Auffallend am Jahresergebnis des AWD Schweiz ist die überproportionale Gewinnsteigerung von 11% im Verhältnis zur Steigerung des Umsatzes von lediglich 7,6%. Womit erklären Sie das?
Marco Baur: Das hat vor allem zwei Gründe: Einerseits die vor drei Jahren eingeleiteten Neuorganisationen im Personalbereich, mit denen wir die Funktionalitäten optimal verteilt haben, und zweitens haben sich die EDV-Investitionen nun positiv ausgewirkt. Wir haben das PFS-Programm zur Berechnung der privaten Finanzstrategie entwickelt. Ein eigenes Tool, mit dem wir viel Aufwand bei der Verarbeitung unserer Geschäfte einsparen können.
Was erwarten Sie im Jahr 2007 für ein Ergebnis?
Baur: Wir sind mit unseren Sparprozessen am Ziel angekommen, jetzt müssen wir investieren, vor allem in unser Agenturnetz. Denn wir müssen uns vergrössern, wenn wir 2010 insgesamt 1000 Leute haben wollen. Und wir müssen ausbilden. Das wird dazu führen, dass wir 2007 kostenseitig nicht so überproportional gut da stehen werden wie 2006. Dennoch haben wir uns mit 10% Umsatzwachstum ein ambitiöses Ziel gesetzt.
Sie wollen 1000 Kundenberater bis 2010 unter Vertrag haben. Woher wollen Sie die nehmen, der Arbeitsmarkt ist leer gefegt?
Baur: Es kommt mir eigentlich entgegen, dass es Firmen gibt, die grosse Versicherungen übernehmen! Da gibt es immer wieder Menschen, die sich neu positionieren wollen, und da rekrutieren wir. Was wir zurzeit zudem prüfen, ist ein sogenanntes Quereinsteiger-Modell, damit versuchen wir, die Topleute von Banken und Versicherungen zu bekommen.
Beschränken sich Ausbildung und Erfahrungen, die solche Quereinsteiger mitbringen müssen, auf den Finanzsektor?
Baur: Schwergewichtig ja, denn wir müssen immer die Anforderungen der EBK für den Fondsvertrieb einhalten und ebenso die Anforderung des Bundesamts für Privatversicherung (BPV) für die Registrierung zum Versicherungsvertrieb.
Ist es aber nicht vielmehr so, dass der AWD auch gänzlich branchenfremde
Mitarbeitende einstellt?
Baur: Wenn das schlecht wäre, würde das ja bedeuten, dass man niemandem grundsätzlich zubilligt, sich beruflich weiterzuentwickeln.
Ein weiterer Kritikpunkt am AWD ist das sogenannte Schneeballprinzip, nach dem Ihre Führungskräfte entlöhnt werden.
Baur: Schneeballstrukturen sind in der Schweiz verboten. Was sie ansprechen, sind die Aufbaustrukturen einer Vertriebsorganisation. Da unterscheidet sich das Modell AWD in keiner Weise von irgendeinem anderen Modell in der Versicherungsbranche. Sie können jede Generalagentur nehmen, sie haben überall die Generalagenten, darunter die Hauptagenten und dann die Agenten. Und über diese Struktur partizipieren die Führungskräfte. Dieses Modell hat es schon immer gegeben.
Warum ist dann AWD damit so in die Kritik geraten?
Baur: Weil wir es transparent gemacht haben. Wir haben unseren spezifischen Karriereplan aufgelegt und gesagt, wenn jemand bei uns anfängt und Erfolg hat, steigt er auf.
Aber Karriere ist das primäre Thema bei AWD. Das zeigt auch Ihre Website.
Da finde ich keine Produkte, keine Vertriebspartner oder Versicherungslösungen, ich finde als Erstes: Karrieremöglichkeiten.
Baur: Wir haben keine eigenen Produkte, wir haben keine Partizipationen. Das heisst, wenn wir hingehen und im Internet sagen, «Produkte A, B und C sind toll, wählen Sie eines der drei aus», tun wir genau das nicht, was AWD als Stärke hat, nämlich den Kunden beraten.
Aber zumindest dürfte es die Kunden doch interessieren, wer die 60 Partner des AWD sind, deren Produkte sie vertreiben.
Baur: Muss ich die alle auswendig aufzählen? (lacht) Wir führen mit allen wichtigen Versicherungen, Banken und Investmenthäusern Kooperationsverträge.
Verdienen ihre Berater an jedem Produkt gleich viel? Es hält sich das
Gerücht, das Ihre Berater am liebsten die Fonds oder Versicherungen verkaufen, von denen sie auch am meisten Provision erhalten.
Baur: Für jedes Produkt innerhalb einer Kategorie sind die Entschädigungen für den Mitarbeitenden identisch.
Inwiefern pflegen Sie die schon bestehenden Kundenbeziehungen?
Baur: Bei uns haben Kunden im Durchschnitt 2,5 Verträge. Das ist im Quervergleich eher viel. Üblich sind in der Versicherungsbranche zwischen 1,4 und 1,5 oder vielleicht 1,9 Verträge pro Kunden. Aber diese Quote muss bei uns höher sein, weil wir ja mit einem unabhängigen Ansatz beraten. Daher ist es meist so, dass bei einem AWD-Abschluss ein oder zwei Verträge zustande kommen. Aber wir müssen auch einen wesentlichen Teil des Neugeschäftes aus dem Bestand generieren, was wir ja auch tun, weil wir unsere Kunden lebensbegleitend betreuen.
Leidet AWD immer noch unter dem eher schlechten Image von einst?
Baur: Die Wahrnehmung dessen, was AWD einst in den Gründerzeiten gemacht hat, trifft sicherlich zu. Das war damals überall so, aber das hat sich gewandelt. Ein wahrgenommenes Firmenimage zu verändern, ist jedoch ausserordentlich schwierig. Meines Erachtens ist das Image von AWD in Europa ganz klar das des beständigen, unabhängigen Finanzberaters. Wir machen Financial Planning auf absolut hohem Niveau.
Gibt es dennoch Beschwerden über AWD?
Baur: Wir erwarten von unseren Beratern sehr viel, aber dass man immer wieder einen Berater hat, der durch die Maschen fällt, das gibts auch bei anderen Gesellschaften. Doch ich toleriere keine Beratungsfehler und bringe
mich da selber ein: Ich schaue jeden Beschwerdefall persönlich an!
Wie viele Fälle kommen denn da so rein?
Baur: Das ist unterschiedlich. Pro Woche im Schnitt ein oder zwei Beschwerden. Und meistens sind es Kunden, die sagen, sie seien schlecht beraten worden. Dann gehen wir der Sache nach. Wir führen Beratungsprotokolle, die der Kunde unterzeichnet. Wenn es Fälle gibt, wo ich wirklich erkenne, dass falsch beraten wurde, regulieren wir die, aber in aller Regel stelle ich fest, dass der Kunde wirklich gut beraten wurde. Sie können sich ja nicht vorstellen, was da draussen auf dem Markt abgeht! Da herrscht ein Verdrängungskampf im Quadrat! Und es ist das Einfachste zu sagen, «bei AWD wurden sie sicher schlecht beraten». Aber ich lasse mich auf diese Diskussionen nicht mehr ein.
Was ist, wenn Kunden wirklich schlecht beraten wurden?
Baur: Wenn z.B. eine Bank einen Mitarbeiter hat, der eine schlechte Beratung macht, dann heisst es in der Konsumentenpresse, «dieser Mitarbeiter hat schlecht beraten». Wenn das bei AWD passiert, heisst es «AWD ist schlecht». Und diesen Vorwurf lasse ich mir nicht gefallen, sondern ich ziehe direkt die Konsequenzen. Wenn jemand in unserer Organisation nicht nach unseren Grundsätzen arbeitet, dann muss er gehen. Ich brauche nur Beratende und Mitarbeitende, die den AWD unterstützen.
Sie sprechen vom «Financial Planning auf hohem Niveau». Ihre Berater bekommen eine anderthalbjährige Ausbildung, nach der sie Experten im Versicherungs- und im Anlagebereich sein sollten. Ist das nicht
etwas zu anspruchsvoll?
Baur: Zu behaupten, dass wir auf allen Gebieten die absoluten Hyperspezialisten haben, wäre absolut vermessen. AWD-Berater erfüllen aber nicht nur die Anforderungen der EBK und des BPV, sondern müssen auch die von AWD entwickelten Ausbildungsstandards beherrschen.
Haben Sie bereits alle Berater nach IAF ausgebildet?
Baur: Wir sind mitten im Ausbildungsprozess IAF und wir gehen davon aus, dass dieser Ende 2008 für die bestehenden Berater abgeschlossen sein wird.
Wie viele Berater haben Sie jetzt?
Baur: 350 voll ausgebildete Beraterinnen und Berater, aber unter Vertrag haben wir natürlich mehr, wovon aber noch nicht alle die notwendigen Schulungen durchlaufen haben.
Und wie viele sind das?
Baur: Wir haben insgesamt 750 Agenten.
Wer zahlt die IAF-Ausbildung?
Baur: Diese Ausbildung zahlt AWD.
Werden Ihre Berater mit einem fixen Einkommen oder mit einer Provisionsbevorschussung entlohnt?
Baur: Die meisten Versicherungsgesellschaften arbeiten mit Vorschussprovisionen und diese werden dann durch Produktion abverdient. Sobald man anfängt, ein Fixum zu zahlen, erzeugt das einen «Rücklehnungseffekt». Ich habe einmal erlebt, dass eine Versicherung ihren Beratern 80% fix und 20% auf Umsatz gezahlt hat. Dort traf ich einen Vertrieb an, der sich nicht mehr richtig um die Kunden gekümmert hat.
Also leistet auch AWD eine Provisionsbevorschussung?
Baur: Nein, wir leisten keinen Vorschuss. Bei uns wird der Berater rein nach Umsatz entschädigt.
Auch schon in der Ausbildung?
Baur: Ja. Wir zahlen nur die Kosten der Ausbildung.
Und das Einkommen müssen die in der Ausbildung befindlichen Personen über den Umsatz generieren?
Baur: Ja, sie sind beim Kunden aber nicht alleine, sondern werden von einem erfahrenen AWD-Finanzberater begleitet, der die Ausbildung schon abgeschlossen hat, das ist insbesondere mit der EBK so fixiert worden.
Entspricht es den Erwartungen der AWD, dass neue Kundenberater die Namen und Adressen von Menschen ihres privaten Umfeldes mit in die Arbeit einbringen?
Baur: Im Prinzip ist es doch so: Die «Handelszeitung» hat eine ganz faszinierende neue Rubrik geschaffen, die heisst «Networking». Da wird gesagt, dass man sich kennen muss, um Dinge zu bewegen. An sich macht AWD nichts anderes! Empfehlungsadressen sind tatsächlich die besten Adressen.
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Steckbrief
Name: Marco Baur
Funktion: CEO AWD Schweiz
Alter: 46
Wohnort: Rüschlikon
Familie: Verheiratet, drei Kinder
Karriere
- 1983 1989 Studium Rechtswissenschaft in Zürich; Abschluss als lic.iur.
- 1989–1992 Jurist bei der Fortuna Rechtsschutzversicherung
- 1992–1995 Assistent der Verkaufsleitung bei Fortuna Versicherungsberatung & Services AG
- 1995–2001 Leiter Aussendienst Fortuna Versicherungsberatung & Services AG
- 1995–2001 Direktor und Delegierter des Verwaltungsrates der Fortuna Versicherungsberatung & Services AG
- 2001–2006 Chef Vertrieb & Marketing der Generali Gruppe Schweiz
- 2005–2006 Stv. CEO der Generali (Schweiz)
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Unabhängige Finanzberatung
AWD Schweiz ist eine 1992 gegründete Tochter der seit 1988 in Deutschland tätigen Finanzberatung AWD (Allgemeiner Wirtschaftsdienst). Im Fokus steht der Verkauf von Kapitalanlagen und Versicherungen an private Haushalte mit Durchschnittseinkommen.
Zahlen
2006 erwirtschaftete AWD Schweiz 108,1 Mio Fr. Umsatz und 15,6 Mio Fr. Gewinn vor Zinsen und Steuern. Die Firma zählt 860 Mitarbeitende,
davon 750 Berater und davon 350 zertifiziert nach IAF, Interessengemeinschaft Ausbildung im Finanzbereich.