Milch ist Milch, denkt der Laie und zählt auf Anhieb bloss zwei Unterscheidungskriterien für Milch auf: Biologische und herkömmlich produzierte. Und: Abgesehen vom Fettgehalt gibt es keine Unterschiede. Das hat auch die Marketingabteilung der Migros gestört und ins Grübeln gebracht. Laut Marketingchef Urs Riedener sei man schnell zum Schluss gekommen, dass eine Marke kreiert werden müsste, die «die emotionalen Werte wie Swissness und Natürlichkeit stark betonen muss».

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Kann man sich etwas Schweizerischeres und Natürlicheres als unser properes Bergkind Heidi vorstellen? Wohl kaum. Nachdem Heidis Geschichte die Herzen der Kinder und Kindlichen erobert hat, drängt es sich geradezu auf, ihnen die passende Frühstücksmilch gleich nachzuliefern. «Wenn Sie den Schriftzug sehen, läuft bei Ihnen ein ganzer Film an Jugend- und Schweizer Bergerinnerungen ab», drückte Riedener in seinem Vortrag an der GfM-Trend-Tagung im April 2004 seine Hoffnung aus. Wie praktisch also, dass Migros bereits ein Heidi-Müesli in den Regalen stehen hat. Die Nutzungsrechte für gleichnamige Milch konnte sie nach etwas Überzeugungsarbeit über die Höhe der finanziellen Bemühungen herrscht Stillschweigen von der bisherigen Besitzerin Toni erwerben. So kommt es, dass Heidi lieb von Jogurt-, Quark-, Käse-, Milch-, Kaffeerahm- und Rahmglace-Verpackungen lächelt.

Massenkommunikationmit Heidi

Die beiden Heidi-Romane von Johanna Spyri waren bereits bei ihrem Erscheinen 1880 sehr erfolgreich. Inzwischen wurden sie in über 30 Sprachen übersetzt und von zahlreichen Verlagen neu aufgelegt. Auch die Migros liess den Motor ihrer Werbemaschinerie bei der Lancierung der Marke im Frühling 2004 gleich in hoher Tourenzahl laufen, um die frohe Botschaft zu verkünden. «Wer Heidi-Käse kauft, kauft ein Stück Schweizer Heimat» wird über Radio- und Fernsehspots verbreitet, in der hauseigenen Zeitung (Auflage: 2 Mio) und im Cumulus-Magazin (2 Mio) abgedruckt und mittels Cross-Marketing, Degustationen in allen Läden und Wettbewerben, unterstützt. Bereits drei Wochen später haben 13% der Cumulus-Kunden Heidi-Produkte gekauft, die Umsatzprognose für dieses Jahr beläuft sich auf 60 bis 70 Mio Fr.

«Und damit schüttete Heidi seinen ganzen Blumenreichtum aus dem gefalteten Schürzchen vor den Grossvater hin ...», Originalzitate aus Spyris Büchern und die lieblichen Illustrationen von Tomi Ungerer auf den Produktverpackungen erinnern uns daran, was wir so lieben an Heidi: Sie steht für intakte Natur, einfaches Daseinsglück. Dass das Bergmädchen dabei die längst von der Realität überholten Klischees von der gemütlichen Kleinräumigkeit, der gesunden Alpenwelt und den guten, wilden Berglern bedient, wird geflissentlich übersehen.

Weil Milch heute im Überfluss vorhanden ist, wird sie zu Tiefpreisen an die Verarbeiter abgegeben und dort im wörtlichen Sinne mehrheitlich verpulvert und verbuttert. Indem man ausschliesslich Milch aus den Bergregionen für Heidi-Produkte beziehe, könne man den Bergbauern dabei helfen, für ihr Produkt weiterhin einen angemessenen Preis zu beziehen, heisst es von Seiten der Migros.

Ist also Heidi eigentlich ein neues Markenzeichen für aktive Berghilfe? «Nicht wirklich», erklärt Pressesprecher Urs Peter Naef. Man will Geld verdienen mit den Heidi-Produkten. Erheblich idealistischer klang da Riedener in seinem Vortrag: «Wir müssen als Schweizer etwas Mut haben vielleicht schaffen wir es, mit der Marke Heidi auch eine Nachfrage aus dem Ausland zu generieren.» Die Marke habe das Potenzial, zur bekanntesten Marke für Schweizer Milchprodukte zu werden.

Bergmilch?

Ob wohl irgendwelche Kunden glauben, ihr Frühstücksjogurt werde von Alpöhis Nachfahren auf der Alp im Kupferkessel verarbeitet? Zuzutrauen ist es ihnen ja. Schliess-lich sind sie bereit, dafür ganz schön tief in die Tasche zu greifen. Ein 150g-Plastikdöschen Rhabarberjogurt beispielsweise kostet 95 Rp., Aprikosenjogurt in der 500g-Familienpackung belastet das Budget mit 1.55 Fr. Auf 100 g umgerechnet, kommt man bei Heidi-Jogurt auf einen Preis von 63 Rp. das Doppelte von normalem Fruchtjogurt.

Das Doppelte, weil Heidi draufsteht? Klar für die Bergbauern. Die jedoch erhalten für ihre Milch nicht mehr als ihre Kollegen im Tal. «Die getrennte Sammlung und Verarbeitung, die Verpackung, die Absatzförderungsmassnahmen und der Aufbau neuer Exportmärkte verursachen hohe Kosten, die den Verkaufspreis verteuern», erklärt die Marketingabteilung.

Interessant ist, dass mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz zum Berggebiet gerechnet wird. Auch stehen 370 546 Talkühen immerhin 216 854 Bergkühe gegenüber. Letztlich ist also fast ein Drittel der rund 3 Mrd kg in der Schweiz angelieferten Milch Bergmilch. Und die wird nicht in Öhis Hütte, sondern in den herkömmlichen Produktionsbetrieben der Migros verarbeitet.

Als Marketingkonzept ist die Heidi-Linie unbestrittenermassen clever: Ein attraktives Produkt segmentiert einen gesättigten Markt, Heidi erobert Marktanteile für die Migros. Es ist auch durchaus denkbar, dass Schweizer Bergkühe noch Milch liefern, wenn ihre Kolleginnen im Tal längst nur noch zu Fleisch verarbeitet werden.