Er wirkt intellektuell und sensibel. Strahlend steht Heinrich Marti, von Stammkunden umringt, auf dem Deck des Kreuzfahrtschiffes «Costa Atlantica». Der CEO hat allen Grund zu guter Laune, denn nach der Kreuzfahrt zum 100-Jahr-Jubiläum der Ernst Marti AG im letzten Jahr ist dies die zweite mit 2200 Gästen komplett ausgebuchte Mittelmeer-Kreuzfahrt seiner Busfirma. Eine Kundenbindung, von der andere Firmen nur träumen können, denn noch nie gelang es einem einzelnen Schweizer Veranstalter, ein Schiff dieser Grösse allein zu füllen.

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Mit Pferd und Wagen begann die turbulente Firmengeschichte im Berner Seeländer Dorf Kallnach, als der zwanzigjährige Ernst Marti 1903 einen Fuhrbetrieb gründete. Früher als die Konkurrenz kaufte er 1905 das erste Automobil, einen «Dampfwagen», mit dem er die landwirtschaftlichen Produkte schneller aus den Feldern auf die städtischen Märkte transportieren konnte. Eine weitere Pioniertat folgte 1920, als der Unternehmer einen Lastwagen temporär zum Personentransport umbaute. Mit dem Gefährt, das am Freitag zum Beispiel Runkeln transportierte, fuhr der Trachtenverein am Sonntag auf den provisorisch eingebauten Sitzbänken in die Berge. Wenig später montierte Marti auf einen Occasions-Lastwagen von Saurer eine Karosserie der Firma Ramseier und baute damit einen ersten Reisebus mit zwei Dutzend Plätzen unter einem selbst konstruierten Faltdach. 1927 schrieb Marti als Neuheit eine Auslandreise nach Italien aus; die Telefonnummer 5 signalisierte die Pionierstellung des Unternehmens. Selbstbewusst auch der Werbeslogan: «Die erste Klasse auf der Strasse.»

Die erste Aktiengesellschaft für Gesellschaftsreisen in der Schweiz gründete Ernst Marti 1948, bis heute eine reine Familien-AG. Nach dem Tod des Firmengründers teilten die beiden Töchter und vier Söhne die Aktien zu gleichen Teilen untereinander auf, Sohn Armin übernahm die Geschäftsleitung und führte das Unternehmen im Boom der Nachkriegsjahre. Allein im Kanton Bern organisierten sich jetzt 60 Bushalter im Verband der Gesellschaftswagenbesitzer, und Marti mischte zuvorderst mit. 1955 bestellte die Firma als erstes Unternehmen der Schweiz bei Kässbohrer – heute Evobus – in Ulm die revolutionären Setra-Busse mit selbsttragender Konstruktion.

Die Schweizer Bus-Szene
Die Familien haben das Sagen


430 Carunternehmer mit rund 2100 Fahrzeugen arbeiten in der Schweiz. Die Branche ist von kleinräumigen Strukturen und starker Konkurrenz geprägt. Die grössten Carunterehmer des Landes sind Eurobus, Marti, Twerenbold und Buchard. Nicht einmal drei Prozent der Unternehmen verfügen über mehr als 15 Reisecars. Der Grossteil der Anbieter sind Familienunternehmen, die wirtschaftlich auf mehreren Säulen stehen. Manche setzen ihre Busse auch im öffentlichen Linienverkehr ein und verteilen das betriebliche Risiko zudem mit Lastwagen. Die Busbetriebe sind in der Fachgruppe Car des Schweizer Nutzfahrzeugverbandes Astag organisiert.


Carreisen sind zum touristischen Nischenprodukt geworden, das sechs Prozent des Pauschalreisekuchens abdeckt.

Die in Deutsch und Französisch gedruckten Marti-Kataloge boten in den Sechzigerjahren 450 Fahrten kreuz und quer durch Europa und bis nach Nordafrika an. Marti eröffnete 17 Reisebüros in der ganzen Schweiz und führte früher als die Konkurrenten ein elektronisches Buchungssystem ein. In den Neunzigerjahren organisierte die Ernst Marti AG erstmals Charterflüge zu Badedestinationen am Meer, einen bis heute betriebenen Geschäftszweig.

Mit der vierten Generation wehte erneut ein frischer Wind durch die Firma. 1996 trat der 36-jährige Automobil- und Betriebswirtschaftsingenieur Heinrich Marti ins Unternehmen ein und übernahm vier Jahre später die Geschäftsleitung. 100 000 Kunden transportiert das Unternehmen pro Jahr und beherbergt Zehntausende auf Rundreisen oder in Badeferien in Vertragshotels in ganz Europa. Marti veräusserte 2001 das Speditionsgeschäft mit drei Dutzend Lastwagen an die Firma Planzer und gründete etwas später zusammen mit Hotelplan die Marti Reisebüro AG. Heinrich Marti forcierte die Erneuerung des Wagenparks mit dem Resultat, dass das Unternehmen jetzt die modernste Carflotte des Landes mit zwanzig Setra-Cars der neuesten Generation und weiteren zehn ebenfalls modernen Cars betreibt. Die letzte Erwerbung, der «Executive Business Class Car», mit nur gerade 20 Sesseln wird von Firmen für kleinere, anspruchsvolle Gruppen gechartert. Mit Konkurrent Twerenbold eröffnete Marti kürzlich einen Busterminal am Flughafen Zürich.

Eine Imagestudie, welche die Ernst Marti AG durch das Marktforschungsinstitut Polyquest ausarbeiten liess, dokumentiert die Leaderstellung als bekanntestes Carunternehmen der Schweiz. Heinrich Marti profiliert sich als Branchensprecher und kämpft mit überzeugenden Argumenten gegen die Benachteiligung des Cargewerbes. Busse gelten als Verkehrshindernisse und werden gar als Dreckschleudern abqualifiziert, obwohl die ökologische Bilanz moderner Reisecars derjenigen der Bahn ebenbürtig ist. Bei Personenautos und Flugzeugen ist die Umweltbelastung pro Passagier weit höher als beim Reisecar, wie eine Untersuchung des deutschen Dienstes für Gesamtverkehrsfragen eruierte. Während die Bahnen und die nationale Fluggesellschaft staatliche Zuschüsse erhalten, sind Carunternehmen mit Mehrwertsteuer, Schwerverkehrsabgabe und Abgaben auf Treibstoffen (die beim Flugbenzin entfallen) stark belastet.

Kaum waren die Jubiläumsveranstaltungen verrauscht, zerstörte ein Grossbrand am 31. Januar 2004 spätnachts den Firmensitz im Dorfzentrum von Kallnach. 42 Arbeitsplätze unter dem Dach des Holzhauses gingen in Flammen auf – nicht jedoch die elektronisch gespeicherten Daten, welche die Firma an zwei Orten ausgelagert hatte. Heinrich Marti organisierte als Krisenmanager mit den beiden andern Mitgliedern der Geschäftsleitung den provisorischen Aufbau der Infrastruktur. Bereits am nächsten Arbeitstag waren alle Mitarbeitenden an eilig herangeschafften Bildschirmen in einem unversehrten Nebengebäude an der Arbeit. Bis der neue Geschäftssitz bezugsbereit ist, wird in Containern gearbeitet, die man aus den Beständen der Expo erwerben konnte. Die gute Versicherungsdeckung – Ausdruck des konservativen Sicherheitsdenkens – zahlt sich aus.

«Der Brand brachte eine unerwartete Chance», erklärt Heinrich Marti, «die neuen Strukturen bringen eine Effizienzsteigerung, und das Unglück hat im Unternehmen einen starken Kitt erzeugt.»