sie Freude an Ihrem Job?

Marc Jean-Richard-dit-Bressel: Meine Arbeit ist eine Herausforderung und entspricht einem Bedürfnis der Bevölkerung. Beides bringt Befriedigung mit sich. Daraus abzuleiten, es bereite uns Freude, Menschen zu bestrafen, wäre allerdings ein Irrtum. Als Staatsanwalt darf man keinen «Samichlaus-Komplex» entwickeln.

Als Spezialist für Wirtschaftsdelikte haben Sie auch immer wieder mit so genannten Insidervergehen zu tun. Handelt es sich bei solchen Strafuntersuchungen nicht um eine Sisyphusarbeit?

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Gemessen an unserem gesamten Arbeitsaufkommen, machen Insiderfälle nur einen relativ geringen Prozentsatz aus. Die Insiderstrafnorm an sich hat eine relativ grosse Präventivwirkung. Wie unsere Erfahrungen zeigen, können sich innerhalb der engen Bandbreite, welche die Gesetzesbestimmungen in der Schweiz abdecken, sehr viele potenzielle Insider zurückhalten. Für diejenigen, die ihren Trieb, Vorzugsinformationen auszunützen, nicht bändigen können, lässt die bestehende Strafnorm daneben reichlich Spielraum.

Wer, wenn nicht die Topkader börsenkotierter Gesellschaften, kommt dafür in Frage, privilegierte Informationen in illegale Zusatzgewinne umzumünzen?

Meist sind es weniger hoch dotierte Persönlichkeiten, die auch mit kleineren Budgets operieren – sagen wir Angehörige des mittleren Kaders –, welche der Versuchung nicht widerstehen können. Solche Personen sind im Allgemeinen stärker gefährdet als die ganz Grossen. Das Publikum interessiert sich aber weniger für deren Verhalten.

Was sich vom angestrebten Schulterschluss zwischen Swissfirst Bank und Bellevue Gruppe kaum behaupten lässt. Laut der Pressemitteilung eines involvierten Grossaktionärs soll es im Vorfeld der Fusionsankündigung nebst weiteren Delikten auch hier zu Insidertransaktionen gekommen sein. Können Sie diesen Sachverhalt bestätigen?

Wie in jedem Fall müssen wir auch hier zunächst einmal den konkreten Sachverhalt abklären. Was wir bis jetzt kennen, sind die Behauptungen des Anzeigeerstatters. Dass dieser seine Anzeige mit einer Pressemitteilung flankiert hat und der Fall somit von Beginn weg öffentlich ist, entspricht nicht meinem Wunsch, sondern ist ein Fait accompli, mit dem ich mich erstmals in meiner Laufbahn konfrontiert sehe. Für das Funktionieren einer Demokratie ist es zweifellos wichtig, dass die Presse auch die Rechtsprechung beobachtet und kommentiert. Gleichwohl ist es eine zweischneidige Sache, wenn ein Justizfall ein allzu grosses Medienecho erhält.

Warum?

Die öffentliche Meinungsbildung behindert Richter und Staatsanwälte in ihrem Unabhängigkeitsempfinden. Um dem diffusen Gefühl entgegenzuwirken, von der öffentlichen Meinung manipuliert zu werden, geben Justizbeamte dann unter Umständen – bewusst oder unbewusst – Gegensteuer, was einer gerechten Urteilsfindung abträglich sein kann.

Erlauben Sie trotzdem, dass wir kurz auf den Inhalt der Strafklage im Fall Swissfirst eingehen. Gemäss Pressemitteilung des Klägers, Herrn Rumen Hranov, sind drei Straftatbestände betroffen: Betrug, allfällige Veruntreuung sowie mögliches Insiderverhalten. In welcher Reihenfolge gehen Sie vor?

Es gibt keine Prioritätenordnung. Ich benötige zwar einen Arbeitstitel und muss auch mit Hypothesen arbeiten, um überhaupt eruieren zu können, welche Gesetzesbestimmungen unter Umständen betroffen sind. Die drei von Ihnen genannten Themenfelder kommen dabei sicher in Frage. Mein eigentliches Arbeitsfeld sind aber nicht irgendwelche rechtlichen Hypothesen, sondern die Story als Ganzes, die es abzuklären gilt.

Klingt spannend. Reizt Sie der angesprochene Fall?

Es ist sicher ein Fall, der mich herausfordert. Machen Sie sich aber keine falschen Vorstellungen. Im Gegensatz zur Vorgehensweise von Medienschaffenden sind unsere Abklärungen oftmals sehr technisch und trocken. Wir Staatsanwälte haben nur die Kompetenz abzuklären, ob sich ein Sachverhalt ereignet hat und ob dieser allenfalls unter eine Strafbestimmung fällt. Anders als ihr Journalisten verfügen wir – und dies völlig zu Recht – über keine Befugnis, moralisch-ethische Urteile zu fällen. Generell ist unser Ziel und unsere Befriedigung immer dann erreicht, wenn wir das Gefühl haben, die für die strafrechtliche Würdigung relevante Wahrheit einer Geschichte freigelegt zu haben.

Von Ihrem persönlichen Background her dürfte Sie am Swissfirst-Fall die Insiderproblematik besonders interessieren, auch wenn dieses Thema, gemessen an den übrigen Vorwürfen, eher als Nebenschauplatz erscheinen mag.

Auch wenn der Höhepunkt bereits überschritten ist, weckt der Begriff «Insider» beim Publikum nach wie vor grosse Emotionen. Viele Bürgerinnen und Bürger lassen sich dabei vom Gefühl überwältigen, den Machenschaften übergrosser Mächte schutzlos ausgeliefert zu sein. Folglich werden in die Insiderstrafnorm auch völlig übertriebene Erwartungen gesetzt. In Tat und Wahrheit ist diese aber kein Mittel zur umfassenden Weltverbesserung, sondern soll nur das Bedürfnis nach Börsentransparenz abdecken.

Am verbreiteten Unbehagen, dass es einen ausgedehnten Graubereich gibt, in dem Transaktionen, die auf bevorzugtem Wissen basieren, in der Schweiz straffrei möglich sind, ändert dies jedoch nichts.

Bildhaft gesprochen lässt sich die hiesige Kapitalmarktgesetzgebung mit einem
Blumenbeet vergleichen. Um einen einflussreichen Gast, die Amerikaner, zu beglücken, setzte man 1988 mit der Insiderstrafnorm eine Knospe in dieses Beet und drückte sie von Hand auseinander, um überhaupt etwas Blumenartiges vorweisen zu können. Wie jeder Gärtner weiss, kann es leicht passieren, dass ein Blümchen, dem man am Knopf herumdrückt, nachher in seiner Entwicklung behindert bleibt.

Ein hübsches Bild. Was wollen Sie damit sagen?

Die Kapitalmarktgesetzgebung der Schweiz hat sich erst im Verlauf der neunziger Jahre entwickelt und gefestigt, wobei die Vordenker natürlich schon viel früher begriffen hatten, worum es bei der Insiderstrafnorm gehen sollte. Seit den siebziger Jahren wird von Rechtsgelehrten vermehrt auf die Wünschbarkeit von mehr Transparenz auf dem Kapitalmarkt hingewiesen. Demgegenüber entwickelt sich das allgemeine Bewusstsein, das sich im eidgenössischen Parlament widerspiegelt, in diesem Punkt wesentlich langsamer.

Eine Schwäche des geltenden Gesetzesartikels scheint darin zu bestehen, dass selbst unter ausgewiesenen Börsenprofis nicht selten Unklarheit darüber besteht, wer als potenzieller Insider überhaupt in Frage kommt. Teilen Sie diese Ansicht?

Auch unter Kapitalmarktexperten werden Schlagwörter herumgeboten wie etwa: «Niemand kann sein eigener Insider sein.» Je nach Gesamtzusammenhang kann so etwas völlig falsche Vorstellungen auslösen. Da haben Sie schon Recht.

Worum geht es also bei der Insiderstrafnorm im Kern?

Wie sich der Tatbestand technisch definieren lässt, kann man im Artikel 161 des Strafgesetzbuches nachlesen. Im Zentrum steht ganz klar die Treuepflicht einer Gesellschaft ihren Aktionären gegenüber. Wer in eine Aktiengesellschaft investiert, soll diesen Entscheid auf einer adäquaten Informationsgrundlage fällen können.

Würden Sie uns das bitte anhand eines Beipiels illustrieren?

Nehmen wir an, es tauche ein Faktum auf – beispielsweise ein Grossereignis wie eine Fusion –, welches der Aktionär nicht kennt. Bei denen, die darüber Bescheid wissen, löst das bevorstehende Ereignis gleichzeitig «Gluscht» aus, möglichst viele Aktien zu erwerben. Wenn nun diese in ihrer Funktion als Mandats- oder Geheimnisträger des Unternehmens den uninformierten Aktionär, dem sie ja Treue schulden, dazu veranlassen, ihnen seine Titel abzutreten, so stuft das unsere Rechtsordnung zu Recht als illegales Verhalten ein.

Wird ein Geheimnisträger nicht gerade dadurch zum illegalen Tippgeber, dass er einem Aktionär, dessen Titel er zu erwerben trachtet, hinsichtlich der wahren Beweggründe reinen Wein einschenkt?

Nein. Der Sinn der Insiderstrafnorm besteht darin, Transparenz zu schaffen. Wenn jemand also behaupten würde, auf Grund der bestehenden Gesetzesartikel lügen zu müssen, so wäre das absurd.

Demnach ist es legitim, wenn sich Grossaktionäre vor einem entscheidenden Ereignis gegenseitig informieren und absprechen?

Ja. Entscheidend ist aber, dass dabei auch dem Grossaktionär die Treue- und
Unterlassungspflichten eines Insiders auferlegt werden. Das lässt sich zum Beispiel erreichen, indem er mit der Gesellschaft ein Stillhalteabkommen trifft, wonach er die Informationen weder weitergeben noch durch Geschäfte mit uninformierten Anlegern ausnützen darf.