Die USA haben Google und Apple. Deutschland hat Mercedes-Benz und Siemens. Frankreich hat Hermès und Louis Vuitton. Italien hat Gucci und Prada. Japan hat Nissan und Toyota. Die Markenlandschaft einer Nation ist auch immer ein Abbild ihrer Wirtschaft.

Die Schweiz hat CS und UBS, Nestlé und Lindt, Rolex und Omega. Alle Erwartungen erfüllt – so weit. Aber sie hat auch Adecco und Schindler, Davidoff und Phonak, Logitech und Kuoni, Kaba und Tally Weijl. Und viele andere mehr, aus den unterschiedlichsten Industrien. Hidden Champions, starke Brands in Bereichen, die man nicht auf den ersten Blick erwartet hätte. «Kaum ein anderes Land hat eine so breitgefächerte Markenlandschaft wie die Schweiz», sagt Michel Gabriel, Schweiz-Chef der Markenberatung Interbrand.

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Diese Vielfalt zeigt sich auch im Ranking der 50 wertvollsten Schweizer Marken, das Interbrand dieses Jahr bereits zum sechsten Mal in Zusammenarbeit mit BILANZ erhob. Dazu wurden mehrere hundert Schweizer Brands untersucht. Nicht ins Ranking aufgenommen wurden reine B2B-Marken wie ABB, Holcim oder Swiss Re: Es braucht einen gewissen Appeal für das breite Publikum, um der Bedeutung einer Marke gerecht zu werden.

Überraschende Grossbanken. 2012 war ein guter Jahrgang für die Schweizer Brands. Gegenüber dem Vorjahr hat der kumulierte Markenwert der Top 50 um 3,6 Prozent zugenommen auf 89,6 Milliarden Franken. Ganz oben gab es aber einen heftigen Dämpfer: Nescafé hat gegenüber dem Vorjahr über 400 Millionen Franken verloren. Dennoch bleibt der Löslichkaffee mit grossem Abstand die wertvollste Schweizer Marke: «Das ist für mich die grösste Überraschung im diesjährigen Ranking», sagt Michel Gabriel. «Dass es trotzdem keiner anderen Marke gelungen ist, da auch nur in die Nähe zu kommen.» Denn Nescafé ist – neben Starbucks – eine der ganz wenigen globalen Kaffeemarken und in vielen Ländern sehr gut aufgestellt. Dass der Verlust trotzdem so happig ausfiel, lag an einer verunglückten Repositionierungsstrategie von Nestlé, die den Premiumgedanken über die Einfachheit stellte.

Überraschend gut haben sich trotz allen Skandalen um Steuerflüchtlinge, trotz schwarzen Listen und US-Anklagen dagegen die beiden Grossbanken behauptet. Die CS verliert ein knappes Prozent Markenwert, die UBS gewinnt sogar drei Prozent. «UBS und CS haben in rauer See den Kurs gehalten, auch weil sie international eine starke Marke haben», sagt Gabriel. «Noch ist es nicht vorbei, es wird wieder eine steife Brise wehen.» Markentechnisch sind die beiden Grossbanken immerhin darauf vorbereitet. Auffallend: Mit Raiffeisen, den Kantonalbanken sowie Vontobel haben drei Geldinstitute an Markenwert gewonnen, die bei all den Skandalen bislang fein raus waren. Bislang. Denn es wird spannend zu sehen, wie sich bei der nächsten Erhebung der Fall Hoeness auf das Image von Vontobel auswirken wird.

Ein M schlechter. Federn gelassen haben die Grossverteiler Migros und Coop, die sechs bzw. drei Prozent ihres Markenwertes verloren. Das schwierige wirtschaftliche Umfeld und vor allem der Einkaufstourismus in die grenznahen Regionen sind ein wichtiger Grund dafür, dass die beiden orangen Riesen gelitten haben. Erstmalig mit dabei ist hingegen der Milch- und Käsehersteller Emmi. «Die Marke hat den Sprung in die Top 50 zu Recht geschafft», sagt Gabriel. Sie hat das für den Markenaufbau notwendige Marketingbudget, unternimmt auch ausserhalb der Schweiz viel, um die Märkte zu durchdringen, und hat dort die Schweizer Herkunft «quasi für sich gepachtet» (Gabriel).

Mit Emmi ist nun auch die letzte Schweizer Klischeebranche ins Marken-Ranking vorgestossen, während Banken-, Uhren- und Schokoladeindustrie schon seit der ersten Erhebung 2005 präsent sind. Auch La Prairie gelang dieses Jahr die Premiere im Ranking. Der Westschweizer Kosmetikhersteller erwirtschaftet mit seiner Marke so hohe Erträge, dass ihn die Finanzzahlen in die Top 50 gehievt haben.

Abgestiegen sind dagegen Jura und Sarasin. Bei beiden liegt der Markenwert unter jenen 126 Millionen, die es heuer für die Aufnahme in die Bestenliste braucht. Letztes Jahr reichten dafür noch 98 Millionen Franken. Während bei Jura die Nachfrage noch knapp stabil war, dürfte Sarasin besonders unter den Wirren um die Übernahme durch den Konkurrenten Safra gelitten haben.

Sechs Swatch-Marken in Top 50. Auch andere wohlklingende Namen schafften es nicht unter die Top 50, zum Beispiel Charles Vögele, Ricola oder Denner. Die Swiss schliesslich ist nicht im Ranking vertreten, weil Interbrand grundsätzlich keine Airlines bewertet. In dieser Branche ist der Einfluss der Marke auf den Erfolg sehr schwer zu ermitteln. Und was ist mit SBB, Mövenpick, Kambly, Victorinox oder Navyboot? Diese Marken konnten nicht berücksichtigt werden, weil es zu wenige verwertbare Informationen zu ihnen gibt.

Trotz dem Taucher bei Nescafé bleibt Nestlé als grösster Schweizer Konsumgüterhersteller auch der Konzern mit dem grössten kumulierten Markenwert – seine drei Brands im Ranking bringen insgesamt über 19,5 Milliarden Franken zusammen. Das sind sogar noch eine halbe Milliarde Franken mehr als im Vorjahr. Platz zwei belegt weiterhin die Swatch Group. Sie hat sechs Marken in den Top 50, mehr als jeder andere Konzern. Knapp 6,9 Milliarden Franken sind sie zusammen wert, eine Zunahme von 400 Millionen Franken gegenüber der letzten Erhebung.

Überhaupt ist das starke Abschneiden der Luxusmarken auffallend. Fast alle Edeluhren legten – teilweise deutlich – zu, ebenso Lindt. Sie alle profitieren von der stark wachsenden Nachfrage in Asien. «Dass dort eine Luxusauffassung herrscht, die stark in Richtung Statussymbol geht, kommt den Schweizer Brands zugute», sagt Gabriel. In Europa herrsche ein eher ambivalenter Luxusbegriff, bei dem Musse und Zeit eine grössere Rolle spielten.

Tech-Marken mit Potenzial. Bei den Luxusuhren und Lindt ist sogar noch weiteres Markenpotenzial vorhanden. Diese Brands haben immer noch Wachstumschancen in Südostasien und erwarten die nächste Welle von aufstrebenden Volkswirtschaften, etwa die Türkei, Venezuela, Kolumbien oder Mexiko. «Dort entsteht nach und nach eine gehobene Mittelschicht, die so einkommensstark ist, dass sie sich diese Marken leisten kann», sagt Gabriel. «Davon profitiert der Markenwert.»

Nachwuchs. Die Technologiemarken Swisscom und Sunrise haben ebenfalls noch Luft nach oben. Unter ihrem Markendach werden immer mehr Dienstleistungen angeboten, die früher nicht zum Kerngeschäft gehörten: Einst gab es nur das Fixnetz, danach kamen Mobilfunk und Datendienste hinzu. Heute ist Cloudcomputing das grosse Thema, bald ist es die Konvergenz von TV und Internet im Heimbereich, bei der Swisscom auch das Strommanagement. «Da liegt noch grosses Markenpotenzial», sagt Gabriel.

Die grössten Wachstumschancen freilich haben Marken, die noch gar nicht in den Top 50 vertreten sind. Nachwuchshoffnungen wie die Internetplattformen Zattoo, Housetrip oder GetYourGuide, Fashion-Labels wie Chicorée oder Yendi, Händler wie Digitec, Sportschuhhersteller wie On Running, Verpflegungskonzepte wie Hitzberger. Noch sind sie ein gutes Stück davon entfernt, zu den wertvollsten Brands des Landes zu gehören. Aber wenn sie ihre aktuellen Wachstumsraten beibehalten, werden sie früher oder später in den Top 50 auftauchen. Und die Schweizer Markenlandschaft noch ein bisschen vielseitiger machen.