Ein ganz spezieller Schreiner», lacht Hermann Mathis, wenn er seine Arbeit umschreibt. Der Chef der Mathis Orgelbau AG weiss, wovon er spricht, denn nicht nur Orgelstücke komponieren und spielen ist eine Kunst, sondern auch der Instrumentenbau. «Einzig die Handarbeit bringt den guten Klang», sagt Mathis. «Der Orgelbau ist ein aufwendiges Kunsthandwerk, das viel Zeit beansprucht.» Die Laufzeit der Aufträge ist mit vier bis acht Jahren ebenso speziell wie auch die Arbeitsorte: Von der Dreifaltigkeitskirche in Adliswil oder dem Münster Basel bis nach Kaohsiung (Taiwan), der Goucher Memorial Chapel an der Aoyama-Gakuin-Universität in Tokio oder der Sixtinischen Kapelle in Rom.

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Und so verschieden die Orte, so unterschiedlich die Instrumente. Die vor Weihnachten 2002 geweihte Orgel für den Vatikan war eine besondere Herausforderung, erinnert sich Mathis. Wegen der einzigartigen Fresken Michelangelos durfte das Instrument nicht fest installiert werden. So wird das 3,5 t schwere Instrument nach jedem Spiel mit dem Orgel-Mobil über mehrere Treppen in den Orgel-«Abstellraum» gefahren.

Im Basler Münster steckt in dem vom Zürcher Architekten Peter Märkli gestalteten Gehäuse ein ganzes Einfamilienhaus. Die Abmessungen von 8,4 x 8,8 x 6,6 m entsprechen einem Gewicht von 27 t.

Langer Weg zum guten Ton

Das sind äussere Zahlen. Sonst ist die Arbeit von Hermann Mathis und seinem Team weniger fassbar: Sie schreinern Kunsthandwerk, mal ganz modern, mal im Stil der Renaissance, und giessen Präzisionsinstrumente, die Metallpfeifen. Die hohe Kunst ist es dabei, die richtige Intonation zu finden. Mit feinstem Schmirgelpapier oder dünnen Schichten Zinn «justiert» der Leiter des Unternehmens als Intonator jede Pfeife so, dass Klang und Raum zur Einheit werden. «Dazu kommt das ganz Besondere jeder einzelnen Gemeinde», fügt Mathis an. Erst wenn der Orgelbauer mit seiner Anima die Atmosphäre einer Kirche als Bau und die Stimmung der Leute zusammenbringe, überzeuge die Orgel. Kein einfacher Weg, denn «letztlich lässt sich über den guten Ton nicht demokratisch entscheiden». Erschwerend wirkt, weil zwischen dem Entscheid zum Bau und der Einweihung Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte, liegen. «Deshalb darf Orgelbau sich nicht nach Moden richten.»

Das Intonieren der Pfeifen in Basels neuer Münsterorgel sind es zum Beispiel 5701 Stück dauert mehrere Wochen. Das individuelle Zusammenspiel von Kunsthandwerk und Kunst begründete schon früher den Ruf von Orgelbauer-dynastien. «Ein Grossteil unseres Wissens ist nicht aufgeschrieben, sondern wird mündlich tradiert.» Bisher haben Hermann Mathis und sein Vater Manfred rund 300 Orgeln erstellt.

Eigene Pfeifengiesserei

«Ausser den elektrischen Komponenten stellen wir alles selber her», betont Mathis. Bei der heutigen optimalen Grösse bleibe der Entstehungsprozess überschaubar. Zudem werde jedes Instrument zum Unikat, weil keinerlei Teile im Voraus gefertigt werden. Wichtig ist dem gelernten Orgelbauer die eigene Pfeifengiesserei, obwohl nur wenige Kilometer Glarnerland-aufwärts Alfred Wolf eine gut eingeführte Giesserei betreibt. «Flexibel sein, wenn die Intonation rasche oder ganz feine Anpassungen, vielleicht gar eine neue Pfeife erfordert, Ideen sofort überprüfen, wenn es um Versuche mit einer anderen Disposition und neuen Klangfarben geht», sind Mathis die Kosten wert. Die Giesserei ist nur gut ein Drittel ausgelastet. Zur kompromisslosen Qualität als Synonym für Schweizer Orgelbau gehört das eigene Holzlager, eines der grössten der Branche in Europa. «Nur so habe ich Gewähr, über das jeweils nötige Massivholz zu verfügen, das vier bis zwölf Jahre getrocknet hat.»

Die Orgel, Königin der Instrumente, muss lange und gut funktionieren. «Jedes Jahr zweimal stimmen und nach zehn oder zwanzig Jahren reinigen. Erst das rechtfertigt den Preis einer mittelgrossen Kirchenorgel von rund 750000 Fr.» Der Schweizer Perfektionismus droht jedoch anzustossen. Einmal verschärfen die neuen Grenzen in Europa den Wettbewerb enorm. Der Druck aus Deutschland wächst. Und «Orgelbauer aus dem Tieflohnland Polen offerieren zu einem Drittel unserer Preise. Da die Lohnkosten knapp drei Viertel ausmachen, muss ich beim gewohnten Qualitätsstandard gar nicht weiter rechnen», erklärt Mathis dazu.

Zum andern wankt der Hauptabnehmer «Kirche». Nach dem raschen Wiederaufbau zerstörter Kirchen und Orgeln nach dem 2. Weltkrieg «sind die Orgeln in Europa gebaut». Und viele dieser «günstig» erstellten Orgeln sind schon wieder saniert oder sogar ersetzt worden. Doch noch bevor der jahrzehntelange Boom im europäischen Orgelbau zu Ende geht, sieht sich die Branche für die Zukunft noch mit einem ganz anderen Problem konfrontiert: Der Mitgliederschwund in den Kirchgemeinden und der Spardruck der öffentlichen Hand treffen nicht zuletzt auch die europäischen Orgelbauer. Diese Entwicklung werde noch verschärft durch den gesellschaftlichen Trend, so Mathis, dass der Mittelstand wegbricht. «Mäzene genügen nicht als Träger von Kultur und Kirche.»

Aus der Zeit der Phönizier

Dagegen bedeuten elektronische Instrumente ausser in den USA und in Italien kaum Konkurrenz für die klassischen Orgelbauer. «Sie kosten zwar nur einen Zehntel, doch die Lebensdauer ist sehr begrenzt, und spätestens nach einem Jahr läuft die Garantie aus», sagt Mathis. Zur Pfeifenorgel gäbe es dagegen mindestens eine zehn-jährige Gewährleistung und viele berühmte Instrumente sind mehr als 100 Jahre alt.

Im Barock hatte die Orgelmusik ihren Höhepunkt erreicht. Doch die Geschichte der Orgel reicht bis zu den Zeiten der Phönizier und Ägypter zurück. Auch die Römer pflegten die Orgel, ehe sie in Westeuropa in Vergessenheit geriet. Erst als der oströmische Kaiser Konstantin V. König Pippin dem Kleinen (757 n. Chr.) eine Orgel schenkte, wurde das Kircheninstrument in Europa wieder entdeckt. Mit der christlichen Religion verbreitete sich die Orgel seither fast rund um den Globus.



Firmen-Profil

Name: Mathis Orgelbau AG

Adresse: Am Linthli 10, Postfach 147, 8752 Näfels

Gründungsjahr: 1960

Besitzer: Familien-Aktiengesellschaft

Geschäftsleiter: Hermann Mathis, Präsident VR, Jakob Etter, Finanzen, Günter Lade, Markt

Umsatz: 4,2 Mio Fr.

Beschäftigte: 20

Produkte: Orgelbau und -renovationen

Kunden: Pfarr- und Klosterkirchen, Konzertsäle, private Hausorgeln

Internet: www.mathis-orgelbau.ch